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Buenos Aires-Briefing

Buenos Aires-Briefing August 2021 in neuem Design

von Inga von der Stein, Olaf Jacob, Carmen Leimann-López
Geleaktes Foto zeigt Staatspräsident Fernández, wie er eigens veranlasste Quarantäne-Regeln bricht | Anhaltende soziale Proteste | Vertreter des Kirchnerismus wird Verteidigungsminister | Klimawandel in Argentinien: Río Paraná trocknet aus | Ausblick für September

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Buenos Aires-Briefing August 2021

gesprochen von Mario Cohn

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Themen

 

› Geleaktes Foto zeigt Staatspräsident Fernández, wie er eigens veranlasste Quarantäne-Regeln bricht

› Anhaltende soziale Proteste

› Vertreter des Kirchnerismus wird Verteidigungsminister

› Klimawandel in Argentinien: Río Paraná trocknet aus

› Ausblick für September

 

Geleaktes Foto zeigt Staatspräsident Alberto Fernández, wie er eigens veranlasste Quarantäne-Regeln bricht

Im August war das bestimmende Thema in Argentinien ein Foto, welches Anfang des Monats publik wurde: Dies zeigt Staatspräsident Alberto Fernández (Regierungsallianz Frente de Todos) zusammen mit elf weiteren Personen bei einem Abendessen in der Präsidentschaftsresidenz in Olivos – ohne Masken und Mindestabstand. Es ist vor allem der Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos, welcher besonders kritisch ist: Das Foto stammt vom 14. Juli 2020, als in vielen Teilen Argentiniens immer noch eine strenge Quarantäne vorgeschrieben war. Treffen jeglicher Art waren in den betroffenen Gebieten daher grundsätzlich untersagt. Besonders brisant: Fernández hatte als Präsident das Dekret unterschrieben, gegen das er offensichtlich selbst verstieß. Bei Nichteinhaltung der Quarantäne-Regeln hatte Fernández persönlich unter anderem Freiheitsstrafen angedroht.

Im Nachgang der Veröffentlichung des Fotos sowie eines weiteren Videos entbrannte eine Diskussion, angefacht durch den Wahlkampf der anstehenden Vorwahlen (12. September), welche den Parlamentswahlen (14. November) vorausgehen. Sie läutete eine schlimme politische Krise für Präsident Fernández in Bezug auf seine Glaubwürdigkeit ein. Eine Frage, an der sich die Geister scheiden, sind die strafrechtlichen Folgen für den Amtsträger. Einige Abgeordnete der Opposition drängten auf ein Amtsenthebungsverfahren. Dies hätte allerdings nur symbolische Bedeutung, da die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress von der Regierungsallianz Frente de Todos leicht blockiert werden könnte.

Das Verhalten von Präsident Fernández stößt in der Bevölkerung auf Empörung, der strikte Lockdown ist vielen noch schmerzhaft in Erinnerung. In mehr als 30.000 Fällen wird aufgrund angezeigter Verstöße ermittelt. Die Rechtfertigungsversuche des Präsidenten wurden als halbherzig empfunden. Es ist schwer vorauszusagen, welche Auswirkungen „Olivosgate“ auf die anstehenden Vorwahlen und Parlamentswahlen hat. Erste Umfragen zeigen keine erheblichen Auswirkungen auf Präferenzen im Wahlverhalten: In der Provinz Buenos Aires verliert die Kandidatin der Regierungsallianz Frente de Todos laut Umfrage der Firma CB Consultora Opinión Pública um fünf Prozentpunkte, bei den Unentschlossenen um acht Prozentpunkte. Eine tiefgreifende Auswirkung hat das Verhalten von Fernández dennoch: Es intensiviert die Antipathie und Unzufriedenheit der Argentinier nicht nur gegenüber dem Präsidenten, sondern der gesamten politischen Klasse.

Es ist zu erwarten, dass sich dieser Vertrauensverlust in einem Anstieg derjenigen niederschlägt, die entweder nicht zur Wahl gehen oder die einen leeren Stimmzettel abgeben. Letztere sind seit 2001 auch als „wütende Stimmen“ bekannt, als vier Millionen Argentinier einen leeren Stimmzettel einhändigten. Die Praxis des leeren Stimmzettels erfreute sich an Beliebtheit, da in Argentinien das Wahlrecht verpflichtend ist und die Unzufriedenheit über die gegebenen Optionen auf diese Weise ausgedrückt wird. Umfragen der Firma Management & Fit und Opina Argentina zeigen auf, dass der Anteil der „wütenden Wähler“ auf 25 Prozent angewachsen sei. Die Kombination von wachsenden Nichtwählern und „wütenden Stimmen“ ist zwar unsichtbar im Wahlergebnis, ist aber dennoch gefährlich, da sie die Legitimation der Regierung und damit die Demokratie schwächt.

Der Vertrauensverlust in Präsident Fernández könnte auch zum Verhängnis werden, falls die Regierung die erst kürzlich gelockerten Corona-Regeln wieder verschärfen muss. Auch wurden im August erstmals Fälle der ansteckenderen Delta-Variante in Argentinien nachgewiesen, die nicht in direktem Zusammenhang mit Reiserückkehrern stehen. Es ist unklar, ob Argentinien einer Ausbreitung der Delta-Variante gewappnet ist: Kreuzimpfungen sind seit kurzem offiziell erlaubt, wodurch die Zweitimpfungen Auftrieb bekommen haben. Die Vollimmunisierung der Bevölkerung liegt jedoch bei lediglich 30 Prozent (Stand 31.08.2021). Von einer Herdenimmunität ist Argentinien somit noch immer weit entfernt.

 

Anhaltende soziale Proteste

Die Frustration über die desolate wirtschaftliche Lage, die durch die Pandemie noch weiter verschärft wurde, bringt derzeit viele Argentinier auf die Straßen. Nicht nur in der Hauptstadt, sondern im ganzen Land gingen etwa am 18. August tausende Menschen zu Demonstrationen auf die Straßen, zu welchen um die 50 soziale Organisationen aufriefen.  Die sozialen Bewegungen stehen traditionell dem regierenden Peronismus nah, daher ist die anhaltende Mobilisierung der Demonstranten überraschend. Diese forderten eine bessere Sozialpolitik und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die wirtschaftliche Lage des Landes ist schlecht: Die Wirtschaft ging 2020 um 9,9 Prozentpunkte zurück, dem tiefsten Fall seit der Wirtschaftskrise 2001. Laut offiziellen Zahlen leben 42 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Die Aussichten für die Zukunft sind trüb: Argentinien ist das einzige Land, welches der Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mehr als fünf Jahre brauchen wird, um sich ökonomisch zu erholen.

 

Wechsel im Kabinett: Vertrauter des Kirchnerismus wird Verteidigungsminister

Im August kam es zu zwei Veränderungen im Kabinett: Juan Horacio Zabaleta löste Daniel Arroyo als Minister für Soziale Entwicklung ab, Jorge Enrique Taiana trat die Nachfolge von Augustín Rossi als Verteidigungsminister an. Die neu ernannten Minister Zabaleta und Taiana sind keine Unbekannten: Taiana war unter den ehemaligen Präsidenten Néstor und Cristina Fernández de Kirchner bereits von 2005 bis 2010 Außenminister und ist einer der wichtigsten politischen Kader dieses Zweigs des Peronismus. Taiana ist Unterstützer der linksgerichteten Puebla-Gruppe und wird als China-freundlich eingeschätzt. In der Vergangenheit betonte er mehrfach die strategische Partnerschaft zwischen Argentinien und der Volksrepublik China und sprach seine Bewunderung für die Kommunistische Partei Chinas aus.  Der neue Minister für Soziale Entwicklung und vorherige Bürgermeister Zabaleta gilt als Vertrauter von Fernández. Er leitet nun eines der Ministerien mit dem größten Budget, welches Schlüssel für den notwendigen wirtschaftlichen Aufschwung Argentiniens ist.

Während zu Anfang der Regierungszeit von Präsident Fernández das Kabinett zwischen linken Flügel und moderaterem Flügel ausgeglichen war, bringt die Ernennung der beiden neuen Minister das Kabinett immer mehr ins Ungleichgewicht zugunsten von Vize-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, die für den populistischen Flügel des Peronismus steht. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass die linke Strömung des Peronismus die Geschicke des Landes zunehmend bestimmt.

 

Klimawandel in Argentinien: Rio Paraná trocknet aus

Die Veröffentlichung des Klimaberichts des Weltklimarates Anfang August fand in Argentinien kein mediales Echo, dafür erregt der historische Tiefstand des Río Paraná, einer der Hauptrouten der Flussschifffahrt Südamerikas, Aufmerksamkeit. Dieser ist auf dem niedrigsten Stand seit 77 Jahren aufgrund von einer andauernden Dürre. Die Trockenheit des Paranás gefährdet sowohl die Wirtschaft als aus die Wasserversorgung einiger Regionen: 80 Prozent der Exporte verschifft Argentinien über den Paraná. Der Fluss liefert Trinkwasser für 40 Millionen Menschen. Für Anfang September hat die argentinische Regierung einen hochrangigen Dialog über Klimamaßnahmen auf dem amerikanischen Kontinent angesetzt, der sich mit der Arbeit in der Region zum Klimawandel befassen wird.

 

Ausblick für September

› National: Am 12. September 2021 stehen die Vorwahlen (PASO) für die Parlamentswahlen am 14. November an: Es sind die ersten Wahlen seit dem Amtsantritt von Fernández und seit Beginn der Corona-Pandemie. Die PASO findet seit 2011 alle zwei Jahre statt und dienen dazu, die Listen der Parteien für die Parlamentswahlen festzulegen. 2021 werden die Bürgerinnen und Bürger sowohl bei den PASO als auch bei den Parlamentswahlen über die Neubesetzung von 127 der insgesamt 257 Sitze in der Abgeordnetenkammer abstimmen, während im Senat 24 der 54 Sitze neu besetzt werden sollen.

› Regional: Am 8. September findet in Argentinien der „Hochrangige Dialog über Klimamaßnahmen auf dem amerikanischen Kontinent“ statt, welcher sich mit den Maßnahmen befasst, die in Lateinamerika zur Bekämpfung des Klimawandels durchgeführt werden im Vorfeld der COP26 in Glasgow im November.

› Trivia: Auf Netflix erschien jüngst die argentinische Serie „El Reino“, welche innerhalb des Landes aufgrund ihrer politischen Brisanz umstritten ist. Diese treibt die argentinische Politik fiktional noch einen Schritt weiter: In der Serie führt die Unzufriedenheit der Argentinier mit der Politik dazu, dass ein Evangelikaler neuer argentinischer Präsident wird.

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Olaf Jacob

Olaf Jacob

Leiter des Auslandsbüros Chile

olaf.jacob@kas.de
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Über diese Reihe

Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land.

Susanne Käss

Susanne Käss bild

Leiterin des Auslandsbüros Argentinien / Leiterin des Auslandsbüros Brasilien (kommissarisch)

susanne.kaess@kas.de +54 11 4326-2552