Buenos Aires-Briefing April 2022
gesprochen von Inga von der Stein
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Anstieg der sozialen Spannungen
Ende März bis Anfang April campten Piqueteros von mehr als 30 sozialen Organisationen für mehrere Tage auf der Straße des 9. Juli im Zentrum von Buenos Aires. Als Piqueteros werden in Argentinien Demonstranten bezeichnet, die durch Straßenblockaden Einfluss auf die Politik zu nehmen versuchen. Die Piqueteros, welche vor allem aus der Provinz Buenos Aires stammen, forderten eine Erhöhung der Zahlungen durch Sozialplane und mehr Lebensmittelhilfen. Die Straßenblockade führte zu Staus und großem Unmut bei den Anwohnern der argentinischen Hauptstadt. Laut offiziellen Zahlen ist die Armutsrate in der zweiten Jahreshälfte 2021 zwar von 40,6 % auf 37,7 % gesunken, doch die Inflation beschleunigte sich. Die Lebensmittelpreise verteuerten sich im ersten Jahresquartal von 2022 um 20 %. Damit ist die Lebensmittelinflation eine der Hauptursachen für den Anstieg des allgemeinen Preisniveaus geworden und wirkt sich auf die einkommensschwachen Teile der Gesellschaft aus. Die sozialen Spannungen, die entstehen, zeigen sich unter anderem in den Protesten der Piqueteros.
Auswirkungen der weltweiten Steigung der Energiepreise auf Argentinien
Um den Einfluss des weltweiten Anstiegs der Energiepreise abzumildern, sucht die argentinische Regierung derzeit Lösungen, um für die kommenden Wintermonate gewappnet zu sein. Allein der Gasverbrauch verdreifacht sich während des Winters im Vergleich zum Restjahr. Argentinien ist zwar einer der größten Produzenten Südamerikas von Erdgas und Öl, aufgrund fehlender Infrastruktur können bisher jedoch nicht ausreichend Rohstoffe transportiert werden. Daher sucht Argentinien Vereinbarungen mit den Nachbarländern: Präsident Alberto Fernández empfing den bolivianischen Präsidenten Luis Arce in Buenos Aires. Es wurde sich auf ein Abkommen über die Lieferung von Gas an Argentinien geeinigt, welches die Versorgung des Landes in 2022 garantieren soll. Die Kosten für die Importe bleiben trotz weltweitem Anstieg der Energiepreise unverändert. Im Gegensatz verpflichtete sich Argentinien, Bolivien bei der Erkundung des bolivianischen Lithiums zu unterstützen. Zusammen mit Bolivien und Chile ist Argentinien Teil des sogenannten Lithiumdreiecks, einer Region, die mehr als die Hälfte der weltweit identifizierten Lithiumressourcen beherbergt. Eine engere Energieintegration beschloss Alberto Fernández ebenfalls mit Chiles Präsidenten Gabriel Boric. Argentiniens Wirtschaftsminister Martín Guzmán wiederum vereinbarte mit Brasilien die Lieferung von zwei Gigawatt Strom aus Wasserkraft über die Wintermonate.
Widersprüche in Argentiniens Außenpolitik
Die Positionierung Argentiniens in internationalen Foren schwankt seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine zwischen Stimmenthaltung und Verurteilung des russischen Vorgehens. Dies zeigte sich Ende April bei der Abstimmung in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zur Suspendierung Russlands als permanenten Beobachterstaat. Obwohl kein Mitgliedsstaat gegen die Maßnahme stimmte, enthielten sich acht lateinamerikanische Länder. Darunter waren einige autokratische Länder wie El Salvador, aber auch die drei größten Volkswirtschaften Lateinamerikas: Brasilien, Mexiko und Argentinien, allesamt Demokratien. Argentinien hatte sich bereits bei einer Resolution der OAS im Februar zur Verurteilung Russlands enthalten.
Im UN-Menschenrechtsrat, in welchem Argentinien 2022 den Vorsitz hat, stimmte das südamerikanische Land nur zwei Wochen vor dem Votum in der OAS für eine Suspendierung Russlands. Argentinien hatte sich Anfang März auch einer Resolution der UN-Generalversammlung zur Verurteilung Russlands angeschlossen.
Einerseits offenbart die inkohärente internationale Positionierung Argentiniens die Spaltung innerhalb der Regierungskoalition gegenüber der Regierung von Wladimir Putin und dem Umgang mit Autokratien im Allgemeinen. Andererseits zeigt diese, dass Argentinien sich auf die Seite der lateinamerikanischen Staaten stellt, die Russland mittel- und langfristig eine Tür für eine Partnerschaft offenhalten. Auch Argentiniens Linie gegenüber Venezuela bringt immer wieder Fragen auf. Zuletzt hatte Präsident Alberto Fernández die Länder Lateinamerikas dazu aufgerufen, die diplomatischen Beziehungen mit dem Land wiederaufzunehmen.
Parlamentarische Versammlung Europa-Lateinamerika (DLAT) in Buenos Aires
Die 14. Plenarsitzung vom 11. bis 14. April war die erste Gelegenheit für die 150 DLAT-Mitglieder, sich seit dem Beginn der Pandemie im Jahr 2020 wieder persönlich zu treffen. Die DLAT ist ein internationaler Organismus, bestehend aus 75 Mitgliedern des Europäischen Parlaments sowie 75 lateinamerikanischen Mitgliedern der Parlamente Lateinamerikas. Ziel ist der biregionalen strategischen Partnerschaft eine parlamentarische Dimension zu verleihen und weitere gemeinsame Fragen von Interesse zu besprechen. Die Sitzung wurde von Vize-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner eröffnet. Ihre Rede wurde sowohl von der Oppositionsallianz „Juntos por el Cambio“ als auch von Mitgliedern der EU-Delegation kritisiert, da sie innenpolitische Kontroversen aufgriff. In der Versammlung diskutierte Themen waren der wirtschaftliche Wiederaufschwung nach der Corona-Pandemie als auch die russische Invasion in der Ukraine. Auf eine von der DLAT getragene Verurteilung konnte sich aufgrund Unstimmigkeiten auf lateinamerikanischer Seite jedoch nicht geeinigt werden. Stattdessen veröffentlichten die Ko-Vorsitzenden eine gemeinsame Erklärung, in welcher sie den russischen Einmarsch in der Ukraine scharf verurteilten.
Ausblick für Mai
› National:
Am 3. Mai wird Außenminister Santiago Cafiero vor dem Senat die Positionierung Argentiniens zur russischen Invasion in der Ukraine darlegen.
Am 18. Mai ist der finale Tag der Volkszählung, welche zum ersten Mal seit 2010 durchgeführt wird.
› International:
Präsident Alberto Fernández plant eine Reise nach Europa. Bei dieser wird er neben Spanien auch Deutschland besuchen.
› Trivia: Der argentinische Präsident Alberto Fernández wurde Vater eines Sohnes. Damit ist er seit einem Jahrhundert der erste Präsident, der während seiner Amtszeit Nachwuchs bekam. Der Name des Sohnes, Francisco, sei inspiriert vom Papst Franziskus, der aus Argentinien stammt.
Themen
Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land.
Susanne Käss
Leiterin des Auslandsbüros Argentinien / Leiterin des Auslandsbüros Brasilien (kommissarisch)