Buenos Aires-Briefing Dezember 2022 und Januar 2023
gesprochen von Inga von der Stein
Audio
Bundeskanzler Olaf Scholz in Argentinien, Bewegung beim EU-Mercosur Freihandelsabkommen
Zum ersten Mal während seiner Amtszeit reiste Bundeskanzler Olaf Scholz vom 28. bis zum 31. Januar nach Südamerika, die erste Station war Argentinien. Zwei Punkte standen oben auf Scholz' Agenda: der Ausbau der Zusammenarbeit im Bereich der grünen Energie als auch die Unterstützung der Ukraine vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs. Zwischen Deutschland und Argentinien wurden zwei Absichtserklärungen unterzeichnet: einerseits zur verstärkten Kooperation bei der nachhaltigen Energieerzeugung, andererseits zum Aufbau des Startup-Förderprogramms „German Accelerator“ in Argentinien. Darüber hinaus warb der Bundeskanzler für den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union (EU) und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur. Scholz sagte bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Alberto Fernández, das Potenzial zur weiteren Vertiefung der Handelsbeziehungen sei groß, insbesondere im Rahmen des EU-Mercosur-Abkommens.
Tatsächlich scheint Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen zu kommen. Der Mercosur - bestehend aus Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay - hatte 2019 nach zwei Jahrzehnten Verhandlungen ein Abkommen mit der EU geschlossen. Dies wurde jedoch noch nicht ratifiziert. Zuletzt hatte es vor allem an politischer Unterstützung auf höchster Ebene gefehlt, als größtes Hindernis galt die Abholzung in Brasilien, welche nicht zur grünen Agenda der EU passe. Kurz nach dem Besuch von Olaf Scholz reiste der argentinische Außenminister Santiago Cafiero zu politischen Gesprächen nach Brüssel. Argentinien hat derzeit turnusgemäß den Vorsitz des Mercosur. Ein Abschluss des Abkommens wird für das Gipfeltreffen der EU und Lateinamerika am 17. und 18. Juli 2023 anvisiert. Unklar ist, ob beide Seiten an dem 2019 vereinbarten Text festhalten oder versuchen Änderungen durchzusetzen. Innerhalb des Mercosur hatte es zuletzt zu Unstimmigkeiten geführt, dass Uruguay über ein bilaterales Freihandelsabkommen mit China verhandelt.
Besuch von Brasiliens Präsident Lula da Silva und CELAC-Gipfel
Argentinien war im Januar außerdem Gastgeber des Gipfels der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten, kurz CELAC. Der CELAC ist ein regionaler Verband, dem 33 Staaten aus Nord- und Südamerika angehören, mit der Ausnahme der USA und Kanadas. Der brasilianische Präsident Lula da Silva kam bereits zwei Tage vorher nach Argentinien (23.01.).
Die Präsidenten beider Länder kündigten an, eine gemeinsame südamerikanische Währung vorantreiben zu wollen. Das Währungsprojekt mit dem Namen „Sur“ solle weder den argentinischen Peso, noch den brasilianischen Real abschaffen. Ziel sei, den Handel anzukurbeln und die Abhängigkeit vom US-Dollar zu verringern. Der „Sur“ sei offen auch für andere lateinamerikanische Länder. Wirtschaftsexperten reagierten skeptisch auf die Ankündigung: Es handle sich um Symbolpolitik und ferne Zukunftsmusik.
Im Vorfeld des CELAC-Gipfels kritisierten Zivilgesellschaft und Opposition die Einladungen an die Regierungen Venezuelas, Kubas und Nicaraguas. Diesen werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro sagte seine Teilnahme kurzfristig ab. Nachdem Brasilien 2020 aus der CELAC ausgetreten war, markierte die Teilnahme Lulas die Rückkehr Brasiliens in den Verband.
Rechtsstaatlichkeit Argentiniens unter Druck: Streit um Finanzausgleich eskaliert
Im Dezember entschied der Oberste Gerichtshof zugunsten der Stadt Buenos Aires in einem Streit mit dem Bund über den Finanzausgleich. Dies führte zu einer heftigen Debatte zwischen Regierung und Opposition. Die von der Opposition regierte Stadt Buenos Aires hatte geklagt, dass der Bund einen Teil der Steuereinnahmen im Jahr 2020 nicht korrekt ausgezahlt habe. Der Stadt seien finanzielle Mittel entzogen worden, die anschließend an die von der Regierung regierte Provinz Buenos Aires überwiesen worden seien. Vor dem Hintergrund der anstehenden Präsidentschaftswahlen am 22. Oktober dieses Jahres wurde der Entscheid des Obersten Gerichtshof politisiert: Der Entscheid wurde als politischer Sieg des Regierungschefs der Stadt Buenos Aires, Horacio Rodríguez Larreta, gewertet. Dieser gilt als möglicher Herausforderer der Opposition für die Präsidentschaftswahlen in 2023. Präsident Alberto Fernández gab zunächst bekannt, dass er sich der Anordnung des Obersten Gerichtshofs widersetzen werde. Oppositionsführer und Verfassungsexperten warnten, dass die Rechtsstaatlichkeit auf dem Spiel stehe, wenn die Regierung das Gericht ignoriere. Der Fall habe das Potenzial, einen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen.
Die Regierung lud die vier Richter des Obersten Gerichtshofs daraufhin zu einem Amtsenthebungsausschuss vor. Dies ist einer der Anträge, welcher bei den außerordentlichen Sitzungen des Kongresses behandelt werden, die vom 23. Januar bis zum 28. Februar angesetzt sind. Eine Absetzung der Richter ist jedoch unwahrscheinlich, da eine Zweidrittelmehrheit im Kongress notwendig wäre. Die Regierungsallianz hat im Kongress zwar die relative, nicht aber die absolute Mehrheit.
Bondkäufe von Wirtschaftsminister Sergio Massa sorgen für Verwirrung
Die Ankündigung von Wirtschaftsminister Sergio Massa Mitte Januar, dass die Zentralbank vorzeitig argentinische Auslandsanleihen im Wert von einer Milliarde US-Dollar zurückzukaufen werde, führte zu Verwunderung. Die Zentralbank hätte die Staatsanleihen in US-Dollar erst 2029 und 2030 zurückkaufen müssen. Massa erklärte die Entscheidung damit, dass der Rückkauf perspektivisch das Länderrisiko senken würde. Argentinien werden von internationalen Ratingagenturen regelmäßig schlechte Noten für die Kreditwürdigkeit ausgestellt, dementsprechend ist die Zahl der Anleger niedrig und der Zinssatz für Argentinien teuer. Finanzexperten nehmen an, dass Massa den Schritt vorgenommen habe, um den Anstieg des parallelen Wechselkurses „Dólar Blue“ abzubremsen. Der parallele Wechselkurs steigt unaufhaltsam angesichts der Inflation, welche 2022 94,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erreichte. Infrage gestellt wurde vor allem der Zeitpunkt des Rückkaufs der Staatsanleihen, die im letzten Jahr deutlich preiswerter waren, mit 20 Cent pro US-Dollar. Am Tag vor der Ankündigung lag der Preis bei über 32 Cent pro US-Dollar. Die Opposition warf dem Wirtschaftsminister Insiderhandel vor. Die Devisenreserven in US-Dollar sind in Argentinien äußert knapp.
Ausblick für das Jahr 2023
National: Das Jahr 2023 ist ein Superwahljahr in Argentinien. Höhepunkt sind die Präsidentschaftswahlen, welche für den 22. Oktober geplant sind. Bei diesen wird ebenfalls die Hälfte des Abgeordnetenhauses als auch ein Drittel des Senats neu gewählt. Die Kandidaten für die Ämter werden bei den Vorwahlen definiert. Diese werden voraussichtlich am 13. August stattfinden. Darüber hinaus werden in 21 der 23 Provinzen die Gouverneure neu gewählt, in der Stadt Buenos Aires steht das Amt des Regierungschefs zur Wahl. Startschuss des Wahljahrs sind die Vorwahlen in der Provinz La Pampa, welche am 12. Februar stattfinden.
Regional: Argentinien hat im ersten Halbjahr 2023 den turnusgemäßen Vorsitz des Wirtschaftsbündnisses Mercosur inne. Somit wird Argentinien eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen des Freihandelsabkommens der EU und Mercosur zukommen.
International: Vom 17. bis 18. Juli ist ein Gipfeltreffen der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten und der Europäischen Union in Brüssel geplant. Das Treffen soll den Auftakt der spanischen EU-Ratspräsidentschaft bilden und dient der Wiederaufnahme der Kontakte auf höchster Ebene. Seit 2015 wurde kein Gipfel der beiden Regionen mehr abgehalten.
Trivia: Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist das historische Einwanderungsland Argentinien ein beliebtes Ziel für Russen aus der Mittel- und Oberschicht geworden. Grund: Argentinien ist eines der wenigen Länder, in das russische Staatsangehörige ohne Visum einreisen können. Kinder, die in Argentinien geboren werden, bekommen zudem die argentinische Staatsbürgerschaft. Auch für die Eltern ergibt sich ein erleichtertes Einbürgerungsverfahren. Mit dem argentinischen Reisepass kann man in über 100 Länder ohne Visa einreisen. Auch das argentinische Gesundheitssystem hat einen guten Ruf.
© Fotos: Bundeskanzleramt, Casa Rosada
Themen
Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land.
Susanne Käss
Leiterin des Auslandsbüros Argentinien / Leiterin des Auslandsbüros Brasilien (kommissarisch)