Asset-Herausgeber

Buenos Aires-Briefing

Buenos Aires-Briefing Juni 2020

Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land. Die folgende Ausgabe fasst die wichtigsten Ereignisse des Monats Juni zusammen.

Asset-Herausgeber

Anhaltender Lockdown, innenpolitische Spannungen und Schuldenkrise

Die Verdreifachung der Neuinfektionen pro Tag und Verdopplung der Todesfälle in Folge einer Covid-19-Erkrankung Ende Juni bewegten Präsident Alberto Fernández dazu den Lockdown im Großraum Buenos Aires und in Brennpunkten wie in der Provinz Chaco erneut bis zum 17. Juli zu verlängern. Die exponentielle Steigerung der Fallzahlen in der zweiten Junihälfte und die 50-prozentige Belegung der Betten in den Intensivstationen der Gesundheitszentren erfordern auch die Rücknahme der ersten vorgenommenen Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen in den Epizentren der Epidemie. Dies trifft vor allem den Einzelhandel hart, aber auch das produzierende Gewerbe, den Baubetrieb, Selbstständige, Beamte sowie Sportliebhaber, die in der Stadt Buenos Aires bisher jeden zweiten Tag zwischen 20 und acht Uhr in einem Umkreis von 500 Metern körperlichen Aktivitäten nachgehen durften. Durch die verschärften Maßnahmen soll die Verbreitung des Coronavirus unterbunden werden. Unter den mehr als fünfzig Tausend Infizierten seit Beginn der Epidemie befinden sich vor allem junge Erwachsene, die sich zu einem Großteil bereits erholt haben. Die Mehrheit der Patienten hingegen, die in Krankenhäusern behandelt werden müssen, gehören der älteren Bevölkerungsschicht an. Das gezielte Testen der Anwohner dicht besiedelter Viertel sowie das Nachverfolgen etwaiger Ansteckungsketten habe erste Erfolge verzeichnet, versicherte der regierende Bürgermeister der Stadt Buenos Aires Horacio Rodríguez Larreta (PRO) in der mit Präsident Alberto Fernández (Frente de Todos) und dem Gouverneur der Provinz Buenos Aires Axel Kiciloff (Frente de Todos) aufgezeichneten Videonachricht vom 26. Juni. Da sich die Reproduktionszahl r derzeit allerdings noch leicht über eins befinde, müsse vor allem der Verkehr zwischen dem Großraum Buenos Aires und der eigentlichen Stadt weiter eingeschränkt werden. Nur so könnte eine Auslastung des Gesundheitssystems vorgebeugt werden. Zudem würde das medizinische Personal inzwischen regelmäßig untersucht, sowohl in Krankenhäusern, als auch in Altersheimen, in denen es in letzter Zeit häufig Ansteckungen gab.

Um die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns abzuschwächen, versprach Präsident Fernández eine erneute einmalige Bonuszahlung an alle registrierten bedürftigen Familien, staatliche Hilfsleistungen für Haushaltshilfen, Bonuszahlungen für Medizinstudenten, die sich in der Famulatur befinden, sowie für informell Beschäftigte. Zudem bestünden die Nullzinskreditlinie für Unternehmer und Selbstständige weiterhin. All diese Hilfspakete kosteten den Nationalstaat bisher drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, betonte das Staatsoberhaupt in seiner Fernsehansprache. Auch Wohnungsräumungen aufgrund des Zahlungsausfalls der Mieten, das Abstellen der öffentlichen Dienstleistungen (Wasser, Gas, Strom), die Inflationsanpassungen der Hypotheken „UVA“ sowie die Entlassungen seien weiterhin untersagt.

Vor allem die letzte Maßnahme, einhergehend mit der andauernden Einschränkung des Flugverkehrs und den seit der Wirtschaftsrezession 2018 anhaltenden Verlusten, bewogen das chilenisch-brasilianische Luftfahrtunternehmen Latam dazu die Schließung der argentinischen Filiale anzukündigen. Verhandlungen mit den Gewerkschaften und dem Arbeitsministerium, in denen eine Freistellung der Arbeitnehmer und Gehaltskürzungen abgelehnt worden waren, bekräftigen diese Entscheidung. Mit dem Rückzug Latams aus dem nationalen Luftfahrtgeschäft und angesichts der Unklarheiten bezüglich des Verbleibens der Low Cost-Anbieter Jetsmart und Flybondi, hat sich die staatliche Aerolíneas Argentinas somit zunächst eine Vormachtstellung auf dem Markt gesichert. Ihre Konkurrentin Latam war fünfzehn Jahre auf dem argentinischen Flugmarkt aktiv und holte währen der Pandemie mehr als sechzehntausend gestrandete Argentinier zurück in ihr Heimatland. Der Rückzug der Airline bedeutet einen Verlust von mehr als siebzehntausend Arbeitsplätzen.

Auch die mögliche Verstaatlichung des wirtschaftlich angeschlagenen Agrarunternehmens Vicentin im Rahmen des angemeldeten Insolvenzverfahrens spaltete die öffentliche Meinung. Nachdem Präsident Fernández zunächst einen Insolvenzverwalter zur Verstaatlichung des Unternehmens per Dekret eingesetzt hatte, erklärte der zuständige Handelsrichter dies als verfassungswidrig und degradierte den staatlichen Verwalter zu einem Berater. Die Familie Vicentin ist somit derzeit wieder Herrin des laufenden Insolvenzverfahrens. Dagegen soll auf nationaler Ebene gerichtlich vorgegangen werden. Insgesamt schuldet Vicentin ihren Gläubigern rund achtzehn Milliarden US-Dollar. Die zentrale Meldestelle zur Entgegennahme von Geldwäscheverdachtsanzeigen “UIF” klagte die ehemaligen Chefs der argentinischen Zentralbank, Guido Sandleris, und der staatlichen Bank „Nación“, Javier González Fraga, sowie den ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri (PRO) in diesem Zusammenhang des Betrugs, der Geldwäsche und Kapitalflucht an. Sie hätten der Vicentin-Gruppe Kredite bewilligt, die aufgrund der Finanzlage der Gruppe nicht genehmigt werden hätten dürfen. Zudem hätten sie das Anlegen hoher Geldsummen auf ausländischen Bankkonten nicht unterbunden. Ob eine Verstaatlichung zur Rettung der rund fünftausend direkten Arbeitsplätze tatsächlich erforderlich ist, darüber scheiden sich momentan die Geister. Tausende Gegner der Maßnahme versammelten sich am Nachmittag des 20. Junis auf den zentralen Plätzen des Landes, um dagegen zu protestieren. Sie befürchten, dass die Verstaatlichung ähnlich wie im Fall der staatlichen Ölgesellschaft YPF mittel- und langfristig zu Misswirtschaft und internationalen Konflikten führen könnte. Zudem sehen die Gegner die Verstaatlichung von Vicentin als Präzedenzfall für die staatliche Beteiligung an allen weiteren Unternehmen, die Hilfsleistungen zur Aufrechterhaltung ihres Geschäfts beantragen möchten. Darüber hinaus verurteilen sie die Enteignung als einen Angriff auf das Grundrecht auf das Privateigentum. Der Ausgang des Insolvenzverfahrens ist momentan noch offen.

Die argentinische Wirtschaft hat im April Berichten der staatlichen Statistikbehörde INDEC zufolge mit einem Wachstumsverlust von 26,4 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr einen historischen Tiefpunkt erreicht. Noch nie zuvor, seit der Unabhängigkeit der Republik Argentinien im Jahr 1816, brach die Wirtschaft innerhalb eines Monats so dramatisch zusammen. Schätzungen des vorläufigen Berichts über die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die argentinische Wirtschaft und Gesellschaft der Vereinten Nationen zufolge ist mit einem Verlust von mehr als 850.000 Arbeitsplätzen bis Ende des Jahres zu rechnen. Allein in der Stadt Buenos Aires mussten seit Beginn der Pandemie bis Ende Juni schätzungsweise 24.000 Geschäfte dauerhaft schließen. Weiterhin wird von einer Schrumpfung des argentinischen Bruttoinlandproduktes um mehr als zehn Prozentpunkte ausgegangen. Bisher gab die argentinische Zentralbank rund eine Billion argentinische Pesos (zirka 14,3 Milliarden Euro) aus, um die staatlichen Ausgaben zu stützen. Trotz der Bemühungen gehen einer Umfrage der argentinischen Industriekammer zufolge dreizehn Prozent aller Unternehmer davon aus Insolvenz anmelden zu müssen, sofern der Lockdown weiterhin andauert. 38 Prozent der Befragten bezeichnen die gegenwärtige Situation als nicht haltbar. Vor allem der Steuerdruck, die aktuellen Wechselkursbeschränkungen, das veraltete Arbeitsvertragsrecht sowie die Unsicherheit darüber, ob Präsiden Fernández einen Kurs der Mitte suchen oder der populistischen Linken folgen wird, sorgt für Unbehagen. Vertreter des Baugewerbes, die im Vergleich zum Vorjahr 67,4 Prozent ihrer Tätigkeit einbüßten, ergänzen zudem, dass der Zugang zu Krediten verbessert und die Preise stabilisiert werden müssen, um die Wirtschaft zu reaktivieren. Ein erster Schritt zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts könnte das Gesetz über Telearbeit darstellen, das momentan im Parlament debattiert wird. Bisher war das Arbeiten von Zuhause aus nur bedingt möglich und klare Regelungen hinsichtlich der Arbeitszeiten und der Verantwortungen in Bezug auf das zur Verfügung stellen und die Wartung der Arbeitsutensilien inexistent.

Die Verhandlungen mit den Gläubigern der argentinischen Staatsschulden dauern weiterhin an. Die Verhandlungspartner einigten sich auf den 24. Juli als neuen Stichtag. Die Umstrukturierung der Zinsen und des Kapitals der in der Vergangenheit ausgegebenen Staatsanleihen unter ausländischer Rechtsprechung ist angesichts der im Juli fälligen Ausschüttungen von Kapitalzinsen von Präsident Kirchner und Präsident Macri ausgegebener Wertpapiere in diversen Fremdwährungen noch komplexer als bisher. Die Ausschüttung weiterer fälliger Zinsen lokal ausgegebener Wertpapiere wurde per Dekret auf Dezember verschoben. Das laufende Gerichtsverfahren gegen den argentinischen Staat aufgrund der Verstaatlichung der Ölgesellschaft YPF im Jahr 2012 könnte zudem drei Milliarden US-Dollar Straffzahlungen summieren. Trotz des Rückhalts renommierter Wirtschaftswissenschaftler und internationaler Gremien ist in der komplexen Situation vor allem Wirtschaftsminister Martin Guzmáns Verhandlungsgeschick bei der Umstrukturierung der mehr als 65 Milliarden US-Dollar Staatsschulden mit privaten Gläubigern und Investmentfonds gefragt.

 

Laufende Ermittlungen über Spionagefälle während der Amtszeit von Präsident Macri

Die argentinische Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit in sechs Fällen gegen ehemalige leitende Angestellte und Agenten des argentinischen Geheimdienstes AFI, die währen der Amtszeit von Präsident Mauricio Macri (2015-2019) Politiker der Opposition und des eigenen Regierungsbündnisses sowie Journalisten, Gewerkschaftler und Aktivisten ausspioniert haben sollen. Agenten sollen unter anderem hochrangige Politiker wie Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner, Bürgermeister Horacio Rodríguez Larreta und den Fraktionsvorsitzenden der regierenden Partei PRO, Nicolás Massot, systematisch überwacht haben. Zudem seien die Ein- und Ausreisen von Richtern und Prominenten erfasst, Nachrichten abgefangen und Persönlichkeitsprofile von Journalisten und Aktivisten, besonders während der Vorbereitung des G20-Gipfels 2018 in Buenos Aires erstellt worden. Der Leiter der operativen Spezialeinheit der AFI, Alan Ruiz, befindet sich momentan in Untersuchungshaft; gegen weitere Agenten und ehemalige Funktionäre wird derzeit ermittelt. Auch Mitarbeiter des Finanzamts, der Meldestelle für Geldwäsche UIF und des Sicherheitsministeriums sollen in die Spionageaffäre verwickelt sein. Ein Untersuchungsausschuss des Parlaments versucht sich mithilfe des gerichtlichen Beweismaterials momentan ein Bild vom Ausmaß der Affäre zu verschaffen.

Asset-Herausgeber

Kontakt

Olaf Jacob

Olaf Jacob

Leiter des Auslandsbüros Chile

olaf.jacob@kas.de

comment-portlet

Asset-Herausgeber

Über diese Reihe

Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land.

Susanne Käss

Susanne Käss bild

Leiterin des Auslandsbüros Argentinien / Leiterin des Auslandsbüros Brasilien (kommissarisch)

susanne.kaess@kas.de +54 11 4326-2552