Buenos Aires-Briefing November 2022
gesprochen von Franziska Bannasch
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G20-Gipfel: Trotz schlechtem Gesundheitszustand schließt Alberto Fernández einen milliardenschweren Devisendeal mit China ab
Am 15. und 16. November fand der G20-Gipfel auf Bali statt. Schon bei der Ankunft musste Argentiniens Präsident Alberto Fernández allerdings wegen gesundheitlicher Probleme in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Die meisten der geplanten Treffen konnte er deshalb nicht wahrnehmen. Er wurde von Außenminister Santiago Cafiero vertreten, der als einer seiner engsten Vertrauten gilt. Die Treffen von Alberto Fernández beschränkten sich auf den spanischen Präsidenten Pedro Sánchez, die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgieva, sowie den chinesischen Staatschef Xi Jinping. Letzteres wurde angesichts des dringenden Finanzierungsbedarfs Argentiniens als das wichtigste bilaterale Treffen des Präsidenten auf Bali wahrgenommen.
Der argentinische Präsident bezeichnete das Zusammenkommen mit Xi Jinping als positiv. „Wir sind beide Verfechter des Multilateralismus“, bekräftigte Alberto Fernández. Wichtigstes Resultat des Austausches war die Ausweitung des bestehenden Währungsswaps zwischen der Argentinischen Zentralbank und der Chinesischen Volksbank. Ein Währungsswap zwischen Zentralbanken dient zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit dieser, auch in fremden Währungen.
Trotz strenger Kapitalverkehrskontrollen sind die argentinischen Devisenreserven aufgrund der starken Nachfrage nach US-Dollar von Importeuren als auch Sparern gesunken. Die argentinische Regierung ist daher bemüht, die Devisen zu erhöhen. Das neue Abkommen mit China wird Argentinien bis Juli 2023 fünf Milliarden US-Dollar an frei verfügbaren Reserven verschaffen. Der Handlungsspielraum der Zentralbank werde dadurch beträchtlich erhöht, so der argentinische Wirtschaftsminister Sergio Massa. Derzeit macht der Währungsswap mit der Chinesischen Volksbank 48 % der von der Argentinischen Zentralbank gehaltenen Bruttowährungsreserven aus. Die Beziehungen zwischen Argentinien und China werden stetig enger. China ist derzeit der zweitgrößte Handelspartner Argentiniens und das zweitwichtigste Zielland für argentinische Exporte. Argentinien trat im Februar 2022 dem chinesischen Megainfrastruktur-Projekt der „Neuen Seidenstraße“ bei. Außerdem bemüht sich die argentinische Regierung um eine Aufnahme bei den BRICS-Staaten. Dies ist ein informeller Zusammenschluss von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.
Inflation führt zu sozialen Protesten: Regierung reagiert mit Anpassung der Löhne
Nach der letzten offiziellen Berechnung des nationalen Statistikamts liegt die Inflation gegenüber dem Vorjahr bei 88 %. Die Mitte November herausgegebenen Zahlen zeigen eine Preisteuerung von 6,4 % im Vergleich zum Vorjahresmonat. Damit war die Inflation in Argentinien im Monatsvergleich Oktober sogar höher als die in Venezuela (6,2 %). Die prekäre Wirtschaftslage führte zu Streiks und Demonstrationen verschiedener sozialer Bewegungen. So demonstrierte das medizinische Personal wochenlang in mehreren Städten Argentiniens für höhere Löhne, wodurch es in vielen unterbesetzten Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu gefährlichen Engpässen kam.
Die Inflation zwingt die Politik dazu, das Mindesteinkommen wegen des schnellen Wertverlusts des argentinischen Peso regelmäßig anzupassen. Während das Arbeits- und Sozialministerium in Buenos Aires über die Höhe des Lohnanstiegs verhandelte, kam es vor dem Ministerium zu Demonstrationen von linken Organisationen. Die Regierung beschloss, das Mindesteinkommen bis März 2023 stufenweise um 20 Prozent zu erhöhen. Es wird somit von gegenwärtig 57.900 argentinischen Pesos (ca. 330 Euro) auf 69.500 Pesos (ca. 395 Euro) ansteigen. Arbeitnehmervereine kritisieren diese Erhöhung als zu unzureichend. Sie fordern einen Mindestlohn von 140.000 Pesos (ca. 795 Euro).
Energiepolitik: Die „Vaca Muerta“ gewinnt in Zeiten der globalen Energiekrise an Relevanz
Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist das Thema der Energiesicherheit wieder in aller Munde. So auch in Argentinien: Mit der „Vaca Muerta“ in Patagonien beheimatet das Land eines der größten Ölschiefer-Lagerstätten der Erde. Aufgrund der weltweit hohen Energienachfrage ist die Förderung und der Export von Gas und Öl für die argentinische Regierung zur Priorität geworden. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres wurde bereits ein Anstieg der Erdölexporte um 130 Prozent verzeichnet, was einer Umsatzsteigerung von 1,4 Milliarden auf 3,3 Milliarden US-Dollar entsprach. Der neue „Plan Gas“, die Förderung der Erdgasproduktion und der Exporte, soll nicht nur die Versorgung des heimischen Marktes sicherstellen, sondern stellt für Argentinien auch eine enorme Einnahmequelle dar. Diese wird als Chance gesehen, die hohe Staatsverschuldung zu tilgen und die prekäre wirtschaftliche Lage des Landes zu verbessern.
Argentinien setzt dabei vor allem auf internationale Partner: Mit Brasilien wurde ein Energie-Abkommen abgeschlossen, welches den Bau einer direkten Gaspipeline von Buenos Aires zur brasilianischen Grenze vorsieht. Beim G20-Gipfel auf Bali traf sich Wirtschaftsminister Sergio Massa mit seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire, um die Möglichkeit der Durchführung gemeinsamer Energieprojekte zu prüfen. Nicht nur die umstrittene Praxis des Frackings wird polemisch diskutiert, sondern auch die Nutzungsrechte der Ölschiefer-Lagerstätte sorgen immer wieder für Diskussionen. So haben sich bei der Ausschreibung um die Förderrechte von 36.000 Kubikmetern Fläche mehrere globale Energiekonzerne beworben, darunter Shell und ExxonMobil. Auffällig war das Angebot des US-Konzerns Chevron, welcher sich gleich um die ganze Fördermenge beworben hat. Ein Angebot dieser Größenordnung stieß bei den anderen Energiekonzernen auf Unbehagen. Der Konzern hatte 2013 als erster in die „Vaca Muerta“ investiert. Das Überangebot spiegelt das großes Interesse wider, führt aber zu Streit und Verzögerungen bei den Ausschreibungen.
Ausblick für Dezember 2022
National: Am 10. Dezember feiert Argentinien den ,,Día de la Restauración de la Democracia” (,,Tag der Wiederherstellung der Demokratie“), der das Ende der Militärdiktatur markiert. An diesem Tag im Jahr 1983 kehrte das Land zur Demokratie zurück. Die Militärjunta - geschwächt vom verlorenen Falklandkrieg oder „Guerra de las Malvinas“ – übergab die politische Macht dem Präsidenten Raúl Alfonsín und den demokratischen Institutionen.
Regional: Ab dem 5. Dezember übernimmt Argentinien die Präsidentschaft im Handelsbündnis Mercosur. Dabei steht die mögliche Aufnahme Boliviens im Fokus, die zuletzt Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro verweigert hatte. Gegenwärtig sind die Mitglieder im Mercosur Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Die Präsidentschaft läuft turnusgemäß sechs Monate.
Trivia: Dass Sport die Menschen verbindet und nationale Grenzen überschreitet,zeigt der Fanclub „Argentinische Fans Qatar“ anlässlich der Fußballweltmeisterschaft. Unter den 3.000 Anhängern der sogenannten „Hinchada Falsa“ befinden sich keine gebürtigen Argentinier, sondern vorwiegend lokale Arbeiter aus Indien, Pakistan und Bangladesch. In den typisch blau-weißen Landesfarben feuern sie die argentinische Mannschaft aus dem mehrere tausend Kilometer entfernten Katar an.
© Fotos: Casa Rosada
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Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land.
Susanne Käss
Leiterin des Auslandsbüros Argentinien / Leiterin des Auslandsbüros Brasilien (kommissarisch)