Buenos Aires-Briefing November 2021
gesprochen von Mario Cohn
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Niederlage der Regierungsallianz bei Parlamentswahlen
Trotz der Anstrengungen der Politiker, Parteianhänger und Wahlhelfer von Frente de Todos gelang es der Regierungsallianz nicht sich am 14. November bei den Parlamentswahlen gegen die Opposition durchzusetzen (wir berichteten am 18. November). Stattdessen büßte sie die absolute Mehrheit im Senat und mehrere Sitze im Abgeordnetenhaus ein. Dieses Szenario hatte sich bereits bei den Vorwahlen im September abgezeichnet (wir berichteten am 16. September). Infolgedessen waren im Oktober bereits personelle Konsequenzen im Kabinett gezogen worden. Zwar gelang es Präsident Alberto Fernández und seinen Bündnispartnern den Vorsprung der stärksten Oppositionsallianz Juntos por el Cambio Dank eines intensiven Wahlkampfs und großzügiger wirtschaftlicher Zuwendungen zu verringern, von einem „Sieg trotz der Verluste“, wie ihn die Peronisten am Abend des Wahltags bezeichneten, kann jedoch nicht gesprochen werden. Nicht ohne Grund sollen die über hundert präsidentiellen Dekrete seit Fernández‘ Amtsantritt noch vor der Neubesetzung des Kongresses von diesem abgesegnet werden. Am 10. Dezember treten nämlich die neugewählten Abgeordneten und Senatoren ihr Amt an. Von diesem Moment an ist in der Legislativen das Verhandlungsgeschick der Regierung gefragt, um Gesetzesentwürfe durchzusetzen. Zentrale Herausforderungen für die kommende Legislaturperiode werden die Verabschiedung des Haushalts sowie die Umstrukturierung der Auslandsschulden mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) sein. Weitere Gesetze, die verabschiedet werden sollen, handeln von der Umsatzsteuer, Exportrechten, nachhaltiger Mobilität sowie von der Förderung industrieller Innovation.
Das historisch schlechteste Ergebnis des Peronismus seit dem Wiederaufbau der Demokratie 1983 wirft auch Fragen hinsichtlich der Zukunft und Orientierung der Partido Justicialista auf. Die Spannungen innerhalb der stärksten Partei der Regierungsallianz zwischen den Anhängern von Alberto Fernández, gemäßigten Peronisten einiger argentinischer Provinzen und den Verbündeten von Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner könnten direkte Auswirkungen auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen 2023 haben, sofern es der politischen Gruppierung nicht gelingt, die internen Machtkämpfe zu begraben und sich geschlossen hinter einen Kandidaten zu stellen. Der Wahlkampf hinterließ ebenso Spuren innerhalb von Juntos por el Cambio. Für Unstimmigkeit sorgt zum einen die Performance der Spitzenkandidaten María Eugenia Vidal (PRO) in der Stadt Buenos Aires, zum anderen gibt es Meinungsverschiedenheiten darüber, wer die neue Fraktion im Abgeordnetenhaus anführen und welchen Namen sie tragen soll. Die Vorsitzende der Partei Coalición Cívica, die dieses Jahr ihr zwanzigjähriges Bestehen feiert, Elisa („Lilita“) Carrió, sprach sich aufgrund seiner Nähe zum Peronismus gegen den Spitzenkandidaten Cristián Ritondo aus. Auch der Bündnispartner Unión Cívica Radical (UCR), der im Laufe der Parlamentswahlen an Kraft gewonnen hatte, konnte sich bisher auf keinen Fraktionsvorsitzenden für die traditionelle Volkspartei einigen. Zudem offenbarte der Wahlkampf auch die ideologischen Differenzen innerhalb der KAS-Partnerpartei PRO. Während sich gemäßigten Parteimitglieder wie Bürgermeister Horacio Rodríguez Larreta dialogbereit mit den Kräften des politischen Zentrums zeigten, jedoch die Aussicht auf eine Kooperation mit der Partei des Rechtsliberalen Javier Milei (La Libertad Avanza) ausschließen, könnten sich die Hardliner von PRO, unter denen sich Parteichefin Patricia Bullrich befindet, eine Zusammenarbeit im Bedarfsfall mit Milei durchaus vorstellen.Hinsichtlich der Präsidentschaftswahlen 2023 ist ebenfalls unklar, ob es Juntos por el Cambio gelingen wird sich auf einen Kandidaten zu einigen, es zu einer Spaltung der Allianz oder zu einer internen Stichwahl kommen wird. Nicht zuletzt die Rolle des ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri ist hierbei unklar.
Anordnung der Zentralbank sorgt für Unverständnis
Die unerwartete Entscheidung der argentinischen Zentralbank am Vorabend des black friday die Ratenzahlung von internationalen Reisen zu verbieten, sorgte für einen lauten Aufschrei in der krisengebeutelten Tourismusbranche und Mittelschicht. Dies trifft vor allem Fluggesellschaften, Reiseagenturen und Endverbraucher hart. Sie hatten unter den Reisebeschränkungen, die im Rahmen der Covid-19-Pandemie aufgestellt worden waren, besonders gelitten. Mehrere Unternehmen haben in diesem Zusammenhang den Flug- und Reiseverkehr nach Argentinien bis auf Weiteres eingestellt und ihre lokalen Angestellten entlassen. Viele von ihnen fordern bis heute noch die Wiedereröffnung der örtlichen Filialen.
Die Regierung begründete die Entscheidung mit der Notwendigkeit die US-Dollar-Reserven zu stärken. Die Mittelschicht sei durchaus in der Lage auf die zinslose Ratenzahlung zu verzichten und die Urlaubspakete auf einen Schlag zu bezahlen. Schließlich spare sie aufgrund der hohen Inflation in US-Dollar. Zudem habe Argentinien selbst genügend attraktive Reiseziele zu bieten. Medienberichten zufolge wird die Hälfte aller Flugtickets, Pauschalreisen und Hotelbuchungen in Argentinien in Raten finanziert. Sollte die interne Nachfrage nach den internationalen Flugtickets und Reisepaketen sinken, ist das Aufrechterhalten des derzeitigen Flugangebots fragwürdig. Eine Verringerung der internationalen Reiseverbindungen würde gleichzeitig auch einen Rückgang der Einreisezahlen ausländischer Touristen nach Argentinien und folglich eine Reduktion der US-Dollar-Einnahmen bedeuten. Der Erfolg der angeblich zeitbegrenzten Maßnahme der Regierung ist daher fragwürdig.
Diplomatische Anspannungen zwischen Argentinien und Chile
Das 37. Jubiläum des argentinisch-chilenischen Friedens- und Freundschaftsvertrags vom 29. November standen unter dem Schatten diplomatischer Spannungen. Aussagen des argentinischen Botschafters in Chile, Rafael Bielsa, über den Präsidentschaftskandidaten José Antonio Kast intensivierten im November die bereits vorherrschenden Unstimmigkeiten zwischen den südamerikanischen Nachbarländern. Bielsa bezeichnete Kast als “Anti-Argentinier”, „ausländerfeindlich“ und “Pinochetist”, in Anlehnung an die Militärdiktatur unter Augusto Pinochet Ugarte zwischen 1973 und 1990 in Chile. Die amtierende chilenische Regierung kritisierte diese Äußerungen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten. In einem anschließenden klärenden Gespräch zwischen dem chilenischen und argentinischen Außenminister wurden die Aussagen des argentinischen Botschafters zwar revidiert, der Vorfall reiht sich jedoch in einer Serie von Auseinandersetzungen zwischen der linkspopulistischen Regierung unter dem argentinischen Präsidenten Alberto Fernández und seinem konservativen chilenischen Kollegen Sebastián Piñera ein. Hierzu zählen das offene Kritisieren des Pandemiemanagements, Grenzkonflikte sowie die jüngste Einmischung Bielsas im Gerichtsverfahren des Mapuche-Aktivisten Facundo Jones Huala (RAM), der sich in Chile wegen Brandstiftung verantworten muss. Der Vorfall sorgte auch innerhalb der argentinischen Politik für Aufruhr, da die amtierende Regierung sich stets geweigert hatte, Menschenrechtsverletzungen wie beispielsweise die politische Verfolgung der Opposition in Nicaragua, Venezuela und Kuba zu kritisieren. Offen ist, ob Argentinien sich zukünftig kohärenter positionieren wird, da es den Vorsitz des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen bei der Abstimmung am 6. Dezember 2021 erhalten hat.
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Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land.
Susanne Käss
Leiterin des Auslandsbüros Argentinien / Leiterin des Auslandsbüros Brasilien (kommissarisch)