Buenos Aires-Briefing Oktober 2021
gesprochen von Mario Cohn
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Themen
› Prognosen sehen Oppositionsallianz bei Parlamentswahlen im November weiter vorn
› Umstrittenes Einfrieren von Preisen zur Inflationsbekämpfung
› Terror in Argentinien
› G20-Gipfeltreffen in Italien: Präsident Fernández in Rom
› Ausblick für November
Prognosen sehen Oppositionsallianz bei Parlamentswahlen im November weiter vorn
Jede freie Wand in Buenos Aires ist mit Wahlplakaten tapeziert, im Fernsehen laufen Wahlkampfspots. Den anstehenden Parlamentswahlen am 14. November kann niemand entkommen. Nach den für die Regierung verheerenden Ergebnissen in den Vorwahlen steht viel auf dem Spiel, sowohl für die Regierung, als auch für die Opposition. Präsident Alberto Fernández hatte nach Druck der Vize-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner (CFK) Spitzenposten im Kabinett neu besetzt (wir berichteten). Es ist fraglich, welche Maßnahmen er noch vornehmen könnte, sollte sich die landesweite Niederlage von der Regierungsallianz Frente de Todos in den Parlamentswahlen bestätigen (31,3 Prozent der Wählerstimmen) oder sogar noch verheerender ausfallen. Die Oppositionsallianz Juntos por el Cambio andererseits steht unter Druck, die Ergebnisse aus den Vorwahlen zu wiederholen (40,02 Prozent der Wählerstimmen). Laut mehrerer Umfragen wird Frente de Todos bei den Wahlen unter 30 Prozentpunkten liegen. Sollte sich dieser Trend bestätigen, wird die peronistische Regierungsallianz die Mehrheit im Senat ab dem 10. Dezember verlieren. Dies wäre ein historischer Szenenwechsel. Eine solche Ausgangslage würde es der Oppositionsallianz Juntos por el Cambio ermöglichen, im Gesetzgebungsprozess eigene Gesetzesinitiativen im Kongress durchzubringen.
Eine interessante Entwicklung zeichnet sich bei den Parlamentswahlen in der Stadt Buenos Aires ab. Während der erste Platz für María Eugenia Vidal (Juntos por el Cambio) als sicher gilt, könnte es zu einem Kopf-an-Kopf Rennen um den zweiten Platz zwischen dem Kandidaten des Peronismus Leandro Santoro und dem Rechtsliberalen Javier Milei kommen. Bei den Vorwahlen hatte die Partei des umstrittenen Wirtschaftswissenschaftlers Milei 13,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinnahmen können und war so überraschend auf dem dritten Platz hinter Vidal (32,9 Prozent) und Santoro (24,7 Prozent) gelandet. Es ist möglich, dass Milei von Stimmen des Liberalen Ricardo López Murphy profitieren wird, welcher in den internen Vorwahlen für Juntos por el Cambio antrat, aber gegen Vidal verlor. Der staats- und politikfeindlichen Diskurs von Milei trifft vor allem bei jungen Argentiniern der Mittelschicht auf fruchtbaren Boden. Es wird sich zeigen, ob Milei eine vorübergehende Erscheinung bleibt oder zu einem dauerhaften politischen Phänomen wird.
Umstrittenes Einfrieren von Preisen zur Inflationsbekämpfung
Eine Herausforderung in Argentinien bleibt nach wie vor die steigende Inflation. Allein in der ersten Oktoberhälfte stiegen ausgewählte Lebensmittel um zehn bis zwanzig Prozent im Vergleich zum Vormonat. Um die steigende Inflation zu bremsen, beschloss die Regierung das Einfrieren der Preise von 1.432 Konsumgütern des täglichen Gebrauchs bis zum 7. Januar 2022. Vertreter entscheidender Verbände zeigten sich hinsichtlich der eingeführten Preiseinfrierung skeptisch und warnen vor Lieferengpässen. Internationalen Erfahrungen zufolge behebe diese Maßnahme nicht die Ursachen der Preissteigerung. Ein Streitpunkt ist vor allem die Aufnahme von Premiumprodukten in den Listen der Regierung, wie etwa teure Alkoholmarken. Erhebungen ergaben außerdem, dass die Mehrheit der Supermärkte bereits jetzt nicht genügend Vorräte der ausgewählten Produkte haben. Eine weitere Strategie der Regierung ist die landesweite Dezentralisierung der Märkte. Dadurch sollen die Wertschöpfungsketten verkürzt und das regionale Produktangebot erweitert werden. Das Handeln der Regierung gegen sämtliche marktwirtschaftliche Prinzipien macht deutlich, dass Präsident Alberto Fernández versucht, die Gunst der Wähler nun durch einige taktische, mittel- und langfristige jedoch eher schädliche Maßnahmen wiederzugewinnen.
Zumindest Fortschritte bei der Covid-19-Impfkampagne sorgten für gute Stimmung – 56,9 Prozent der Gesamtbevölkerung sind vollimmunisiert und inzwischen werden auch Kinder geimpft (Stand: 29.10.2021). Seit dem 1. November sind die Landesgrenzen für den internationalen Tourismus geöffnet.
Ermittlungen gegen Ex-Präsident Mauricio Macri: Suche nach Gerechtigkeit oder politische Verfolgung?
Ein dramatischer Vorfall aus der Zeit der Präsidentschaft von Mauricio Macri (2015-2019) rückt erneut in den öffentlichen Diskurs. Ende 2017 war das U-Boot ARA San Juan der argentinischen Marine versunken. Alle 44 Besatzungsmitglieder kamen bei dem Unglück ums Leben. Gegen den ehemaligen Amtsinhaber Macri wird nun ermittelt, da der argentinische Geheimdienst während seiner Amtszeit angeblich illegal Familienangehörigen der Vermissten ausspionieren ließ. Es ist fraglich, ob die Ermittlungen überhaupt rechtlich konform und verwertbar sind oder als Wahlkampfkampagne gegen Juntos por el Cambio genutzt werden.
Terror in Patagonien
In der Provinz Río Negro wurde in mehrere Privatgrundstücke eingedrungen und Feuer gelegt. Die Anschläge werden den gewalttätigen Anhängern der Resistencia Ancestral Mapuche zugeschrieben. Dies ist eine Vereinigung, welche Landrechte des Mapuche-Volkes vor allem in der Region Patagonien einfordert. Die Mehrheit der Mapuche-Bevölkerung distanziert sich ausdrücklich von den Attentaten der Resistencia Ancestral Mapuche. Bereits 2017 war die Organisation aufgrund einer Serie heftiger Auseinandersetzungen auf die Titelseiten der führenden Medien gelangt. Die Oppositionsallianz Juntos por el Cambio zeigte Präsident Alberto Fernández (Frente de Todos) und Sicherheitsminister Aníbal Fernández angesichts der gegenwärtigen ausbleibenden Hilfe für die betroffenen Gebiete in Patagonien an. Auch im Nachbarland Chile wurden im Oktober gewalttätige Übergriffe gemeldet. Chiles Präsident Sebastián Piñera rief daher bereits den Notstand aus, um die Proteste zu befriedigen. Eine zeitnahe Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht.
G20-Gipfeltreffen in Italien: Präsident Fernández in Rom
Beim Gipfeltreffen der G20 sollten die Folgen der Covid-19-Pandemie und Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels besprochen werden. Priorität bei Argentiniens Auftritt bei G20 war das Vorantreiben der Umstrukturierung der argentinischen Auslandsschulden beim Internationalen Währungsfonds, um eine erneute Zahlungsunfähigkeit Argentiniens zu verhindern. Hierbei wollte Präsident Alberto Fernández die Gelegenheit nutzen, dass fast alle Staatsoberhäupter der Kreditgeber des einflussreichen Pariser Clubs anwesend waren. Argentinien gibt seit Jahren mehr Geld aus, als es etwa durch Steuern einnimmt. In diesem Zusammenhang sind die Enthüllungen der im Oktober erschienenen Pandora Papers besonders brisant. Laut diesen belegt Argentinien einen Spitzenplatz bei der Anzahl von Personen, die Steueroasen im Ausland nutzen. Dem argentinischen Staat entgehen so Steuereinnahmen in Milliardenhöhe. Überholt wird Argentinien nur noch von dem Vereinigten Königreich und Russland.
Ausblick für November
› National: Am 14. November 2021 stehen die Parlamentswahlen an. Dabei wird die Hälfte des Abgeordnetenhauses und ein Drittel des Senats erneuert.
› International:
Präsident Alberto Fernández nimmt an der Klimakonferenz COP26 in Glasgow teil. Im September 2021 leitete Fernández den virtuellen lateinamerikanischen Klimadialog. Andere lateinamerikanische Staatsoberhäupter wie Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador und Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro werden nicht anwesend sein.
Xi Jinping, Präsident der Volksrepublik China, lud Präsident Alberto Fernández zu einer Handelsmesse Anfang November nach China ein. Zeitgleich wird dort auch das 100-jährige Bestehen der kommunistischen Partei gefeiert. China ist einer der wichtigsten Handelspartner Argentiniens. Die kommunistische Partei pflegt eine langjährige Beziehung zur peronistischen Partei Partido Justicialista.
› Trivia: Auf dem Plaza Alemania im Zentrum von Buenos Aires wurden sieben der 16 Wappen der deutschen Bundesländer gestohlen. Die Bronzetafeln am Brunnen waren ein Geschenk Deutschlands als Zeichen der guten Beziehungen zur Republik Argentinien. Die Behörden untersuchen den Vorfall, doch von den Tätern fehlt bisher jede Spur.
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Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land.
Susanne Käss
Leiterin des Auslandsbüros Argentinien / Leiterin des Auslandsbüros Brasilien (kommissarisch)