Buenos Aires-Briefing Oktober 2022
gesprochen von Franziska Bannasch
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Drei Minister treten zurück, Kabinettschef Juan Manzur kündigt Rücktritt an
Im Oktober erlebte die argentinische Regierung ein weiteres Mal eine Welle von personellen Wechseln. Sowohl der Minister für Arbeit, der Minister für soziale Entwicklung, als auch die Ministerin für Frauen und Diversität reichten ihre Rücktritte ein. Damit erhöht sich die Zahl der Mitglieder des Regierungskabinetts, die seit dem Beginn der Amtszeit des Präsidenten Alberto Fernández aus ihren Ämtern geschieden sind, auf insgesamt 16. Zudem kündigte Kabinettschef Juan Manzur seinen Rücktritt für Januar 2023 an: Seine Nachfolge ist bisher ungeklärt. Die vakanten Ministerposten wurden durch Kelly Olmos (Arbeit), Victoria Tolosa Paz (Soziales) und Ayelén Mazzina (Frauen und Diversität) besetzt. Damit erhöht sich die Zahl der weiblichen Kabinettsmitglieder von zwei auf vier.
Die Instabilität des argentinischen Kabinetts manifestiert die geschwächte Position des Präsidenten Alberto Fernández. Grund dafür sind unter anderem anhaltende Flügelkämpfe innerhalb der peronistischen Regierungsallianz „Frente de Todos“. Die zuletzt zurückgetretenen Kabinettsmitglieder galten als enge Vertraute des amtierenden Präsidenten und Unterstützer dessen Regierungskurses.
Andauernde Trockenheit belastet den argentinischen Agrarsektor
Die argentinische Landwirtschaft leidet zunehmend unter den geringen Niederschlägen im Land. Nach einer Umfrage des Verbands „Sociedad Rural Argentina“ über die Auswirkungen der Trockenheit auf das Agrargeschäft bezeichnen 90 Prozent der Produzenten ihre Situation als „schlecht“ oder ,,sehr schlecht.“ Die Trockenheit führt zu einem Produktionsrückgang und zu Ernteausfällen. Während im letzten Jahr die Produktion von Weizen noch 23 Millionen Tonnen betrug, werden für dieses Jahr nach Schätzungen der Börse in Rosario nur noch 15 Millionen Tonnen Weizen erwartet – ein Einbruch um ein Drittel. Es ist die geringste Weizen-Ernte der letzten sieben Jahre. Der Ausfall von acht Millionen Tonnen führt bei den Exporten zu Verlusten von 3,3 Milliarden US-Dollar in 2022. Gerade der Wegfall der Einnahmen in US-Dollar sorgt für ökonomische Probleme: Die argentinische Regierung ist auf diese angewiesen, um die Nettoreserven in US-Dollar aufrechtzuerhalten. Mit diesen zahlt Argentinien unter anderem den Rekordkredit des Internationalen Währungsfonds von 45 Milliarden US-Dollar zurück. Der Staat unterstützt die in Not geratenen Produzenten finanziell.
Wirtschaftsminister Sergio Massa hat ein Hilfsprogramm verabschiedet, um den Anbau von Soja und Mais im nächsten Jahr zu fördern. Das sogenannte „Programa Avanzar Productivo“ mit einem Volumen von 42 Milliarden Pesos richtet sich an kleinere und mittlere Betriebe. Rund 70 Prozent der gesamten Exporte des Landes sind Agrarprodukte. Hauptprodukte sind dabei Soja, Mais und Weizen. Beim Mais ist Argentinien nach den USA der zweitgrößte Exporteur der Welt, beim Export von Soja nach Brasilien und in die USA der drittgrößte und beim Export von Weizen der achtgrößte.
Textilkrise: Der Bekleidungssektor führt das Inflationsranking an
Auch beim Thema Inflation ist nach wie vor kein Lichtblick in Sicht. Argentinien weist weiterhin eine der höchsten globalen Inflationsraten auf. Im Oktober 2022 liegt die Inflation bei über 83 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Besonders betroffen ist der Textilsektor: Seit Anfang des Jahres sind hier die Preise um 118 Prozent gestiegen, womit diese 35 Prozentpunkte über dem generellen Preisniveau liegen. Für viele Argentinier wird Kleidung damit zum unerschwinglichen Luxusgut.
Auch Präsident Alberto Fernández beobachtet die stetige Verteuerung der Kleidung mit Sorge: „Die heimische Industrie soll weiterhin geschützt werden – ich lasse deshalb keine Importe aus China zu, aber die Preise steigen hier einfach unaufhaltsam.“ Vom Produktionsprozess bis zum Endpreis herrsche „ein völliges Durcheinander“, was die übermäßigen Steigerungen erkläre. Vertreter der argentinischen Bekleidungsindustrie betonen als Grund für die exponentiell steigenden Preise hingegen externe Faktoren und die ständig steigende Inflationsrate in Argentinien. Vor allem die Verteuerung des Baumwollpreises, der im letzten Jahr um 73 Prozent gestiegen ist, sei ein Faktor. Obwohl der größte Teil der verarbeiteten Baumwolle aus heimischem Anbau stammt, muss sie aufgrund der instabilen Landeswährung zu internationalen Preisen in US-Dollar gehandelt werden.
Zahlreiche Versuche der Regierung, die Preissteigerungen im Textilsektor einzudämmen, sind fehlgeschlagen. Im September hat die Regierung mit 40 Repräsentanten großer nationaler Bekleidungsfirmen vereinbart, die Textilpreise bis Dezember nicht anzuheben. Nachdem diese Preisfixierung nicht eingehalten worden ist, sieht sich Präsident Alberto Fernández gezwungen, Argentiniens extrem protektionistischen Außenhandelskurs etwas zu lockern. Wirtschaftsminister Sergio Massa kündigte an, ab Ende Oktober ausländische Textilimporte freigeben zu lassen.
Argentinien Gastgeber der C40, des Außenministertreffens der CELAC sowie des EU-CELAC Gipfels
Gleich dreimal war Buenos Aires im Oktober Schauplatz von internationalen Treffen. Zum einen war die Hauptstadt Austragungsort des diesjährigen Bürgermeister-Gipfels „C40“. Die C40 ist ein Netzwerk von Bürgermeistern aus der ganzen Welt, um sich auf Städte-Ebene gemeinsam für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens einzusetzen. Weiterhin fand das Außenministertreffen der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) statt. Dieser gehören 32 Staaten Lateinamerikas an. Brasilien hatte 2020 seine Mitgliedschaft suspendiert; Argentinien hat 2022 den Vorsitz der CELAC inne. In der Abschlusserklärung lag der Akzent vor allem auf der regionalen Politik. Die Kooperation solle in Bezug auf die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie sowie eine vertiefte Zusammenarbeit im Bereich der Umweltpolitik verstärkt werden. Außenpolitisch sprach sich die CELAC für die Beendigung der Blockade gegen Kuba aus.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wurde dagegen nicht explizit genannt. An dem Treffen nahm auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell als Gast teil. Es war sein erster Arbeitsbesuch In Argentinien seit Beginn seiner Amtszeit in 2019. Josep Borrell gab bekannt, dass die EU und Argentinien über ein Energie-Abkommen verhandeln, welches dem Ausbau erneuerbarer Energien und des Gassektors Argentiniens vorantreiben soll. Einen Tag nach dem Treffen der CELAC fand das dritte EU-CELAC Außenministertreffen statt, zum ersten Mal seit fünf Jahren. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wurden Möglichkeiten der multilateralen Zusammenarbeit bei wichtigen globalen Themen wie Energie und Ernährungssicherheit diskutiert. Die Beziehungen zwischen den Regionen sollen weiter gestärkt werden. Zu diesem Zweck soll 2023 ein Treffen der Staats-und Regierungschefs der EU und der CELAC unter der spanischen EU-Ratspräsidentschaft stattfinden.
Ausblick für November 2022
› National: Die Fußballweltmeisterschaft in Katar sorgt in Argentinien nicht nur für Vorfreude, sondern auch für erneute Eingriffe in die Wirtschaftspolitik. Einerseits hat die Regierung einen neuen Wechselkurs eingeführt, den die Presse als „Dollar Katar“ betitelt. Grund ist folgender: Aus wenigen anderen Nation der Welt reisen so viele Fußballfans nach Katar wie aus Argentinien – es wird mit 20.000 Personen gerechnet. Die Regierung sieht in den Fans eine Geldquelle. Der „Dollar Katar“ gilt für bestimmte Zahlungen, die in ausländischer Währung (z.B. US-Dollar) abgewickelt werden, wie Flüge und Hotels. Dabei verteuert der „Dollar Katar“ das Reisen der Argentinier ins Ausland. Ziel ist die Reserven der Zentralbank stabil zu halten und eine weitere Abwertung der heimischen Währung zu verhindern. Andererseits plant die Regierung, die innerargentinischen Preise für den Zeitraum von 90 Tagen über die Dauer der Fußballweltmeisterschaft einzufrieren.
› International: Für Präsident Alberto Fernández stehen zwei wichtige außenpolitische Termine an. Zum einen nimmt der Präsident auf Einladung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron vom 11. bis um 12. November am Pariser Friedensforums teil. Das Forum findet seit 2018 jedes Jahr statt, um globale Herausforderungen anzugehen. Zum anderen steht ein paar Tage später, vom 15. bis zum 16. November, der G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali bevor.
› Trivia: Die britische Band Coldplay gibt einen regelrechten Konzertmarathon in Buenos Aires. Alle zehn Konzerte im Stadion des Hauptstadt-Fußballklubs „River Plate“ sind nahezu ausverkauft, womit mehr als 600.000 Argentinier die lang erwartete Tournee live sehen werden. Coldplay spielte noch nie zuvor vergleichbar viele aufeinanderfolgende Shows an einem Ort. Die Band erfreut sich in Argentinien außergewöhnlicher Beliebtheit.
© Fotos: Macarena Bultri/GCBA, Flickr/no_limit_pictures, Casa Rosada
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Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land.
Susanne Käss
Leiterin des Auslandsbüros Argentinien / Leiterin des Auslandsbüros Brasilien (kommissarisch)