Länderberichte
Nach Beendigung der kolossalen Trauerfeierlichkeiten und nach Wiederaufnahme der Regierungsgeschäfte durch die Präsidentin traten andere Themen langsam wieder ins Blickfeld – so auch das Treffen der Staats- und Regierungschefs der G20 in Seoul. Zunächst aber waren es nicht in erster Linie die Inhalte des Treffens, die das öffentliche Interesse auf sich zogen. Vielmehr wurde mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt, wie die Präsidentin den ersten wichtigen außenpolitischen Auftritt nach dem Tod ihres Mannes bewältigen würde. Angesichts einer Präsidentin in Trauer war die Tonlage der Berichterstattung und Diskussion in den öffentlichen Medien insgesamt, aber auch mit Sicht auf das G20-Treffen für argentinische Verhältnisse relativ gedämpft und weniger kontrovers. Dennoch fiel die Bewertung des Gipfels nicht einheitlich aus.
Was waren die politischen Themen, die die argentinische Regierung setzte? Welche Fragen spielten unter Experten und in den öffentlichen Medien eine wesentliche Rolle? Aus der am Ende doch umfangreichen öffentlichen Debatte stachen folgende Themen heraus.
“Währungskrieg”
Besonders der sogenannte, die Stabilität der Weltwirtschaft bedrohende “Währungskrieg“ wurde intensiv kommentiert. Er drängte beispielsweise die Diskussion um die Finanzreform in den Hintergrund. Häufig gab es die vereinfachende Wahrnehmung, dass sich im Währungsstreit zwei große Meinungsgruppen gegenüber stehen würden. Zu der einen Gruppe gehörten demnach die Schwellen- und Entwicklungsländer, die sich weigerten, auf eine eigene Wechselkurspolitik zu verzichten, und die nicht gewillt seien, eine Aufwertung ihrer Währung zuzulassen. Die zweite Gruppe bilde sich aus einigen Industrieländern, die bestrebt seien, ihr Defizit über eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit ihrer Exporte abzubauen. Allerdings bestehe in dieser Gruppe keine absolute Einstimmigkeit, da die expansive Geldpolitik der USA zu Meinungsverschiedenheiten mit Europa geführt habe. Intensiv wurde die Haltung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel wahrgenommen, als sie US-Präsident Barack Obama aufforderte, die Auswirkungen der Geldpolitik seiner Regierung auf die restliche Welt zu bedenken. In Argentinien wurde das Auftreten der Bundeskanzlerin für eine „Offensive“ gegen die USA oder auch für ein freundliches „Augenzwinkern“ gegenüber China gehalten.
Einmütig wird Argentinien in der Währungsfrage an der Seite der BRIC-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China – verortet. So äußerte Präsidentin Cristina Fernández die Sorge, dass der Währungs- und Handelskrieg die in den Industrieländern vorherrschende Stagnation auf Drittländer – darunter Argentinien – übertragen könne, welche bisher von diesen Schwierigkeiten weitgehend verschont geblieben seien. Die argentinische Regierung hob darüber hinaus hervor, dass sie nicht bereit sei, auf eine eigene Währungspolitik zu verzichten. Auch werde sie weiterhin die Kontrolle über kurzfristige Kapitalzuflüsse ausüben.
Die der Regierung nahestehenden Medien unterstützten die offiziell vertretene Haltung. Dabei argumentierten sie, eine von den Industrieländern geforderte Aufwertung der Währungen in den Schwellenländern werde die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Exportgüter vermindern und zugleich die Importe aus den Industriestaaten verbilligen. Damit werde die Wachstumskrise über den Handel auf die Schwellenländer übertragen. Darüber hinaus sei zu befürchten, dass ein geringeres Wirtschaftswachstum Chinas die wirtschaftliche Lage Afrikas und Lateinamerikas, die ihre Produkte, vor allem Rohstoffe, in das Reich der Mitte exportieren, empfindlich treffen werde.
In verschärfter Form wird der Interessengegensatz zwischen Industrie- und Schwellenländern insbesondere in einigen regierungsnahen Medien dargestellt. Nicht ohne Häme titelt eine regierungsnahe Zeitung: “Die G20 diskutiert, wer die Kosten der Krise tragen soll.” Angedeutet wird, dass die Gruppe der Industrienationen die Schuld für den Kollaps der Finanzmärkte trage, nun aber versuche, die Schwellenländer mit in die Verantwortung zu ziehen. So werde die G20-Runde zum Schauplatz eines weltweiten Konflikts, in dem die Industriestaaten vor allem durch die Rezepte des Internationalen Währungsfonds versuchten, ihre Interessen durchzusetzen, und andererseits die Schwellenländer bestrebt seien, die ihnen gemäßeren, eigenen Politikansätze zu verteidigen.
Bereits vor Beginn des Gipfels hatten die Äußerungen des südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-bak, nach denen keine Einigung im „Währungsstreit“ zu erwarten sei, die allgemein ohnehin bestehende Skepsis mit Blick auf die Erfolgschancen des Seouler Treffens weiter befördert. Nach dem Gipfel fühlten sich viele Kommentatoren bestätigt. So wurde das Schlussdokument meist als eine Erklärung guter Absichten dargestellt. Ein wirklicher Aktionsplan sei darin nicht zu sehen. Als Begründung für das als eher dürftig angesehene Ergebnis wurde angeführt, dass sich der „Sturm“ über den Finanzmärkten, der noch vor kurzem entschiedene Maßnahmen erforderte, gelegt habe und die beteiligten Staaten nun wieder zu ihren individuellen Positionen zurückgekehrt seien. Eine noch pessimistischere Lesart erklärte das Treffen in Seoul gänzlich für gescheitert, da die Gefahr künstlicher Währungsabwertungen und protektionistischer Maßnahmen ungemindert fortbestehe.
Auch die möglichen Folgen des als unzureichend kritisierten Übereinkommens wurden öffentlich diskutiert. So erwartet der ehemalige argentinische Wirtschaftminister José Luis Machinea für Lateinamerika einen starken Dollarzufluss und eine verstärkte Tendenz zur Aufwertung der hiesigen Währungen. Dies wiederum könne zu protektionistischen Maßnahmen führen. Somit bestünden “mehr Risiken eines Rückfalls in die Situation von 1930. Besonders hart betroffen sind Länder, die dem Handel gegenüber besonders offen stehen und unter diesen wiederum die Entwicklungsländer”.
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