Länderberichte
In der Rede zur Lage der Nation, mit der die Parlamentssaison traditionell am 1. März eröffnet wird, ergriff die wiedergewählte Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner die Initiative zur „Reform“ der Zentralbank. Innerhalb von drei Wochen setzte das Regierungslager das Vorhaben durch.
Der Kernpunkt der Reform besteht darin, dass der Regierung nun auch der Zugriff auf diejenigen Bankbestände erleichtert wird, die zuvor als unantastbare Krisen- und Sicherheitsreserven für die argentinische Wirtschaft galten. Vorgeschrieben war bislang, dass diese Reserve mindestens der Höhe der Geldmenge entsprechen muss (Konvertibilitätsregel). Allein die zuletzt rapide Zunahme der Geldmenge lässt die Satzungsänderung beinahe unumgänglich erscheinen. Während die Devisenreserven aufgrund hoher Staatsausgaben um 11 Prozent auf 46,8 Mrd. US-Dollar gesunken sind, belief sich die Geldmenge – in den letzten zwölf Monaten um 25 Prozent steigend – mittlerweile auf den ebenso hohen Wert von 46,7 Mrd. US-Dollar.
Bereits vor zwei Jahren hatte die Regierung – nach heftigen Auseinandersetzungen mit dem daraufhin seines Amtes enthobenen Chef der Zentralbank, Martín Redrado – Zentralbankreserven in Höhe von 6,6 Milliarden US-Dollar zur Tilgung von Auslandsschulden verwendet. Doch dabei handelte es sich um sogenannte überschüssige Reserven, die nicht der Konvertibilitätsregel unterlagen.
Nach Angaben der Wirtschaftszeitung „La Cronista“ hätte die Reform zur Folge, dass die Regierung über „neue“ Mittel in Höhe von rund 22 Mrd. US-Dollar verfügen könnte. Die Festlegung der Summe liegt künftig im Ermessen der BCRA-Direktoren, die – nach den Ereignissen um die Absetzung des früheren Zentralbankchefs – nur noch schwerlich als „regierungsunabhängig“ bezeichnet werden können.
Zusammenfassend ergeben sich im Statut der Zentralbank folgende relevante Änderungen:
- Die alte Konvertibilitätsregel wird aufgeweicht. Die Höhe der Reserven hängt nicht mehr in der strikten Form von der Geldmenge ab. Künftig darf die Zentralbank die Höhe der Reserven, welche als Absicherung für die sich im Umlauf befindliche Geldmenge dient, selbst festlegen. Die überschüssige Summe wäre somit quasi frei verfügbar.
- Die Direktoren der BCRA können ohne vorherige Zustimmung des Kongresses Entscheidungen treffen.
- Die Zentralbank darf der Regierung maximal 20 Prozent der Summe, die die Regierung in den letzten zwölf Monaten eingenommen hat, kurzfristig für anstehende Aufgaben zur Verfügung stellen. Zuvor waren es maximal 10 Prozent.
- Die Zentralbank hat die Aufgabe, Währungs- und Finanzstatistiken zu erstellen. Allerdings ist sie formal dazu nicht verpflichtet. Verbindlich ist lediglich ein jährlicher Bericht über die Ziele der Währungs-, Finanz- und Wechselkurspolitik.
- Bisher bestand die Hauptaufgabe der Zentralbank darin, den Wert der eigenen Währung zu schützen. Nun wird die Funktion dahingehend modifiziert, dass die Bank der monetären und finanziellen Stabilität des Landes zu dienen und eine Wirtschaftsentwicklung mit sozialem Ausgleich sicherzustellen habe. Neu ist zudem die gezielte Förderung der Vergabe von Krediten.
Relativ fest ist damit zu rechnen, dass ein Teil der nun zugänglichen Reserven wiederum zur Schuldentilgung verwendet werden wird. 2012 sind Auslandsschulden in Höhe von rund 6 Mrd. US-Dollar fällig, die ansonsten aus dem klammer werdenden Staatshaushalt hätten beglichen werden müssen. Abgesehen von der Haushaltsentlastung erhofft sich die argentinische Regierung durch eine Schuldentilgung die Stärkung der eigenen Währung. Zumindest ein Teil der Regierung beabsichtigt in mittelfristiger Perspektive eine Rückkehr Argentiniens an die internationalen Kapitalmärkte.
In diese Richtung argumentierte die Präsidentin der Zentralbank, Mercedes Marcó del Pont, als sie vor drei Ausschüssen des Kongresses für die Reform warb: Durch den Zugang zum internationalen Kapitalmarkt könnten den Banken Gelder zur Verfügung gestellt werden, welche in Form von Krediten an kleine und mittlere Unternehmen weitergegeben werden könnten. Dadurch seien eine höhere Produktivität sowie eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit zu erwarten. Auch das Angebot werde steigen, womit wiederum die Inflation eingedämmt werde.
Internationale Gläubiger bewerteten die Absicht zur Rückzahlung der fälligen Schulden verständlicherweise positiv. Kritische Stimmen erhoben sich vor allem im eigenen Land. So wandte beispielsweise der ehemalige Notenbankchef Martin Redrado ein: „Argentinien wird weiter das einzige Land auf der ganzen Welt sein, das die Devisenreserven zur Bedienung der Schulden anstatt zur Abschirmung von Konjunkturrisiken verwendet. Das wird den Preisdruck noch erhöhen - das ewige Problem Argentiniens.“
Mit Sorge wird darüber hinaus vielfach registriert, dass die Verpflichtung zur Transparenz abnehme und die Kontrollfunktionen des Kongresses eingeschränkt würden. Für manchen Beobachter steht bereits fest, dass die Reform die Zentralbank und ihre Reserven nun vollständig der Regierung ausliefere. Das Schreckbild ist die „Zentralbank als Selbstbedienungsladen“ (Neue Zürcher Zeitung).
Von der Hand zu weisen sind solche Befürchtungen nicht. Schon früher ist die Regierung wenig schonend mit der institutionellen und wissenschaftlichen Autonomie von behördlichen Einrichtungen verfahren. Am prägnantesten ist das Beispiel des einst hoch angesehenen argentinischen Statistikamts INDEC, dessen Inflationsberechnungen inzwischen weder im In- noch im Ausland als verlässlich gelten. Erst kürzlich hat „The Economist“ unter der eindringlichen Überschrift „Don´t lie to me, Argentina“ angekündigt, die offiziellen Statistikzahlen des Landes bis auf weiteres nicht mehr zu veröffentlichen.
Einiges lässt darauf schließen, dass sich die Regierung nicht darauf beschränken wird, die nun verfügbaren Reserven allein zur Leistung des Schuldendienstes zu gebrauchen. Schon einmal, im Januar 2010, hatte sie eingestanden, dass man die Zentralbankreserven auch für die Deckung des eigenen Haushalts benötige. Seitdem könnte vor dem Hintergrund, dass das Staatsdefizit Argentiniens 2011 auf 30,662 Mrd. argentinische Pesos (fast 7 Mrd. US-Dollar) angestiegen ist, die Verlockung zu schnellen Lösungen von Haushaltsproblemen weiter angewachsen sein.
Hinzu kommt, dass die euphorische Stimmung über die wirtschaftliche Lage des Landes, die viel zum überwältigenden Wahlsieg der Präsidentin im vergangenen Oktober beigetragen hatte, weitgehend verflogen ist. Die nach der Wahl notgedrungen vorgenommenen Anpassungsschritte in der Wirtschaft wie die Rücknahme der horrenden staatlichen Subventionen für Strom, Gas, Wasser und öffentlichen Nahverkehr beginnen für die Präsidentin „politische Kosten“ zu haben. Ihre beeindruckenden Imagewerte gingen zuletzt erheblich zurück.
Einige der selbstverordneten, bitteren Pillen wurden inzwischen wieder ausgesetzt. Vielleicht lässt sich die Regierung bereits jetzt wieder dazu verleiten, nach bewährtem Muster Geld in die Wirtschaft und in den Konsum zu pumpen? Angesichts deutlich zurückgehenden Wachstumszahlen gäbe es dafür eine nachvollziehbare Begründung.
Die Mittel aus der Zentralbank stünden zur Verfügung. Der hohen Inflation – die privaten Institute sprechen von rund 23 Prozent – wäre durch eine weitere Erhöhung der Geldmenge freilich nicht beizukommen.
Was den Dollarkurs betrifft, so gelingt es der Regierung bislang durch rigoroses Erschweren von Tauschgeschäften, den amtlichen Wechselkurs bei 4,37 Pesos (Stand: 29.03.2012) stabil zu halten. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Lücke zum inoffiziellen Parallelkurs („Dollar blue“) größer wird. Dieser stand zuletzt bei 4,94 Pesos.
Geld-, währungs- und wirtschaftspolitisch warten erhebliche Schwierigkeiten auf die Argentinier. Ob die Reform der Zentralbank Teil ihrer Lösung ist, ist noch nicht ausgemacht.