Ausgabe: Sonderausgabe 2020/2020
Die Coronavirus-Pandemie ist nicht vorbei. Sie ist nur in eine neue Phase eingetreten. Jedes Fazit ist also zwangsläufig vorläufig. Die Umfrageergebnisse, die am Montagabend vom amerikanischen Pew Research Center und der deutschen Körber-Stiftung vorgestellt wurden, dürften in Berlin und Washington dennoch aufmerksam registriert werden. Denn China hat in der Gunst der Deutschen mit den Vereinigten Staaten fast gleichgezogen. In der Befragung, die im April vorgenommen wurde, gaben 37 Prozent der Bundesbürger an, dass Deutschland eher mit den Vereinigten Staaten enge Beziehungen pflegen solle als mit China. Für ein engeres Verhältnis mit Peking sprachen sich 36 Prozent aus. Die Umfrageergebnisse markieren eine erdrutschartige Verschiebung im Stimmungsbild. 2019 noch hatte jeder zweite Deutsche Amerika den Vorzug gegeben und nur jeder vierte China.
Mit dem jüngsten Stimmungsbild hat sich die Sicht der Deutschen der der Amerikaner weitgehend angeglichen. Denn in den Vereinigten Staaten sind die Menschen umgekehrt schon länger gespalten, ob sie ihre Beziehung zu China (44 Prozent) für wichtiger erachten oder zu Deutschland (43 Prozent).
Einig sind sich Amerikaner und Deutsche auch in der Frage, welche Rolle ihre Staaten wechselseitig füreinander spielen. In den Vereinigten Staaten hält jeder Vierte Großbritannien für den wichtigsten außenpolitischen Partner, gefolgt von China mit 18 Prozent. Nur sechs Prozent der befragten Amerikaner schreiben Deutschland die Rolle als wichtigster außenpolitischer Partner zu – zwei Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Hierzulande sieht die Reihenfolge völlig anders aus. Frankreich gilt mit weitem Abstand für die meisten Deutschen als wichtigster außenpolitischer Partner; und das, obwohl die sicherheitspolitischen Garantien weiterhin in erster Linie von Washington erbracht werden. Der Bedeutungsverlust der Vereinigten Staaten setzt sich in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit derweil weiter fort. Hielten vergangenes Jahr noch 19 Prozent Amerika für den wichtigsten Partner, sind es laut der jüngsten Umfrage nur noch zehn Prozent, gefolgt von China, das mit sechs Prozent für einen ebenso großen Anteil der Deutschen als wichtigster Partner erscheint wie für die Amerikaner Deutschland.
Gespalten sind Amerikaner und Deutsche auch in der Frage, was sie in Zeiten der Corona-Pandemie von weltumspannendem Warenverkehr und Reisen halten sollen. In Deutschland geben 59 Prozent der Befragten an, dass sie die Globalisierung für gut und förderlich für das eigene Land halten. Knapp ein Drittel glaubt das Gegenteil. In den Vereinigten Staaten hingegen sind die Menschen zu ziemlich gleichen Teilen uneins. 47 Prozent halten die Wirkung der Globalisierung auf die Vereinigten Staaten für gut, 44 Prozent für schlecht. Dabei verlaufen die Gräben in Amerika und Deutschland unterschiedlich. Ob sie Anhänger der Demokraten oder der Republikaner sind, spielt bei den Befragten in Amerika keine große Rolle. Und das, obwohl Präsident Trump immer wieder Aspekte der Globalisierung kritisiert oder herabwürdigt.
In Deutschland bestehen auch 30 Jahre nach der deutschen Einheit große Unterschiede, vor allem zwischen Ost und West. Auf der Fläche der früheren Bundesrepublik stehen der Globalisierung 64 Prozent der Befragten positiv gegenüber, ein Viertel negativ. In den fünf gar nicht mehr so neuen Bundesländern sagt knapp die Hälfte der Befragten, die Globalisierung sei schlecht für Deutschland. Auch unter den Parteien gibt es deutliche Unterschiede. Während ein Großteil der Anhänger von Union, SPD, Grünen, FDP und Linken die Globalisierung für eine gute Sache hält, glauben mehr als zwei Drittel der AfD-Anhänger das Gegenteil. Ähnlichkeiten zeigen sich dies- und jenseits des Atlantiks bei Menschen ähnlichen Alters und Bildungsstandards. Für Amerikaner wie Deutsche gilt: Je jünger und besser sie ausgebildet sind, umso eher überwiegen für sie die Vorzüge der Globalisierung in ihrem Land. Für eine Mehrheit bieten die Corona-Krise und die mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Einschnitte auch keinen Anlass, ihr internationales Engagement zu verringern. Im Gegenteil. 68 Prozent der Amerikaner und 73 Prozent der Deutschen vertreten die Ansicht, dass ihre Länder mehr als andere dazu aufgerufen sind, bei der Lösung globaler Probleme zu helfen. Signifikante Unterschiede gibt es dabei unter Parteianhängern. Wähler und Sympathisanten der amerikanischen Demokraten teilen zu 79 Prozent die Ansicht, unter Republikanern ist es nicht einmal jeder Zweite. In Deutschland ist die Auffassung unter AfD-Anhängern mit 36 Prozent der Befragten nur eine Minderheits-, bei den Grünen hingegen fast eine Einheitsmeinung. 94 Prozent ihrer Anhänger sehen es als Aufgabe des Landes an, globale Probleme mit zu lösen.
Die positive Einstellung gegenüber einer vernetzten Welt führt offenbar ebenso wenig wie der Bedeutungszuwachs Chinas dazu, dass die Deutschen realitätsblind werden. Zwei Drittel werfen Peking fehlende Transparenz im Umgang mit der Corona-Pandemie vor. Drei Viertel halten die EU und ihre Mitgliedstaaten für diejenigen, die zur Lösung der Krise in Europa beitragen. Bei China sieht das nur jeder Zehnte so. Eine Rückkehr zu offenen Grenzen in Europa wünschen sich zwar 79 Prozent. Dennoch verlangen 85 Prozent der Bundesbürger von der Bundesregierung, das eigene Land krisenfester zu machen und die Produktion kritischer Güter zurück ins eigene Land zu verlagern, auch wenn das mehr kostet. Der Klimawandel bleibt für die meisten Deutschen (33 Prozent) das Problem mit dem dringendsten Handlungsbedarf, noch vor Gesundheitskrisen wie Corona (25 Prozent), Kriegen (17 Prozent), Migration (14 Prozent) und Terrorismus (acht Prozent). Von einem sind die meisten Deutschen damit offenkundig überzeugt: Die nächste Krise kommt bestimmt.
Lorenz Hemicker ist Mitglied der politischen Redaktion der F.A.Z.
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