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Auslandsinformationen

Die Digital Natives kommen!

von Dr. Jan Cernicky, Antonie Maria Hutter

Wie die sozialen Medien den politischen Diskurs in Kenia verändern

In vielen Regionen der Welt hat sich die Utopie des Internets als Instrument politischer Freiheit nicht erfüllt. Stattdessen wird es verstärkt als Mittel zur Machterhaltung der Eliten genutzt. Noch nicht entschieden ist dieser Konflikt in zahlreichen Staaten Afrikas – und besonders in Kenia. Hier hat die zahlenmäßig dominierende Jugend eine gute Chance, über das Internet eine freiere und fairere Gesellschaft zu gestalten. Doch ohne gut durchdachte Unterstützung wird dies kaum gelingen.

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Einleitung

Kenia ist laut Definition der Weltbank kein Entwicklungsland mehr. Es ist mittlerweile ein middle income country und verfügt über den weltweit am viertschnellsten wachsenden Internetmarkt. Der hier aufgebaute mobile Zahlungsdienst M-Pesa gilt als Vorbild für moderne Zahlungssysteme weltweit. Um diesen Dienst herum hat sich eine Vielzahl von Start-ups gegründet, die mittlerweile stark expandieren. Auch in der sozialen und politischen Sphäre ist das Internet, und hier sind es besonders die sozialen Medien, zu einem einflussreichen Instrument der politischen Willensbildung geworden. Dies wird sich noch verstärken, da in Kenia aufgrund der immens hohen Geburtenrate das Gewicht der üblicherweise internetaffinen jungen Generation in den kommenden Jahren stark zunehmen wird. Diese Generation aus Digital Natives steht aktuell einer sozialen und politischen Elite gegenüber, für die das Internet bestenfalls Neuland ist. Gerade in ländlichen Regionen, in denen die Autoritäten oft nicht einmal des Schreibens mächtig sind, ist dieser Graben noch tiefer. In Ländern wie Kenia hat daher die junge Generation aktuell die seltene Chance, aus einer Position der relativen Stärke die alten Eliten abzuhängen und selbst zu definieren, wie das Internet gesellschaftliche Entscheidungsprozesse in der Zukunft beeinflussen wird.

Internet und soziale Medien in Kenia

Kenia gilt als eines der fortschrittlichsten Länder des Kontinents, was Digitalisierung angeht. 85 Prozent der Bevölkerung sind heute in Kenia bei einem Mobilfunkanbieter registriert. Es gibt knapp 30 Millionen Internetnutzer, wobei 70 Prozent der Bevölkerung Zugang zum mobilen Internet haben. Soziale Medien sind weit verbreitet. Laut einem Bericht der Blogger Association of Kenya (BAKE) vom Juni 2016 sind Social-Media-Plattformen wie Blogs, Twitter und Facebook zu einem effektiven Werkzeug geworden, mit dem sich Kenianer über für sie interessante politische Themen austauschen und ihre Redefreiheit einfordern wollen. Insofern bieten soziale Medien eine Plattform für den politischen Dialog und beeinflussen die Meinungsbildung. Besonders wichtig ist hier Twitter. Kenia hatte 2016 über 700.000 bestätigte monatlich aktive Nutzer auf dieser Plattform, von denen die Mehrheit täglich auf Twitter zugreift. Das ist mehr als im deutlich bevölkerungsreicheren Deutschland.

Ein zentrales Element des kenianischen Internetwunders ist der mobile Zahlungsdienstleister M-Pesa. Selbst wenn die Idee nicht aus Kenia stammt und mittlerweile auch andere Mobilfunkanbieter mobile Zahlungsdienste anbieten, bleibt das vom zur Vodafone-Gruppe gehörenden Mobilfunkanbieter Safaricom betriebene M-Pesa das Synonym für mobiles Zahlen weit über das Land hinaus. Aus der ursprünglichen Idee, das in Kenia meist genutzte Prepaid-Telefonguthaben an einen anderen Mobilfunkteilnehmer zu schicken, entwickelte sich schnell ein vollwertiges Zahlungssystem.

M-Pesa entwickelte sich so rasant, weil es vorher kaum preisgünstige Möglichkeiten gab, Geld von den größeren Städten in ländliche Gebiete zu überweisen. Dies ist aber in Kenia aufgrund der hohen Zahl interner Wirtschaftsmigranten, die zwischen ländlichen und städtischen Gebieten pendeln, von hoher Bedeutung. Oft arbeitet ein Familienmitglied, meist der Mann, in einer Stadt, während die Familien auf dem Lande bleiben. Heute nutzen mehr als 80 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Kenias mobile Zahlungsdienste – auch nicht alphabetisierte Nomaden wickeln hiermit Zahlungen ab.

Die rasche Akzeptanz von M-Pesa in der Bevölkerung und die Einbindung des digitalen Zahlungsdienstes in der Wirtschaft rückten Kenia auf die globale digitale Landkarte. Die Dynamik um M-Pesa hat zahlreiche digitale Innovationen hervorgebracht, die sich in Afrika durchgesetzt haben und zu multinationalen Unternehmen wie Craft Silicon und Cellulant geführt haben.

Dies hatte außerdem zur Folge, dass verstärkt internationales Kapital seinen Weg nach Kenia fand. Ein Beispiel ist die Firma Accelerators 88mph. Im August 2013 investierte das Unternehmen 500.000 US-Dollar in seine dritte Gruppe von Start-ups in Kenia und erhöhte das gesamte finanzielle Engagement auf zwei Millionen US-Dollar mit 32 Start-ups, in denen es Anteile zwischen 10 und 25 Prozent besitzt. Dies umfasst z. B. das social-travel-network Tourist Links, die Lebensmittellieferungs-Website Yum, das mobile Agrar-Zahlungs-Start-up Iprocure oder die mobile Ticketplattform Booknow. Die investierten Summen mögen aus globaler Perspektive gering erscheinen, für Kenia aber ist es eine Revolution, dass internationale Investoren hier in Start-ups investieren.

Ein weiteres wichtiges Element der Landschaft der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in Kenia ist der iHub, der 2010 von Eric Hersman gegründet wurde, einem der Mitbegründer von Ushahidi, einer Website, die Augenzeugenberichte über Gewalt mittels Textnachrichten und Google Maps sammelte. Der iHub ist ein Technologie-Inkubator, der Innovation und Zusammenarbeit zwischen seinen Tech-Start-up-Mitgliedern fördert. Er ist gleichzeitig ein Präzedenzfall in der Region; die Idee wurde in anderen Ländern wiederholt. So gibt es mittlerweile mehr als 70 ähnliche Tech-Zentren auf dem afrikanischen Kontinent.

Die oben angeführten Entwicklungen mögen einige der Gründe dafür sein, dass Kenia in einer Studie der Tufts University aus dem Jahre 2017 unter 60 Industrie- und Schwellenländern zur viertwichtigsten wachsenden digitalen Wirtschaft gekürt wurde. Der Bericht Digital Planet 2017 findet, dass Kenias digitale Wirtschaft eine hohe Dynamik aufweist und großes Potenzial für Wachstum in den kommenden Jahren hat.

Kenia gilt als viertwichtigste wachsende digitale Wirtschaft.

Zur positiven Entwicklung trugen auch politische Entscheidungen bei. Einer der ersten großen Schritte Kenias im Bereich der IKT war der Anschluss von Unterwasser-Glasfaserkabeln vom Indischen Ozean bis nach Nairobi im Herbst 2007, mit dem Ziel, Millionen von Menschen einen schnellen Internetzugang zu ermöglichen. Im Jahr 2008 wurde der erste nationale IKT-Masterplan veröffentlicht, der einen Zeitraum von fünf Jahren (2008 bis 2012) abdeckte. Er ist heute Teil der Entwicklungsagenda Vision 2030, die Kenias ehemaliger Präsident Mwai Kibaki im selben Jahr ins Leben gerufen hatte.

Zu dieser Zeit trat Kenia als eines der ersten Länder Afrikas der im Jahr 2011 ins Leben gerufenen Open Government Data Initiative bei. Bis dato haben sich 75 Länder zu der Initiative bekannt, weitere Länder bereiten ihren Beitritt vor. Unterstützer der Initiative bekennen sich dazu, in ihren Ländern Aktionspläne für mehr Transparenz, Bürgerbeteiligung und Verwaltungsmodernisierung zu entwickeln und regelmäßig Revisionsprozesse durchzuführen. In diesem Kontext rekrutiert die Regierung seit 2014 aktiv Datenwissenschaftler, mit dem Ziel, eine allgemein nutzbare E-Governance zu entwickeln.

Jedoch scheint dies nur in Maßen zu gelingen. So sind die Erfahrungen der Autoren mit dem kenianischen e-government eher negativ. Denn obwohl die Antragswege digitalisiert wurden und die meisten Behördengänge auf dem entsprechenden Internetportal beginnen, sind weiterhin physische Behördenbesuche nötig, und hier wird selten klar, weshalb vorweg der digitale Weg nötig war. Vielleicht sind dies Anfangsschwierigkeiten, vielleicht liegt es aber auch an der in Kenia weiterhin unzureichenden digitalen Infrastruktur und vor allem an der mangelhaften Qualität der Ausbildung der Mitarbeiter.

Ein mangelndes Verständnis der Regierung in Bezug auf digitale Dynamiken belegt auch der oben genannte kenianische IKT-Plan. Denn er befasst sich nicht mit grundlegenden Komponenten, die für die Entwicklung einer IKT-Branche erforderlich sind, wie zum Beispiel qualitativ hochwertiger Hochschulbildung im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Netzwerkes von IT-Firmen, wie dies im Silicon Valley der Fall war. Stattdessen wird eine zehn Milliarden Dollar teure Reißbrettstadt, die Konza Tech City, geplant und vor allem als Immobilienprojekt beschrieben. Immobilien sind der klassische Geldbringer für die Regierenden, auch hier kommt man offenbar aus dieser Denkblase nicht heraus.

So überrascht es nicht, dass Kenia trotz des oben beschriebenen Wachstums weiterhin auf einer sehr niedrigen Entwicklungsstufe seiner digitalen Rahmenbedingungen im Vergleich zu den weiter entwickelten Ländern verharrt. Das Land landete 2016 auf Platz 52 von 60 untersuchten Ländern im Bereich der Entwicklung ihrer digitalen Wirtschaft, unter den sechs untersuchten afrikanischen Staaten lag Kenia auf dem zweiten Platz. Bei der Erstellung der Indizes bewerteten die Forscher die ausgewählten Länder in vier Hauptbereichen – die Robustheit der Infrastruktur, die Fähigkeit und Bereitschaft der Verbraucher, digitale Technologie zu nutzen, der rechtliche und politische Rahmen und das Niveau der Innovation und Veränderung. Auch die Ausbildung im IT-Bereich ist im Weltmaßstab weiterhin schwach. Es überrascht so nicht, dass viele der Gründer von Start-ups und sichtbaren Blogs an renommierten Universitäten im Ausland studiert haben.

Das hochgelobte Wachstum der kenianischen Digitalindustrie findet also nicht wegen, sondern trotz der staatlichen Infrastruktur und Regularien statt. Dies ist für die Szene der internetaffinen jungen Menschen aber sicher kein Nachteil, da sie sich so Freiräume schaffen können, deren Gesetzmäßigkeiten die herrschenden Eliten kaum verstehen.

Entwicklung des Internets als politisches Forum

Fast gleichzeitig mit dem Anschluss Kenias an das internationale Glasfasernetz gab es ein weiteres Ereignis, das Kenias politisch aktive Internetgemeinde formte: die bürgerkriegsartigen Zusammenstöße nach den umstrittenen Präsidentenwahlen Ende 2007. Diese sind das erste historische Ereignis in Kenia, das durch die Nutzung sozialer Medien beeinflusst wurde. Denn nur über das Internet war es insbesondere für Kenianer der Diaspora möglich, Informationen über das tatsächliche Geschehen in den betroffenen Regionen zu bekommen. Die klassischen Medien hielten sich – auch aus Angst, zu einer Eskalation beizutragen – bis zur Selbstzensur zurück. Um die begangenen Grausamkeiten unabhängig von den politischen Interessengruppen zu dokumentieren, gründete sich nach einem Aufruf der bekannten Bloggerin Ory Okolloh die Plattform Ushahidi (dt. Zeuge / Zeugenaussage), über die per SMS Berichte über Gewalttaten dokumentiert und einem Ort zugeordnet werden konnten. Diese international sichtbare Berichterstattung über die begangenen Gewalttaten und der Druck der so informierten kenianischen Diaspora war ein wichtiger Impuls, um zu der letztlich erfolgreichen, hochrangigen internationalen Vermittlung in dem Konflikt zu gelangen. Dies gilt als Geburtsstunde des kenianischen Internetaktivismus, der zu Beginn vor allem durch politische Blogs von Personen wie Okolloh, Daudi Were oder Charles Ng’ang’a Wairia (auf Swahili) getragen wurde.

Der „Arabische Frühling“ 2011 gab dem Internetaktivismus einen neuen Schub, so entstand z. B. in dieser Zeit aus dem Hashtag

  1. Kenya28Feb

eine immer noch aktive Bewegung, die sich vor allem auf den Zusammenhalt unter den Kenianern konzentriert. Die Auseinandersetzung mit dem „Arabischen Frühling“ führte aber auch dazu, dass die Regierung sich verstärkt Gedanken über eine Überwachung unliebsamer Meinungen im Internet machte.

Diese Tendenz verstärkte sich durch den für die kenianische Gesellschaft immer noch traumatischen Terrorangriff auf das Westgate-Einkaufszentrum im September 2013. Hier wurden soziale Medien von den Angreifern genutzt, um grausame Bilder aus dem Einkaufszentrum quasi live zu veröffentlichen und so als Propaganda zu nutzen. Hierdurch geriet die Nutzung des Internets durch Kriminelle und Terrorgruppen in den Fokus.

Regierung und Parlament reagierten mit scharfen Antiterrorgesetzen, die Ende 2014 verabschiedet wurden und allgemein als Security Laws bezeichnet werden. In einigen Bereichen schwächten diese den Rechtsstaat in seiner Substanz. Besonders betroffen waren von diesen Gesetzen auch die Medien und die Haftungsregelungen für die in sozialen Medien verbreiteten Inhalte. Durch die zeitliche Nähe zu den Terroranschlägen gab es dagegen nur sporadischen Protest.

Besonders wichtig ist hier die Einführung eines Straftatbestandes für Äußerungen, die beleidigend oder aufhetzend sind, was allgemein als hate speech umfasst wird. Entsprechende Regelungen wurden jedoch vom kenianischen Verfassungsgericht abgeschwächt, da Meinungsfreiheit nicht pauschal eingeschränkt werden dürfe. Nach der Entscheidung des Gerichts liegt die Beweislast dafür, dass etwas als hate speech aufgefasst werden kann, bei den Strafverfolgungsbehörden. Somit gelten weiterhin alle Äußerungen als freie Meinungsäußerungen, bis das Gegenteil bewiesen wird, was sich in der Praxis als sehr schwierig erweist. Es gibt daher nur einen dokumentierten Fall eines Internetaktivisten, der für hate speech verurteilt wurde und eine dreimonatige Gefängnisstrafe absitzen musste. Jedoch gibt es seit 2016 mindestens sechs Fälle, in denen Bürger aufgrund dieses Vorwurfs festgenommen und unter Arrest gehalten wurden. Alle wurden aber recht bald wieder freigelassen, da keine Anklage erhoben werden konnte. Aktuell wird die genannte Passage also tendenziell eher dafür genutzt, unliebsame Blogger einzuschüchtern.

Im weltweiten Vergleich steht Kenia mit Blick auf die Freiheit des Internets damit trotz allem ziemlich gut da: In der Untersuchung zur Internetfreiheit von Freedom House kommt Kenia auf einer Skala von 0 (am besten) bis 100 (am schlechtesten) auf beachtliche 29 Punkte.

Wie nutzen die jungen Menschen ihre Freiheiten?

Die Nutzung des Internets als politisches Instrument hat sich seit 2007 stark geändert. Wurde die Szene seinerzeit durch aktive Blogger geprägt, wurden diese bis heute vor allem durch Nutzer von Twitter und z. T. Instagram verdrängt.

Die verbliebenen Blogs sind sehr stark kommerzialisiert und befassen sich mit Bereichen, in denen gezielte Werbung naheliegt, wie z. B. in den Bereichen Mode, Essen und Technik. Einige ehemals durchaus als politische Blogger geltende Persönlichkeiten, wie z. B. Aurther Mandela (Xtian Dela), stellen ihre Profile heute hauptsächlich als Werbeplattformen zur Verfügung. Politische Botschaften sind dahinter kaum noch auszumachen. Trotzdem gibt es weiterhin politische Blogs, wie etwa Kenya Today, welcher der Oppositionspartei ODM nahesteht. Diese sind jedoch kaum von

Internetausgaben klassischer Zeitungen zu unterscheiden und füllen in der relativ freien kenianischen Medienlandschaft keine wesentliche Lücke. Auch national sichtbare Zeitungen berichten über Korruptionsskandale und sind – je nach politischer Ausrichtung und Besitzer – der Politik gegenüber durchaus kritisch eingestellt. Blogs füllen daher eher Lücken in Fragen von Jugendkultur oder spezialisierter Technik, wofür es keine adäquaten Medienerzeugnisse in Kenia gibt. Spätestens seit den kontroversen Wahlen 2017 verhält sich die Regierung Kenias jedoch gegenüber der Presse deutlich restriktiver. Ob dies Folgen für die Nutzung von Blogs haben wird, muss sich noch zeigen.

Die Kommerzialisierung des Internets hat auch in Kenia an Fahrt gewonnen.

Daneben ist Twitter ein sehr relevantes Instrument zur politischen und sozialen Mobilisierung geworden. Hierbei geht es nicht darum, komplexe Zusammenhänge zu diskutieren, sondern durch schnell verbreitete Kurznachrichten, meist inklusive einiger Fotos, sehr konkrete Themen schnell auf die tagesaktuelle Agenda zu bringen. Sehr erfolgreich ist hierbei z. B. Boniface Mwangi mit knapp einer Million Followern auf Twitter. So sorgte er z. B. im Mai 2015 mit der Bekanntmachung der Tatsache, dass Präsident Kenyatta mit einer Delegation von 60 Personen zur Amtseinführung des neuen nigerianischen Präsidenten fliegen wollte, für einen Aufschrei, so dass diese Reise abgesagt werden musste und nur eine kleine Delegation unter dem Vize-Präsidenten anreiste. Seitdem Mwangi darüber twitterte, dass die offiziellen Reden des Präsidenten in gedruckter Form per Flugzeug in die verschiedenen Provinzen geflogen werden, ist man auch hier auf modernere und kostengünstigere Kommunikationswege umgestiegen. Auch die Einführung öffentlicher Toiletten in Gerichtsgebäuden geht auf Tweets von Mwangi zurück. Die Gruppe Kenyans on Twitter schaffte es kürzlich, die Liste der vom Präsidenten für besondere Verdienste um das Vaterland zu ehrenden Personen öffentlich und kritisch zu diskutieren, was dazu führte, dass im Internet ganz andere Persönlichkeiten informell geehrt wurden und damit auch politische Aussagen verbunden wurden.

Allerdings sind es bisher nur solche kleinen, isolierten Themen, die mit kurzen Kampagnen im Internet bewegt wurden. Die wirklich großen Herausforderungen, Korruption, das marode Bildungssystem oder die diversen Hindernisse für junge Menschen, Zugang zu formaler Beschäftigung und politischem Einfluss zu bekommen, lassen sich hierüber offenbar nicht ausreichend thematisieren. Dies gesteht auch Mwangi zu: „Twitter funktioniert gut, um Lärm zu schlagen. Für erfolgreiche politische Mobilisierung muss man weiterhin in der physischen Welt aktiv sein.“

Dies ist nicht nur theoretisches Wissen. Mwangi, Ory Okolloh und andere internetaffine junge Menschen aus der gut ausgebildeten Mittelschicht Nairobis gründeten 2015 die UKWELI Party und traten bei den Wahlen 2017 an. Hierbei ist die UKWELI Party keine Internetpartei, wie etwa die europäischen Piratenparteien. Sie trat im Gegenteil mit einem Programm um Korruptionsbekämpfung, bessere Chancen für junge Menschen und Frauen und die Qualität staatlicher Dienstleistungen mit sehr konkreten Ideen zur Verbesserung des Lebens der jungen Mittelschicht an. Sie profitierte dabei im Wahlkampf von Erfahrungen in der Nutzung sozialer Medien, führte aber den Wahlkampf vor allem im direkten Kontakt mit den Menschen auf der Straße. Obwohl sie hiermit drängende Probleme der meisten Kenianer ansprach, einen sehr professionellen Wahlkampf führte und die vor allem angesprochene Wählerschicht der Menschen unter 40 Jahren die klare Mehrheit der Wahlberechtigten ausmacht, gewann nicht ein einziger ihrer Kandidaten ein Mandat im nationalen bzw. einem der regionalen (County-)Parlamente.

Dies liegt zwar zum einen am kenianischen Mehrheitswahlrecht, in dem es in vielen Fällen vor allem auf ethnische Zugehörigkeit und Schmiergelder ankommt. Es ist daher durchaus ein Erfolg, in einigen Wahlkreisen auf Anhieb auf den zweiten oder dritten Platz zu gelangen. Gleichzeitig ist es enttäuschend, da sich in Umfragen eine klare Mehrheit der Kenianer gegen ethnische Politik und Stimmenkauf ausspricht. So müsste eigentlich – wenn die Äußerungen in Umfragen denn ehrlich gemeint sind – eine Mehrheit bei Wahlen mit einem solchen Programm möglich sein.

Warum das nicht so einfach klappt, beschreibt ein Vertreter der UKWELI Party: „Kleine, kurz laufende Kampagnen sind sehr wirkungsvoll, es ist einfach, hierfür recht viele Menschen zu mobilisieren. Wenn diese Kampagne dann aber ihr Ziel erreicht hat, haben diese Menschen das Gefühl, ihren Teil für die Politik beigetragen zu haben, sind zufrieden und kehren in den Alltag zurück. Sie für langfristige Politik zu gewinnen, ist sehr schwierig.“

Strukturelle Probleme wie Wählerbestechung lassen sich nicht allein mit Internetkampagnen beheben.

Man kann also nicht erwarten, dass junge Menschen, die sich z. B. im Internet für eine Kampagne gegen eine Nigeriareise des Präsidenten mit einer aufgeblähten Delegation mobilisieren lassen, gleichzeitig Bestechungsgelder vor Wahlen ablehnen. Diese Verbindung ist nicht gegeben. Strukturelle Probleme wie Wählerbestechung lassen sich nicht allein mit Internetkampagnen beheben, dafür sind die Gründe dahinter viel zu komplex.

Die UKWELI Party hat hierauf früh reagiert und ihre Kampagnen mit einem Tür-zu-Tür Wahlkampf in die physische Welt verlegt. Vermutlich kam dies aber für diese Wahl zu spät. Die Herausforderung besteht nun darin, sich frühzeitig auf die Wahlen 2022 vorzubereiten und hierbei die virtuelle und physische Welt geschickt zu verbinden. Die Chancen sollten gut sein, schließlich wird etwa ein Viertel der Wählerschaft bei den kommenden Wahlen zum ersten Mal Wahlberechtigt sein – diese sind auch in Kenia fast durchgehend Digital Natives.

Generationenkonflikte

Somit steht Kenia – wie vielen anderen afrikanischen Staaten – ein spannender Generationenkonflikt anhand vieler Bruchlinien bevor: auf der einen Seite eine für afrikanische Verhältnisse relativ gut ausgebildete Jugend, für die das Internet normaler Teil des Lebens ist und die von der älteren Generation systematisch von Macht und Ressourcen ferngehalten wird; auf der anderen Seite die Generation 50+, die gerade im ländlichen Raum oft kaum lesen kann, das Internet eher als Bedrohung wahrnimmt, aber über einen Großteil der Ressourcen verfügt. Hierbei ist die junge Generation in einer ständig anwachsenden, deutlichen zahlenmäßigen Mehrheit.

Dabei stellt das Internet den Unterschied zwischen den beiden Welten am deutlichsten dar. Zwar unterhalten die wichtigsten kenianischen Politiker Twitterprofile mit vielen Followern, jedoch nutzen sie diese nur als weiteren Kanal, um Mitteilungen zu verbreiten, die auch über andere Medien laufen. Die Funktion von Twitter als schnelles Kampagneninstrument zu spezifischen Themen scheint nicht verstanden worden zu sein. Unterstrichen wird dies durch relativ dilettantische online-Schmutzkampagnen im Wahlkampf vor allem gegen die Opposition. Diese, offenbar von einem amerikanischen Medienhaus durchgeführten Kampagnen wirkten deshalb kaum, weil darin nur Unterstellungen wiederholt wurden, die auch schon in klassischen Medien vorgebracht wurden. Auch die Tatsache, dass Präsident Kenyatta wie auch Oppositionsführer Raila Odinga gut sichtbare Social-Media-Aktivisten als Kommunikationsberater eingestellt haben und darüber hinaus Gruppen von Bloggern, wie etwa die „36 Bloggers“, für Präsident Kenyatta für die Verbreitung ihrer Meinung bezahlt werden, ändert diese Bestandsaufnahme nicht. Laut dem Internetexperten Mark Kaigwa sind diese Internetkenner in den internen Hierarchien sehr weit von den mächtigen Männern entfernt und haben keinen Einfluss auf die Entwicklung von Kommunikationsstrategien. Sie sind dafür da, vorgegebene Botschaften möglichst effektiv über ihre Follower zu verbreiten. Daneben sind sie aber nicht in die politische Linie der jeweils bezahlenden Politiker eingebunden.

Dies beschreibt einen Wandel, der laut Kaigwa gerade stattfinde: Bildeten die Internetaktivisten vor einigen Jahren vor allem eine Art „virtueller NGO“, in der recht spontan politische und soziale Meinungen gebildet wurden, hat auch in Kenia die Kommerzialisierung des Internets an Fahrt gewonnen. Hierbei ist es nicht nur die politische Elite, die Internetaktivisten mit Geld ruhig stellt, sondern, wie bereits oben angesprochen, in stärkerem Maße die Werbewirtschaft, die, ohne dahinter eine explizit politische Agenda zu haben, die politische Wirksamkeit der Internetaktivisten durch Productplacement verwässert.

Schlussfolgerungen

Wie beschrieben, scheinen in Kenia viele Faktoren zusammenzukommen, die ein freies und dynamisches Internet als Raum sozialer und demokratischer Freiheiten ermöglichen können. Gleichzeitig zeigte die gerade wiedergewählte Regierung schon in der letzten Legislaturperiode autoritäre Tendenzen und demonstrierte gleich nach den (später annullierten) Wahlen im August mit dem Durchgreifen gegen mehrere NGOs und im Januar 2018 gegen mehrere Fernsehsender, dass zu erwarten ist, dass diese Tendenzen sich weiter verstärken. Auch China, das seine Interessen in Kenia nicht mehr ausschließlich handelspolitisch definiert, sondern auf dem afrikanischen Kontinent nach politischen Verbündeten sucht, wird diese Tendenzen technisch und mit Know-how unterstützen. Die dafür nötigen chinesischen IT-Ausrüster wie Huawei sind in Kenia bereits sehr präsent. Daneben sorgt die Kommerzialisierung des Internets für eine schleichende Verwässerung politischer Inhalte.

Die Chance besteht, das Internet als Raum des offenen Diskurses weiter auszubauen.

Somit ist nicht entschieden, wer sich mittelfristig durchsetzen wird. Bleibt es dabei, dass die alte Generation die Ressourcen hat und die jungen Leute gelegentlich Nadelstiche über kurze Kampagnen setzen? Oder gelingt es Internetaktivisten und jungen Politikern, das soziale und politische Bewusstsein der jungen Generation zu verändern und somit langfristig bessere politische Partizipationsmöglichkeiten zu erlangen und damit eine Chance zu haben, gerechteren Zugang zu staatlichen Ressourcen und qualitativ hochwertigen staatlichen Dienstleistungen zu bekommen?

Chancen bestehen durchaus. Wie oben beschrieben, ist Kenia technisch weit entfernt von Staaten wie China, die das Internet weitgehend kontrollieren können. Daneben haben die Gerichte bewiesen, dass sie durchaus dem Schutz der Meinungsfreiheit, auch im Internet, verpflichtet sind und hierbei den Konflikt mit der Regierung nicht scheuen. Kenia ist, trotz der Einschränkungen durch die genannten Sicherheitsgesetze und einer nicht immer komplett funktionalen Justiz, weiterhin ein Rechtsstaat. Hier wird gerade, im Konflikt zwischen Gesetzgeber und den obersten Gerichten, die legale Basis der Nutzung des Internets definiert.

Die junge Generation hat also die Chance, das Internet als Raum des offenen Diskurses weiter auszubauen. Risikolos ist dies aber nicht, denn Gegenspieler, die nicht richtig verstehen, was im Internet wie geschieht, tendieren dazu, hart und unverhältnismäßig zu reagieren. Aufgrund dieser Konstellation wäre es naiv zu glauben, dass sich die kenianischen Digital Natives allein aufgrund der besseren Internetkenntnisse und ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit quasi automatisch bei der Erhaltung eines freien Meinungsraums im Internet durchsetzen werden. Gezielte Unterstützung, nicht nur von einzelnen Internetaktivisten und deren Gruppierungen, sondern auch von spezialisierten Anwälten, kritischen Medien und NGOs, aber auch eine Zusammenarbeit mit Gerichten und staatlichen Regulierungsagenturen scheint geboten, um dieses Ziel zu erreichen.

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Dr. Jan Cernicky ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kenia.

Antonie Hutter ist Projektmanagerin im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kenia.

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