Ausgabe: 1/2024
Der russische Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat gezeigt, dass autoritäre Staaten ein außenpolitisches Machiavellismus-Konzept, nach dem das Recht des Stärkeren gilt, nach wie vor als legitimes Mittel zur Gestaltung der internationalen Beziehungen ansehen. Zu den Auswirkungen der Invasion zählen höhere Energiepreise und eine Unterbrechung von Lieferketten, die zur weltweiten Inflation, zu Problemen bei der Ernährungssicherheit und zu einer erhöhten Instabilität im Globalen Süden beitragen.
Zuletzt haben der brutale Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und die anschließende militärische Reaktion Israels im Gazastreifen mit dem Ziel, die Hamas zu zerschlagen, zu weiterer Instabilität und Disruptionen geführt, wobei zehntausende Palästinenser ums Leben kamen. Zur Instabilität tragen unter anderem auch die Raketenangriffe der Huthi-Miliz auf Schiffe bei, die das Rote Meer auf dem Weg zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean durchqueren.
Diese Angriffe haben Unternehmen dazu veranlasst, das Rote Meer über das Kap der Guten Hoffnung und die Magellanstraße zu umfahren, was laut Marco Forgione, dem Generaldirektor des Institute of Export & International Trade, die Transportkosten um 175 bis 200 Prozent erhöht. Außerdem wächst die Sorge vor einem großen Konflikt im Nahen Osten. Ein solcher würde die Energiekosten durch eine Unterbrechung der Energietransporte weiter in die Höhe treiben. Dies würde wiederum zu einem Abschwung der Wirtschaft infolge der Energie- und der damit zusammenhängenden Ernährungsunsicherheit führen – in Industrie- wie Entwicklungsländern. Für Japan und die NATO haben diese Ereignisse überdeutlich gezeigt, dass es weltweit wichtig ist, eine regelbasierte internationale Ordnung zu erhalten, zu schützen und in sie zu investieren.
Hinzu kommt, dass die russische Invasion für Staaten wie Japan, die in hohem Maße von Seeverbindungslinien abhängig sind, ein Hinweis auf die Probleme sein könnte, die im eigenen Umfeld drohen. Dies gilt ebenso für die Unterbrechung der Seewege durch das Rote Meer.
Das japanische Sicherheitsumfeld und das Potenzial für eine Zusammenarbeit
Im Mittelpunkt der sicherheitspolitischen Bedenken Japans steht China. Tokio sieht in der Volksrepublik einen wichtigen wirtschaftlichen Nachbarn, aber auch ein Land, das die internationale regelbasierte Ordnung auf den Seeverbindungslinien im Südchinesischen Meer, in der Straße von Taiwan und im Ostchinesischen Meer nach wie vor infrage stellt. Diese Seewege sind wichtige Verkehrsadern, über die jährlich Ein- und Ausfuhren in Höhe von etwa 5,5 Billionen US-Dollar abgewickelt werden. Auf ihnen werden auch Energieressourcen transportiert, die für die japanische, die chinesische und die südkoreanische Wirtschaft von zentraler Bedeutung sind und das Wirtschaftswachstum in der indopazifischen Region und der Welt insgesamt antreiben.
Die eng abgestimmte Reaktion Japans, der Vereinigten Staaten, der EU, Australiens, Neuseelands, Südkoreas und der NATO auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine hat gezeigt, wie wichtig es ist, mehr Synergien in den Beziehungen zwischen Japan und der NATO zu schaffen. Gerade diese stark koordinierte Reaktion hat der Ukraine geholfen, sich gegen die russische Aggression zu wehren. Bestandteile dieser Reaktion waren unter anderem Wirtschaftssanktionen, Finanzinstrumente und die Drohung, die NATO zur Verteidigung ihrer Mitglieder zu mobilisieren.
Die enge Koordinierung zeigt zudem, dass eine vielschichtige und multinationale Vorgehensweise notwendig ist, um die regelbasierte internationale Ordnung, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur in der Region, sondern auch global Frieden und Stabilität gefördert hat, zu stärken. Die Zusammenarbeit mit der NATO sollte für Japan den Austausch von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, Maßnahmen zum Schutz des Seeverkehrs und anderer Bereiche, die Stärkung von Verteidigungssystemen (auch im Cyberspace) und die Koordinierung von Übungen für Szenarien mit möglicherweise globalen Auswirkungen umfassen, etwa eine erzwungene Wiedervereinigung Taiwans mit China, ein Zwischenfall auf der koreanischen Halbinsel oder kriegerische Handlungen im Südchinesischen Meer.
Parallel zur koordinierten Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine veränderte Japan seine sicherheitspolitische Ausrichtung durch Maßnahmen auf unilateraler, bilateraler und minilateraler Ebene. Auf unilateraler Ebene verabschiedete Japan im November 2022 eine neue nationale Sicherheitsstrategie, die eine Verdoppelung der Verteidigungsausgaben innerhalb von fünf Jahren und den Erwerb von Gegenschlagskapazitäten vorsieht, um einem zunehmend schwierigen regionalen Sicherheitsumfeld begegnen zu können.
Auf bilateraler Ebene hat Japan seine Zusammenarbeit mit den USA vertieft. Zudem hat Tokio mit London und Canberra Abkommen unterzeichnet, mit denen „die Durchführung kooperativer Aktivitäten zwischen den Verteidigungskräften beider Länder erleichtert und die bilaterale Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit weiter gefördert wird“.
Daneben hat Japan minilaterale Foren wie den Quadrilateral Security Dialogue gemeinsam mit den USA, Australien und Indien, die trilaterale Zusammenarbeit mit den USA und Südkorea im Rahmen der Camp David Principles sowie die Kooperation mit den USA, Australien und den Philippinen genutzt, um seine Sicherheit durch ein verteidigungsorientiertes Zusammenwirken zu verbessern.
Cybersicherheit und Desinformation
Cybersicherheit und die Aufdeckung von Desinformation stehen ganz oben auf Japans Liste hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der NATO. Dies ist sowohl auf die Bedeutung dieser beiden Bereiche als auch auf die Erfahrungen der NATO mit russischer Desinformation zurückzuführen. Beide Bereiche werden als grenzüberschreitende, nicht-traditionelle Sicherheitsherausforderungen betrachtet, die jeden betreffen und von autoritären Kräften für Aktivitäten genutzt werden, die keinen geografischen Schwerpunkt haben. So zielt beispielsweise die von China gegenüber Taiwan und Hongkong eingesetzte Desinformation nicht nur auf chinesischsprachige Menschen dort ab, sondern auch auf ethnische Chinesen weltweit. Die Ansichten ethnischer Chinesen, die etwa in Ländern beziehungsweise Regionen wie Kanada, Japan oder der Europäischen Union leben, sollen beeinflusst werden, um auf lokale demokratische Entscheidungen und Prozesse einzuwirken.
In ähnlicher Weise hat Russlands Einsatz von Desinformation in Europa und bei den US-Wahlen 2016 Auswirkungen auf Japan und die NATO-Länder, was eine Zusammenarbeit notwendig macht. In diesem Fall umfasst die Kooperation die Identifizierung, Verfolgung und Analyse der Ursprünge sowie die Entwicklung von Abwehrinstrumenten zum Schutz offener Gesellschaften vor den schädlichen Auswirkungen von Desinformationen, die von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren verbreitet werden.
So war zu beobachten, dass China und Russland während der Coronapandemie im In- und Ausland Desinformationen über COVID-19 verbreiteten, die sich auf den Ursprung des Virus, die Wirksamkeit der Impfstoffe und die Reaktionen der verschiedenen Regierungen bezogen. Dabei ging es darum, die Unterstützung für die Politik im eigenen Land zu erhöhen und politische und soziale Spaltungen in den westlichen Staaten herbeizuführen.
Bislang dachten japanische Politiker, ihre Gesellschaft sei mehr oder weniger immun gegen Desinformation und Bedrohungen der Cybersicherheit. Kyoko Kuwahara vom Japan Institute of International Affairs (JIIA) betont in ihrer Studie zum Thema Desinformation, dass sich diese Einstellung mit dem wachsenden Bewusstsein für chinesische Aktivitäten in Okinawa zu ändern beginnt. So setzt China gezielt Desinformation ein, um eine Unabhängigkeitsbewegung auf den Ryukyu-Inseln zu fördern – als Teil einer längerfristigen Strategie zur Vertreibung der US-Truppen aus Japan. Die Kampagne in Okinawa ist ein typisches Beispiel für die Ruchlosigkeit von Desinformation. Durch die Verbreitung von Desinformationen, die die Abspaltung von Japan und die Gründung eines eigenen Staates auf den Ryukyu-Inseln unterstützen, hofft Peking, der Präsenz der US-Stützpunkte auf Okinawa, die die vorderste Verteidigungslinie der ersten Inselkette bilden, ein Ende zu bereiten.
Es wächst in Tokio auch das Bewusstsein dafür, dass Desinformationskampagnen in Taiwan, in den USA und andernorts negative Auswirkungen auf Japan selbst haben können, wie beispielsweise die Wahl eines US-Präsidenten, der möglicherweise kein glühender Befürworter der japanisch-amerikanischen Allianz, der NATO oder der Zusammenarbeit zwischen Südkorea, Japan und den USA ist.
Japan hält weiterhin an seiner traditionellen Interpretation der Ein-China-Politik fest, die Peking als Hauptstadt eines vereinten Chinas anerkennt, das Taiwan als Provinz der Volksrepublik China einschließt. Gleichzeitig erkennt es aber auch an, dass ein positives Verhältnis Taiwans gegenüber Japan für seine Sicherheitsinteressen entscheidend ist. Dieses heikle Gleichgewicht hängt mit Taiwans politischer und kultureller Verbundenheit mit Japan als demokratischem Partner und einer gemeinsamen Geschichte zusammen. Sie ist geprägt vom positiven Eindruck der taiwanischen Bevölkerung von der japanischen Kolonialzeit und der geografischen Lage Taiwans an kritischen Seeverbindungslinien, die existenziell sind für den Import und Export und über die Energieressourcen nach Japan gelangen. Deshalb ist Japan besorgt, dass Desinformationen, die vom chinesischen Festland gegen Taiwan und seine Interessen gerichtet sind, die Beziehungen zwischen Japan und Taiwan negativ beeinflussen könnten. Tokio erkennt zunehmend, dass zur Bekämpfung von Desinformation und Bedrohungen im Bereich der Cybersicherheit, die von revisionistischen Staaten wie China, Russland, Nordkorea und dem Iran ausgehen, die Koordination und Zusammenarbeit mit der NATO und gleichgesinnten Staaten wie Australien, Südkorea und Neuseeland notwendig ist.
Seeverbindungslinien
Ein weiterer Bereich der Zusammenarbeit sind die Seeverbindungslinien. Die Angriffe der Huthi-Miliz auf Schiffe, die das Rote Meer durchquerten, und die damit verbundenen Auswirkungen auf Seewege haben zahlreiche negative Folgewirkungen, von denen auch die NATO und Japan betroffen sind.
Zum einen führt die Umfahrung des Roten Meeres zu einem Kostenanstieg und einem höheren Zeitaufwand für Energietransporte. Angesichts seiner geringen Energieressourcen und der Abhängigkeit von offenen und regelbasierten Seeverbindungslinien werden Japan, aber auch verbundene Volkswirtschaften wie Südkorea, China und die Länder Südostasiens, die höheren Kosten aufgrund von Störungen auf den Seewegen tragen müssen. Dies wird den derzeitigen strukturellen Abschwung der chinesischen Wirtschaft noch verstärken und negative Auswirkungen auf Volkswirtschaften haben, die für ihr eigenes stabiles Wirtschaftswachstum auf die chinesische Wirtschaft angewiesen sind, darunter Australien, Japan, Südkorea, Taiwan oder südostasiatische Staaten, um nur einige zu nennen.
Zum anderen können sich Störungen der Seeverbindungslinien auf die Wirtschaft, die Versorgung der Länder im Indopazifik mit öffentlichen Gütern sowie die Sicherheit auswirken. Sowohl Japan als auch die NATO haben ein großes Interesse daran, dass die Seeverbindungslinien offen bleiben, damit sie in den Gebieten, die in ihren geografischen Einflussbereich fallen, Sicherheit und entsprechende Ressourcen bereitstellen können.
Aufkommende und disruptive Technologien
Ein dritter Bereich der Zusammenarbeit, an dessen Entwicklung Japan interessiert ist, sind aufkommende und disruptive Technologien, KI und Quantencomputer sowie deren Anwendungen. Außerdem sind die Bereiche Seeverkehr und Weltraum Teil der technologischen Zusammenarbeit. Der Krieg in der Ukraine wiederum zeigt die Bedeutung von logistischer Vorbereitung und Resilienz.
Bei den aufkommenden disruptiven Technologien hat die NATO neun Bereiche als vorrangig eingestuft, nämlich künstliche Intelligenz (KI), Autonomie, Quantencomputer, Biotechnologien und die Erweiterung menschlicher Kompetenzen, Hyperschallsysteme, Weltraumüberwachung (Space Domain Awareness (SDA)), neuartige Materialien und Fertigung, Energie und Antriebe sowie Kommunikationsnetze der nächsten Generation. Der innovative Einsatz der Drohnentechnologie durch die Ukraine gegen russische Angriffe hat auch dazu beigetragen, dass die NATO disruptiven Technologien und Partnerschaften in diesem Feld eine stärkere Bedeutung beimisst. Es ist wenig überraschend, dass Japan diesen Bereichen Priorität einräumt und eine Zusammenarbeit mit der NATO anstrebt, um die Entwicklung dieser Technologien mit Blick auf China, Russland und Nordkorea zu beschleunigen.
Das Individually Tailored Partnership Programme (ITPP), das auf dem NATO-Gipfel im Juli 2023 in Vilnius (Litauen) erörtert wurde, soll den Kernpartnern als zentraler Rahmen für die Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten mit der NATO dienen, wie Workshops, gemeinsamen Ausbildungsübungen, Kompetenzaufbau oder politischen Verhandlungen. Das ITPP ist eine Weiterentwicklung des Individualized Partnership and Cooperation Programme (IPCP) und könnte ein Instrument für den Beginn einer sinnvollen und dauerhaften Zusammenarbeit mit der NATO sein. Tokio sieht auch einen Wert darin, mit Institutionen wie der NATO zu kooperieren, um das internationale Image zu verbessern und geografisch weit entfernten Sicherheitspartnern die sicherheitspolitischen Herausforderungen im indopazifischen Raum bewusst zu machen.
Hindernisse für eine engere Zusammenarbeit
Bei den Bemühungen um eine vertiefte Zusammenarbeit mit der NATO steht Tokio vor mehreren Herausforderungen: Zum einen herrscht innerhalb der NATO Uneinigkeit über die Frage, worauf die begrenzten Ressourcen der NATO konzentriert werden sollen. Zum anderen sind die geografischen Grenzen des NATO-Mandats, die rechtlichen und ressourcenbezogenen Beschränkungen Japans bei der Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich sowie die begrenzte Zahl der Programme, die für eine konkrete, nachhaltige und sinnvolle Zusammenarbeit zwischen der NATO und Japan infrage kommen, zu berücksichtigen.
Japan muss Rücksicht auf die Ansichten der mittel- und osteuropäischen Staaten nehmen, die nicht wollen, dass NATO-Ressourcen in den indopazifischen Raum verlagert werden, um dem dominanten Verhalten Chinas im Südchinesischen Meer, in der Straße von Taiwan und im Ostchinesischen Meer entgegenzutreten. Aus mittel- und osteuropäischer Perspektive ist dies verständlich. Die NATO-Ressourcen sollten in der geografischen Region eingesetzt werden, die das größte Konfliktpotenzial birgt – und das ist die Grenze zu Russland.
Abgesehen davon, dass die meisten europäischen Staaten wollen, dass die NATO-Ressourcen in Europa konzentriert werden, um sich gegen ein aggressives Russland zu verteidigen, gibt es Staaten wie Ungarn, die sich weiterhin für eine schnelle Reduzierung der Unterstützung der NATO für die Ukraine und für einen Kompromiss mit Russland einsetzen. Diese Stimmen sind allerdings in der Minderheit, da die meisten NATO-Mitglieder nicht davon ausgehen, dass die Herausforderungen durch Russlands Politik in absehbarer Zeit verschwinden werden.
Für ein atlantisch ausgerichtetes Bündnis ist es schwierig, die geografische Reichweite seiner Aktivitäten auf den indopazifischen Raum auszudehnen. Für Japan vorrangige Gebiete wie das Südchinesische Meer, die Straße von Taiwan und das Ostchinesische Meer könnten für die NATO zu weit entfernt sein, um Ressourcen dorthin auszudehnen, zumal der Krieg Russlands gegen die Ukraine voraussichtlich noch Jahre andauern wird. Japan kann im besten Fall erwarten, dass die NATO ihre Ressourcen auf die Sicherung einer Seeverbindungslinie im Mittelmeer und im Roten Meer konzentriert, um zu gewährleisten, dass die Handelswege nicht durch Terrorismus oder iranische Stellvertreter wie die Huthi gestört werden.
Einer Zusammenarbeit mit der NATO sind in Japan Grenzen gesetzt, die sich aus Artikel 9 der japanischen Verfassung, aus der Trennung zwischen der nationalen Regierung und den lokalen Regierungen und schließlich aus den Ressourcen ergeben. So stellt Artikel 9 der japanischen Verfassung, der den Einsatz militärischer Gewalt als legitimes Mittel der Außenpolitik verbietet, nach wie vor ein großes Hindernis für die Förderung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit zur Bewältigung des zunehmend schwierigen Sicherheitsumfelds in Japan dar. Aufgrund dieser Beschränkung kann Japan nur eingeschränkt mit multilateralen Militärorganisationen wie der NATO zusammenarbeiten, um defensive Strategien zur Bekämpfung und Eindämmung militärischer Bedrohungen sowie hybrider und Grauzonen-Taktiken zu ermöglichen.
Nach Ansicht von Mirna Galic, Senior Policy Analyst für China und Ostasien am U.S. Institute of Peace, exisitieren innerhalb Japans noch weitere Hindernisse für eine engere Zusammenarbeit mit der NATO. So gibt es beispielsweise noch immer keinen Koordinierungsmechanismus zwischen der Zentralregierung und den lokalen Regierungen, um Maßnahmen im Falle einer akuten Krise im Indopazifik zu koordinieren. Außerdem sind die materiellen und personellen Ressourcen, die notwendig sind, um Sicherheitsherausforderungen zu bewältigen, noch nicht in ganz Japan verfügbar. Die Koordinierung zwischen den lokalen und den zentralen Behörden ist von entscheidender Bedeutung, um zu gewährleisten, dass die abstrakten Sicherheitsrichtlinien in den Teilen Japans, die bedroht sind, in konkrete Initiativen überführt werden.
Wenn eine Koordinierung mit der NATO Realität werden soll, muss ein Kommando- und Koordinierungsmechanismus eingerichtet werden, der gemeinsame Maßnahmen ermöglicht. Zudem müssen Ressourcen zugewiesen und in ganz Japan verteilt werden. Dazu zählen beispielsweise Munition, Ersatzteile, Treibstoff, Notfallausrüstung und Funkgeräte.
Notwendige Maßnahmen
Um diese Hindernisse zu überwinden, könnte Japan ein Abkommen über den gegenseitigen Zugang oder etwas Vergleichbares abschließen, sodass es den japanischen Selbstverteidigungsstreitkräften ermöglicht würde, mit den NATO-Streitkräften in Europa zu trainieren. Dadurch könnten die Interoperabilität verbessert und gemeinsame Perspektiven für die Bewältigung der sicherheitspolitischen Herausforderungen entwickelt werden, denen sich die NATO und Japan gegenübersehen. Dies wäre zwar ein wichtiger Schritt, würde aber die geografischen Beschränkungen von NATO-Aktivitäten noch nicht überwinden.
Abgesehen von diesen Beschränkungen hat der Einmarsch Russlands in die Ukraine gezeigt, dass Japan seine Aktivitäten, seine Diplomatie und seine Verteidigung koordinieren und Erfahrungen sammeln muss, um zu einer regelbasierten Ordnung beizutragen – und zwar nicht nur in seinem geografischen Einflussbereich, sondern in allen Teilen der Welt.
Gleichzeitig muss Japan gegenüber der NATO weiterhin seine ernsten Sorgen hinsichtlich der indopazifischen Region artikulieren. Ganz oben auf dieser Liste: ein Konflikt oder Spannungen in der Straße von Taiwan. Die japanischen Entscheidungsträger sind sich sehr wohl bewusst, dass derartige Entwicklungen die Seeverbindungslinien und die technologischen Versorgungsketten stören und eine existenzielle Bedrohung für Japan darstellen würden.
Solche Spannungen könnten sich zu einem regionalen Konflikt ausweiten, an dem die USA, Australien, Japan und andere Länder beteiligt wären. Vor allem aber hätte dies ökonomische Auswirkungen auf die dynamischste Wirtschaftsregion der Welt. Die Lieferketten, über die die NATO-Staaten mit wichtigen Gütern versorgt werden, würden unterbrochen. Die Unterbrechung der Lieferketten im Zusammenhang mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine wäre im Vergleich dazu vermutlich unbedeutend.
Japan muss Möglichkeiten finden, wie die NATO die Zusammenarbeit in der Region gestalten kann, um zu gewährleisten, dass die Seeverbindungslinien weiterhin sicher und weitestgehend offen sind. Alle Staaten in dieser Region sind auf stabile Seeverbindungslinien für den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit angewiesen.
Es gibt vieles, was Japan tun muss, um ein zuverlässigerer Partner für die NATO zu werden. Dazu zählt auch ein Überdenken der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, um Japan die Teilnahme an Sicherheitsoperationen zu ermöglichen. Artikel 9 der Verfassung muss auf Grundlage der realen Sicherheitslage Japans neu betrachtet werden. Auf operativer Ebene muss Japan zudem darüber nachdenken, welche Mittel es für die Zusammenarbeit mit der NATO benötigt und wo es diese Ressourcen in der Region ansiedeln kann, sodass ein sofortiger Zugriff auf sie möglich ist. Nicht zuletzt sind die Entscheidungsprozesse und Vorbereitungen innerhalb Japans für eine nahtlose Zusammenarbeit mit der NATO und anderen Sicherheitspartnern von großer Bedeutung. Zu den wichtigsten Fragen zählen hierbei: Wie sieht ein geeigneter Koordinierungsmechanismus zwischen lokalen Regierungen und der nationalen Regierung aus? Wie lassen sich Ressourcen so mobilisieren, dass Japan innerhalb und außerhalb des indopazifischen Raums komplementär mit NATO-Mitgliedern zusammenarbeiten kann?
Mögliche Lösungsansätze für diese Herausforderungen könnten Such- und Rettungseinsätze, humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe, Aktivitäten zur Seeüberwachung und eine mögliche Beteiligung an den Quad-Aktivitäten (mit den USA, Australien und Indien) und/oder an der RIMPAC-Übung (Rim of the Pacific Exercise) in der Region sein. Eine Teilnahme Japans und der NATO-Partner an Quad-Ausbildungsaktivitäten oder RIMPAC-Aktivitäten könnte geteilte Normen, gemeinsame Praktiken, Vertrauen und Kommunikation zwischen gleichgesinnten Staaten zur Verteidigung einer auf Regeln beruhenden Ordnung aufbauen.
Japan und die NATO könnten nach Wegen suchen, um mit den AUKUS-Mitgliedern (Australien, Vereinigtes Königreich und Vereinigte Staaten) zu kooperieren, um die Zusammenarbeit im Bereich der disruptiven Technologien, der KI und der Quantencomputer und ihrer Anwendungsbereiche zu verbessern. Alternativ dazu könnte eine separate Initiative für gemeinsame Forschung und Entwicklung sowie zur Anwendung von Technologien für Verteidigungs- und Wirtschaftszwecke eingerichtet werden.
Im Gegenzug wird Japan durch diese Form der Zusammenarbeit in eine Gemeinschaft gleichgesinnter Länder aufgenommen, die ein gemeinsames Verständnis für die Notwendigkeit haben, sich gegen autoritäre Staaten zu wehren. Diese wollen die regionalen Ordnungen so umgestalten, dass sich ihre Nachbarn eher autoritären Wünschen beugen als rechtlichen Normen.
Die Zusammenarbeit zwischen Japan und der NATO wird sich weiter zu einer Partnerschaft entwickeln, die öffentliche Güter und Stabilität für Regionen bereitstellt, die mit militärischer Gewalt konfrontiert sind. Bei der Weiterentwicklung dieser Partnerschaft wird es wichtig sein, Wege zu finden, die möglichst offen sind, damit Nachbarstaaten die Kooperation zwischen Japan und der NATO als eine Partnerschaft ansehen, die öffentliche Güter für die indopazifische Region zur Verfügung stellt.
Die Kooperation in nicht-traditionellen Sicherheitsfragen bei der Bekämpfung der Piraterie, der illegalen Fischerei und der Umgehung von Sanktionen könnte eine Möglichkeit für die Vertrauensbildung im Sinne einer solchen offenen Herangehensweise sein. Weitere Schwerpunkte der Zusammenarbeit zwischen Japan und der NATO sollte die Reaktion auf Grauzonen- und sogenannte Lawfare-Operationen im indopazifischen Raum sein. Zu den Grauzonen-Operationen gehört der Einsatz von chinesischen Handelsschiffen, die in die Hoheitsgewässer der Senkaku Inseln ein- und ausfahren oder sich um kleine Felsen oder Sandbänke im Südchinesischen Meer scharen. Lawfare-Operationen, wie das chinesische Küstenwachengesetz von 2021, ermöglichen es der Küstenwache in Gebieten, die sie als chinesisches Hoheitsgebiet betrachtet, Gewalt anzuwenden, was nach internationalem Recht nicht zulässig ist. Beides birgt ein hohes Risiko für Konflikte und zeigt, wie unerlässlich die Zusammenarbeit zwischen Japan und der NATO ist, um die regelbasierte Ordnung im Indopazifik zu schützen.
Sowohl Grauzonen- als auch Lawfare-Operationen könnten dazu führen, dass die Sicherheitsarchitektur des indopazifischen Raums und die regelbasierte Kontrolle der Seeverbindungslinien zugunsten der strategischen Interessen Chinas umgestaltet werden. Japan und die NATO sollten im Rahmen ihrer Zusammenarbeit und Kommunikation kreative Wege finden, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Gleichzeitig müssen sie der Region eine positive Form der Zusammenarbeit anbieten, damit die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) und andere interessierte Akteure die Zusammenarbeit zwischen Japan und der NATO als eine stabilisierende Partnerschaft wahrnehmen, die sie nicht dazu zwingt, sich zwischen China und dieser neuen Partnerschaft zu entscheiden.
Nicht zuletzt sollte die Zusammenarbeit zwischen Japan und der NATO nicht nur die sicherheitspolitischen Herausforderungen im indopazifischen Raum in den Blick nehmen, sondern auch die unzureichende Versorgung des Globalen Südens mit öffentlichen Gütern. In diesem Bereich wird die Zusammenarbeit mit vielen bereits genannten Hindernissen und Beschränkungen konfrontiert sein. Aber die Suche nach Möglichkeiten für eine konkrete Ad-hoc-Zusammenarbeit zwischen Japan und der NATO bei der Bereitstellung öffentlicher Güter für den Globalen Süden, beispielsweise bei der Sicherung von Seeverbindungslinien zum Schutz der Energie- und Ernährungssicherheit, könnte zu einer breiteren Unterstützung der Zusammenarbeit zwischen Japan und der NATO sowie der NATO und den AP4 führen.
– übersetzt aus dem Englischen –
Stephen Nagy ist Professor für Politik und Internationale Studien an der International Christian University in Tokio und Visting Fellow des Japan Institute for International Affairs (JIIA).
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