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Thomas Imo, photothek, picture alliance

Auslandsinformationen

Editorial der Ausgabe: "Anspruch und Wirklichkeit. Zur deutschen Entwicklungszusammenarbeit"

„Milliarden ohne Wirkung?“ – mit dieser Frage überschrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen in diesem Jahr erschienenen Text zu den Ausgaben für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Diese würden hierzulande zunehmend hinterfragt und ­kritisiert, heißt es darin.

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Neu ist diese Diskussion nicht: Seit Langem wird in Politik und Wissenschaft eifrig darüber gestritten, ob die hohen Summen, die Industriestaaten vor allem seit den 1960er-Jahren in die wirtschaftliche Entwicklung von Staaten in Lateinamerika, Afrika und Asien investiert haben, dort nennenswerte Fortschritte bewirkt oder – im Gegenteil – womöglich eher korrupte Eliten finanziert und damit stabilisiert haben. Diese Debatte war und ist wichtig. Denn die Entwicklungszusammenarbeit wird nur dann dauerhaft gesellschaftliche Legitimation genießen, wenn neben ihren Erfolgen auch Fehlschläge und falsche Schwerpunktsetzungen klar benannt und dann korrigiert werden. Die vorliegende Ausgabe der Auslandsinformationen soll einen kritisch-konstruktiven Beitrag zu dieser Debatte leisten.

Und wenn man die in diesem Heft enthaltenen Artikel betrachtet, kristallisiert sich tatsächlich neben den positiven Entwicklungen auch eine Reihe unterschiedlicher – teils miteinander zusammenhängender – Probleme und Herausforderungen der gegenwärtigen deutschen Entwicklungspolitik heraus, die wir angehen und aus denen wir entsprechende Rückschlüsse ziehen müssen, von denen hier einige genannt seien.

Das konkrete Handeln sollte im Vordergrund stehen, nicht das Reden darüber. Dass man nicht nur Gutes tun, sondern auch darüber reden sollte, ist eine alte Weisheit, die in gewisser Weise auch für die Entwicklungszusammenarbeit zutrifft. Wenn etwa die EU und ihre Mitgliedstaaten in vielen Regionen deutlich mehr Geld für Entwicklungs-zusammenarbeit ausgeben als China, die chinesischen Projekte im Bewusstsein der lokalen Bevölkerung aber viel präsenter sind, dann läuft in der Kommunikation tatsächlich etwas falsch. Wenn allerdings immer mehr Energie darauf verwendet wird, entwicklungspolitische Maßnahmen so zu „labeln“, dass sie das Wohlwollen einer eng umgrenzten heimischen Wählerklientel erheischen, sind wir ebenso auf dem Holzweg. Das markanteste Beispiel ist hier die Anfang 2023 ausgerufene „Feministische Entwicklungszusammenarbeit“. Die gezielte Unterstützung von Frauen war bereits seit längerer Zeit fester Bestandteil deutscher Entwicklungspolitik und ist aus offensichtlichen Gründen sinnvoll und geboten. Ob aber in Zukunft die offensive Bewerbung der entsprechenden Maßnahmen als „feministisch“ den Adressatinnen einen Zusatznutzen bringen wird, darf bezweifelt werden. Wie Stefan Friedrich und Mathias Kamp in ihrem Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Staaten schreiben, stößt diese Art der Kommunikation keinesfalls überall auf Zustimmung, sondern nährt mancherorts vielmehr Paternalismusvorwürfe. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

Tatsächliche Ergebnisse sollten der Maßstab sein, nicht gute Absichten. Dass wir mit bestimmten Werten und Idealvorstellungen in die Gestaltung von Politik – auch von Entwicklungspolitik – gehen, ist gut und richtig. Messen lassen muss sich diese Politik am Ende aber an ihren tatsächlichen Ergebnissen. Hier ist beispielsweise der Blick auf unsere Energiekooperation mit afrikanischen Staaten aufschlussreich, die Anja Berretta in ihrem Beitrag näher analysiert. Natürlich können wir unter Verweis auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes die Förderung von Brückenenergieträgern wie Erdgas in Afrika einstellen und allein auf die Förderung „grüner“ Energien setzen, wie das heute unter dem Schlagwort „just energy transition“ von deutscher Seite häufig getan wird. Dies kann allerdings in einer Welt, in der die westlichen Staaten nicht die einzigen relevanten Akteure sind, dazu führen, dass die entsprechenden Länder in Afrika ihre Gasprojekte dann eben mit türkischen, russischen oder chinesischen Partnern durchführen und wir dreifach verlieren: keine Aufträge für deutsche Firmen, schwindender Einfluss in den betreffenden Staaten und aufgrund der Verwendung schlechterer Technologie mehr Treibhausgasausstoß in die Erdatmosphäre.

Statt abstrakt eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“ zu beschwören, sollten wir in der Praxis noch konsequenter respektvolle Beziehungen mit unseren Partnern pflegen. Kaum eine Formel klingt in der Entwicklungszusammenarbeit auf den ersten Blick so erstrebenswert und ist gleichzeitig als Begriff so abgenutzt wie jene von der „Partnerschaft auf Augenhöhe“. Aber seien wir ehrlich: Augenhöhe in einer Beziehung – sei es militärisch, ökonomisch oder mit Blick auf andere Faktoren – ist kein rhetorisch von einer der beiden Seiten herbeiführbarer Zustand, sondern Ausdruck einer tatsächlichen (ungefähren) Ebenbürtigkeit. Weder ist sie also von unserem guten Willen abhängig noch ist gesagt, dass sie überhaupt in jedem Fall in unserem Interesse liegt. Unser Ziel muss eine auf gegenseitigem Respekt fußende Beziehung mit unseren Partnern in der Entwicklungszusammenarbeit sein. Auf diesem Weg haben wir in den vergangenen Jahrzehnten zweifellos Fortschritte gemacht. Nach wie vor können und müssen wir allerdings in den drei Dimensionen, die eine solche Beziehung beinhaltet, (wieder) besser werden.

Erstens: Einen Partner zu respektieren heißt, ihn als handelndes Subjekt zu begreifen. Dass jedes Handeln innerhalb von Strukturen stattfindet, sollte ebenso unbestritten sein wie die Tatsache, dass beispielsweise im Falle der meisten afrikanischen Staaten Strukturen, die in der Kolonialzeit geschaffen wurden, teilweise bis heute nachwirken. Vermeiden müssen wir aber einen Diskurs, in dem diese Länder nur noch als passive Opfer widriger Gegebenheiten erscheinen, an denen die westlichen Staaten die Schuld tragen und an denen nur die westlichen Staaten etwas ändern können. Denn dies würde nicht nur eine groteske Selbstüberschätzung unsererseits bedeuten, sondern auch die lokalen Eliten in unseren Partnerstaaten unzulässig aus der Pflicht nehmen.

Zweitens: In einer respektvollen Beziehung dürfen wir nicht nur, wir sollten unsere eigenen Interessen und Handlungszwänge offen kommunizieren. Hilfe aus Mitmenschlichkeit kann in der Entwicklungspolitik eine Rolle spielen. Dass wir aber durchgängig nur aus diesem Motiv heraus handeln, glaubt ohnehin niemand. Sprechen wir also unsere Interessen in der Entwicklungszusammenarbeit – von wirtschaftlichen Vorteilen über den Klimaschutz bis hin zu politischer Stabilität und der Reduktion von ungesteuerter Migration – offen aus. Dies steigert die Akzeptanz „zu Hause“ und erhöht unsere Glaubwürdigkeit bei den Partnern. Das Beispiel Jordanien, das Edmund Ratka in dieser Ausgabe näher betrachtet, zeigt, dass Entwicklungspolitik auch geostrategischen Überlegungen folgen kann und darf.

Drittens: Unsere Partner zu respektieren bedeutet, deren Interessen ernst zu nehmen – und das nicht nur, wenn sie uns gefallen. Auch hier ist der Blick auf unsere Energiezusammenarbeit mit afrikanischen Staaten erhellend. Selbstverständlich können wir die Erderwärmung nicht allein im Kreise der traditionellen Industriestaaten aufhalten. Zentrales Interesse vieler Länder ist aber zunächst einmal Energiesicherheit. Unterstützen wir in anderen Staaten ausschließlich die Nutzung erneuerbarer Energien, während wir selbst uns in Zeiten von Energieknappheit mehr Kohle gönnen, entsteht bei unseren Partnern zu Recht der Eindruck, unsere Energiesicherheit zähle, ihre aber nicht.

Die Wirtschaft darf nicht in den Hintergrund geraten. Entwicklungszusammenarbeit ist heute viel mehr als die Unterstützung wirtschaftlichen Fortschritts in einzelnen „Empfängerstaaten“. Sie umfasst unterschiedlichste Bereiche, von der Rechtsstaatszusammenarbeit, die Pavel Usvatov und Julia Leitz in dieser Ausgabe analysieren, über den Schutz der Umwelt bis hin zur Entwicklung, Produktion und Verteilung von Impfstoffen. Das ist auch richtig, denn globale Herausforderungen wie der Klimawandel oder Pandemien erfordern Anstrengungen auch in der Entwicklungspolitik. Dennoch bleiben die wirtschaftliche Entwicklung und die Armutsreduktion die dringendsten Anliegen vieler Partnerstaaten. Und das ist angesichts der fortbestehenden Defizite in diesen Bereichen nur zu verständlich. Diese Anliegen müssen sich auch in der Prioritätensetzung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit widerspiegeln. Eine entscheidende Rolle kommt hierbei der Privatwirtschaft und dem Handel zu. So begrüßenswert es also ist, dass Deutschland beispielsweise die Umsetzung der Afrikanischen Freihandelszone stark fördert, so bedauernswert ist es, dass bei der Einbindung der deutschen Unternehmen in unsere Entwicklungspolitik eher Rückschritte zu verzeichnen sind. Wenn bei wirtschaftlichen Verbesserungen in unseren Partnerländern auch deutsche Unternehmen profitieren, stört das dort niemanden – und so sollte es auch in Deutschland sein.

Konzentration auf das Wesentliche: Vielleicht ist das die Schlussfolgerung, die am besten die hier ausgeführten Punkte auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Und sie ist in Zeiten klammerer Kassen umso dringlicher zu befolgen. Doch nicht nur das – auch das internationale Umfeld und innenpolitische Entwicklungen in einer Reihe von Partnerstaaten lassen eine gewisse Bescheidenheit ratsam erscheinen. Es gibt viele Ziele und Werte, die wir als richtig erachten und die wir gerne auch über das Vehikel unserer Entwicklungszusammenarbeit in unseren Partnerländern verwirklichen würden. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl derer, die diese Ziele teilen, auf der Welt zuletzt nicht größer geworden ist. Man denke nur an die Sahelregion, wo in den vergangenen Jahren ein Land nach dem anderen zum Schauplatz von Militärputschen geworden ist. Ziehen wir uns mit unserer Entwicklungszusammenarbeit aus Ländern, die mit Blick auf Regierungsform und gesellschaftspolitische Orientierung unseren Präferenzen widersprechen, ganz zurück? Können und sollten wir die Zusammenarbeit gegebenenfalls komplett an der jeweiligen Regierung vorbei fortführen? Auf solche Fragen müssen wir auf Grundlage einer nüchternen Debatte nuancierte Antworten finden. Maßstab müssen unsere Interessen und die voraussichtlichen entwicklungspolitischen Konsequenzen unserer Entscheidungen sein – nicht, wie wir uns dabei fühlen.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr

Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai), stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung (gerhard.wahlers@kas.de).

 

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