Ausgabe: 2/2021
Viel hat sich in diesen sechs Jahrzehnten verändert. Nicht nur sprechen wir heute von Entwicklungszusammenarbeit (EZ) statt von Entwicklungshilfe, um zu verdeutlichen, dass die beteiligten Länder in Partnerschaft und zum beiderseitigen Vorteil handeln. Auch der Kreis der Staaten, die EZ betreiben, beschränkt sich längst nicht mehr auf westliche Industriestaaten, sondern ist heute so bunt wie nie. Länder, die noch vor 20 Jahren zu den größten EZ-Empfängern gehörten, finden sich inzwischen auf der Geberseite wieder. Und längst nicht alle teilen die Auffassung, dass zu gelungener Entwicklung auch ein Mehr an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehört.
Die Aufgaben, denen sich EZ stellen muss, sind komplexer denn je: Entwicklungszusammenarbeit beschränkt sich nicht auf die Verbesserung der Lebensbedingungen in einzelnen Partnerstaaten. Vielmehr ist sie zu einem wichtigen Baustein bei der Bewältigung globaler Herausforderungen geworden. Als Stichworte seien hier Sicherheit, Migration, Klimaschutz oder die Pandemieprävention genannt. Zeit also, einen Blick auf gegenwärtige Trends und Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit zu werfen und uns zu fragen, wie die deutsche EZ in diesem Umfeld bestehen kann.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat vor diesem Hintergrund vor gut einem Jahr seine „BMZ 2030“-Reform vorgestellt. Dahinter steht unter anderem das Ziel, mehr Effizienz und Wirkung in der Entwicklungspolitik zu erreichen. Zwei Aspekte müssten nach Ansicht von Veronika Ertl, die eine erste Zwischenbilanz der Reform zieht, bei dieser Neuaufstellung der deutschen EZ besonders betont werden: Erstens sollte Deutschland Allianzen mit anderen Geberstaaten jenseits der OECD schmieden. Zweitens sollte es sein Profil als wertegebundenes Geberland schärfen.
Die Wirksamkeit öffentlicher Entwicklungsausgaben muss immer wieder hinterfragt und auch dokumentiert werden. Hierfür gibt es in vielen Organisationen eigene Abteilungen, die sich mit Monitoring und Evaluierung (M&E) beschäftigen. Doch M&E kann und sollte mehr leisten, so das Plädoyer von Angelika Klein und Lukas Kupfernagel, die sich für ein erweitertes Rollenverständnis aussprechen, das den Akzent stärker auf Beratung als auf Kontrolle legt.
Die Coronapandemie hat uns die Relevanz globaler Gesundheitsfragen eindrücklich vor Augen geführt. Seien es vom Tier auf den Menschen überspringende Krankheitserreger (Zoonosen) oder antimikrobielle Resistenzen: Vieler Probleme können wir nur Herr werden, wenn in der Entwicklungszusammenarbeit eine gesunde Natur, gesunde Tiere und gesunde Menschen zusammen gedacht werden, unterstreicht Martina Kaiser in ihrem Beitrag zum One Health-Ansatz.
Entwicklungszusammenarbeit reflektiert stets auch die Interessen und Werte der Geber. So sind Standards hinsichtlich Demokratie und Menschenrechten oft Bestandteil westlicher EZ. Dass diese Standards in Konflikt mit anderen Interessen geraten und sich nicht immer als reine Lehre durchsetzen lassen, zeigt Carolin Löprich anhand der Budgethilfe der EU für Äthiopien. Andere Geberstaaten dagegen erheben grundsätzlich erst gar keine Ansprüche an Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit – allein schon, weil sie ihnen selbst nicht genügen. Aber betreiben Länder wie China, Russland oder die Türkei in Afrika sogar eine explizite Autokratieförderung? Dieser Frage geht Mathias Kamp in seinem Artikel nach.
David Merkle wiederum lenkt den Blick nach Ostasien, wo Taiwan zeigt, wie auch ein kleines, von nur wenigen Staaten diplomatisch anerkanntes Land mit seiner EZ Akzente setzen kann. Ganz bewusst nutzt Taiwan dieses Politikfeld, um seinen außenpolitischen Handlungsspielraum zu erweitern und sich als innovatives und demokratisches Gegenmodell zur Volksrepublik China zu profilieren.
Auch am Beispiel der „pragmatischen Giganten“, wie Fabian Blumberg die Golfstaaten hinsichtlich ihrer Entwicklungszusammenarbeit nennt, zeigt sich noch einmal deutlich, wie sehr eigene Interessen in die Gestaltung von EZ hineinspielen. Gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung zählten etwa Kuwait oder die Vereinigten Arabischen Emirate in jüngerer Vergangenheit zu den zehn größten bilateralen Gebern weltweit. Was hier noch EZ ist und was Investment, ist oftmals kaum trennscharf abzugrenzen.
Eines ist also klar: Deutschland und andere westliche Geber sind heute nicht mehr allein auf dem Feld der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Die Aufgabe der kommenden Jahre wird darin bestehen, einerseits mit Blick auf globale Herausforderungen auch solche Akteure miteinzubeziehen, die unsere Werte nicht teilen. Auf der anderen Seite sollten wir weiter unserer Überzeugung folgen, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in den Partnerländern ein wesentlicher Bestandteil erfolgreicher und nachhaltiger Entwicklung sind. Einen Verbündeten haben wir dort – wie Mathias Kamp am Beispiel Afrikas betont – in der Regel auf unserer Seite: die Bürgerinnen und Bürger.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.
Ihr
Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai), stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung (gerhard.wahlers@kas.de).