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Auslandsinformationen

Editorial der Ausgabe: „Unterm Radar. Die verdrängten Krisen der Welt“

Der Angriff der Hamas auf Israel und dessen Folgen sowie der Krieg Russlands gegen die Ukraine haben in den vergangenen zwei Jahren die außenpolitischen Diskussionen in Deutschland geprägt. Das hat Gründe: Mit Israel wurde im Oktober 2023 ein Staat angegriffen, für dessen Sicherheit sich unser Land richtigerweise in besonderem Maße verantwortlich fühlt. Der Angriff Russlands auf die Ukraine wiederum bedroht die Sicherheit Deutschlands und Europas unmittelbar. Beide Staaten – Israel wie die Ukraine – sehen sich zudem mit Gegnern konfrontiert, die ihre schiere Existenz bedrohen. Gleichwohl ist es wichtig, auch andere Konfliktherde nicht aus den Augen zu verlieren.

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Liebe Leserinnen und Leser,

Der Angriff der Hamas auf Israel und dessen Folgen sowie der Krieg Russlands gegen die Ukraine haben in den vergangenen zwei Jahren die außenpolitischen Diskussionen in Deutschland geprägt. Das hat Gründe: Mit Israel wurde im Oktober 2023 ein Staat angegriffen, für dessen Sicherheit sich unser Land richtigerweise in besonderem Maße verantwortlich fühlt. Der Angriff Russlands auf die Ukraine wiederum bedroht die Sicherheit Deutschlands und Europas unmittelbar. Beide Staaten – Israel wie die Ukraine – sehen sich zudem mit Gegnern konfrontiert, die ihre schiere Existenz bedrohen.

Gleichwohl ist es wichtig, auch andere Konfliktherde nicht aus den Augen zu verlieren. Denn auch Konflikte, die jahrelang unter dem Radar flogen, können plötzlich und unerwartet wieder eskalieren beziehungsweise neue Wendungen nehmen, wie das Beispiel Syrien jüngst eindrücklich gezeigt hat. „Krisen gehen nicht einfach weg“, stellt die Afghanistan-Expertin Ellinor Zeino in dieser Ausgabe der Auslandsinformationen fest. Tatsächlich sind sie zahlreich und vielgestaltig. Das beginnt bei innerstaatlichen Konflikten, die häufig durch die Einmischung externer Akteure eine enorme Komplexität erhalten. Ein Beispiel dafür ist der Konflikt im Osten der Demokratischen Republik Kongo, den Jakob Kerstan in seinem Beitrag analysiert. Das Spektrum geht weiter über die Bedrohung durch Terroristen sowie hausgemachte humanitäre Krisen, wie sie Maximilian Strobel mit Blick auf Kuba skizziert. Und es reicht bis zu den auch sicherheitsrelevanten Auswirkungen des Klimawandels. Frederick Kliem und Timm Anton arbeiten diese in ihrem Text über Südasien heraus.

Die Frage, wie Deutschland – gemeinsam mit seinen Partnern – in Zukunft bei internationalen Krisen seine Interessen wirkungsvoll verteidigen kann, bleibt also auf der Tagesordnung. Ein institutioneller Ausdruck dieser Erkenntnis ist die Enquete-Kommission, die der Bundestag im Sommer 2022 mit dem Auftrag eingesetzt hat, aus dem zwanzigjährigen Afghanistan-Einsatz Lehren für künftige deutsche Beteiligungen an internationalen Krisenmissionen zu ziehen. Der Abschlussbericht der Kommission steht noch aus. Klar ist aber, dass es in Deutschland erheblicher Anstrengungen bedarf, um das Missverhältnis zwischen unseren Zielen und den zur Verfügung stehenden Ressourcen – man könnte auch sagen: die krasse Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutscher Außenpolitik – zu überbrücken.

Zu diesen Ressourcen gehören die Schlagkraft der Bundeswehr und die Stärke der deutschen Wirtschaft. Hinsichtlich der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sind zwar seit 2022 einige Fortschritte zu beobachten, diese reichen aber bei Weitem nicht aus – zumal das ohnehin bislang nur sporadisch erreichte Zwei-Prozent-Ziel der NATO nach der erneuten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten obsolet sein dürfte. Und die Wirtschaft? Dort überwiegt derzeit der Pessimismus. Ohne eine Bundeswehr auf der Höhe der Zeit und eine starke Wirtschaft aber fehlen der deutschen Außenpolitik wichtige Einflusshebel. Sie sieht sich dann in vielen Fällen auf moralische Appelle und den Verweis auf das Völkerrecht reduziert, das allerdings, wie Franziska Rinke und Philipp Bremer in ihrem Artikel hervorheben, aus sich selbst heraus Krisen und Kriege nicht zu beenden vermag.

Neben diesen materiellen Ressourcen mangelte es in der Vergangenheit auch an einer immateriellen Ressource, nämlich der Fähigkeit zu strategischem Denken. Die Symptome: häufige Verwechslung von Wunsch und Wirklichkeit sowie die Überbetonung guter Absichten bei Vernachlässigung der tatsächlichen Folgen der eigenen Politik. Diesen Mangel zu beheben, ist schwierig, aber wichtig. Ein sinnvoller Vorschlag ist in diesem Zusammenhang die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats, wie er in vielen anderen Ländern existiert. Ein solches Gremium ist sicher kein Allheilmittel, könnte aber geeignet sein, ein ganzheitliches Auftreten unseres Außenhandelns zu garantieren.

Um das oben beschriebene Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu korrigieren, ist auch eine Neujustierung bei den Zielen und Ansprüchen nötig. Dies sollte auf eine klare Prioritätensetzung und Selbstbeschränkung auf mehreren Ebenen hinauslaufen. Das betrifft erstens die Frage, wo wir uns engagieren. Leicht kann bei jeder Krise der Impuls aufkommen, zu fordern: Da muss Deutschland doch etwas tun! Die Wahrheit jedoch ist: Deutschland allein, aber auch Europa oder sogar der politische Westen insgesamt haben nicht die Kraft und den Willen, in jede Krise auf der Welt entscheidend einzugreifen.

Priorität wird auf absehbare Zeit die Landes- und Bündnisverteidigung haben. Jenseits dessen sollte der Schwerpunkt für Deutschland auf seiner unmittelbaren europäischen Nachbarschaft sowie der Sicherung wichtiger Handelsrouten liegen. Schon hier kommen Deutschland und Europa derzeit an die Grenzen ihrer militärischen und politischen Kapazitäten, wie die Beiträge von Jakov Devčić und Daniel Braun zum Kosovo-Konflikt sowie von Stephan Malerius zu den verschiedenen Krisen im Südkaukasus genauso zeigen wie die Schwierigkeiten Deutschlands, der EU-Mission zum Schutz der Handelsroute durch das Rote Meer und den Golf von Aden dauerhaft die entsprechenden Kriegsschiffe zur Verfügung zu stellen. Auf der anderen Seite wird es immer Krisen und Konflikte geben, die uns zurecht empören, die aber nicht unmittelbar unsere Kerninteressen berühren. Moritz Fink und Saw Kyaw Zin Khay schildern in ihrem Artikel eindrücklich den mutigen Kampf vieler Bürger gegen die Militärjunta in Myanmar, die ihnen die Wahl von 2020 durch einen Putsch gestohlen hat und seitdem Krieg gegen das eigene Volk führt. Zur Ehrlichkeit gehört aber, dass Deutschland und die EU hier keine entscheidende Rolle spielen werden.

Selbstbeschränkung ist zweitens auch bei der Frage geboten, welche Ziele wir verfolgen, wenn wir uns entscheiden, in eine bestimmte Krise einzugreifen. Die Erkenntnis, dass umfassende State-Building-Einsätze – Extrembeispiel: Afghanistan – weitgehend gescheitert sind, ist lange gereift. Vieles deutet darauf hin, dass eine Beschränkung auf klar umgrenzte Ziele, die deutsche und europäische Kerninteressen betreffen, ein gutes Konzept für künftige Engagements sein könnte.

Ein solches Ziel ist die Terrorismusbekämpfung. Ein weiteres ist die Vermeidung massenhafter Migration nach Europa. Folgerichtig plädieren Steffen Krüger, Gregory Meyer und Nils Wörmer in ihrem Beitrag zum Krieg im Sudan dafür, das politische und wirtschaftliche Kapital Deutschlands und Europas in dem Versuch zu bündeln, für die rund dreizehn Millionen Sudanesinnen und Sudanesen, die durch den Konflikt ihre Heimat verlassen mussten, innerhalb des Landes oder in unmittelbarer Nachbarschaft menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten.

Unsere Ansprüche sollten wir – drittens – auch bei der Wahl der Ansprechpartner herunterschrauben, die vor Ort in der Lage sind, nachhaltig Einfluss auf die Entwicklung von Krisen zu nehmen. In den seltensten Fällen werden diese Ansprechpartner unseren demokratischen und gesellschaftspolitischen Idealvorstellungen entsprechen, in manchen werden sie diesen sogar diametral entgegenstehen. Dennoch sollten wir den Dialog zumindest dort suchen, wo es möglicherweise Interessenüberschneidungen bei für uns wichtigen Fragen gibt.

Und unsere Werte? Diese bilden auch zukünftig Grundlage und Orientierung für unser Handeln. Dabei dürfen wir durchaus selbstbewusst auftreten. Nicht zuletzt die politischen Stiftungen treten weltweit für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ein, arbeiten mit Parteien und Parlamenten in einer Vielzahl von Ländern zusammen. Dabei darf die deutsche und insgesamt die westliche Politik den jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Kontext jedoch nicht außen vor lassen. Denn auch wenn es ohne Frage gut ist, dass etwa Frauen in Afghanistan zwei Jahrzehnte lang bessere Lebensperspektiven und mehr Rechte hatten und diese Erfahrung möglicherweise die politische Zukunft Afghanistans noch beeinflussen wird, müssen wir zunächst feststellen: Es war nicht nachhaltig. Die Taliban waren zwanzig Jahre nach ihrem Sturz 2001 wieder da. Der Unterschied zu damals: Der Westen ist erschöpfter – militärisch wie politisch. Das hilft niemandem außer den Feinden jener freiheitlichen Werte, die wir verteidigen möchten.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr

Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai), stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung (gerhard.wahlers@kas.de).

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