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„Eine weltweite Stärkung der Gesundheitssysteme zahlt sich für alle aus“

von Samuel Krug
Ein Gespräch mit Dr. Christopher Elias, Vorsitzender der Abteilung für Globale Entwicklung der Bill & Melinda Gates-Stiftung

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Ai: Dr. Elias, Sie sind Vorsitzender der Abteilung für Globale Entwicklung der Bill & Melinda Gates-Stiftung. Können Sie uns einen Überblick über die Tätigkeiten der Stiftung – ins­besondere über die Tätigkeiten Ihrer Abteilung – im Bereich der Globalen Gesundheit geben?

Christopher Elias: In der Bill &Melinda Gates-Stiftung sind wirdavon überzeugt, dass jeder Mensch die Möglichkeit haben sollte, ein gesundes, erfülltes Leben zu führen. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten wir vor allem in Gebieten, in denen der größte Bedarf besteht. Dort können wir am meisten bewegen, weil wir bereit sind, Risiken einzugehen, die andere nicht eingehen können oder wollen, und weil wir dabei helfen können, Märkte so zu gestalten, dass sie auch den Armen dienen. Unsere Abteilung für Globale Gesundheit deckt verschiedene Bereiche ab: von der Forschung und Praxis über die Impfstoff­entwicklung bis hin zum Kampf gegen vernachlässigte tropische Krankheiten. Das Ziel ist, neue Gesundheitsprodukte zu entwickeln, die den Kampf gegen die Hauptursachen für Tod und Invalidität in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen unterstützen. Die Abteilung für Globale Entwicklung arbeitet mit Partnern auf der ganzen Welt daran, verfügbare und wirkungsvolle Hilfsmittel wie Impfstoffe, Medikamente, Diagnosen und Methoden der Familienplanung für alle zugänglich zu machen. Der Fokus dieser Arbeit liegt darauf, Ländern in Afrika und Asien dabei zu helfen, eine effektive medizinische Grundversorgung aufzubauen. Dies ist auch ein Impuls, um andere wichtige globale Ziele wie die Polio-Ausrottung ins Visier zu nehmen.

Ai: Welche Herausforderungen der Globalen Gesundheit sind Ihrer Meinung nach im Hinblick auf diese globale Perspektive die dringlichsten?

Christopher Elias: Es wird davon ausgegangen, dass allein in diesem Jahr fünf Millionen Kinder ihren fünften Geburtstag nicht erleben werden. Hunderte Millionen weitere werden unter Krankheiten und Unterernährung leiden und dadurch nicht ihr volles Potenzial entfalten können. Es gibt bereits sehr gute Lösungen für viele dieser Probleme, warum also sterben immer noch so viele an vermeidbaren Krankheiten? Ich investiere viel Zeit in der Gates-Stiftung mit Forschern, Vertretern der Zivilgesellschaft und Regierungen, um zu verstehen, warum effektive Hilfsmittel wie Impfstoffe und Moskitonetze noch immer nicht alle Menschen erreichen, die diese brauchen. Märkte funktionieren nur selten für die ärmsten Bevölkerungsgruppen. Deshalb versuchen wir, Marktversäumnisse auszugleichen, indem wir in neue Mittel investieren, um Infektionskrankheiten zu bekämpfen und die Mütter- und Kindersterblichkeit zu verringern. Wir arbeiten außerdem mit globalen Partnern daran, Gesundheitssysteme zu stärken und die Bereitstellung effektiver Mittel zur Gesundheitsförderung zu finanzieren. Diese Investitionen zahlen sich aus, weil sie Millionen Menschen dabei helfen, ein gesünderes und erfüllteres Leben zu führen. Es ist schlichtweg inakzeptabel, dass alle zwei Minuten ein Kind an Malaria stirbt oder täglich fast 1.000 junge Mädchen und Frauen, vor allem in Entwicklungsländern, mit HIV infiziert werden. Der Geburtsort eines Menschen sollte nicht über seine Lebenschancen entscheiden. Gesundheits- und Wirtschaftssysteme, die alle Bevölkerungsschichten versorgen, kommen im Endeffekt der ganzen Welt zugute.

Ai: Wie sieht bei Ihnen die Bereitstellung einer medizinischen Grundversorgung und die Kooperation mit staatlichen Akteuren aus?

Christopher Elias: Trotz enormer Fortschritte in der Globalen Gesundheit hat die Hälfte der 7,3 Milliarden Menschen auf der Welt immer noch keinen Zugang zu essenziellen Gesundheitsdienstleistungen. Um diese Lücke zu schließen, müssen stabile Gesundheitssysteme aufgebaut werden, die auf einer starken medizinischen Grundversorgung basieren. Sie ist der Grundstein eines jeden Gesundheitssystems und kann den Großteil der gesundheitlichen Bedürfnisse der Menschen decken. Es ist der vertraute Ort in ihren Gemeinden, an dem Menschen eine Reihe von grundlegenden Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen können – von Impfungen über die Betreuung von Müttern und Neugeborenen bis hin zur Familienplanung.

Die Stiftung arbeitet unmittelbar mit Regierungen in einzelnen Ländern zusammen, um diesen bei der Verbesserung ihrer medizinischen Grundversorgungssysteme zu helfen. Mit dem äthiopischen Gesundheitsministerium arbeiten wir zum Beispiel daran, sogenannte Dashboards zu entwickeln, um die Daten zu medizinischen Grundversorgungssystemen besser zu visualisieren und anschließend für eine Entscheidungsfindung nutzen zu können.

In anderen Fällen unterstützen wir Regierungen dabei, die Stärken ihres Privatsektors zu nutzen, um noch mehr Menschen zu versorgen. Unsere Investitionen in Africa Health Markets for Equity ermöglichen es der öffentlichen Beschaffungspolitik in Ghana und Kenia, kleine private Kliniken zu beauftragen, um den Armen bezahlbare und qualitativ hochwertige Dienstleistungen anzubieten.

Ai: Doch Sie sind nicht nur in stabilen Staaten aktiv. Inwieweit beeinflussen politische Unruhen und prekäre Sicherheitslagen die Arbeit der Stiftung vor Ort?

Christopher Elias: Unsere Arbeit widmet sich hauptsächlich der Verbesserung der Gesundheit, der Ausrottung der Armut und der Unterstützung eines wirtschaftlichen Wachstums, das den Armen Chancen bietet. Diese langfristige Entwicklungsarbeit ist inmitten eines Konflikts schlicht unmöglich. In solch einer Situation müssen sich humanitäre Organisationen darauf konzentrieren, Soforthilfe zu leisten anstatt die grundlegenden Probleme anzusprechen, die die Menschen in armen Verhältnissen daran hindern, ihr volles Potenzial zu entfalten. Letzteres erfordert einen Grad an Stabilität, der in einem Kriegsgebiet nicht gegeben ist. Die Sicherheitslage eines Landes oder einer Region hat also zwangsläufig Auswirkungen auf unsere Arbeit.

Ai: Könnten Sie uns dafür ein Beispiel geben?

Christopher Elias: Die Gates-­Stiftung investiert viel Zeit in die weltweite Ausrottung von Polio. Die Krankheit ist kurz davor, nach den Pocken zur zweiten den Menschen bedrohenden Krankheit zu werden, die erfolgreich ausgerottet werden konnte. Von den 125 Ländern, in denen Polio zu Beginn der Ausrottungskampagne endemische Ausmaße angenommen hatte, haben 122 die Krankheit bereits ausgerottet. Lediglich drei der Länder werden nach wie vor als endemisch für die Krankheit eingestuft und nur in zwei Ländern – Afghanistan und Pakistan – kann eine Krankheitsübertragung beobachtet werden. Es ist kein Zufall, dass Afghanistan und Pakistan die letzten Barrieren im Kampf gegen die Krankheit darstellen. Beide Länder haben große Regionen mit schwer erreichbaren und anfälligen Bevölkerungsgruppen sowie Kriegs- und Krisengebiete, in denen sich die Ausrottung von Epidemien besonders schwierig gestaltet. Gleichzeitig sind solche Gebiete auch besonders anfällig für den Ausbruch und die Übertragung von Krankheiten, wie es sich bei Ebola in Sierra Leone und Liberia oder der Cholera im Kongobecken sowie am Horn von Afrika gezeigt hat. Die Herausforderung ist, dass die Krankheit bis zu ihrer vollständigen und flächendeckenden Ausrottung jederzeit wieder ausbrechen und sich weltweit ausbreiten kann. Deshalb sagen wir: Ist irgendwo Polio, ist überall Polio.

Ai: Zu Ihren globalen Partnern: die Stiftung arbeitet intensiv mit Staaten zusammen, allen voran mit den Vereinigten Staaten. Zieht sich Washington mit der aktuellen Regierung aus seiner Rolle im Bereich der Globalen Gesundheit zurück?

Christopher Elias: Seit Jahrzehnten sind die Vereinigten Staaten führend im Kampf gegen Krankheiten und Armut in anderen Ländern. Diese Bestrebungen retten Leben und führen zu wichtigen Durchbrüchen in Wissenschaft und Technologie. Amerikanische Politiker sehen hier die Möglichkeit, die Vereinigten Staaten selbst sicherer zu machen, indem Gesundheitsrisiken erkannt und eingedämmt werden, bevor sie sich zu Pandemien entwickeln. Bisher gab es für diese Arbeit eine parteiübergreifende Unterstützung. Die globale HIV/AIDS-Initiative der USA PEPFAR (President’s Emergency Plan for AIDS Relief) beispielsweise wurde 2003 von Präsident Bush ins Leben gerufen und seitdem zweimal vom Kongress verlängert – beide Male mit deutlichen Mehrheiten. Als starker internationaler Partner und Verbündeter hat Deutschland zusammen mit den USA die Finanzierung der größten weltweiten Gesundheitsfonds sichergestellt, was uns große Fortschritte ermöglichte. Zu diesen Fonds gehören der Globale Fonds, Gavi, die Impf­allianz und die GPEI (Global Polio Eradication Initiative). Die Führungsinitiave durch den Präsidenten ist wichtig, doch auch die Unterstützung durch den Kongress bleibt unerlässlich. Wir sind zuversichtlich, dass sowohl der Präsident als auch der Kongress die weltweite Sicherstellung von Gesundheit weiterhin als fundamentales Interesse der Vereinigten Staaten betrachten werden.

Ai: Sie befürchten also nicht, dass die Tendenz zu „America First” den Fortschritt weltweiter Initiativen zur Globalen Gesundheit gefährden könnte?

Christopher Elias: Wir sind sehr besorgt über einige der politischen Entscheidungen, die unter dem Motto „America First“ getroffen wurden. Allerdings gibt es in den Vereinigten Staaten eine starke Unterstützung verschiedener Regierungszweige, ganz zu schweigen vom Privatsektor, der Zivilgesellschaft und der allgemeinen Öffentlichkeit, für globale Gesundheitsinitiativen. Diese Unterstützung muss ihren Ausdruck in Form von Mitteln für Einrichtungen finden, die grundlegende Gesundheitsdienste bereitstellen, sowie für diejenigen, die die medizinische Forschung vorantreiben, insbesondere bei armuts­bedingten Krankheiten. In den meisten Fällen ist diese Form der Unterstützung gegeben. Doch es gibt eindeutig einen erheblichen, noch nicht befriedigten globalen Bedarf.

Ai: Sicherlich kann man nicht davon ausgehen, dass ein einziges Land die Sicherheit der weltweiten Gesundheit garantieren kann. Welche Rolle könnte und sollte Deutschland in diesem Bereich spielen?

Christopher Elias: Mehr als je zu- vor ist eine Führungsrolle Deutsch- lands für den Erfolg dieser Arbeit von zentraler Bedeutung. Deutschland ist historisch gesehen der viertgrößte staatliche Geber des Globalen Fonds. Diese Unterstützung hat Millionen Leben gerettet. Deutschlands dauerhafte Führungs- und Einsatzbereitschaft ist auch für die GPEI wichtig, die dieses Jahr ihre Strategie für die Jahre 2019 bis 2023 vorstellen wird. Dank der GPEI, ihren Partnern und ihren Geldgebern können wir weltweit einen 99-prozentigen Rückgang von Polio-Fällen verzeichnen. Um diese Krankheit endgültig auszurotten und den Grundstein für eine Zukunft ohne Polio zu legen, brauchen wir die kontinuierliche Unterstützung von Hauptgeldgebern wie Deutschland.

Aus diesem Grund bin ich vor allem für die unverzichtbare und führende Rolle dankbar, die Deutschland im Entwicklungs- und Gesundheitssektor spielt. Während der erfolgreichen G7- und G20-Präsidentschaften hat Deutschland die Wirtschaftsmächte der Welt zusammengeführt, um neue Vereinbarungen zu treffen, die noch mehr Menschen Zugang zu Gesundheitsmaßnahmen ermöglichen. Das bedeutet mehr Sicherheit für alle.

Um grenzüberschreitend Ergebnisse auf einem hohen Niveau zu erzielen, brauchen wir Investitionen in Forschung und Entwicklung, bei der die Probleme armer Menschen im Mittelpunkt stehen. Außerdem brauchen die starken multilateralen Organisationen Investitionen, um weiterhin Gesundheitsmaßnahmen zu den Ärmsten zu bringen. Deutschlands Rolle ist in diesen Bereichen im wahren Sinn des Wortes führend.

Ai: Die Stiftung arbeitet nicht nur mit Regierungen, sondern auch mit nicht-staatlichen Partnern und internationalen Organisationen wie der WHO zusammen. Welcher Gedanke liegt diesen Partnerschaften zugrunde?

Christopher Elias: Während Regierungen eine zentrale Rolle bei der Verbesserung der medizinischen Grundversorgung für ihre Bevölkerung spielen, bieten Geldgeber einen wichtigen Anreiz für den nachhaltigen Fortschritt.

Wir können dabei helfen, die globalen öffentlichen Güter zu entwickeln, die für die Stärkung der medizinischen Grundversorgung nötig sind, wie z. B. einen verbesserten Informationsfluss. Viele Länder sehen die medizinische Grundversorgung zwar als Priorität an, haben aber nicht die nötigen Informationen, um die anvisierten Ziele zu erreichen. Aus diesem Grunde ist die Stiftung eine Partnerschaft mit der Weltbank und der Welt­gesundheitsorganisation eingegangen, um die Primary Health Care Performance Initiative (PHCPI) ins Leben zu rufen, die Regierungen mit den nötigen Daten, Informationen und der nötigen Unterstützung versorgt, um eine faktenbasierte Verbesserung der medizinischen Grundversorgungssysteme in Gang zu setzen. Im vergangenen Herbst arbeitete die PHCPI mit zwölf Vorreiter-Regierungen an der Entwicklung einer Reihe „Vital Signs Profiles“– einem neuen Messinstrument, das Länder dabei unterstützen soll, die medizinische Grundversorgung zu verstehen und letztendlich zu optimieren.

Von großer Bedeutung für den Fortschritt der Globalen Gesundheit wird diesen Oktober das Treffen des Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria sein, der im kommenden Oktober seine nächste Finanzierungsrunde in Lyon, Frankreich abschließt. Der Fonds hat dabei geholfen, Menschen mit lebensrettender antiretroviraler Therapie, insektizid-imprägnierten Moskitonetzen, Diagnostik und anderen Werkzeugen zu versorgen und die Belastung, die diese Krankheiten für die ärmsten Regionen der Welt bedeuten, zu reduzieren. Seit der Gründung des Globalen Fonds ist die Zahl der an AIDS, Tuberkulose und Malaria sterbenden Menschen um ein Drittel gesunken. Doch neue Gefahren wie die steigende Arzneimittel- und Insektizid-Resistenz zeigen, dass wir unsere Bemühungen jetzt steigern müssen – andernfalls riskieren wir einen Rückschritt. Diesen zu verhindern hat für uns höchste Priorität.

Unser Ziel ist es, Regierungen mithilfe dieser und anderer Investitionen die nötigen Werkzeuge, Informationen sowie die nötige Unterstützung zu bieten, damit sie Veränderungen vorantreiben können, die ihrer Bevölkerung eine bessere Gesundheitsversorgung bieten. Letzten Endes stellen wir uns eine Welt vor, in der jeder Mensch in seiner Umgebung Zugang zur medizinischen Versorgung hat – der erste Schritt ist dabei eine gemeinsame Stärkung der medizinischen Grundversorgung.

Ai: In Anbetracht der obengenannten Faktoren: Wann wird diese Welt, in der jeder Mensch Zugang zu einer sicheren Quelle der medizinischen Versorgung hat, Realität sein?

Christopher Elias: Nun, ich wünschte, ich könnte wahrsagen. Bereits 2015 haben sich alle Länder der Vereinten Nationen verpflichtet, ihre Zusagen innerhalb von 15 Jahren umzusetzen. Konkret einigten sie sich darauf, bis 2030 „ein gesundes Leben zu gewährleisten und das Wohlbefinden aller zu fördern“. Dies ist ein ehrgeiziges, aber erreichbares Ziel. Wir sind bereits auf dem besten Weg, Polio weltweit auszurotten, eine Krankheit, von der noch vor 30 Jahren jährlich rund 350.000 Menschen betroffen waren. In den letzten 20 Jahren hat sich die Kindersterblichkeit um die Hälfte verringert. Auch die Zahl der Todesfälle durch Malaria und Aids hat sich seit Anfang der 2000er Jahre halbiert. Wenn wir dieses Tempo des Fortschritts beibehalten, wird eine Welt mit Zugang zu medizinischer Versorgung für alle früher Realität werden als wir denken.

Das Gespräch führte Samuel Krug.

– übersetzt aus dem Englischen –

 


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