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Ernüchterung

Die europäische Perspektive auf die trans­atlantischen Beziehungen

Das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen 2016 war eine Überraschung für die politische Führung der EU: In der Kampagne hatten viele der europäischen Staats- und Regierungschefs, aber auch die Spitzen der EU-Institutionen ihre Präferenz für Hillary Clinton als künftige US-Präsidentin mehr oder minder deutlich gemacht.1 Nun mussten sie sich auf einen amerikanischen Präsidenten einstellen, dessen Programm in vielerlei Hinsicht als Kampfansage gegen etablierte europäische Positionen und Interessen verstanden wurde.

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Der anfängliche Schock nach der Wahl ist weniger Erleichterung oder Entsetzen als viel mehr Ernüchterung gewichen. Während sich die Befürchtungen der Europäer in einigen Fragen (insbesondere bei den Beziehungen zu Russland und der NATO) bisher nicht bestätigt haben, so hat sich in anderen Bereichen (unter anderem Handels- und Klimapolitik) aus europäischer Sicht die Trump-Administration als der erwartet schwierige Partner erwiesen.

Die europäischen Reaktionen auf die neuen transatlantischen Unwägbarkeiten sind vielfältig: Zum einen ist da die Suche nach – je nach Politikfeld unterschiedlichen – alternativen Partnern. Gleichzeitig wird versucht, den Gesprächsfaden nach Washington aufrechtzuerhalten. Nach innen hat sich die EU als recht gefestigt erwiesen: Anders als von EU-Gegnern erhofft, hat die Wahl Trumps keinen Desintegrationsprozess in der EU in Gang gesetzt. Auf der anderen Seite hat sie aber auch (noch) nicht zu entscheidenden Schritten hin zu einer „strategischen Autonomie“ der EU geführt. Zu beobachten sind erste, wenn auch eher zaghafte Ansätze eines internen Reflexionsprozesses über die Rolle der EU in der Welt und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Handels-, Außen- und Verteidigungspolitik der EU. Zusammengefasst erlebt die EU eine Entzauberung – das unsanfte Erwachen aus einem transatlantischen Traum, in dem die USA ein ewiglich zuverlässiger und auch selbstloser Partner sind – bereit, den Europäern wichtige Lasten in der gemeinsamen Partnerschaft und in der Weltpolitik abzunehmen.

Eine neue transatlantische Unberechenbarkeit

In vielerlei Hinsicht lassen sich die ersten beiden Jahre der Trump-Präsidentschaft auf europäischer Seite als Erfahrung einer neuen transatlantischen Unberechenbarkeit bezeichnen. Jenseits von Stilfragen und außenpolitischen Präferenzen des neuen Präsidenten war eine der größten Befürchtungen der Europäer die Aufkündigung elementarer internationaler Abkommen, aber auch ein nachlassendes Engagement der USA in multilateralen internationalen Institutionen. Während sich einige Bedenken im Kontext der transatlantischen Sicherheitspartnerschaft wenn nicht als unbegründet, so doch zumindest als übertrieben herausstellten (etwa die Furcht vor einem US-Deal mit Russland über die Ukraine und die damit einhergehende Schwächung des Minsk-Verhandlungsformats), so wurden andere Befürchtungen bestätigt:

Die Relativierung internationaler Institutionen und Abkommen sowie das unberechenbare Auftreten in verschiedenen Formaten (G7) werden in Brüssel, aber auch in einer Mehrzahl der EU-Hauptstädte mit Sorge wahrgenommen. Wohlstand und Sicherheit in Europa sind stark von einer funktionierenden multilateralen Ordnung abhängig: Entsprechend sorgen nicht nur Aufkündigungen internationaler Vereinbarungen (etwa des Klimaabkommens oder des Iran-Deals) sowie die Drohung mit Zöllen für Stahl und Aluminium für Irritationen, sondern noch mehr die ganz grundsätzlichen Zweifel an aus EU-Sicht zentralen Pfeilern der multilateralen Weltordnung, wie der Welthandelsorganisation (WTO).

Die als konfrontativ, unkooperativ und unberechenbar perzipierte Haltung der USA führte zu einer Ernüchterung bis tief in das Lager der überzeugten Transatlantiker hinein: Sinnbildlich dafür waren die bitteren Worte des Präsidenten des Europäischen Rats, Donald Tusk, bei einer Pressekonferenz am Rande eines Sondergipfels des Europäischen Rats in Sofia im Mai 2018: „Die letzten Entscheidungen Donald Trumps betrachtend, könnte man sogar denken: Mit Freunden wie diesen, wer braucht da Feinde?“ und „Dank ihm sind wir alle Illusionen losgeworden. Wir erkennen, dass man, wenn man eine helfende Hand benötigt, eine am Ende seines Armes finden wird.“ Tusk vertrat damit keine Einzelmeinung. Beim folgenden Ratsgipfel in vertraulicher Runde begrüßte die große Mehrheit der Staats- und Regierungschefs Tusks Äußerungen gerade in dieser ungeschminkten Form ausdrücklich.

Erhebliche Irritationen rief auch der oft als erratisch empfundene Stil der neuen amerikanischen Administration und speziell des neuen amerikanischen Präsidenten hervor: Nicht wenige EU-Regierungen sind Koalitionsregierungen in Parteiensystemen, die trotz allen Wandels nach wie vor viel stärker auf Kompromissen als auf Konflikt aufgebaut sind. Der auf Polarisierung, Deals und Konfrontation ausgerichtete Diskurs ähnelt dem Anti-System-Diskurs von rechtspopulistischen Parteien in den eigenen Ländern. Die auf Abwägung von Interessen trainierte EU-Maschinerie musste sich erst einmal auf einen auf Nullsummenspiele und Deals bauenden Verhandlungspartner umstellen.

Reaktion der EU

Die Reaktionen der EU sind vielfältig: sie reichen von der Stärkung eigener Fähigkeiten über die Suche nach alternativen Partnern und dem Versuch einer Einbindung bis hin zur Abgrenzung.

1. Mehr europäische Zusammenarbeit und Koordination in der Sicherheitspolitik

 

Der als erratisch empfundene außenpolitische Kurs Trumps und sein nur an Bedingungen geknüpftes Bekenntnis zur Europäischen Sicherheitsarchitektur verliehen den ohnehin laufenden Überlegungen, die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stärken, neuen Schub: Im Dezember 2017 wurde die sogenannte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) ins Leben gerufen. Diese ermöglicht es einer Gruppe besonders befähigter Mitgliedstaaten, im Bereich der Verteidigungspolitik (Interoperabilität, Rüstung, Forschung) enger zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus wurde der Europäische Verteidigungsfonds geschaffen, durch den Verteidigungsforschung und die Entwicklung von Fähigkeiten gefördert werden sollen: Ab 2021 sollen 500 Millionen Euro jährlich in ein eigenständiges Verteidigungsforschungsprogramm fließen. Gleichzeitig sollen langfristig bis zu einer Milliarde Euro jährlich für die Förderung der gemeinsamen Entwicklung von Fähigkeiten mobilisiert werden. Ziel ist es, den ohnehin schon beachtlichen Rückstand zu den Vereinigten Staaten in beiden Bereichen nicht noch weiter anwachsen zu lassen. Zudem soll eine „Friedensfazilität“ GSVP-Missionen finanzieren und Operationen in Drittländern unterstützen. Vertreter von EU und Mitgliedstaaten betonen angesichts dieser Dynamik gleichermaßen, dass in den letzten 15 Monaten in der GSVP mehr geschehen sei, als in den letzten 15 Jahren. Dennoch bleibt die EU vom in der 2016 beschlossenen Globalen Strategie formulierten Ziel einer „strategischen Autonomie“ noch Lichtjahre entfernt. Die beschlossenen Schritte werden voraussichtlich mittel- und langfristig zu einer Erhöhung der sicherheitspolitischen Schlagkraft der Europäer führen, kurzfristig steht hinter ihrer Bereitschaft, im Notfall Militäreinsätze hoher Intensität in der eigenen Nachbarschaft durchführen zu können, ein Fragezeichen. Die getroffenen Maßnahmen haben aber immerhin das Potenzial, die europäischen Länder zu besseren Partnern innerhalb des transatlantischen Bündnisses zu machen: Eine gestärkte GSVP wird die transatlantische Sicherheitspartnerschaft sinnvoll ergänzen, kann sie aber in absehbarer Zeit nicht ersetzen. Insbesondere für die baltischen Länder, aber auch für Polen sind die Sicherheitsgarantien durch die NATO nach wie vor ein wichtigerer Garant für ihre Unversehrtheit als die noch nicht klar umrissene Solidaritätsklausel des Lissabon-Vertrags. Bemerkenswert: In mehreren mittelosteuropäischen Ländern wurde der Forderung des amerikanischen Präsidenten nach einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben mit der Zusicherung entgegnet, ab 2018 die Verteidigungsausgaben tatsächlich auch auf zwei Prozent zu erhöhen. Zudem gibt es nach wie vor unterschiedliche Meinungen über den Zweck und die Zielrichtung der GSVP. Eine strategische Debatte darüber, wie die EU sich in dem sich abzeichnenden Systemwettbewerb und der künftigen globalen Gemengelage positionieren möchte, ist erst in Ansätzen erkennbar. Zweifelsohne hat Trumps Politik zu einem verstärkten Elan in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit geführt, doch die zahlreichen Hürden, die in den vergangenen Jahrzehnten die Kooperation in diesem sensiblen Politikbereich verhindert haben, sind noch nicht abgebaut.

2. Intensivierung der Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten auf globaler Ebene

 

Angesichts des Rückzugs der Vereinigten Staaten aus mehreren multilateralen Formaten und Foren gab es wiederholt den Versuch, themenbasiert eine „Allianz der Willigen“ aufzubauen, das heißt eine engere Zusammenarbeit mit Ländern, die die Bedeutung multilateraler Institutionen und Verträge als ähnlich wichtig betrachten und nach Möglichkeit auch das Wertesystem der Europäer teilen:

In der Handelspolitik konnte man erfolgreich Abkommen mit anderen Ländern erzielen und somit den Rückzug der USA kompensieren.

In der Handelspolitik waren die Bemühungen, sowohl im politischen wie im wirtschaftlichen Sinne das vorläufige Scheitern von TTIP zu kompensieren, relativ erfolgreich: Mit Japan konnte ein Freihandelsabkommen erzielt werden, das nach Angaben von Beteiligten selbst im Weißen Haus als Achtungserfolg der Europäer gewertet wird. Ebenso gibt es seit April eine grundsätzliche Einigung über ein Freihandelsabkommen mit Mexiko. Seit Mai 2018 laufen Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland. Die Verhandlungen mit dem Mercosur sind zwar zäh, jedoch inzwischen recht weit vorangeschritten. Neben jenen Partnern wurden auch die Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Singapur und Vietnam finalisiert. Hier erweist sich (gerade im Vergleich zur Sicherheitspolitik) als Vorteil, dass die Handelspolitik „vergemeinschaftet“ ist und die EU diese entsprechend als einheitlicher Vertreter eines 500-Millionen-Einwohner-Blocks verhandeln kann. Insgesamt konnte die EU in der Handelspolitik Einigkeit demonstrieren.

In der Klimapolitik gelang es ebenfalls, nach dem Rückzug der USA zumindest auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners die Reihen zu schließen: Als Reaktion auf die Ankündigung des amerikanischen Präsidenten, das Pariser Klimaabkommen aufzukündigen, folgte ein einheitliches Bekenntnis der europäischen Staats- und Regierungschefs zur Vereinbarung. Gleichzeitig hat die EU auch zusammen mit anderen Schlüsselpartnern wie China, Japan oder Kanada eine Aufrechterhaltung und ehrgeizige Umsetzung des Abkommens noch einmal bekräftigt. Bislang ist das Ziel, den globalen Konsens über das Abkommen trotz des US-Ausstiegs aufrechtzuerhalten, erreicht worden.

3. Europäische Geschlossenheit gegenüber den USA

 

Bemerkenswert ist der nicht unerhebliche Grad der Geschlossenheit der EU-Mitgliedstaaten. Versuche der US-Seite, bei Handelsfragen irgendeinen Keil zwischen die Europäer zu treiben, blieben bislang fruchtlos. Dabei gab es im Mai durchaus unterschiedliche Meinungen darüber, um welchen Preis ein möglicher Handelskrieg vermieden werden sollte: Vor allem die Europäische Kommission, Deutschland und die damalige italienische Regierung drängten auf eine weitestmögliche Auslotung der Dialogoptionen, während Frankreich und Spanien sich unversöhnlicher zeigten. Letztlich gelang es hier jedoch, eine einheitliche Front zu präsentieren. Ähnlich zeigte sich die Diskussion bei anderen Formaten, so etwa im Rahmen der G7. Gleichzeitig hat die durch Unberechenbarkeit geprägte Politik der Trump-Administration unbeabsichtigt dafür gesorgt, ein wichtiges Kalkül vieler Brexit-Befür-worter mit einem großen Fragezeichen zu versehen: Viele Brexiteers versprachen sich unter dem Leitmotiv Global Britain, den wirtschaftlichen Schaden eines EU-Austritts zumindest auszugleichen. Ein wichtiger Baustein dieses Konzepts war eine engere Bildung zu den Vereinigten Staaten. Bestärkt wurden entsprechende Hoffnungen auch noch durch die Perzeption einer Pro-Brexit-Haltung des amerikanischen Präsidenten. Nicht zuletzt aufgrund der unberechenbaren und wenig sentimentalen „America First“-Politik, hat diese Hoffnung einen erheblichen Dämpfer erhalten. Entsprechend hat die Wahl Trumps eher dazu geführt, die Fliehkräfte innerhalb der EU zu schwächen als sie zu stärken.

4. (Vorläufige) Alternativlosigkeit der USA als wichtigster globaler Partner?

Das Erwachen aus der transatlantischen Traumwelt wird noch unsanfter durch die ernüchternde Einsicht, dass die Alternativen zur transatlantischen Partnerschaft dünn gesät sind.

Entsprechend ist die Aufkündigung des transatlantischen Bündnisses keine Option. In der Vergangenheit von verschiedenen Seiten vorgebrachte Forderungen nach einer Politik der Äquidistanz zwischen den USA und Russland sind trotz der transatlantischen Unwägbarkeiten nur schwach und eher von den politischen Rändern zu vernehmen: Zu sehr hat Russland durch seine Rolle im Ukraine- und Syrienkonflikt in den Augen vieler europäischer Partner jegliche Glaubwürdigkeit als alternativer Partner verspielt. Auch der Vertrauensvorschuss gegenüber China ist – trotz kurzer Flitterwochen, die wohl mit dem Festhalten Chinas am Klimaabkommen zu erklären waren – bei der großen Mehrheit der Staaten begrenzt. Zu unterschiedlich sind die Interessen in anderen Politikbereichen (unter anderem Handel und Wirtschaft). Ob das auf Dauer so bleibt, ist noch unklar: China versucht – durch ein Hochfahren seiner wirtschaftlichen Investitionen insbesondere in Mittelost- und Südosteuropa, etwa durch die sogenannte 16+1-Initiative – sich ein Eintrittstor in Europa zu verschaffen. Bereits jetzt gelten einige EU-Mitgliedstaaten als besonders empfänglich gegenüber chinesischem Einfluss.

5. Der Versuch der Einbindung

Bis auf Weiteres bleibt eine enge transatlantische Partnerschaft in vielen Bereichen alternativlos. Entsprechend bemüht sich die EU seitdem, den Gesprächsfaden in mehreren Dossiers wieder aufzunehmen: Dies gilt insbesondere für die internationale Handelspolitik. Zum einen möchte man die Vereinigten Staaten in die Arbeiten zur Reform der WTO einbeziehen, um diese Organisation weiter handlungsfähig zu erhalten. Selbiges lässt sich in den Bemühungen feststellen, wenn nicht schon das auf Eis gesetzte Transatlantische Freihandelsabkommen wiederzubeleben, so doch zumindest Gespräche über Handelsvereinbarungen zu führen.

Die Herangehensweise gegenüber der Administration im Allgemeinen und dem amerikanischen Präsidenten im Besonderen war unterschiedlich: Mehrere Regierungschefs bemühten sich bewusst um die Schaffung einer gemeinsamen persönlichen Ebene; oftmals auch mit besonderen Gesten gegenüber dem amerikanischen Präsidenten. Der ausgesprochen feierliche Empfang von Donald Trump durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris war hier nur ein Beispiel. Noch ist aber der praktische Mehrwert solcher Gesten in der tatsächlichen Politik eher schwer abschätzbar. Einige Stimmen, unter anderem im Umfeld von Kommissionspräsident Juncker, verweisen darauf, dass sich in der Sache hartes Verhandeln eher ausgezahlt habe – mehr als die Suche eines Kompromisses um jeden Preis.

6. Resonanz in der Parteienlandschaft

Der Einfluss der neuen amerikanischen Administration auf die politische europäische Parteienlandschaft ist differenziert zu betrachten und noch nicht abschließend einzuschätzen. Zweifelsohne ist bemerkenswert, dass sich der politische Diskurs in Europa vieler Begrifflichkeiten und Symbole aus dem letzten amerikanischen Wahlkampf bedient; gerne wird auch der Vergleich (neuer) populistischer Figuren in verschiedenen Mitgliedstaaten mit dem amerikanischen Präsidenten („tschechischer Trump“, „lettischer Trump“, „flämischer Trump“) bemüht. Vielen rechtspopulistischen und nationalkonservativen Parteien verlieh der Sieg Trumps zum einen Auftrieb, zum anderen ermutigte er sie noch mehr dazu, Tabus im politischen Diskurs des jeweiligen Landes zu brechen. Weniger klar sieht das Bild hingegen (noch) bei konkreter Parteienzusammenarbeit aus. Unmittelbar nach der Wahl bemühten sich Führer diverser rechtspopulistischer Bewegungen in der EU, den Erfolg Trumps als Beginn eines Siegeszugs des Rechtspopulismus über den „Mainstream“ zu deuten. Demonstrativ war UKIP-Vorsitzender Nigel Farage einer der ersten Gratulanten, die nach dem Wahlsieg die Nähe des amerikanischen Präsidenten suchten. Ähnliches galt zunächst auch für die später klar in der zweiten Runde unterlegene französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. In den Niederlanden und in Frankreich gewannen letztlich moderate Kräfte die Wahlen. Schnell wurde zudem deutlich, dass eine zu enge Assoziierung mit Trump im eigenen Land nicht unbedingt als Wahlmagnet wirkt. Heftige Kritik erntete die Verlautbarung des amerikanischen Botschafters in Deutschland, eines seiner Ziele sei die Stärkung der Rechten Bewegungen in Europa. Die demonstrative Nähe hält sich oft in Grenzen, der Auftritt der Nachwuchshoffnung des Front National, Marion Maréchal le Pen, beim Parteitag der Republikaner im Februar 2018 war eher die Ausnahme als die Regel. Auf der anderen Seite erfährt die Initiative von Stephen Bannon The Movement bislang eher bescheidenen Erfolg: So distanzierten sich der Leader der italienischen Lega Nord, Matteo Salvini, und auch Marine Le Pen bei der Vorstellung ihres Bündnisses für die Europawahlen im Oktober 2018 von einer Vereinnahmung durch dessen Bewegung. Bannon sei kein Europäer und das eigene Bündnis werde selbst über die Allianz entscheiden, so der O-Ton. Bislang ist Bannons wichtigster Verbündeter Mickael Modrikamen, Vorsitzender der belgischen französischsprachigen PP, die in der wallonischen Politik allerdings eine sehr marginale Rolle spielt und sich kaum Hoffnungen auf einen Sitz im Europäischen Parlament machen kann. Besuche Bannons bei anderen politischen Vertretern, unter anderem beim ungarischen Regierungschef Viktor Orban, sorgten zwar für öffentlichen Wirbel, aber noch ist nicht abzusehen, wie relevant die daraus resultierende Zusammenarbeit tatsächlich sein wird. Insgesamt ist sein Einfluss aber noch nicht abschließend einzuschätzen.

Die traditionell pro-transatlantische Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei (EVP) steht mit dieser Administration vor einer Herausforderung: Zum einen sieht man sich nach wie vor der transatlantischen Allianz verpflichtet, nicht nur aus wirtschafts- und sicherheitspolitischen Erwägungen, aber auch aufgrund einer gemeinsamen Wertebasis. Hinzu kommen die Bande zu den Republikanern, die auch durch gemeinsame Treffen im Rahmen der IDU (International Democratic Union) und über Jahrzehnte gewachsenen Austausch gefestigt sind. Auf der anderen Seite jedoch steht ein Präsident, von dessen Politikverständnis sich nicht wenige Politiker der EVP noch kurz vor der Wahl ostentativ distanziert hatten, der die EU mitunter als Feind bezeichnete und dessen Rhetorik eher an diejenige von Front National, UKIP oder der niederländischen PVV erinnert. Die EVP versucht es angesichts dieses Dilemmas mit einer differenzierten Strategie:

  1. Keine Zweifel an der grundsätzlichen Bedeutung und Priorität der transatlantischen Partnerschaft aufkommen lassen.
  2. Kontakte zu gleichgesinnten Stimmen auch außerhalb des Weißen Hauses herstellen und aufrechterhalten, insbesondere im Kongress und in der Zivilgesellschaft.
  3. Die Forderungen der USA differenziert behandeln: dort Entgegenkommen signalisieren (etwa bei den Forderungen nach einem stärkeren Engagement in der Sicherheitspolitik), wo die Kritik als gerechtfertigt wahrgenommen wird,
  4. Wort und Tat energischen Widerstand leisten, wenn die EU oder der europäische Integrationsgedanke grundsätzlich angegriffen werden.

Gleichwohl gibt es innerhalb der ideologisch breit gefächerten EVP-Familie durchaus unterschied-liche Nuancen in der Haltung zur Trump-Administration: Bei den eher christdemokratischen Parteien oder den prononcierten Verfechtern multilateraler Institutionen werden Trumps Politik, vor allem aber sein Diskurs und seine Haltung zur EU, sehr kritisch gesehen. Zudem monierten sowohl der EVP-Fraktionschef Manfred Weber („ein strategischer Fehler“) als auch Außenpolitiker David McAllister Trumps Entscheidung, die USA aus dem Iran-Abkommen zurückzuziehen. Hingegen gibt es im rechten Flügel der EVP-Familie mehr Sympathie. Insgesamt gibt es einen parteiweiten Konsens darüber, dass auch mit Trump das enge transatlantische Verhältnis nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden sollte.

Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten

Zwischen den EU-Mitgliedstaaten gibt es durchaus Unterschiede. Nicht alle zeigen sich ernüchtert über die Veränderungen: Die polnische PiS-Regierung, der ein eher unterkühltes Verhältnis zu Präsident Obama nachgesagt wurde, setzt ganz auf amerikanische Militärpräsenz. So erklärte der polnische Präsident im September 2018, man wünsche sich Fort Trump, also eine ständige amerikanische Militärbasis in Polen.

Nicht alle EU-Mitgliedstaaten zeigen sich ernüchtert über die aktuellen Veränderungen.

Das spiegelt sich auch durchaus in einer unterschiedlichen Bewertung von Donald Trump und seiner Regierung in der öffentlichen Meinung der Mitgliedstaaten wider. Zwar ist in nahezu der gesamten EU das Misstrauen gegenüber dem amerikanischen Präsidenten stark ausgeprägt. In einer Gallup-Umfrage sank der Anteil der Positivbeurteilungen für den amerikanischen Präsidenten zwischen 2016 und 2017 von 44 Prozent auf 25 Prozent, während die negativen Bewertungen von 36 Prozent auf 56 Prozent hochschnellten. Es lassen sich jedoch einige bemerkenswerte Unterschiede feststellen: Besonders verschlechterte sich die Bewertung in Westeuropa, den skandinavischen Ländern und auf der iberischen Halbinsel. In Schweden, Portugal, den Beneluxländern, Dänemark, Spanien, Frankreich, Österreich und Deutschland bewerten rund zwei Drittel oder mehr der Befragten die amerikanische Führung negativ. Nur in vier EU-Staaten überwiegen die positiven Bewertungen: Polen, Italien, Ungarn und Rumänien. In Polen (56 Prozent Zustimmung) hat die Beliebtheit des Präsidenten im Vergleich zu seinem Vorgänger sogar noch zugenommen – anders als etwa im traditionell amerikafreundlichen Baltikum.

Eine überfällige Entzauberung?

Viele Veränderungen sind eng mit der aktuellen Administration verbunden. Grundsätzliche Zweifel bestehen etwa am Mehrwert der transatlantischen Partnerschaft und internationaler Institutionen, aber auch in Fragen der Handelspolitik. Einige Veränderungen sind aber durchaus struktureller Natur und bereits seit vielen Jahren angelegt. Sie treten in der aktuellen Lage lediglich deutlich klarer zutage. Dies gilt für die Forderungen nach einem stärkeren Einsatz Europas in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber auch nach einer klareren Parteinahme (im Sinne der Vereinigten Staaten) gegenüber China oder dem Iran. In vielerlei Hinsicht zwingt der Zustand der transatlantischen Beziehungen die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu, eine strategische Debatte zu führen, auf welche diese bislang allerdings nur unzureichend vorbereitet ist – was nun offen zu Tage tritt. Während die USA bereits Strategien in Erwartung eines zunehmenden Systemwettbewerbs mit China entwickeln, ist die EU von einer einheitlichen Chinastrategie noch weit entfernt. Die EU und ihre Mitgliedstaaten, aber auch ihre medialen Öffentlichkeiten leben noch in einer sehr eurozentrischen Welt. Entscheidungen des Weißen Hauses in der Weltpolitik werden bisweilen als Maßnahmen gegen Europa empfunden, obwohl sie eigentlich auf China oder andere große Akteure abzielen und die Konsequenzen für die europäische Seite aus Washington gesehen eher in Kauf genommene Nebenwirkungen als intendierter Hauptzweck sind. Erst langsam beginnen die Europäer damit, überhaupt Interessen und Strategien für ihre Nachbarschaft zu definieren und auch diplomatisch und militärisch die notwendigen Mittel bereit zu stellen. Je später die notwendigen Ressourcen materieller und immaterieller Art für eine aktive regionale und globale Rolle mobilisiert werden, desto mehr droht Europa aber den Anschluss an die wichtigsten globalen Spieler, die USA und China, zu verpassen und selber Spielball zu werden.

Insofern war ein Aufwachen aus der transatlantischen Traumwelt wohl unvermeidlich, erfolgt mit der aktuellen US-Administration jedoch deutlich ruppiger, als es der EU lieb sein kann. Für die EU ist die entscheidende Herausforderung, auch einem schwierigeren transatlantischen Partner deutlich zu machen, dass über kurzfristige Deals hinaus funktionsfähige internationale Institutionen und enge transatlantische Zusammenarbeit entscheidende Faktoren im künftigen Systemwettbewerb sein können und damit auch im Interesse der USA sind.

 
 

Olaf Wientzek war bis Januar 2019 Koordinator für Europapolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 
 

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