Ausgabe: Sonderausgabe 2021/2021
Die Europäische Union hat sich nicht gerade den besten Zeitpunkt für ihre Einigung auf ein Investitionsabkommen mit China ausgesucht. Der Abschluss kam drei Wochen vor dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden, der die Europäer zum Schulterschluss im Umgang mit China aufgefordert hatte. Der chinesische Machthaber Xi Jinping hoffte, noch vor diesem Schulterschluss Sand ins Getriebe der transatlantischen Beziehungen streuen zu können.
Mit dem Handschlag der EU krönt Xi Jinping zudem ein Jahr der Repression nach innen und der Aggression nach außen. Seht her, ruft er seinen Gegnern zu, trotz aller Kritik an der Verfolgung der Uiguren, dem Vertragsbruch in Hongkong, den Kriegsdrohungen gegen Taiwan und trotz aller amerikanischen Bemühungen, China zu isolieren, ist der Partei-Staat international ein gefragter Partner. Aus dem gleichen Grund ist China im November gemeinsam mit 14 weiteren Staaten schon der größten Freihandelszone der Welt, RCEP, beigetreten. In Peking hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die Verlockung des chinesischen Marktes so unwiderstehlich sei, dass sich die Anwärter auf einen erleichterten Zugang gegeneinander ausspielen ließen. Es liegt nun an Brüssel, Washington und auch an Berlin, sicherzustellen, dass Xi Jinpings Rechnung nicht aufgeht.
Es gibt durchaus nachvollziehbare Gründe, warum die EU es nicht für geboten hielt, mit dem Investitionsabkommen so lange zu warten, bis eine mit Amerika abgestimmte China-Strategie zustande kommt. Bis dahin dürften viele Monate, wenn nicht Jahre vergehen. Auch dann werden amerikanische und europäische Interessen nicht deckungsgleich sein. In Brüssel verweist man zudem darauf, dass die Amerikaner im vergangenen Jahr bereits ihr eigenes Handelsabkommen mit China geschlossen hätten und dass die EU nun lediglich gleichziehe.
Die eigene Handlungsfähigkeit demonstriert zu haben ist angesichts der Vielstimmigkeit der europäischen China-Politik vielleicht schon ein Wert an sich. Nicht von der Hand zu weisen ist auch das Argument, dass Chinas Bekenntnisse zu mehr Transparenz bei Subventionen und gegen erzwungenen Technologietransfer allen ausländischen Unternehmen zugutekomme, vorausgesetzt, Peking halte sich an seine Versprechen. Genau daran aber sind Zweifel angebracht.
Allen voran die Bundeskanzlerin drang auf einen Abschluss vor dem Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Weder ihr portugiesischer Nachfolger in Brüssel noch ein künftiger Bundeskanzler hätte das Projekt vermutlich mit ähnlich viel Engagement vorangetrieben. Zum einen profitieren deutsche Unternehmen mehr als alle anderen von den zugesagten Marktöffnungen. Zum anderen teilt nicht jeder der Anwärter auf die Kanzlerschaft Merkels Sicht auf China.
Das Abkommen ist aber nicht der große Wurf, den die EU sich zu Anfang der Verhandlungen vor sieben Jahren erhofft hatte. Es sieht Erleichterungen beim Marktzugang in Sektoren wie Elektroautos, Krankenhauswesen und Telekommunikation vor, kommt aber mit viel Wenn und Aber daher. Zudem mangelt es an Hebeln, Pekings Zusagen im Streitfall einzufordern. Die Erfahrung zeigt, dass man auf Chinas Bekenntnisse zu Öffnung und Multilateralismus nicht viel geben kann. Als das Land 2001 der Welthandelsorganisation beitrat, bekannte es sich dazu, „so bald wie möglich“ dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen beizutreten. Das ist bis heute nicht passiert. Die neue Wirtschaftspolitik, die China gerade verkündet hat, zeigt in die entgegengesetzte Richtung. Erklärtes Ziel ist es, China unabhängiger vom Ausland zu machen. Pekings Interesse an ausländischen Investitionen wird in dem Maße abnehmen, in dem chinesische Unternehmen in der Lage sind, selbst tätig zu werden. Staatsunternehmen, die schon jetzt für Marktverzerrungen und Überkapazitäten verantwortlich sind, sollen weiter gestärkt werden.
Zugleich setzt Xi Jinping auf Wirtschaftspolitik als Waffe. Es gehe darum, „die Abhängigkeit globaler Lieferketten von China zu erhöhen, um wirkungsvolle Vergeltungs- und Abschreckungsmöglichkeiten gegen Liefersperren ausländischer Mächte zu entwickeln“. Angesichts solcher Worte sollte sich die EU fragen, ob eine stärkere wirtschaftliche Integration mit China das richtige Signal ist. Das gilt wiederum vor allem für Deutschland, dessen Abhängigkeit vom chinesischen Markt besonders groß ist.
Zweifel darf man auch daran haben, dass China seiner Zusage nachkommt, „sich fortgesetzt und nachhaltig darum zu bemühen“, die beiden Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation zur Abschaffung der Zwangsarbeit zu ratifizieren. Deshalb der EU einen Ausverkauf ihrer Werte vorzuwerfen, wie manche das tun, geht aber an der Realität vorbei. Niemand dürfte ernsthaft erwartet haben, dass China sich darauf einlässt, unabhängige Gewerkschaften zuzulassen oder der Zwangsarbeit im eigenen Land ein Ende zu setzen. Um den Druck auf China zu erhöhen, braucht es zusätzliche Instrumente und einen langen Atem. Die neuen Sanktionsregelungen gegen Menschenrechtsverstöße, die die EU-Außenminister im Dezember vereinbart haben, sind dafür kein schlechter Anfang.
Friederike Böge ist politische Korrespondentin der F.A.Z. für China, Nordkorea und die Mongolei.
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