Am 1. Februar 2021 fand in Myanmar ein Militärputsch statt – zehn Jahre nachdem das Land seinen demokratischen Übergang eingeleitet und sich für die internationale Gemeinschaft geöffnet hatte. An dem Tag, an dem die erste Parlamentssitzung in der Amtszeit der neuen Regierung stattfinden sollte, belagerte die Armee unter Leitung des Oberbefehlshabers Min Aung Hlaing (General Hlaing) das Parlament in der Hauptstadt Naypyidaw und nahm Parlamentsmitglieder sowie Aung San Suu Kyi, die De-facto-Chefin der drei Monate zuvor wiedergewählten Regierung, fest.
Der myanmarische VN-Botschafter Kyaw Moe Tun, dessen Loyalität der gestürzten Regierung der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) gilt, rief während einer Sitzung des VN-Sicherheitsrates (UNSC) am 9. April 2021 zu einem internationalen Waffenembargo gegen Myanmar, zum Einfrieren der ausländischen Bankkonten des Militärs und seiner Angehörigen, zu einem Stopp ausländischer Direktinvestitionen und zur Sperrung des Luftraums auf, um Luftangriffe durch die Junta zu verhindern.
Einige Länder haben diese Maßnahmen bereits teilweise ergriffen. Die USA sanktionierten fünf Unternehmen mit Verbindungen zum Militär, gleichzeitig sanktionierte die EU 29 Personen, die an dem Putsch beteiligt waren. Diese Offiziere wurden auf eine Liste mit sechs weiteren Personen gesetzt, die wegen ihrer Mitverantwortung für die humanitäre Krise der Rohingyas 2017 sanktioniert worden waren. Zusätzlich froren die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada und die EU das Auslandsvermögen der Junta ein.
Der am 18. Juni 2021 von der VN-Vollversammlung gefasste Beschluss (die Abstimmung endete mit 119 Ja-Stimmen und einer Gegenstimme) zur Krise in Myanmar verurteilt die von der Junta gegen die Zivilbevölkerung verübten Gewaltakte, die zu über 1.000 Toten führten, scharf und fordert die Freilassung der politischen Gefangenen und friedlichen Demonstranten, die nach dem Putsch festgenommen wurden. Auch fordert er alle Länder dazu auf, keine Waffen an die Junta zu liefern. Obwohl der Beschluss nicht bindend ist, kann er als harter Schlag gegen die Junta gesehen werden, die darauf gehofft hatte, sich eine internationale Legitimierung zu sichern.
Die durch die USA angeführte internationale Reaktion verurteilte und kritisierte den Putsch und rief zu harten Sanktionen gegen die Junta auf. Doch nicht alle Länder erklärten sich bereit, dieselbe Härte bei den Einschränkungen an den Tag zu legen oder scharfe Kritik an den Handlungen der Junta zu üben. Dieser Beitrag wird die Motive hinter den „weicheren“ Positionen Chinas, Indiens und Russlands zum Militärputsch in Myanmar erläutern.
China: Myanmars „Großer Bruder“
Am Tag des Putsches hielt sich China mit einer Verurteilung der myanmarischen Armee (Tatmadaw) zurück und blieb bei einem neutralen Ansatz gegenüber dem Land. Die chinesischen Staatsmedien nannten den Putsch eine „Kabinettsumbildung“ und die chinesische Regierung gab sich hoffnungsvoll, dass die beteiligten Parteien ihre Meinungsverschiedenheiten beilegen würden. Im Einklang mit seiner besonderen pauk phaw („brüderlichen“) Beziehung zu Myanmar betonte Peking, China sei der „freundliche Nachbar“ Myanmars. Die Krise müsse mithilfe diplomatischer Bemühungen und eines Dialogs zwischen den relevanten Parteien Myanmars und nicht durch Sanktionen, wie von den USA und anderen westlichen Ländern vorgeschlagen, gelöst werden.
Nach dem ASEAN-Gipfel am 24. April 2021 verkündete China öffentlich seine Zustimmung zum ASEAN-Konsensplan zu Myanmar, der zu einem konstruktiven Dialog zwischen den Parteien aufrief, aber keine Verantwortung für den Putsch und die damit verbundene Gewalt auf Seiten der Tatmadaw sah. Das Fehlen harter Maßnahmen seitens der ASEAN bietet China die Möglichkeit, seine bilaterale Kooperation mit Myanmar ungehindert fortzuführen. Im Mai 2021 nutzte China die Bühne des UNSC, dessen rotierende Präsidentschaft es damals innehatte, um die Rolle des Militärs herunterzuspielen, die Myanmar-Krise als „Problem im Zusammenhang mit Meinungsverschiedenheiten bei der Wahl“ zu bezeichnen und vorzuschlagen, dass die Lösung des Problems innerhalb des Rechtsrahmens des Landes gesucht werden sollte.
Immer wieder tritt China auf der internationalen Bühne als Schutzschild für Myanmar auf, weil
1. es weitere Instabilität in der Grenzregion zwischen China und Myanmar befürchtet,
2. Myanmar ein geostrategischer Teil der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI) ist.
Die Grenze zwischen China und Myanmar: Eine Region voller ethnischer Konflikte
Sowohl die nördliche als auch die östliche Grenze Myanmars beherbergt ethnische Gruppen, die kulturelle Affinitäten mit China teilen, wie die Jingpo, die Wa und die Kokang. Seit der Unabhängigkeit Myanmars sind ethnische bewaffnete Organisationen (EAOs) entstanden, die in einem jahrzehntelangen Konflikt ihre Unabhängigkeit von der myanmarischen Regierung fordern. Um seine nationale Sicherheit zu gewährleisten, legt China großen Wert darauf, seinen Einfluss im 2.129 Kilometer langen Grenzgebiet aufrechtzuerhalten. China fürchtet, dass der Putsch die Wahrscheinlichkeit einer gewaltsamen Eskalation zwischen dem Militär und den ethnischen Minderheiten steigert, die auch über die Grenze hinauswirken könnte. Trotzdem lieferte China Kampfflugzeuge, Marinewaffen, Panzerfahrzeuge und Aufklärungsdrohnen an die Tatmadaw. Einige dieser Waffen und Panzer wurden gegen die EAOs eingesetzt.
Es wird ebenfalls gemutmaßt, dass China einige EAOs im Kampf gegen die Tatmadaw finanziert und mit Waffen versorgt hat. Die Vorwürfe kommen zu einer Zeit, in der die bilateralen Beziehungen zwischen Peking und der Tatmadaw belastet sind (unter anderem ist Peking der Ansicht, dass Naypyidaw allzu enge Beziehungen zu Washington aufbaut). China spielt also einerseits die Rolle des Friedensstifters zwischen den Antagonisten in Myanmar, andererseits entscheidet es je nach Umständen und nutzt die ethnischen Aufständischen dazu, Druck auf die Autoritäten in Naypyidaw auszuüben.
Chinas regionale Ambitionen
China liegt viel daran, seine Infrastruktur- und Rohstoffabbaupläne wie die Entwicklung des strategischen China-Myanmar-Wirtschaftskorridors (CMEC) fortzuführen. Der Korridor verbindet China mit dem Indischen Ozean, ist Teil der chinesischen BRI und soll Chinas Provinz Yunnan mit Myanmars Rakhaing-Staat verbinden. Das 1.700 Kilometer lange Netzwerk bietet China den geostrategischen Vorteil, die Straße von Malakka zu umgehen, durch die aktuell 80 Prozent von Chinas Ölimporten transportiert werden. Um sein Ziel zu erreichen, muss China sicherstellen, dass sich keine westlichen oder regionalen Mächte in die Krise in Myanmar einmischen. Eine Behinderung des Baus dieses Milliarden-Dollar schweren Mega-Projekts wäre für China eine Katastrophe.
Enge Wirtschaftsbeziehungen mit Myanmar bieten China auch Gelegenheit, die wirtschaftliche Kluft zwischen seinen wohlhabenden Küstenprovinzen und den südwestlichen Binnenprovinzen zu verringern. Im Mai 2021 bewilligten die Behörden in Myanmar ein 2,5 Milliarden US-Dollar teures Flüssiggas-Kraftwerk als Teil der chinesischen BRI. Es ist die erste bedeutende Investition seit dem Putsch und demonstriert die Bereitschaft beider Länder, ihre Kooperation fortzuführen. China bietet Myanmar diplomatischen Schutz gegen internationale Ächtung. Dafür hilft die Junta Peking dabei, seinen Handel zu stärken.
Chinas Weigerung, die Junta zu verurteilen, kann eher mit der Priorität, seine wirtschaftlichen Interessen zu wahren, erklärt werden als mit einer möglichen politischen Verbundenheit gegenüber der Junta. Chinas Bemühungen um die Beziehungen zu Myanmar sind also unabhängig von der jeweiligen Regierung in Naypyidaw.
Nachteile des Putsches aus chinesischer Sicht
Obwohl China als enger Verbündeter des Militärs gesehen wird, ist seine Position zu Myanmar, unabhängig von der amtierenden Regierung, immer pragmatisch. Nach der Wahl Aung San Suu Kyis erklärte Chinas Präsident Xi, dass die freundschaftliche Beziehung zwischen China und der NLD zur Stärkung der Beziehungen zwischen China und Myanmar beigetragen habe. Tatsächlich war es Aung San Suu Kyis demokratische Regierung, die aus wirtschaftlichem Pragmatismus heraus kontroversen Projekten der Chinesen zustimmte, wie der Myitsone-Talsperre, die von der vorherigen halbzivilen Regierung unter General Thein Sein abgelehnt wurde, weil sie als ausbeuterisch gegenüber den örtlichen Gemeinden und schädlich für die Umwelt eingestuft wurde.
Außerdem war eine Allianz mit China nach der Rohingyakrise 2017 nötig, als Myanmar internationale Ächtung für das brutale Durchgreifen gegen die Minderheit erfuhr, das zu einer Abwanderung von 700.000 Menschen nach Bangladesch führte. Sowohl die Tatmadaw als auch die Regierung von Aung San Suu Kyi konnten sich auf Chinas Unterstützung im VN-Sicherheitsrat verlassen. Nach der Wiederwahl der NLD betonte Xi Jinping, dass China bereit sei, die beiderseitigen Bemühungen zum Bau des CMEC und auch die Bemühungen um Frieden in der Grenzregion fortzuführen.
Der Putsch brachte Chinas diplomatische Bemühungen der letzten Jahre um eine gute Beziehung zur NLD zum Stillstand, da es nun direkt mit General Hlaing verhandeln muss, der 2020 andeutete, dass China die EAOs im Kampf gegen die Tatmadaw mit Waffen belieferte. Zusätzlich lässt das Verhalten Chinas die bereits vorhandene antichinesische Stimmung unter der myanmarischen Bevölkerung neu aufflammen. Die Blockade seitens Chinas und Russlands gegenüber der Verurteilung des Putsches und den Sanktionen gegen die Junta verärgerte die myanmarische Bevölkerung noch mehr – sie wirft China vor, in dieser Situation zu nachsichtig zu sein. Myanmarische Demonstranten haben seit März 2021 dutzende chinesische Fabriken in Brand gesetzt, andere haben damit gedroht, chinesische Pipelines in Myanmar anzugreifen.
China befindet sich in einem Zwiespalt bei dem Versuch, seine guten Beziehungen zur Tatmadaw aufrechtzuerhalten, gleichzeitig aber auch die myanmarische Bevölkerung zu besänftigen, um die BRI-Investitionen nicht in Gefahr zu bringen. Von seinem üblichen neutralen Kurs im UNSC abweichend unterzeichnete China im März eine Stellungnahme, die die Gewalt gegen die Demonstranten verurteilt. Im April kontaktierte ein Mitarbeiter der chinesischen Botschaft in Myanmar das Committee Representing Pyidaungsu Hluttaw (CRPH), ein Komitee, das von den abgesetzten NLD-Abgeordneten gegründet wurde. Bei dieser Gelegenheit drängte das CRPH China dazu, es bei der Wiedereinführung der Demokratie zu unterstützen, während der chinesische Botschaftsmitarbeiter seine Bedenken zur durch den Putsch verursachten Gewalt, zur Sicherheit seiner Landsleute in Myanmar und zum Bestand der von der NLD befürworteten Investitionen Chinas äußerte.
Das CRPH forderte die Junta mit der Gründung einer Nationalen Einheitsregierung (NUG) heraus. Obwohl einige VN-Diplomaten China vorwerfen, Strafmaßnahmen gegen die Junta zu verhindern, ist es wichtig anzumerken, dass bisher auch kein anderes Land (Stand 10. September 2021) die NUG offiziell anerkannt hat.
Indien: Ein symbiotischer Nachbar
Indien unterstützt Myanmars prodemokratische Bewegung bereits seit dem Tatmadaw-Putsch 1988. Nach dem aktuellen Putsch erklärte sich Indiens Außenministerium „sehr besorgt“ über die Situation in Myanmar. Trotzdem verurteilte es die Tatmadaw nicht direkt. Indiens Schweigen gepaart mit Chinas und Russlands Passivität gegenüber der Tatmadaw beschränkt die Wirkung des von Großbritannien vorgeschlagenen UNSC-Beschlusses, der die Junta offen kritisiert. Indien vertritt die Ansicht, dass einem Dialog mit dem Regime eine Chance gegeben werden sollte. Die Anwesenheit des indischen Militärattachés bei der Parade zum Tag der Streitkräfte am 27. März 2021 in Naypyidaw bestätigte die Bereitschaft, die guten Beziehungen zur Militärjunta aufrechtzuerhalten. Indien war die einzige große Demokratie unter den acht Ländern, die Repräsentanten zu der Veranstaltung schickten (die anderen Länder waren China, Pakistan, Bangladesch, Vietnam, Laos, Thailand und Russland).
Nachdem Indiens VN-Botschafter T.S. Tirumurti die Gewalt in Myanmar während der Sicherheitsratssitzung am 1. April 2021 verurteilt und maximale Zurückhaltung sowie die Freilassung der beim Putsch inhaftierten Politiker gefordert hatte, wurde spekuliert, dass Neu-Delhi von den USA oder anderen Verbündeten unter Druck gesetzt wurde, seine Position zu ändern. Im Gegensatz zur Sanktionspolitik des Westens rief Indien aber auch zu einer Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Myanmar auf.
Indiens Bedürfnis, die Beziehungen zur Junta aufrechtzuerhalten, kann mit drei Gründen erklärt werden:
1. der Befürchtung, dass Flüchtlinge aus Myanmar in den Nordosten Indiens strömen könnten,
2. der Sorge, ansonsten eine laxe Haltung seitens der Tatmadaw beim Kampf gegen die aus Myanmar heraus agierenden antiindischen Aufständischen zu riskieren,
3. der Befürchtung, die Tatmadaw weiter Richtung China zu drängen und dadurch dessen Einfluss im Indischen Ozean zu stärken.
Ein Flüchtlingsstrom an der Grenze zwischen Indien und Myanmar
Mit der Unabhängigkeit von Großbritannien wurden zwischen Indien und Myanmar willkürliche Grenzen gezogen, die Gemeinschaften mit einer geteilten Geschichte und einem gemeinsamen Erbe auseinanderrissen. Zu diesen Gemeinschaften zählen die Chin, die Mizo und die Naga. Aufgrund des hohen Stellenwerts dieser Gemeinschaften über die Staatsgrenzen hinweg gründeten Indien und Myanmar das „Free Movement Regime“, welches es den Bürgern beider Staaten erlaubt, für 14 Tage 16 Kilometer ohne Visum über die Grenze zu reisen. Diese blieb größtenteils offen.
Nach dem Putsch schloss die indische Regierung die Grenze und ordnete ihren nordöstlichen Bundesstaaten an, „illegale Zuflüsse aus Myanmar nach Indien zu überwachen“. In offener Missachtung dieses harten Ansatzes der indischen Zentralregierung erklärte der Regierungschef von Mizoram, dass „Mizoram sich nicht gleichgültig verhalten kann“ in Anbetracht des Leids der Menschen in Myanmar und „die Augen nicht vor der humanitären Krise, die sich direkt im eigenen Hinterhof abspielt, verschließen wird“.
Laut Human Rights Watch flüchteten seit dem 1. Februar 2021 über 16.000 myanmarische Bürger nach Indien. Darunter befinden sich auch viele Mitglieder der myanmarischen Polizei, die sich weigerten, auf Befehl der Junta Aktivisten bei Demonstrationen zu erschießen. Obwohl Neu-Delhi also einen harten Standpunkt bei der Flüchtlingsfrage vertritt, wurde seine Anweisung im Nordosten ignoriert. Dadurch gerät es in eine heikle Lage gegenüber der Tatmadaw, die eine Auslieferung der geflüchteten Polizeibeamten fordert.
Abhängigkeit von der militärischen Kooperation mit der Tatmadaw in den Grenzregionen
Seit 1993 arbeiten Indien und Myanmar gemeinsam daran, antiindische Aufstände an der nordöstlichen Grenze Indiens (in Mizoram, Nagaland und Manipur) zu verhindern. Neu-Delhi verlässt sich darauf, dass die Tatmadaw Rebellen vertreibt, die aus den myanmarischen Grenzgegenden heraus agieren. Zwischen April und Mai 2020 wurden 22 indische Rebellen durch die Tatmadaw verhaftet und an Indien übergeben. Neu-Delhi befürchtet, dass die prodemokratischen Flüchtlinge aus Myanmar Zuflucht in Indiens nordöstlichen Staaten suchen und sich womöglich Waffen aus Indien besorgen könnten, um gegen die Junta zu kämpfen. Das wiederum könnte Aufständische aus Nagaland und Manipur in ihren eigenen Kämpfen bestärken.
Des Weiteren kreuzen wichtige Infrastrukturprojekte mehrere der Konfliktzonen zwischen der Junta und den EAOs Myanmars:
1. das 500 Millionen US-Dollar schwere Kaladan Multi-Modal Transit Transport-Projekt (KMMTT), welches den ostindischen Hafen von Kalkutta mit dem Tiefseehafen Sittwe in Myanmars Rakhaing-Staat verbinden soll,
2. der India-Myanmar-Thailand Trilateral Highway.
Neben dem ethnischen Konflikt in Myanmar haben auch indische Aufstände in Nagaland zu Verzögerungen beim KMMTT-Projekt geführt. Da die Fertigstellung der eigenen Infrastrukturprojekte für Indien eine hohe Priorität hat, führten die indische Armee und die Tatmadaw zwei gemeinsame Militäroperationen durch, die Milizen entlang der Grenze zwischen dem myanmarischen Rakhaing-Staat und Indiens nordöstlichen Staaten bekämpften. Indiens Infrastrukturprojekte in Myanmar und die nationale Sicherheit entlang der Grenze sind für das Land zu wichtig, als dass es die Kooperation mit der Tatmadaw vollständig aufgeben könnte.
Im Kampf gegen einen steigenden Einfluss Chinas auf Myanmar
Hinter den genannten Infrastrukturprojekten verbirgt sich eine größere Strategie. Indiens langfristiges strategisches Ziel ist es, eine Sonderwirtschaftszone im Hafen von Sittwe aufzubauen, die eine Antwort auf den von China angeführten Kyaukpyu-Hafen darstellen soll, welcher zusammen mit dem CMEC und dem China-Pakistan-Wirtschaftskorridor (CPEC) als geostrategischer Fußabdruck im Rakhaing-Staat dient. Pekings enger Draht zu Myanmar soll umgekehrt auch dafür sorgen, Indien in Schach zu halten, indem man das Land mit der steigenden Militärmacht seiner Nachbarn beschäftigt hält und dadurch seinen Einfluss außerhalb Südasiens einschränkt.
Der Leiter des Strategic Studies Program bei der Observer Research Foundation in Neu-Delhi, Harsh Pant, erklärte am 3. April 2021, dass, obwohl sich Indien für Myanmar eine Widerherstellung der Demokratie wünsche, es wichtig sei, für einen Dialog mit allen Beteiligten in Myanmar offen zu bleiben – auch mit der Tatmadaw: „Wir möchten eine Situation verhindern, in der China als einziges Land mit ihr spricht und noch ein Land in der indischen Nachbarschaft in Chinas Einflussbereich gelangt. Wenn es das Ziel der westlichen Mächte und allen voran der USA ist, Chinas Aufstieg zu beeinflussen, muss man die beteiligten Länder in einem komplexeren Licht betrachten. Überall dort, wo der Westen Länder isoliert hat, hat China die entstandene Lücke gefüllt.“
Russland: Ein aufsteigender Verteidigungspartner
Aufgrund wachsender Verbindungen zwischen Russland und Myanmar machte Moskau am 6. April 2021 deutlich, dass es gegen Sanktionen gegen das Militär in Myanmar ist und erklärte die Position damit, dass derartige Strafmaßnahmen zu einem Bürgerkrieg führen könnten. Die Nachrichtenagentur Interfax zitierte einen Sprecher des russischen Außenministeriums mit der Aussage, dass „ein Ansatz voller Drohungen und Druck inklusive Sanktionen gegen die aktuellen myanmarischen Behörden keine Zukunft hat und extrem gefährlich ist“. Aus diesem Grund wirft die EU Russland in der Frage nach Sanktionen gegen die Generäle in Myanmar vor, einer gemeinsamen internationalen Antwort auf den Putsch im Weg zu stehen.
Eine passive Haltung aufgrund fehlender Investitionen in Myanmar
Dadurch, dass es sich nach Moskauer Lesart bei der Situation in Myanmar um einen inneren Konflikt in einem unabhängigen Staat handelt und Russland sich verspricht, von der Militärherrschaft zu profitieren, ist seine Position zum Putsch in Myanmar mit seiner Haltung zur Unterdrückung der Rohingyas vergleichbar. Moskau hat versucht, Myanmar vor Kritik seitens der VN bezüglich der Unterdrückung der muslimischen Minderheit zu schützen, als beim 48. Treffen der 7. VN-Vollversammlung am 31. Dezember 2020 130 Länder gegen Myanmars Regierung stimmten. Russland, China, Belarus, Kambodscha, Laos, die Philippinen, Vietnam und Simbabwe stimmten zugunsten dieser Regierung. Russlands Vertreter erklärte, dass Menschenrechte als politisches Instrument gegen Myanmar genutzt würden, obwohl sie als interne Angelegenheit des Landes betrachtet werden sollten. Entsprechend bewertete Russland auch den Putsch 2021 als eine „rein innere Angelegenheit eines souveränen Staates“.
Trotzdem erklärte der Sprecher der russischen Regierung, Dimitry Peskov, nach der Gewalteskalation des Militärs gegen Demonstranten im März, dass, obwohl sein Land konstruktive Verbindungen zu Myanmar aufrechterhalte, es „sehr besorgt“ über die steigende Zahl der zivilen Opfer sei. Ohne Investitionen und mit nur minimalen Handelsbeziehungen zu Myanmar ist Russland bewusst, dass es unrealistisch ist, China dort wirtschaftlich herauszufordern. Russlands Strategie ist es, seine Präsenz zu sichern und Einfluss in anderen Bereichen wie der militärischen Zusammenarbeit auszuüben.
Eine vorteilhafte militärische Beziehung
Die Beziehung zwischen Russland und Myanmar ist vor allem auf den Verteidigungssektor fokussiert und fand ihren Höhepunkt im Juni 2016, als ein Abkommen zur Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich von beiden Ländern unterzeichnet wurde. Laut einer Studie des Stockholm International Peace Research Institute aus dem Jahr 2019 ist Russland ein wichtiger Waffenlieferant für Myanmar mit einem Anteil von 16 Prozent der von Myanmar beschafften Waffen in den Jahren 2014 bis 2019.
General Hlaing besuchte Russland vor dem Putsch mehr als fünf Mal. Einige Tage vor der Machtübernahme durch die Junta besuchte der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu Myanmar, um eine Lieferung von Pantsir-S1-Flugabwehrsystemen, Orlan-10E-Aufklärungsdrohnen und Radargeräten abzuschließen. Die Moskau Times berichtete, dass Russland im Februar 2021 Radargeräte im Wert von 14,7 Millionen US-Dollar an Myanmar verkauft und laut Handelsdaten im Dezember 2020 als „geheim“ klassifizierte Güter im Wert von 96 Millionen US-Dollar exportiert hatte.
Seit dem Putsch 2021 wird Russland als prominentester Unterstützer der myanmarischen Junta wahrgenommen. Der Kreml hat nicht nur deutlich gemacht, dass er sich nicht der Empörung der westlichen Staaten gegen die Junta anschließen wird, sondern kündigte auch an, die Zusammenarbeit mit Myanmars Militär zu verstärken.
Die anhaltende bilaterale Verbindung zwischen Russland und Myanmar nach dem Putsch wurde durch den Besuch des stellvertretenden Verteidigungsministers Alexander Fomin am 27. März 2021 untermauert, welcher der erste Besuch eines hochrangigen ausländischen Amtsträgers seit der Machtergreifung durch die Junta war. Der Besuch des stellvertretenden Verteidigungsministers am Tag der Streitkräfte Myanmars war ein eindeutiges Signal Moskaus, wie wichtig ihm der Einfluss in der Region ist. Fomin nannte Myanmar einen „zuverlässigen Verbündeten und strategischen Partner“ in Asien. Nach seinem Besuch erklärte das russische Verteidigungsministerium, dass Moskau die „militärische und militärtechnische Zusammenarbeit im Geiste einer strategischen Partnerschaft“ vertiefen wolle. Myanmar liegt viel daran, die bilaterale Zusammenarbeit mit Russland auszuweiten, um die Lücken zu schließen, die die westlichen Staaten hinterlassen haben.
Am 20. Juni 2021 reiste General Hlaing erneut nach Russland, um an der 9. Moskauer Konferenz für internationale Sicherheit teilzunehmen. Amtsträger aus Myanmar und Russland berieten dabei über die Vertiefung der militärischen Kooperation ungeachtet des einige Tage zuvor von der VN-Vollversammlung gefassten Beschlusses, der zu einem Lieferstopp von Waffen nach Myanmar aufrief.
Der Regimewechsel in Myanmar stellt für Russland also eine Gelegenheit dar, in der Region Fuß zu fassen. Verteidigungsminister Sergei Schoigu erklärte wiederholt, dass Myanmar „ein bewährter strategischer Partner und zuverlässiger Verbündeter in Südostasien und der asiatisch-pazifischen Region“ sei. Die Karten, die Russland nun in der Hand hält, sind der diplomatische Schutzschild, den es anbieten und das militärische Equipment, das es verkaufen kann. Die Junta schätzt diese Beziehung, da sie ihr ein Gegengewicht zum chinesischen Einfluss in der Region bietet.
Fazit
Bei jeder Krise, die multilateral am Verhandlungstisch besprochen wird, gibt es Länder, die eine eher neutrale Position gegenüber dem von der Mehrheit der internationalen Gemeinschaft verurteilten Land einnehmen. Das wurde auch durch die 36 Enthaltungen bei der Abstimmung zum unverbindlichen Beschluss der VN-Vollversammlung am 18. Juni 2021 deutlich, der die Freilassung politischer Gefangener und die Einführung eines Waffenembargos für Myanmar forderte. Die Junta hat den großen Vorteil, dass zwei dieser Staaten, nämlich China und Russland, ein Vetorecht im VN-Sicherheitsrat haben.
Diejenigen Länder, die eine neutrale oder positive Haltung gegenüber dem Regime zeigen, tun dies aus verschiedenen Gründen: um ihre finanziellen, geschäftlichen und geopolitischen Interessen zu schützen oder um sich gegen diejenigen zu verteidigen, die versuchen, ihren Einfluss in diesen Bereichen zu vergrößern. Sie benutzen Myanmar, um ihre Ambitionen zu verwirklichen, anstatt auf Menschenrechtsbelange aufmerksam zu machen. Indien beispielsweise sieht sich gezwungen, seine Beziehung zum Regime aufrechtzuerhalten, um Chinas Einfluss in Myanmar etwas entgegensetzen zu können. Das Gewicht Chinas in der Region wird von den westlichen Ländern nicht so stark wahrgenommen, erklärt jedoch, warum benachbarte Länder eine zurückhaltendere Position zum Putsch in Myanmar vertreten.
Die offiziellen Reaktionen der Nachbarregierungen auf dieses Ereignis haben also weniger mit politischer Verbundenheit gegenüber der Junta zu tun als mit den nationalen und strategischen Interessen, die sie in Myanmar vertreten und die der Öffentlichkeit nicht immer bekannt sind. Unabhängig davon ist es bedauerlich, dass die Zivilbevölkerung Myanmars auf ihrem Weg zu einer Wiederherstellung der Demokratie und einer Wiederanerkennung der NUG nicht nur ein gewalttätiges und unterdrückerisches Regime bekämpfen, sondern sich auch noch gegen bestimmte ausländische Interessen verteidigen muss, die oft indirekt Einfluss auf ihr Schicksal haben.
– übersetzt aus dem Englischen –
Annabelle Heugas ist Programmkoordinatorin in der Hauptabteilung für Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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