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von Dr. Peter Hefele, Isabel Weininger

Strategische Optionen Europas im asiatischen Jahrhundert

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Dekolonisation hat Europa keine bedeutsame politische Rolle mehr in der Asien-Pazifik-Region gespielt. Von den frühen Jahren des Kalten Krieges abgesehen, waren der transatlantische Raum und Europas Peripherie im Osten und Süden der beherrschende Wahrnehmungs- und Handlungsraum europäischer Außen- und Sicherheitspolitik. Davon weitgehend unabhängig entwickelten sich die außenwirtschaftlichen Beziehungen mit Asien, die seit den 1970er Jahren maßgeblich zu Europas Wohlstand beigetragen haben. Dieses geopolitische Koordinatensystem befindet sich seit Beginn des neuen Jahrtausends in einem rapiden Umbauprozess. Die Entfremdung im transatlantischen Verhältnis fällt mit dem Aufstieg der Volksrepublik China wie auch dem Revisionismus Russlands zusammen. Doch wie soll Europa mit dieser neuen globalen Machttektonik umgehen? Wie passt eine Neuorientierung Europas in Richtung Asien-Pazifik zu den weiter bestehenden und zu bewahrenden transatlantischen Beziehungen? Ist Europa gar gezwungen, eine Seite zu wählen?

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Brauchen wir Europäer auch einen „Pivot to Asia“?

Die fehlende strategische Kohärenz und Koordination zwischen den verschiedenen Politikfeldern gegenüber externen Mächten gehört zu den strukturellen Schwachpunkten europäischer Politik. Das zeigt sich am eindrücklichsten mit Blick auf die neue Hegemonialmacht China. Das Erreichen „strategischer Souveränität“ (Emmanuel Macron) oder gar Autonomie als strategisches Ziel Europas scheint in absehbarer Zeit weder erreichbar noch wünschenswert. Europa sollte sich freimachen von dem Zwang, in bloßer Nachahmung des amerikanischen oder chinesischen Modells ein eigenes hegemoniales Konzept anzustreben – und eher ein Gegenmodell präsentieren, das von Kompromissen und Kooperation geprägt ist.

 

Eine europäische Erzählung: von der Stärke des Narrativs

Europas Stärke liegt nach wie vor in der Strahlkraft seiner Erzählung. Dies beschränkt sich keineswegs auf kulturelle Phänomene. Eine regelbasierte multilaterale Ordnung und eine rechtsstaatlich eingehegte, freiheitliche Politik innerhalb der EU entspringen beide dem gleichen politischen Prinzip von Machtbegrenzung. Das entspricht auch dem Wunsch der Mehrheit der Menschen in Asien-Pazifik. Dass aufstrebende Mächte, insbesondere China, nun verstärkt auch ihr Narrativ global durchsetzen wollen und hierzu enorme Ressourcen mobilisieren, bestätigt die zentrale Rolle von Erzählungen in der Geopolitik. Europa muss die Stärken des eigenen, kooperativen Modells propagieren.

Nicht nur die Zahlen, sondern auch die Struktur des wirtschaftlichen Austausches der europäischen Volkswirtschaften verbieten es Europa, nunmehr allein auf das „asiatische Pferd“ zu setzen – insbesondere, wenn es in der Gestalt eines totalitär-staatskapitalistischen Modells wie dem Chinas daherkommt. Leider hat sich bislang die Einsicht nur unzureichend durchgesetzt, dass es auch beim wirtschaftlichen Austausch keine Äquidistanz und Indifferenz gegenüber unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen geben kann – gerade unter europäischen Wirtschaftseliten sind derartige Meinungen immer noch erstaunlich stark. Diversifizierung und das Denken in Ordnungen – ein Grundprinzip der Sozialen Marktwirtschaft – sollten die Grundlage von Unternehmensstrategien und der Gestaltung der außenwirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands und Europas sein.

 

Realitäten anerkennen – Chancen nutzen

Kann Europa im Verbund mit (demokratischen) Nationen Asien-Pazifiks das Vakuum füllen, das der Rückzug der Vereinigten Staaten für die regionale und globale Ordnung hinterlassen hat? Vom Hegemon China abgesehen, sind alle Nationen Asiens auf ein funktionierendes multilaterales Ordnungssystem angewiesen – und dessen Zukunft entscheidet sich maßgeblich im Indo-Pazifik-Raum. Deshalb kann Europa dort nicht abseitsstehen, will es seinen eigenen geopolitischen Gestaltungsanspruch nicht aufgeben. Wird dies auf eine Art globale Arbeitsteilung mit einer „Allianz der Willigen“ – beispielsweise mit Australien, Neuseeland, Kanada, Japan, Indien und ggf. unter Einschluss der USA – hinauslaufen? Bislang fehlen der Wille und die Fähigkeit, Ressourcen jenseits der europäischen Peripherie in nennenswertem Umfang einzusetzen. Den europäischen Bekenntnissen zu gemeinsamen Werten und universellen Normen begegnet man in Asien mit einer gesunden Portion realpolitischer Zurückhaltung. Europa sollte sein Potenzial entlang seiner strategischen Interessen einsetzen. Hier sollten offensiver die Vorteile einer klugen Arbeitsteilung zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedern propagiert werden. Dazu gehört aber auch, die Grenzen des eigenen Willens und Handelns anzuerkennen, sonst sind Enttäuschungen auf beiden Seiten vorgezeichnet.

 


 

Dr. Peter Hefele ist Leiter der Abteilung Asien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 


 

Isabel Weininger ist Referentin in der Abteilung Asien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 


 

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Samuel Krug

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