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Henry Nicholls, Reuters

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„Souveränität der EU“

Gefahren eines unerfüllbaren Versprechens

Souveränität – oft durch Attribute wie „strategische“ oder „europäische“ ergänzt – ist ein Ziel, das derzeit von vielen Seiten in Europa gefordert wird. Gleichzeitig ist Souveränität der Schlüsselbegriff nationalistischer Bewegungen. Worum geht es hier also? Ist „europäische Souveränität“ in verschiedenen Politikfeldern überhaupt erreichbar? Und gibt es eine „gute“ (europäische) und „schlechte“ (nationale) Souveränität?

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Die COVID-19-Pandemie, verursacht durch ein sich global ausbreitendes Virus, hat einige Schwachstellen der EU bei Abhängigkeitsverhältnissen in Politik und Lieferketten offengelegt und damit die bereits zuvor existierende Debatte über eine Souveränität der EU befeuert. Dass die Lieferung von Schutzmasken, medizinischem Material und zuletzt Impfstoffen zum Instrument des globalen Systemwettbewerbs um politischen und wirtschaftlichen Einfluss gemacht wurde, war Treibstoff für die Debatte. Es wurde der verständliche Wunsch genährt, endlich von globalen Mächten und fernen Akteuren unabhängig zu werden.

Deshalb müssen wir die begonnene Debatte um „europäische Souveränität“ fortsetzen. Ist europäische Souveränität überhaupt erreichbar? Gibt es „gute“ (europäische) und „schlechte“ (nationale) Souveränität?

Deutschland und die Europäische Union befinden sich in einem wachsenden globalen Wettbewerb um Werte, Wohlstand, Einfluss und Sicherheit. Der Wettbewerbsdruck hat sogar zugenommen, wofür es drei wesentliche Triebkräfte gibt: die Erosion globaler US-amerikanischer Macht (die US-Präsident Biden bisher nicht umgekehrt hat), der wirtschaftliche Aufstieg Chinas mit der Machtkonzentration bei der Kommunistischen Partei und die innere Schwächung westlicher Gesellschaften und Ordnungsmodelle, die sich ihrer Werte nicht mehr sicher sind.

Wir müssen uns darüber klar werden, wie wir unsere Widerstandsfähigkeit stärken und unsere Position als Raum der Freiheit, des Wohlstands und der Sicherheit halten oder ausbauen können. Mehr eigene Beiträge sind unumgänglich. Begriffe wie „strategische Autonomie“ (Macron) oder „europäische oder strategische Souveränität“ stehen als Ziele im Raum. „Autonomie“ wurde als sich von den USA abgrenzend (miss-)verstanden und hat Schaden bei den transatlantischen Partnern angerichtet – nicht nur im Trump-Lager. Der Begriff geriet in den Hintergrund und nun diskutiert man intensiver über die „Souveränität“, die Europa für seine Sicherheit, den digitalen Raum, seine Wirtschaft oder gar die Gesundheit anstreben soll, um „unabhängig“ zu werden.

 

Sicherheitspolitik als Kernbereich staatlicher Souveränität

Aber ist das Streben nach „Souveränität“ das richtige Mittel europäischer Politik? Erreichen wir so Freiheit, Sicherheit und Wohlstand für die EU-Bürger? Souveränität bezieht sich seit dem 18. Jahrhundert auf den Nationalstaat und dessen Anspruch, nach innen und außen unabhängig und nur dem eigenen Willen unterworfen zu sein. Diesen Anspruch nun auf „Europa“ – oder vielmehr auf die EU – zu übertragen, klingt moderner, als es ist. Eine solche Souveränität der EU ist nicht absehbar, da die Grundlage der europäischen Integration die begrenzte Übertragung von nationalstaatlicher Souveränität auf gemeinschaftliche Institutionen war.

Das wird bei der Außen- und Sicherheitspolitik besonders deutlich, die (nicht nur) die EU-Mitgliedstaaten als Kernbereich ihrer Souveränität begreifen. Kooperation ist erlaubt und gewollt, aber die Letztentscheidung liegt bei den Staaten. Bei der Frage, ob Frankreich seinen ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat als EU-Sitz begreift, hat es die Grenzen klar zugunsten der nationalen Souveränität gezogen. Eine Änderung wäre selbst von einem 2022 wiedergewählten Präsidenten Macron nicht zu erwarten. Für die Sicherheit Europas ist entscheidend, in gemeinsame militärische Fähigkeiten und Zukunftstechnologien zu investieren. Sicherheitspolitische Willensbildung muss zu einer gemeinsamen Position und gemeinsamem Handeln führen. Das würde europäische Interessen im transatlantischen Bündnis stärken – erst recht gegenüber äußeren Bedrohungen. Die USA werden für Europas Sicherheitsinteressen weiterhin unverzichtbar sein, aber zur Sicherung des freiheitlichen Modells und eines fairen globalen Wettbewerbs brauchen wir auch andere demokratische Mächte wie Kanada, Australien, Japan oder Indien. Sie erwarten eine starke, handlungsfähige und handelnde EU.

Ähnliches gilt für den digitalen Bereich: Hier muss Europa mehr in Innovation und Umsetzung investieren. Europa muss seine digitale Zukunft selbst gestalten können. Dazu gehört, einerseits weltweit anerkannte Standards für das digitale Zeitalter zu setzen. Andererseits muss Europa es schaffen, seine Werte in kommerziell erfolgreiche Geschäftsmodelle und Produkte zu übersetzen. Die EU-Datenschutzgrundverordnung und die Größe des Binnenmarktes haben überall auf der Welt Prozesse angestoßen, den Datenschutz im digitalen Zeitalter neu zu regeln. Der starke EU-Binnenmarkt und die gemeinsame Handelspolitik machen unsere Wirtschaft und Werte erfolgreich.

 

Innereuropäische Gefahren

Die Welt ist also immer vernetzter, was überkommene Konzepte wie „Unabhängigkeit“, „Autonomie“ oder „Souveränität“ weniger denn je zulässt. Entsprechend irritiert schauen außereuropäische Partner auf die europäische Debatte und erwarten eher Taten als Floskeln. Es gibt jedoch auch innereuropäische Gefahren: Gerade die populistischen und nationalistischen Bewegungen und Parteien in der EU haben die vermeintliche „Wieder“-Erlangung der Souveränität von der „Brüsseler Herrschaft“ zu ihrem Ziel erkoren. „Take back control“ ist nicht nur der Schlachtruf der erfolgreichen Brexit-Kampagne gewesen, sondern wird in der Sache von linken wie rechten Nationalisten in Europa zur Mobilisierung genutzt. Zugleich hegen die Gesellschaften Mittel-, Ost- und Südosteuropas Widerwillen gegen eine weitere Übertragung von erst seit 1990 gewonnener Souveränität. Insofern liegen in der Souveränitätsdebatte zwei Gefahren im Innern: Einerseits kann damit der Plan eines europäischen Superstaats und damit das Ende des Nationalstaats beschworen werden – ein hochgradig emotionalisierendes Thema. Andererseits werden Erwartungen an Souveränität mit eigener Entscheidungsgewalt geweckt, die nur enttäuscht werden können. Wut und Enttäuschung haben das Image der EU bereits geschädigt – weiteren Schaden sollten wir unbedingt vermeiden!

Deshalb sollten wir unsere politischen, kommunikativen und wirtschaftlichen Energien gezielt einsetzen – und unsere Verteidigungs- sowie Innovationsfähigkeit, unseren Binnenmarkt und nicht zuletzt unsere demokratische Handlungsfähigkeit stärken. Das ist realistisch, dient unseren Interessen und kann die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger gewinnen. Letzteres ist die zentrale Machtressource in einer freiheitlichen Demokratie. Eine gute Gelegenheit hierfür könnte die Konferenz zur Zukunft Europas sein, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen hatte und die im Mai 2021 ihre Arbeit aufnahm. Sie sollte ein Ort der Positionsbestimmung sein: ein Ort für Beiträge, europäische Werte- und Ordnungsvorstellungen zu bewahren und diese erfolgreich und effektiv zur Stärkung unserer Interessen auf internationaler Ebene einzubringen.

Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Fassung eines Artikels, der im Dezember 2020 auf n-tv.de erschienen ist.

 


 

Dr. Peter Fischer-Bollin ist Leiter der Hauptabteilung Analyse und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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