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Auslandsinformationen

Südasiens (fast) vergessene Klimakrise und Europas Verantwortung

von Dr. Frederick Kliem, Timm Anton

Die neue Normalität

Südasien ist besonders von den Konsequenzen des Klimawandels betroffen und wird immer wieder von Hitzewellen und extremen Wetterereignissen heimgesucht. Dies wird sich in Zukunft weiter verschlimmern. Regierungen vor Ort stellen sich dieser Herausforderung, aber nationale Bemühungen allein werden nicht ausreichen. Es gibt zwar große Potenziale für eine nachhaltige Entwicklung, doch prägen Armut, schlechte Regierungsführung und Konflikte die Region. Für die historisch gesehen größten Umweltverschmutzer, darunter Europa, ist es sowohl eine moralische Verpflichtung als auch eine Frage der Vernunft, Südasien bei der Eindämmung des Klimawandels und der Anpassung an dessen Folgen zu unterstützen.

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Das ultimative Trittbrettfahrerproblem

Die Fakten der Klimakrise, die recht einfachen wissenschaftlichen Zusammenhänge dahinter und die verheerenden Folgen sind weder ein Geheimnis noch besonders schwer zu verstehen. Dennoch scheint die Botschaft nicht angekommen zu sein. Große Organisationen und Experten wie der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) dokumentieren und analysieren den menschengemachten Klimawandel und warnen vor dessen Folgen wie Hitzewellen und hohen wet-bulb-Temperaturen, dem dauerhaften Verlust der Biodiversität, Waldbränden, tropischen Stürmen, der Versauerung der Ozeane und dem Anstieg des Meeresspiegels. Zu den sekundären Folgen zählen anhaltende ökonomische Unterentwicklung in stark betroffenen Regionen sowie beispiellose Massenmigration aus tropischen und trockenen (wie Südasien) in gemäßigte Klimazonen (wie Europa).

Die Liste geht weiter – ebenso wie die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen, die die globale Erderwärmung beschleunigen. Es besteht kein Zweifel, dass diese vom Menschen verursachten Emissionen zwar nicht ausschließlich, aber doch überwiegend die Folge der immer noch zunehmenden Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Öl und Gas) sind, die sowohl für die Energieerzeugung als auch für die Herstellung von Kunststoffen, Stahl und anderen Produkten verwendet werden. Bei diesem Prozess wird Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre freigesetzt, wodurch dort Wärme gebunden wird und die Temperaturen an der Landoberfläche und in den Ozeanen in alarmierendem Maße ansteigen. Gleichzeitig werden die natürlichen CO2-Senken durch Abholzung von Wäldern und Versauerung der Meere in ähnlich dramatischem Tempo reduziert.

Infolgedessen war das Jahr 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen und wahrscheinlich seit mehr als 100.000 Jahren, wobei die weltweite Durchschnittstemperatur in Oberflächennähe um 1,45 Grad Celsius über dem vorindustriellen Ausgangswert lag. Da im Juli 2024 die beiden wärmsten Tage seit Beginn der Aufzeichnung registriert wurden (17,09 und 17,15 Grad Celsius), wird das Jahr 2024 die bisherigen Rekordwerte des Jahres 2023 sogar noch übertreffen.

Gleichzeitig stößt die Welt – oder besser gesagt die 20 Länder mit den höchsten Emissionen – immer größere Mengen an Treibhausgasen aus. Derzeit liegt die Konzentration von CO2, dem wichtigsten wärmespeichernden Treibhausgas, in der Atmosphäre bei etwa 423 Teilen pro Million (ppm) und damit 50 Prozent höher als in der vorindustriellen Zeit. Dies ist die höchste CO2-Konzentration in der Atmosphäre seit etwa zwei Millionen Jahren. Parallel dazu hat sich durch den Druck auf Energieversorgungsketten das Gleichgewicht zwischen Klimaschutz und Energiesicherheit zugunsten der letztgenannten verschoben, sodass einmal mehr die vermeintlichen Vorzüge der fossilen Energieträger betont werden, insbesondere der Kohle. Der Klimawandel schreitet währenddessen unaufhaltsam voran. Und die Entwicklung hat sich nicht einmal verlangsamt.

Südasien trägt nur wenig zum anthropogenen Klimawandel bei.

Während die Klimasensitivität – also die Beziehung zwischen Treibhausgasemissionen und Oberflächentemperaturen – noch nicht vollständig geklärt, ein kausaler Zusammenhang aber erwiesen ist, ist das 1,5-Grad-Ziel, das häufig mit dem Pariser Abkommen in Verbindung gebracht wird, in weite Ferne gerückt. Angesichts der derzeitigen Politik ist eine Erderwärmung um 3 Grad ein wahrscheinliches Szenario, und selbst wenn alle Staaten ihre Klimazusagen einhalten sollten, was bislang nicht annährend der Fall ist, wäre immer noch eine Erwärmung um 2,5 Grad zu erwarten. Die sogenannten Jahrhundertfluten werden zu 30-jährlichen Fluten, extreme Hitzewellen, Dürren und hohe wet-bulb-Temperaturen nehmen an Häufigkeit zu und entscheidende Kipppunkte sind bereits erreicht, darunter der Verlust der Eisdecke in der Arktis im Sommer, der Anstieg des Meeresspiegels und die dauerhafte Unbewohnbarkeit von Gebieten. Es sind wesentlich schnellere Fortschritte beim Klimaschutz in weitaus größerem Umfang erforderlich.

Dieser grundlegenden Krise wird jedoch in der Öffentlichkeit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, dementsprechend gering ist die Dringlichkeit für die politischen Entscheidungsträger in den Industrieländern, an dieser Situation etwas zu ändern. Die Maximierung von Nutzen und Profiten wird über die Dringlichkeit gestellt, die Erderwärmung auf den gerade noch tolerierbaren Wert von 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.

Die Erderwärmung stellt dabei das ultimative Trittbrettfahrerproblem dar. Die Senkung der Treibhausgasemissionen ist für den Staat – zumindest kurzfristig – mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten verbunden, wobei die Vorteile dieser Senkung vor allem mittelbar zum Tragen kommen. Zugleich sind die Folgen des Ausstoßes von Treibhausgasen in die Atmosphäre, ein globales Gemeingut, nicht auf nationaler, sondern auf globaler Ebene zu spüren. Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen dies als „negative externe Effekte“: Die Kosten für den Planeten werden von der Gesellschaft getragen, nicht von denjenigen, die sie verursachen. Mit anderen Worten: Die wirtschaftlichen Vorteile sind individualisiert, die Kosten für unseren Planeten jedoch sozialisiert. Im Klimawandel zeigt sich somit das Problem kollektiven Handelns besonders deutlich.

 

Die Folgen des Klimawandels in Südasien

In Europa sind der Klimawandel und die ihn verursachende Erderwärmung – derzeit – noch eine relativ abstrakte Bedrohung. Doch für viele Länder in Afrika, Asien und dem Pazifikraum ist diese Bedrohung längst Realität. Dies zeigt sich insbesondere in Südasien. Die Region zählt zu den Gebieten, die weltweit am stärksten von Wetter- und Klimakatastrophen betroffen sind, und die Folgen der ständig steigenden Temperaturen betreffen zwei Milliarden Menschen, ein Viertel der Weltbevölkerung – es handelt sich um die am dichtesten besiedelte Region der Erde. Erfahrungen mit dem Klimawandel und seinen Folgen sind in ganz Südasien ähnlich, vor allem die Zunahme von schweren Regenfällen und Überschwemmungen, Hitzewellen, Wirbelstürmen, Dürren und zerstörten Ökosystemen, die nicht nur zu wirtschaftlichen Einbußen, sondern auch zu Verlusten von Menschenleben, Ernährungsunsicherheit, unbewohnbaren Gebieten und erzwungener Migration führen. Gleichzeitig trägt Südasien mit seinen geringen Treibhausgasemissionen und großen CO2-Senken nur wenig zu dem vom Menschen verursachten Klimawandel bei.

Im Jahr 2022 wurde Pakistan von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht – und das nicht zum ersten Mal. Die pakistanische Regierung sprach von einer „klimabedingten humanitären Katastrophe epischen Ausmaßes“, verursacht durch eine schwere Hitzewelle, die Gletscher zum Schmelzen brachte, und durch heftigere Monsunregenfälle als üblich, die von zunehmend feuchter Luft gespeist wurden. Von den Überschwemmungen waren 33 Millionen Pakistaner betroffen, was etwa der Gesamtbevölkerung Polens entspricht. In Folge der Fluten kamen 2.000 Menschen ums Leben, acht Millionen wurden obdachlos. Es entstand ein wirtschaftlicher Schaden von 15 Milliarden US-Dollar, für den ein Rettungsfonds von 16 Milliarden US-Dollar eingerichtet wurde. Seitdem hat es weitere schwere Überschwemmungen gegeben, vor allem in den Jahren 2023 und 2024 in Pakistan, Bangladesch, Afghanistan, Indien, Nepal und Sri Lanka.

Trockene Winter wirken sich nachteilig auf die ohnehin schon erschreckend schlechte Luftqualität aus.

Der Monsun prägt das Wetter, die Jahreszeiten und die Kultur in Südasien und ist ein komplexes System, das sich in kurzer Zeit dramatisch verändert. Weil sich die Luft erwärmt und somit mehr Feuchtigkeit aufnimmt, verändern sich die Monsunmuster. Sie werden unregelmäßiger, unzuverlässiger und – wie das Beispiel Pakistan zeigt – gefährlicher. Während der Monsun selbst verheerende Regenfälle mit sich bringt, führt die Vormonsunzeit zu lang anhaltenden Hitzewellen in der gesamten Region. Der Vormonsun 2024 brachte Rekordhitzewellen, bei denen in Teilen Indiens, Bangladeschs und Pakistans Temperaturen von über 45 Grad Celsius, teilweise sogar von über 50 Grad gemessen wurden. Im Klima Südasiens kann der Schweiß in der mit Feuchtigkeit gesättigten Luft nicht verdunsten und kühlt somit den Körper nicht. Der wet-bulb-Temperatur-Effekt bewirkt, dass Temperaturen von über 40 Grad in Südasien zu einem Übermaß an Hitzetoten unter Kindern und älteren Menschen führen, Kinder vom Schulbesuch abgehalten werden und praktisch alle Aktivitäten im Freien zum Erliegen kommen, was zudem die landwirtschaftliche Produktivität reduziert und damit die Ernährungssicherheit und Wirtschaftsentwicklung in den ohnehin armen Teilen Südasiens bedroht. Diese Hitzerekorde werden nun fast jährlich gebrochen.

In Nepal, einem der weltweit vulnerabelsten Länder, führt der Klimawandel zu schweren Dürren im Winter und extremen Überschwemmungen während des Monsuns. Die wichtige Wintersaison wird immer wärmer und trockener, was zu Waldbränden, schmelzenden Gletschern und einer veränderten Flora und Fauna führt. Trockene Winter wirken sich nachteilig auf die ohnehin schon erschreckend schlechte Luftqualität aus. Dies wird jeder bestätigen können, der in den vergangenen Wintern in Kathmandu gewesen ist. Während vor zwei Jahrzehnten Stechmücken in den Ausläufern des Himalayas noch unbekannt waren, tritt das von Mücken übertragene Denguefieber dort mittlerweile immer häufiger auf, da die Gebiete wärmer und feuchter werden. Bei Schulungen, die das Regionalprogramm Energiesicherheit und Klimawandel Asien und Pazifik (Regional Programme Energy Security and Climate Change Asia-Pacific, RECAP) der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Einheimischen in abgelegenen Dörfern in diesen Gebieten durchführte, berichteten Kleinbauern von Umweltveränderungen, die die Auswirkungen des Klimawandels geradezu perfekt darstellen, obwohl keiner der Kleinbauern überhaupt mit dem Konzept des Klimawandels vertraut war. Neben dem Auftreten von Stechmücken wurden unter anderem bisher unbekannte Schädlinge und insgesamt sinkende Ernteerträge bei früher üppigen Pflanzen als neue Phänomene benannt. Der massive Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln ist nun unumgänglich.

Ein Großteil der Bevölkerung Südasiens lebt in den Städten entlang des Golfs von Bengalen.

Auch das Hochland von Tibet, das am Übergang zwischen Zentral-, Süd- und Ostasien liegt, wird immer wärmer und feuchter. In diesem Gebiet entspringen einige der wichtigsten Flüsse der Region, darunter der Mekong, der Jangtse und der Yalu River sowie der Indus und der Ganges. Die schmelzenden Gletscher werden den Wasserstand des Mekong, des Jangtse und des Yalu River ansteigen lassen, während in den südlichen Abflussgebieten mit einem Rückgang gerechnet wird. Dies wird vor allem in Indien zu einem Wassermangel führen, der die Bewässerung, die Trinkwasserversorgung, die Industrie, die Schifffahrt und die Nutzung von Wasserkraft gefährden wird.

Ein großer Teil der südasiatischen Bevölkerung lebt in den Küstenstädten, viele davon entlang des Golfs von Bengalen, der größten Bucht der Welt. Viele dieser Küstenstädte haben weit mehr als zehn Millionen Einwohner, in den vier größten (Karatschi, Mumbai, Kolkata und Dhaka) leben so viele Menschen wie in ganz Frankreich. Mit dem Anstieg des Meeresspiegels und der Zunahme schwerer tropischer Wirbelstürme infolge der Erwärmung der Ozeane (der Indische Ozean ist bereits um ein Grad wärmer als in der vorindustriellen Zeit) wird der Klimawandel die Abwanderung vieler Menschen aus diesen dicht besiedelten Zentren immer stärker vorantreiben.

Der Agrarsektor ist von den extremen Witterungsbedingungen besonders betroffen.

Diese Auflistung ist nur exemplarisch. Aber alle diese Beispiele zeigen das Ausmaß und die Dringlichkeit der Herausforderung. Zahlreiche Gespräche von RECAP mit südasiatischen Akteuren machen deutlich, dass sich sowohl die Öffentlichkeit als auch Entscheidungsträger aus der Politik und dem Sicherheitsbereich in Südasien der Tatsache bewusst sind, dass die vom Menschen verursachte Klimakrise die größte sicherheitspolitische, wirtschaftliche und soziale Krise überhaupt darstellt. So bestätigen Gespräche mit Sicherheitskreisen in Pakistan und Sri Lanka, dass klimabedingte Bedrohungen der nationalen Sicherheit ganz oben auf der Agenda stehen. Und dennoch stellt diese südasiatische „neue Normalität“ die Regierungen auf eine harte Probe. Die immer noch grassierende Armut, die politische und wirtschaftliche Instabilität, die fehlende regionale Zusammenarbeit und die oft bescheidenen lokalen Verwaltungskapazitäten behindern trotz erheblicher nationaler Anstrengungen das Risikomanagement sowie die Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen. Insbesondere die unmittelbaren Auswirkungen extremer wetterbedingter Ereignisse erfordern ein Funktionieren von nationalem Katastrophenmanagement und regionalen Mechanismen für Soforthilfe.

Die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels etwa auf die Migration oder auf die wirtschaftliche Entwicklung sind noch schwieriger zu bewältigen: Der Klimawandel und die zunehmenden extremen Wetterereignisse haben nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft, sondern auch auf das sozioökonomische Wohlergehen einer großen und bereits notleidenden Bevölkerung. Die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels für Südasien lassen sich nur schwer in genauen Zahlen ausdrücken, die meisten Schätzungen gehen jedoch von rund einer Billion US-Dollar aus. Die Weltbank schätzt, dass die Auswirkungen des Klimawandels in Südasien deutlich über dem globalen Durchschnitt von 7 Prozent BIP-Verlust liegen werden, wobei die potenziellen Verluste 10 bis 18 Prozent des BIP betragen könnten.

Der Agrarsektor ist einer der Hauptbeschäftigungszweige und Hauptgarant für die lokale Ernährungssicherheit – und gleichzeitig in besonderem Maße betroffen. Extreme Witterungen schränken die Arbeitsproduktivität stark ein, wodurch die sich langsam entwickelnden Volkswirtschaften Südasiens zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Dies hemmt nicht nur Wachstum und Entwicklung, sondern verschärft auch die sozioökonomischen Ungleichheiten in diesen ohnehin schon von Benachteiligungen geprägten Gesellschaften. Relativ arme Menschen, häufig Tagelöhner, die meist in Sektoren wie dem Baugewerbe und der Landwirtschaft, also im Freien, beschäftigt sind, verlieren große Teile ihres Einkommens und können somit die Ernährung ihrer Familien immer weniger sicherstellen. Die überproportionalen Auswirkungen des Klimawandels in den weniger entwickelten Ländern Südasiens (und Afrikas) werden mit Blick auf den Entwicklungsstand das Gefälle gegenüber den industrialisierten Volkswirtschaften in Europa und anderswo weiter vergrößern, was wiederum die Migration ansteigen lässt. Es lässt sich festhalten, dass die Folgen des Klimawandels neben demografischen Verschiebungen sowie Gewalt und Konflikten zu den drei wichtigsten Triebkräften für die Migration von Menschen im 21. Jahrhundert gehören. Plötzlich auftretende Ereignisse wie Überschwemmungen oder saisonale Dürren und langsam einsetzende Auswirkungen wie Wasserknappheit oder der Anstieg des Meeresspiegels führen zu erheblichen Migrationsbewegungen. In Pakistan ist das bereits zu sehen, wo Millionen von Flüchtlingen nach neuen Perspektiven suchen.

Die Staaten der Region müssen sich gegenseitig beim Katastrophenmanagement unterstützen.

Das Programm RECAP konnte aus erster Hand erfahren, wie alle südasiatischen Staaten in den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel investieren und entsprechende Maßnahmen umsetzen, wie beispielsweise Aufforstung, Küstenschutz, den Aufbau einer Infrastruktur für erneuerbare Energien und die Elektrifizierung ihrer aufstrebenden Volkswirtschaften. Bhutan ist inzwischen „netto-negativ“, da seine Wirtschaft durch die Bindung von CO2 in riesigen geschützten Wäldern und den Export von Strom aus erneuerbaren Energien mehr CO2 kompensiert, als sie ausstößt. Zwar ist Bhutan ein kleines Land, das gilt jedoch auch für Luxemburg, eine der Volkswirtschaften mit den höchsten Pro-Kopf-Emissionen. Anstatt den Erfolg Bhutans mit seiner Größe abzutun, sollte man die Leistungen des Landes analysieren, die vor allem auf eine engagierte Umweltpolitik zurückzuführen sind. Dazu zählen der in der Verfassung verankerte Schutz der Wälder, die Bevorzugung erneuerbarer Energien gegenüber fossilen Brennstoffen und das Verbot des Holzeinschlags für den Export.

Neben den innenpolitischen Herausforderungen ist das größte Hindernis allerdings die mangelnde regionale Zusammenarbeit. Der Fokus auf nationale Souveränität und das gegenseitige Misstrauen behindern den Austausch über sinnvolle Maßnahmen. Ein gemeinsames südasiatisches Vorgehen bei der Anpassung an den Klimawandel und beim Katastrophenschutz könnte viel bewirken. So ist es vor einigen Jahren pakistanischen und indischen Klimaaktivisten gelungen, regelmäßige Treffen zu organisieren und sich über Pläne zur Bewältigung von Hitzewellen und Strategien zur Wiederaufforstung auszutauschen. Allerdings erschweren die jeweiligen Regierungen diesen zivilgesellschaftlichen Dialog zunehmend, obwohl die indisch-pakistanischen Beziehungen sicherlich profitieren würden, wenn sie nicht mehr fast komplett vom Thema Sicherheit überlagert würden. Zudem sollten die am Oberlauf der Flüsse gelegenen Staaten Echtzeitdaten über den Flusslauf mit ihren flussabwärts gelegenen Nachbarn teilen. Auf diese Weise könnten Himalaya-Staaten gemeinsam die Gletscher überwachen, während die Küstenstaaten über Wettermuster berichten könnten. RECAP-Mitarbeiter haben selbst gesehen, über welch geringe Ressourcen die einzige Wetterstation Sri Lankas verfügt. Alternativ könnten die wesentlich leistungsfähigeren Anlagen Indiens frühzeitig Sturmwarnungen übermitteln, womit sich Schäden durch Überschwemmungen und Wirbelstürme stark begrenzen ließen und eine Vertrauensbasis für die regionale Zusammenarbeit geschaffen würde. Ein positives Beispiel für eine Zusammenarbeit in Südostasien ist die Mekong-Flusskommission. Zudem hat China Indien und Bangladesch dabei unterstützt, ihre Strategien zur Vorbereitung auf und zum Umgang mit Überschwemmungen am Fluss Brahmaputra während der Monsunzeit zu verbessern und so Tausende von Menschenleben zu retten. Ebenso wichtig ist es, dass sich die Staaten der Region beim Katastrophenmanagement unterstützen.

Allerdings gehört Südasien, was gegenseitiges Vertrauen und regionale Zusammenarbeit betrifft, bedauerlicherweise zu einer der am schlechtesten funktionierenden Regionen. Die Südasiatische Wirtschaftsgemeinschaft (South Asian Association for Regional Cooperation, SAARC) ist aufgrund der anhaltenden Rivalitäten und Konflikte zwischen ihren Mitgliedsländern, insbesondere zwischen Indien und Pakistan, de facto nicht handlungsfähig. Bisher ist es nicht gelungen, diesen Mangel an regionaler Zusammenarbeit durch alternative Mechanismen auszugleichen, was wiederum eine effektive Kooperation und Entscheidungsfindung in ganz Südasien behindert.

 

Europäische Verantwortung und ökologischer Realismus

Die Intensivierung von Bemühungen auf regionaler Ebene ist der Schlüssel zu regionaler Resilienz. Europa sollte sie unterstützen – sowohl aus Gründen der Klimagerechtigkeit als auch aus eigenem Interesse. So liegt die Verantwortung für die Eindämmung des Klimawandels vor allem bei den früheren und aktuellen Hauptemittenten. Akkumuliert betrachtet sind die Vereinigten Staaten derzeit der größte Verschmutzer; auch China, Indien und Russland gehören zu den starken Emittenten – aus historischer Perspektive belegen jedoch die europäischen Volkswirtschaften zusammengenommen hinter den USA den zweiten Platz. Im Gegensatz dazu sind die Emissionen Südasiens – abgesehen von Indien – vernachlässigbar und müssen vor dem Hintergrund des Wachstumsbedarfs der Länder betrachtet werden, um der immer noch weitverbreiteten Armut entgegenzuwirken. Und selbst Indien, das bevölkerungsreichste Land der Welt, trägt nominell „nur“ sieben Prozent zu den globalen Emissionen bei, wobei der Ausstoß pro Kopf marginal ist.

Obwohl Europa historisch gesehen zu den großen Verursachern von Emissionen gehört, ist es gegenwärtig weniger von den Folgen des Klimawandels betroffen als Südasien. Aus der Perspektive der „verursachergerechten“ Kosten ergibt sich eine unausweichliche Verantwortung für Europa, die Energiewende schneller und entschlossener voranzutreiben sowie sich entwickelnde Volkswirtschaften bei ihren Anpassungsbemühungen und auf ihrem Weg zu einem umweltverträglichen Wachstum zu unterstützen. In Südasien drehen sich tatsächlich große Teile der Debatte um „Schäden und Verluste“ und die Forderung nach Klimagerechtigkeit. Es wäre schwierig für die Industriestaaten, zwei Milliarden Menschen zu ignorieren, die mit einer Stimme sprechen, aber das Fehlen regionaler Kooperation verhindert, dass sie dies tun.

Zentralpakistan ist in weiten Teilen nahezu unbewohnbar geworden.

Neben solchen eher „idealistischen“ Motiven spricht auch eine realpolitische Betrachtung für ein stärkeres Engagement europäischer Länder: Die Erhaltung der Biosphäre – und das geht über die Erderwärmung hinaus – ist ein zentrales nationales Interesse, ja sogar eine Frage der nationalen Sicherheit. Ein solcher ökologischer Realismus erkennt nicht nur an, dass die Menschheit von einer intakten Umwelt, wie wir sie kennen, abhängt, sondern auch, dass der Mensch in dieser Frage eine entscheidende Rolle spielt. Der ökologische Realismus sieht das Streben nach der Erhaltung der planetaren Funktionen als unabdingbar für jedes andere nationale Ziel an – keine abwegige Perspektive angesichts der empirischen Beweise für die vom Menschen verursachte Schädigung der Umwelt.

Insbesondere die schwindende Bewohnbarkeit tropischer und trockener Regionen erzeugt vor allem in den stark betroffenen ländlichen Gebieten immense Push-Faktoren für massive grenzüberschreitende Migration. Weite Teile Zentralpakistans sind bereits nahezu unbewohnbar geworden, es findet schon jetzt eine massenhafte Binnenmigration statt. Auch wenn es sich zunächst vorwiegend um regionale Migration handelt, wird sie erheblichen Druck auf die Kapazitäten südasiatischer Länder ausüben. Aus europäischer Sicht sind die Auswirkungen dieser strukturellen Verwerfungen – regionale Instabilität in Südasien und potenzielle Migration nach Europa – zu gravierend, als dass man sie ignorieren könnte.

Ebenso realistisch ist die Erkenntnis, dass Energiesicherheit und Klimawandel untrennbar miteinander verbunden sind. Energieerzeugung und -verbrauch sind die Hauptursachen für die Erderwärmung, da sie für drei Viertel der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Eine weltweite Umgestaltung der Energiesysteme ist unabdingbar, um die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, und gleichzeitig der sicherste Weg zu einer zuverlässigen und erschwinglichen Energieversorgung und damit für Energiesicherheit. Fairerweise muss man sagen, dass die Europäische Union über die Europäische Investitionsbank und andere Kanäle einen erheblichen Beitrag zur Infrastruktur für erneuerbare Energien in Südasien geleistet hat. Hauptaufgabe Europas und anderer großer Emittenten aber bleiben angesichts ihrer beschriebenen Klimaverantwortung und des „ökologischen Realismus“ vor allem dringende Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels im In- und Ausland durch eine rasche und umfassende Energiewende jenseits politischer Debatten über Verbrennungsmotoren und Windkraftanlagen. Der Weg dorthin ist in der Theorie einfach: die Elektrifizierung der Wirtschaft kombiniert mit einer raschen, großflächigen Einführung emissionsarmer Energietechnologien.

Dabei könnte auch ein wenig unkonventionelles Denken out of the box helfen. Angesichts des grenzüberschreitenden Charakters der Treibhausgasemissionen ist es unlogisch, die Energiwende auf ein Land zu beschränken. Indien ist in absoluten Zahlen der drittgrößte Emittent der Welt. Die Klimawirkung einer Tonne CO2, die in Indien ausgestoßen wird, ist dieselbe wie die einer Tonne CO2 in Deutschland. Die Kosten für die Vermeidung der Emission dieser Tonne sind jedoch höchst ungleich. Konkret bedeutet das: Wenn Deutschland eine Million Euro durch den Bau eines Solarparks in die nationale Energiewende investiert, könnte es x Tonnen Treibhausgasemissionen vermeiden. Würde Deutschland dieselbe Million Euro in Indien investieren, könnte es aufgrund der dortigen niedrigeren Arbeits- und Landkosten eine Emissionsreduktion von x-mal 100 erzielen. In Anbetracht der Tatsache, dass Deutschland derzeit für zwei Prozent und Indien für sieben Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind und die Wirkung der CO2-Reduktion unabhängig vom Ort der Emission ist, wäre dies eine sehr sinnvolle Klimaschutzstrategie – sollte die Bekämpfung der Erderwärmung tatsächlich das Hauptziel darstellen.

Im emissionsarmen Südasien bedeutet Klimaschutz in erster Linie Anpassung.

Zusätzlich muss Klimaschutz auch zu einem zentralen Bestandteil von Entwicklungsmodellen werden, damit südasiatische (und afrikanische) Länder internationale Hilfe bei der Entwicklung von lokal geeigneten Maßnahmen erhalten können. Beispielsweise müssen Länder mit potenziellen CO2-Senken oder ungenutzten fossilen Ressourcen durch CO2-Gutschriften für großflächige Aufforstung, Naturschutz und das Belassen fossiler Reserven im Boden entschädigt werden. Die Strategien für die Industrialisierung müssen von Beginn an vor allem emissionsarm sein.

Dessen ungeachtet bedeutet Klimaschutz im emissionsarmen Südasien in erster Linie Anpassung. Dazu zählen eine klimaresistente Landwirtschaft und städtische Infrastruktur sowie naturbasierte Lösungen zur Kühlung der Städte und eine angemessene Bewirtschaftung von Wasserressourcen. Klimaschutz bedeutet auch, die nationalen und regionalen Katastrophenschutz- und Notfallkapazitäten zu erhöhen. Hitzeaktionspläne für den Bau geeigneter Gebäude und die Sanierung von Wasserstrukturen sind auch in gemäßigten Klimazonen von wachsender Bedeutung. Die Zusammenarbeit zwischen den Regionen kann in diesem Bereich von großem Nutzen sein. Dies entbindet Südasien nicht von seiner Verantwortung für die Eindämmung des Klimawandels, sondern sollte ein Aufruf sein, gezielteren Klimaschutzmaßnahmen Vorrang einzuräumen. Europa muss dabei sowohl Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels als auch Strategien zur Anpassung an dessen Folgen in Südasien und anderen gefährdeten Regionen unterstützen.

– übersetzt aus dem Englischen –

 


 

Dr. Frederick Kliem ist ehemaliger Leiter des Regionalprogramms Energiesicherheit und Klimawandel Asien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 


 

Timm Anton ist ehemaliger Programm-Manager des Regionalprogramms Energiesicherheit und Klimawandel Asien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

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