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Umweltmigration: Eine sicherheitspolitische Herausforderung (Online Version)

von Franziska Fabritius
Dass Menschen infolge kriegerischer Konflikte oder mangelnden wirtschaftlichen Perspektiven ihre Heimat verlassen, dürfte inzwischen jedem bekannt sein. Doch wie steht es mit Dürren, Wassermangel oder Überflutung von Inseln und Küstengebieten? Aus sicherheitspolitischer Perspektive ist es ratsam, auch Wanderungsbewegungen näher zu betrachten, die direkt oder indirekt mit den weltweit zu beobachtenden Klimaveränderungen in Zusammenhang stehen. Schließlich haben diese Veränderungen das Potenzial, aktuelle Instabilitäten zu verschärfen und weitere Länder und Regionen zu destabilisieren.

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Im Süden Marokkos ist das schleichende Verschwinden von Oasenstädten zu beobachten. Bodenerosion, steigende Temperaturen und ausbleibender Niederschlag fördern die Wüstenbildung und nehmen den dort ansässigen Menschen bereits heute Schritt für Schritt die Lebensgrundlage. In anderen Gegenden lassen Wirbelstürme und Zyklone ganze Landstriche in den Fluten versinken, z. B. im März 2019 infolge des Zyklons Ida in Mosambik, Simbabwe und Malawi. Hunderttausende Menschen werden so plötzlich ihrer Lebensgrundlage beraubt. Beide Beispiele stehen für die erheblichen Auswirkungen für die Menschen in betroffenen Regionen sowie die weltweite Gefahr für Sicherheit und Frieden infolge des Klimawandels und den daraus resultierenden Migrationsbewegungen.

Zunächst eine Herausforderung für das politische System, kann sich umweltinduzierte Migration kurz- oder langfristig zu einem Sicherheits­risiko sowohl in den Herkunfts-, den Transit-, als auch den Aufnahmestaaten entwickeln. Erhebliche Interdependenzen zwischen Umweltveränderungen und anderen sozio-ökonomischen Faktoren verschärfen die Situation zusätzlich. Wird der Fokus auf die Herkunftsstaaten der Umweltmigranten gerichtet, stellt die durch den Klimawandel und seine Folgen prognostizierte veränderte Ressourcenverfügbarkeit einen der Hauptgründe auf dem Weg der umweltinduzierten Migration zum Sicherheitsrisiko dar. Angetrieben durch schleichende oder plötzliche Umweltveränderungen, wie der Rückgang von Trinkwasserquellen, die Bodendegradation, die Zunahme von Wüstenbildung oder der Verlust von Territorium, steigt der Konkurrenzdruck innerhalb einer Gesellschaft und mit ihm die Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs von Verteilungskonflikten oder gewaltsamen Auseinandersetzungen um die vorhandenen Ressourcen. Teile der Bevölkerung treffen die Entscheidung, das Herkunftsland zu verlassen bzw. werden aufgrund der äußeren Umstände dazu gezwungen. Andere Bevölkerungsteile bleiben als Binnenmigranten in ihrem Heimatland zurück. Der Schritt zur Migration kann nicht allein den Veränderungen der Umwelt zugeschrieben werden, sondern basiert auf einem Ursachenbündel, das von der Form der Entscheidung bis zu den individuellen Möglichkeiten zur Migration reicht.

Im Folgenden steht der Sicherheitsaspekt umweltinduzierter Migration im Vordergrund. Zuvor ist es jedoch notwendig, grundsätzliche Informationen zur erwarteten Dimension des Phänomens Umweltmigration voranzustellen. Dies ermöglicht ein besseres Verständnis für die Einordnung umweltinduzierter Migration als sicherheitspolitische Herausforderung sowie die abschließend aufgeführten Handlungsempfehlungen. Diese werden vor allem für Deutschland und die EU mit Blick auf unseren Nachbarkontinent Afrika sowie den Nahen Osten ausgesprochen. Aufgrund der geografischen Nähe und der daraus resultierenden unmittelbaren Betroffenheit sind die dortigen Entwicklungen aus europäischer Perspektive besonders relevant.

Trend Binnenmigration

Infolge der globalen Erwärmung kann Migration innerhalb des Herkunftslandes (Binnenmigration) oder in die Nachbarländer (grenzüberschreitende oder transnationale Migration) bzw. in diesem Zusammenhang auch in weit entfernte Länder (internationale Migration) erfolgen. Diese unterschiedlichen Erscheinungsformen bedürfen hinsichtlich umweltinduzierter Veränderungen besonderer Aufmerksamkeit, denn während im Jahr 2015 8,6 Millionen Menschen vor Gewalt und Konflikten geflohen sind, zählte das International Displacement Monitoring Centre (­IDMC) im gleichen Zeitraum mehr als doppelt so viele Wanderungen infolge von Wetterextremen und Umweltkatastrophen (19,2 Millionen Menschen). Im Jahr 2016 ist die Diskrepanz noch größer: 24,2 Millionen Menschen sind vor Wetterextremen und Umweltkatastrophen geflohen und 6,9 Millionen aufgrund von Gewalt und Konflikten. Bei den angegebenen Zahlen handelt es sich um Binnenmigranten, im Rahmen der weltweit gezählten rund 65 Millionen Flüchtlinge in 2015 und 2016.

Disparitäten können dazu führen, dass betroffene Personen wandern und sich innerhalb ihres Staates, ihrer Region oder darüber hinaus einen neuen Lebensort suchen. In Nordafrika könnten das beispielsweise Nomadenstämme sein, die die Wüsten verlassen und sich in bewohntem Gebiet oder in Stadtnähe niederlassen. In Marokko ist bereits heute eine Land-Stadt-Wanderung aufgrund von schleichenden Umweltveränderungen zu beobachten. Diese Landflucht könnte sich unter dem Eindruck des Klimawandels und seiner Folgen weltweit verschärfen und die Städte in den betroffenen Regionen vor große Herausforderungen stellen. Zusätzliche Menschen bedeuten zusätzlichen Druck auf die städtische Infrastruktur (Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Arbeits- und Schulplätze usw.) der betrof­fenen Herkunftsländer, die oftmals ohnehin schon stark belastet und wenig resilient sind.

Entscheidend ist im Rahmen solcher geplanten Wanderungen die Berücksichtigung der sogenannten Push- und Pull-Faktoren. Das Gegenüberstellen der abstoßenden bzw. anziehenden Faktoren von Herkunftsregion und Zielregion beeinflusst das Wanderungsgeschehen maßgeblich. Spontan einsetzende Umweltveränderungen, z. B. hervorgerufen durch Wetterextreme wie Wirbelstürme, Starkregenereignisse oder Überflutungen, lassen den betroffenen Menschen hingegen in der Regel keine Zeit, um eine Wanderung genau abzuwägen. Menschen, die unter diesen Umständen ihr ursprüngliches Lebensgebiet verlassen, sind primär auf der Suche nach einem sicheren Aufenthaltsort, sie suchen Schutz. Aktuell schlägt sich umwelt­induzierte Wanderung laut der International Organization for Migration (­IOM) überwiegend in Form von Binnenmigration nieder. Für die Zukunft wird angenommen, dass sich dieser Trend verstärken wird, weil grenzüberschreitende Migration aufgrund der persönlichen Situation oftmals keine Option für die betroffenen Menschen darstellt. Allerdings lassen sich die Dimensionen sowohl von Binnenmigranten als auch Binnenflüchtlingen nur schätzen. So werden lediglich Menschen, die eine Staatsgrenze überschritten haben, vom United Nations High Commissioner for Refugees (­UNHCR) gezählt und haben Anspruch auf einen gewissen Rechtsschutz. Das wiederum hat gravierende Folgen für die Versorgung der betroffenen Personen, die zwar infolge einer plötzlich eintretenden Naturkatastrophe meist internationale Soforthilfen erhalten, deren langfristige Versorgung jedoch, gerade vor dem Hintergrund schleichender Umweltveränderungen, nicht gesichert ist.

Unterstrichen wird dies noch durch die bisher fehlende rechtliche Anerkennung der betroffenen Personengruppe. So existierten keine verbindliche Regelung ihres Rechtsstatus bzw. überhaupt jede Form der Erfassung. Migration oder Flucht aufgrund von Umwelt- oder Klimaveränderungen lassen sich sowohl im Völkerrecht als auch in den nationalen Gesetzgebungen der internationalen Staatengemeinschaft nicht finden. Gleichzeitig ist der Schutz von Binnenwandernden, die den größten Anteil umweltinduzierter Flucht und Migration ausmachen, durch die Genfer Flüchtlingskonvention, die die rechtliche Stellung von Flüchtlingen seit 1951 völkerrechtlich verbindlich regelt, ausgeschlossen. Mögliche umweltinduzierte Wanderungsbewegungen werden heute oftmals zur Wirtschaftsflucht oder -migration gezählt, vor allem, wenn es sich um eine Abwanderung aufgrund schleichender Umweltveränderungen handelt und nicht um ein fluchtartiges Verlassen der Heimat z. B. durch eine plötzlich eintretende Naturkatastrophe. Dies erscheint kurzsichtig und entspricht zum einen nicht den Tatsachen und bietet zum anderen ebenso wenig eine Aussicht auf einen geklärten Rechtsstatus.

 

Abb. 1: Gesamtzahl der jährlichen neuen Vertreibungen seit 2008 (Angaben in Millionen)

https://www.kas.de/documents/259121/4862628/fabritius_grafik_vertreibungen_01_DE.jpg/b807a0e2-65c3-cab2-dd9e-0254ad8bf782?t=1561554269693

Quelle: Eigene Darstellung nach IDMC / NRC 2017.

 

Angesichts der erwarteten Zunahme von umweltinduzierter Wanderung in den kommenden Jahrzehnten ist es somit dringend geboten, sich sowohl auf internationaler Ebene als auch in den nationalen Parlamenten auf einen völkerrechtlich verbindlichen Umgang mit dieser neuen Generation der Schutzsuchenden einzustellen und ihnen einen Rechtsstatus zu gewähren, der ihrer Situation gerecht wird. Andernfalls ergibt sich hieraus das Potenzial für ein erhebliches Sicherheitsrisiko im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs, vor allem unter Berücksichtigung der menschlichen Dimension (human security) für die Sicherheit des Individuums sowie darüber hinaus für die öffentliche Ordnung und den gesellschaftlichen Frieden.

Als erste Schritte auf diesem Weg sind erwähnenswert: Der Aufbau der sogenannten Nansen-­Initiative durch die Staaten Norwegen und Schweiz im Jahr 2012 zur Erarbeitung von sachgerechten Lösungen, welche unter anderem von Deutschland und der EU finanziell unterstützt wird und die ihre Arbeit in einer zweiten Phase in Form der Platform on Disaster Displacement weiterführt und vertieft. Positiv begrüßt wird in diesem Zusammenhang auch die Einbindung von Umweltfaktoren und Klimawandel als Ursachen für Migration in die New York Declaration for Refugees and Migrants vom 19. September 2016 im Rahmen des VN-Gipfels für Flüchtlinge und Migranten.

Wie viele es werden, weiß man nicht

Trotz des Wissens um diese kommende He­rausforderung ist es zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich, eine verlässliche Aussage über die Dimension umweltinduzierter Migration zu machen. Dennoch wird erwartet, dass es sich um eine große Zahl betroffener Menschen handeln wird. „Ein Großteil der diskutierten Zahlen stellt so genannte ‚guesstimates‘ im Sinne grober Schätzungen oder Spekulationen dar“. Die fehlende Einigung sowohl auf eine allgemein anerkannte Begriffsdefinition des Phänomens als auch auf eine Methode zur Erfassung von Zahlen und Daten sowie die Multikausalität umweltinduzierter Migration bedingen, dass die Wissenschaft ihre Aussagen nicht auf gesicherte Erkenntnisse zurückführen kann. Infolge dessen wird den Ergebnissen des Professors Norman Myers der Oxford Universität die größte Plausibilität zugeschrieben. Er gab in den 1990er Jahren bzw. Anfang der 2000er Jahre an, dass bis 2050 weltweit etwa 200 Millionen Migranten aufgrund von Umweltveränderungen zu erwarten seien, würde die globale Erwärmung anhalten. Ende 2017 äußerte sich der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, hinsichtlich der global erwarteten Größenordnung zukünftiger umweltinduzierter Migration: Diese „werde ‚dramatisch‘ auf eine dreistellige Millionengröße anwachsen“.

Mit Blick auf die aktuelle weltpolitische Lage ist tendenziell damit zu rechnen, dass Migration zukünftig eher zu- als abnehmen wird. Die Auswirkungen des Klimawandels werden erst in den kommenden Jahren und Jahrzehnten deutlich zu spüren sein, sollte der globalen Erwärmung nicht entschieden entgegengetreten werden.

Sicherheitsrisiko Umweltmigration

Als besonders gefährdet durch den Klimawandel und dessen Folgen gelten die Regionen Nord­afrika, die Sahelzone, die Karibik und der Golf von Mexiko sowie Süd- und Ostasien. Migration innerhalb dieser Regionen und aus diesen Regionen als Folge der dortigen Umweltveränderungen kann spürbare Auswirkungen auch auf angrenzende Regionen oder Kontinente haben. Für die Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeländer birgt sie vor allem sicherheitspolitische Risiken.

Sowohl durch Migrationsbewegungen innerhalb des Herkunftslandes als auch durch das ungeregelte Eintreffen von Umweltmigranten in einem Transit- oder Zielland steigt das Konfliktpotenzial dort an. Ausschlaggebend sind dabei vor allem für die weitere Entwicklung:

1. Besitzen die Länder genügend Kapazitäten, um die Grundbedürfnisse der Migranten nach Nahrung, medizinischer Versorgung, Unterbringung, Arbeit usw. an ihrem neuen Aufenthaltsort angemessen zu decken?

2. Kann der Zuzug der Migranten ethnische oder religiöse Spannungen in den Transit- oder Zielländern zur Folge haben?

3. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich im jeweiligen Transit- oder Aufnahmestaat Parallelgesellschaften entwickeln, z. B. durch eine bereits ansässige Diaspora der eigenen Volksgruppe der Migranten?

4. Was ist insbesondere das Zielland im Hinblick auf die Gewährung von Aufenthalts- und Grundrechten für die Migranten bereit zu leisten?

5. Können die staatlichen Institutionen in Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeländern diese neue Herausforderung in einer angemessenen Zeit und mit den angemessenen Mitteln bewältigen bzw. stehen diese zur Verfügung?

6. Ist das politische System im Transit- oder Zielland gefestigt genug, um mit dem Zuzug vieler Migranten (womöglich auch innerhalb einer kurzen Zeit) umzugehen?

 

Die politischen Rahmenbedingungen sind grundlegend verantwortlich dafür, ob Wande­rungsbewegungen schlussendlich zu einer Destabilisierung oder im entgegengesetzten Fall auch zu einer Stabilisierung der Herkunfts- und Aufnahmeländer beitragen können.

Die Besonderheit der umweltinduzierten Migration wird hinsichtlich der genannten Faktoren in der Verbindung von Dauerhaftigkeit und erwarteter Größenordnung bestehen. Treten die, auf einer dauerhaften Unbewohnbarkeit ganzer Regionen basierenden, prognostizierten Migrationszahlen tatsächlich ein, wäre dies eine Dimension, die ihresgleichen sucht. Dies führt zu der besonderen Relevanz der sicherheitspolitischen Betrachtung umweltinduzierter Migration. Vor allem Wanderungsbewegungen, bei denen es zu einer „massenhafte[n] und plötzliche[n] grenz­überschreitende[n] Zuwanderung“ kommt, führen zu Reaktionen der betroffenen Aufnahmeländer. Der Druck auf die örtliche Infra­struktur und die Versorgungssysteme wächst enorm. Während eine kurzfristige Aufnahme von Migranten durch die Bevölkerung des Ziellandes in der Regel von weiten Teilen getragen und im Sinne der Nothilfe als humanitäre Pflicht verstanden würde, überwöge vermutlich im Falle einer langfristigen bis dauerhaften Aufnahme das Konkurrenzdenken zwischen Migranten und einheimischer Bevölkerung. Die Versorgungssicherheit würde dabei eine prominente Rolle einnehmen. Die im Zielland vorhandenen Ressourcen – Wasser, Nahrung, Energielieferanten, Wohnraum, Arbeit usw. – können nicht unendlich aufgebläht werden, sodass eine Verteilung der vorhandenen Ressourcen erfolgen muss. Mögliche Auswirkungen auf den eigenen Lebensstandard würden von der einheimischen Bevölkerung gar nicht bis nur schwer akzeptiert, sodass es nicht ausgeschlossen ist, dass es zu einem Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und einer Abgrenzung dieser voneinander kommen könnte. Dies könnte insbesondere bereits bestehende Konflikte in Regionen, die von Umweltmigration oder deren Folgen betroffen wären, potenzieren.

Eine unkontrollierte, massenhafte Zuwanderung kann zudem weitere Sicherheitsbedrohungen im Sinne einer Gefährdung der äußeren Sicherheit für die betroffenen Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten bedeuten. Verliert ein Staat die Kontrolle über seine Außengrenzen, weil er den Zuzug von Migranten weder kontrollieren noch regulieren kann, bedeutet das einen Verlust der territorialen Souveränität und hat erhebliche Auswirkungen auf sowohl die Stabilität des betroffenen Staates als auch die der Nachbarregion bzw. des Staatenverbundes, dem er zugehörig ist. Die eigene Abgrenzung von Gruppen setzt weiterhin eine Spirale in Gang und ist oftmals Ausgangspunkt anderer sicherheitsrelevanter Gegenstände bis hin zur Austragung möglicher Konflikte. Dazu könnten eine verstärkte Orientierung der Migranten hin zu ihrem Netzwerk und ihrer Religion in Abgrenzung zum Aufnahmeland und eine damit einhergehende Radikalisierung zählen. Extremistisch-militante Gruppen, die versuchen, Zuwanderer für ihre Ziele zu mobilisieren oder Flüchtlinge und Asylbewerber gezielt einschleusen, um gewaltsame Aktionen in den Transit- oder Zielländern durchzuführen, stellen ein erhebliches Risiko für die Sicherheit und die Außenbeziehungen der betroffenen Staaten dar. Weiterhin könnte auch der Zugewinn an Unterstützern des rechten und fremdenfeind­lichen Milieus in der einheimischen Bevölkerung in den Fokus sicherheitsrelevanter Beobachtungen fallen. Beides könnte in der Konsequenz zu einer Aushöhlung vorhandener demokratischer Strukturen im Zielland und einer Unterminierung des bestehenden politischen Systems bis hin zu dessen möglicher Handlungsunfähigkeit führen und würde somit ein erhebliches Sicherheitsrisiko für das Aufnahmeland wie auch für das internationale System darstellen.

Zusätzlich zu den genannten Aspekten gilt es, weitere landestypische und konfliktverstärkende Faktoren sowohl in den Herkunfts- als auch in den Aufnahmestaaten zu berücksichtigen. Dazu zählen die Wirtschaftsleistung, das Rohstoffvorkommen und die Bevölkerungsgröße bzw. das erwartete Bevölkerungswachstum sowie die naturräumliche Ausstattung. Herrschen zudem in der unmittelbaren Nachbarschaft von den von Umweltveränderungen betroffenen Staaten bereits Konflikte, sind die Ansteckungsgefahr und der Destabilisierungseffekt hoch. Es zeigt sich, dass umweltinduzierte Migration eine regelrechte Kettenreaktion nach sich zu ziehen vermag, die eine erhebliche Herausforderung der nationalen und internationalen Sicherheitspolitik bedingen kann. Sie reiht sich ein in das dichte Netz „sozio-ökonomischer Fehlentwicklungen wie Überbevölkerung, Armut, […] Hungersnöte, politische Instabilität und ethno-politische Spannungen“, deren negativen Einfluss Umweltveränderungen oft noch verstärken. Daher ist es entscheidend, die Bemühungen im Bereich der Umwelt- und Klimapolitik auch im Sinne einer präventiven Sicherheitspolitik zu verstehen und voranzutreiben. Ein Scheitern oder Nichteinhalten der Klimaschutzvereinbarungen würde große Auswirkungen auf die internationale Sicherheit und Stabilität haben.

Handlungsempfehlungen und Ausblick

Es steht fest, dass Umweltmigration zunehmen wird. Deutlich geworden ist außerdem, dass Umweltmigration sicherheitspolitische Herausforderungen in einem erheblichen Maße impliziert, die weltweite Auswirkungen – direkter oder indirekter Art – haben können. Eine neue Fluchtbewegung dieser Art führt zunächst zu einer Destabilisierung in den Ursprungsländern, die sich im Falle grenzüberschreitender Migration auf Nachbarländer bzw. ganze Regionen übertragen kann. Insbesondere für fragile Staaten birgt die Konfrontation mit den Auswirkungen des Klima­wandels und somit umweltinduzierter Migration die Gefahr einer weiteren Destabilisierung.

Die Ereignisse der Jahre 2015/2016 in Zusammenhang mit einer zum Teil unkontrollierten Zuwanderung nach Europa und Deutschland haben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sowie der Politik bezüglich der Folgen von Massenmigration geweckt. Um einem Szenario ähnlicher Art in naher Zukunft vorzubeugen, sollten die internationale Gemeinschaft sowie, konkret angesprochen, Deutschland und die EU ihre Unterstützung in den betroffenen Regionen vor Ort ausweiten, um eine Destabilisierung dieser zu vermeiden und einer erneuten Massenwanderung nach Europa entgegenzuwirken. Bezogen auf den Nexus Klimawandel – Migration – Sicherheit bedeutet dies vor allem einen verstärkten Fokus auf Prävention.

Für die Bundesrepublik und die EU wäre vor diesem Hintergrund denkbar, den bereits eingeschlagenen Weg in Bezug auf ihre, von den Folgen des Klimawandels besonders gefährdete, Nachbarregion Nordafrika und damit eingeschlossen auch Subsahara-Afrika sowie den Nahen Osten weiterzuverfolgen. Dieser Ansatz ist geprägt von der Bekämpfung akuter Auswirkungen von Flucht und Migration (z. B. Bekämpfung der Schleuserkriminalität durch EU-Missionen, Verbesserung der Integrationsvoraussetzungen in Aufnahmeländern) sowie von dem Willen, ebenfalls die Ursachen dieser anzugehen (z. B. im Rahmen der drei ­BMZ-Sonderinitiativen). Es muss das Ziel sein, durch eine Fokussierung auf Wirtschaft, Handel und Beschäftigung vor Ort Perspektiven zu schaffen. Dies impliziert die Förderung von Investitionen der Privatwirtschaft in den eigenen Ländern ebenso wie das Schaffen von Anreizen für ausländische Investitionen in der Region. Die Konzentration auf eine bloße Einkommenssteigerung wäre an dieser Stelle zu kurz gedacht, denn diese würde Migrationsbewegungen wahrscheinlich noch verstärken. Bisher ist insbesondere eine grenzüberschreitende Migration für viele Betroffene keine Option, da sie nicht über die finanziellen Mittel für diesen Schritt verfügen. Der Fokus muss also gleichzeitig darauf gerichtet sein, die Lebensbedingungen in den betroffenen Regionen insgesamt zu verbessern (z. B. Gesundheitsversorgung, Schulbildung, Wohnraum) und so Abwanderung vorzubeugen. Ausbildungsinitiativen sind entscheidend, um das Potenzial an Arbeitskräften vor Ort sinnvoll nutzen zu können. Darüber hinaus sind Bildungsinitiativen für die gesamte Bevölkerung in den betroffenen Regionen dringend erforderlich, um zunächst ein Bewusstsein sowie ein Verständnis für ihre Situation zu schaffen. Die Förderung der in der Region stark verbreiteten Landwirtschaft kann wiederum nur einhergehen mit entsprechenden Anpassungsmaßnahmen an den Klima­wandel, z. B. durch Aufklärung über neue Anbaumethoden oder die Bereitstellung resilienten Saatguts, um den Kleinbauern auch langfristige Einkommensperspektiven zu bieten.

Umweltschutzmaßnahmen sowie die Anpassung an den Klimawandel müssen jedoch weit über den landwirtschaftlichen Sektor hinausreichen. Es gilt, durch finanzielle Mittel, Technik und Know-how im Bereich der erneuerbaren Energien, der Wasserversorgung, des Küstenschutzes usw. anzusetzen und die Staaten Nordafrikas, Subsahara-Afrikas sowie des Nahen Ostens in ihren Bemühungen zu unterstützen, wie es die Vereinbarungen aus den Verhandlungen der VN-Klimakonferenzen vorsehen. Realistisch durchführbare Umsetzungspläne, die zeitnah und umfassend implementiert werden, sind das, was sowohl von deutscher als auch europäischer Politik benötigt wird, um den genannten sicherheitspolitischen Herausforderungen wirksam entgegenzutreten und die Resilienz der betroffenen Bevölkerung, der Staaten sowie deren politischen Institutionen zu stärken. In diesem Zusammenhang sollte vor allem die Stärkung der Aufnahmeländer in der betroffenen Region besondere Beachtung finden. Es gilt, deren Widerstandsfähigkeit präventiv zu stärken, um destabilisierenden Effekten durch den Zuzug von Umweltmigranten gezielt entgegenzuwirken. Zu diesem Zweck ist ein politikfeldübergreifendes Handeln und somit die Verknüpfung von Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit, der Wirtschafts-, Klima- und Sicherheitspolitik entscheidend.

Nicht vernachlässigt werden darf bei allen Bemühungen um Wirtschaft und Klimaschutz der Einsatz für die Einhaltung international geltenden Rechts, wie z. B. der Schutz der Menschenrechte von Seiten der Staaten der Region, sowie die Unterstützung von Öffnungstendenzen der politischen Systeme, die eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung der Region spielen und somit wiederum für die Eindämmung von möglichen sicherheitspolitischen Herausforderungen sorgen. Einigen diktatorischen Regimen fehlt der Wille, Migrationsbewegungen aus ihren Ländern tatsächlich begrenzen zu wollen und somit Sicherheitsrisiken wirksam entgegenzutreten. Oftmals erscheint Abwanderung aus ihrer Sicht als ein geeignetes Instrument, innenpolitische Probleme wie z. B. eine hohe Jugendarbeits­losigkeit abzuschwächen und gleichzeitig von den Rücküberweisungen der Migranten in ihre Heimatländer zu profitieren. Weltweite private Geldtransfers von Migranten und Flüchtlingen in ihre Heimatländer übersteigen mittlerweile die weltweite staatliche Entwicklungshilfe um ein Vielfaches.

Neben den beschriebenen Ansätzen ist es von großer Bedeutung, auch die Forschung in Sachen umweltinduzierter Migration auszubauen, um mehr Erkenntnisse über die Auswirkungen und die Herausforderungen von Umweltmigration zu sammeln sowie mehr Klarheit über die Dimensionen zu erlangen. Nur wenn deutlicher umrissen werden kann, worauf es sich vorzubereiten gilt, können zielführende Strategien sowohl für die Herkunfts- als auch für die Transit- und Aufnahmestaaten entwickelt werden. Zur Strategie­entwicklung gehört auch, bereits existierende Plattformen und Datensammlungen zu Klima­ereignissen viel stärker in die präventive Arbeit einzubeziehen, so z. B. das Frühwarnsystem Fews Net, über das sich unter anderem mögliche Dürreperioden vorherbestimmen lassen. Die Folgen für die örtliche Bevölkerung durch eine einsetzende Dürre könnten abgemildert werden. Darüber hinaus würde ein solches Handeln, ebenso wie Prävention im Allgemeinen, die internationale Gemeinschaft erheblich günstiger zu stehen kommen als die Reaktion auf bereits eingetretene Naturkatastrophen. Aufgrund der prognostizierten Entwicklungen zum Fortschreiten des Klimawandels und seiner Folgen gilt es mittelfristig von Seiten der gesamten internationalen Gemeinschaft umweltinduzierte Migration als eine Anpassungsstrategie anzuerkennen und die betroffenen Menschen bei diesem Schritt durch adäquate und geordnete Rahmenbedingungen zu unterstützen. Dazu zählen die Schaffung der entsprechenden rechtlichen Strukturen und die Eröffnung legaler Möglichkeiten zur Migration mit grenzüberschreitendem Charakter. Nur wenn das weltweite Migrationsgeschehen strukturiert abläuft, kann Migration auch eine wirkungsvolle Anpassungsstrategie an den Klimawandel sowie andere Umweltveränderungen sein.

Kurzfristig sollte es das Ziel vor allem von deutscher und europäischer Regierungsführung sein, im Hinblick auf die erwartete Demografie­entwicklung für Afrika, die Folgen des Klimawandels und den steigenden Migrationsdruck, ihre präventive Arbeit sowie einen vernetzten Ansatz, der entwicklungspolitische, humanitäre, wirtschaftliche, diplomatische und sicherheitspolitische Aspekte bündelt, auszubauen, um möglichen kommenden sicherheitspolitischen Herausforderungen bereits in ihrem Ursprung entgegenzuwirken. Die fortschreitende ­Globalisierung, die zunehmende Vernetzung der Welt in vielen Bereichen und das ständig steigende Informationsangebot sorgen – unabhängig von einer umweltinduzierten Migration – für eine verstärkte Mobilität der Menschen. Von Seiten der amtierenden Regierungen gilt es, diese Entwicklung anzuerkennen und ihr in konkreten Gesetzesvorhaben Rechnung zu tragen. Dazu könnte z. B., insbesondere für Deutschland, ein modernes und situationsgerechtes Einwanderungsgesetz mit verschiedenen Transferoptionen zählen, das es möglich macht, das aus Wanderung entstehende Potenzial für das eigene Land gewinnbringend zu nutzen. Die Autoren Goldin und Kutarna weisen darauf hin, welch verheerende Folgen, vor allem wirtschaftlicher Art, eine immigrationsfeindliche Politik in Zeiten der Globalisierung nach sich zieht. Entscheidend für jegliches Handeln ist neben der Art und Weise vor allem die Frage der Legitimation. Es ist nicht zu übersehen, dass sich in den hier behandelten Themenbereichen – Klima, Migration und Sicherheit – Werte und Interessen innerhalb der Gesellschaft oftmals fundamental gegenüberstehen. Für einen Erfolg möglicher Maßnahmen trotz divergierender Positionen ist es umso notwendiger, dass die Bevölkerung in den Entscheidungsprozess mit einbezogen wird. Dieser Einbezug der Bevölkerung in politische Entscheidungsprozesse, sei es in Deutschland oder in einem anderen Staat, stärkt Legitimation von Entscheidungen und damit deren gesellschaftliche Akzeptanz. Angesichts der Herausforderungen des ­21. Jahrhunderts ist dieser Einbezug unabdingbar.

Dieser Beitrag basiert auf der im Februar 2019 bei Springer VS erschienen Dissertationsschrift „Umweltmigration als sicherheitspolitische Herausforderung. Szenarioanalyse am Beispiel einer möglichen Klimaflucht aus Nordafrika“ der Autorin.

 


 

Dr. Franziska Fabritius ist wissenschaftliche Mit­arbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung im Regionalprogramm Energiesicherheit und Klimawandel Naher Osten und Nordafrika (­REMENA) in Rabat, Marokko.

 


 

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