Ausgabe: 4/2022
Carl von Clausewitz, einer der bedeutendsten Kriegstheoretiker, unterschied zwischen der Natur des Krieges – dem Konzept des Kämpfens – und der Art des Kämpfens. Die Natur des Krieges war für ihn unveränderlich. Sie liegt im Gebrauch von Gewalt zur Erreichung bestimmter Ziele – ob Land, Ressourcen, Einfluss oder Ehre. Und sie ist ein dauerhaftes Merkmal der menschlichen Geschichte. Ändern würde sie sich nur, wenn sich auch die Natur des Menschen selbst grundlegend änderte. Auf der anderen Seite aber verändert sich die Art und Weise, wie Kriege geführt werden, ganz dramatisch, je nach kultureller und technologischer Entwicklung.
So unterscheiden sich moderne Kriege, obwohl manche traditionellen Eigenarten und die bekannte politische Logik dahinter bleiben, von großen Kriegen der Vergangenheit tatsächlich in vielerlei Hinsicht. Eine der größten Veränderungen auf dem Schlachtfeld in jüngerer Zeit betrifft tiefgreifende technologische Entwicklungen, die neuartige Schutzmaßnahmen, ausgeklügelte Möglichkeiten der Informationserlangung sowie fortgeschrittene elektronische Waffensysteme hervorgebracht haben. Diese haben heute großen Einfluss darauf, wie Kriege geführt werden.
Diese Neuerungen haben gewaltige Auswirkungen auf eine ganze Reihe von Fragen, die damit zu tun haben, wie wir den Krieg verstehen. Obwohl fast alle Armeen mit den Herausforderungen konfrontiert sind, die Streitkräfte und die Art ihres Kampfes an das moderne Gefechtsfeld anzupassen, gehen verschiedene Länder hiermit durchaus unterschiedlich um.
Die Rolle der Streitkräfte
Am 16. Juli 2016 brachte die deutsche Bundesregierung das lang erwartete neue Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr heraus. Zweck des Papiers war es, die aktuellen und künftigen strategischen Ziele und die Sicherheitspolitik der Bundesregierung darzulegen. Im Papier hieß es dazu, es sei „der wesentliche Leitfaden für die sicherheitspolitischen Entscheidungen und Handlungen unseres Landes“.
Der Auftrag der Bundeswehr wird in dem Dokument folgendermaßen definiert:
- „Deutschlands Souveränität und territoriale Integrität zu verteidigen und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen;
- zur Resilienz von Staat und Gesellschaft gegen äußere Bedrohungen beizutragen;
- die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands abzustützen und zu sichern;
- gemeinsam mit Partnern und Verbündeten zur Abwehr sicherheitspolitischer Bedrohungen für unsere offene Gesellschaft und unsere freien und sicheren Welthandels- und Versorgungswege beizutragen;
- zur Verteidigung unserer Verbündeten und zum Schutz ihrer Staatsbürger beizutragen;
- Sicherheit und Stabilität im internationalen Rahmen zu fördern und
- europäische Integration, transatlantische Partnerschaft und die multinationale Zusammenarbeit zu stärken.“
Nach diesen Prinzipien ist es also die Hauptaufgabe der Bundeswehr, Deutschland gegen jeden Angriff von außen zu verteidigen und seine Verbündeten im Kriegsfall zu unterstützen. Eine weitere Rolle der Bundeswehr – in diesem Fall im Innern – besteht darin, der Bundesregierung oder den Länderregierungen bei Naturkatastrophen zu helfen. Der zweite Hauptauftrag der Bundeswehr besteht darin, für einen Einsatz im Rahmen multinationaler Koalitionen bereit zu sein. Das Verfahren zur Genehmigung eines Bundeswehrauslandseinsatzes hat politische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte. Wenn die Bundesregierung die Bundeswehr im Ausland einsetzen will, muss sie dafür eine Mehrheit im Parlament finden. Dieses Mandatierungsverfahren soll dazu dienen, einen ganzheitlichen Blick auf die Ziele des Einsatzes zu gewinnen und die Möglichkeiten der Bundesregierung, an Militäreinsätzen teilzunehmen, einzuschränken. Die beiden genannten Hauptaufgaben der Bundeswehr bestimmen aber nicht die Art und Weise, wie sie ihre Streitkräfte aufbaut. Hier steht das Konzept des Single Set of Forces im Mittelpunkt, das darauf hinausläuft, eine einzige einsatzorientierte und fähige Streitmacht aufzubauen, die dann in beiden Szenarien – Landes- und Bündnisverteidigung genau wie Auslandseinsatz – genutzt werden kann.
Im April 2018 gab der damalige Stabschef der Israelischen Verteidigungskräfte (Israel Defense Forces, IDF), Generalleutnant Gadi Eizenkot, erstmals das Dokument heraus, das unter dem Namen „IDF-Strategie“ bekannt ist. Diese wird normalerweise nur intern zirkuliert und dient als Richtschnur für neue operationelle und Personalkonzepte. Der Zweck dieser unüblichen Veröffentlichung war laut Brigadegeneral Meir Finkel, „die Transparenz zwischen den IDF, der Politik und der Öffentlichkeit zu erhöhen, und die Politik zu ermutigen, sich mit den dort enthaltenen Ideen auseinanderzusetzen, als eine Art Antwort darauf, dass es bislang keine offiziellen Papiere zur nationalen Sicherheit gibt“. In der IDF-Strategie heißt es, dass „das Ziel der IDF darin besteht, die Sicherheit des Staates Israel, seiner Bürger und Einwohner zu verteidigen, die Existenz und territoriale Integrität (des Staates) sowie die nationalen Interessen zu sichern, und in jedem Konflikt zu siegen, in den die politischen Amtsträger sie schicken“.
Hierfür müssen die Kräfte und Einheiten der IDF in der Lage sein, drei Hauptfunktionen auszuüben. Erstens: operationelle Einsätze in Friedenszeiten (etwa beim Grenzschutz). Zweitens: der Einsatz in militärischen, sicherheitsbezogenen und zivilen Notfällen. Drittens: der Einsatz im Krieg. In den ersten beiden Fällen müssen einige der IDF-Kräfte fähig sein, im sogenannten Krieg zwischen dem Krieg (auf Hebräisch Mabam) zu agieren. Hier geht es um Militäroperationen unterhalb der Schwelle des Krieges, also Operationen, die sich in einer Grauzone bewegen und dazu dienen sollen, entstehende und bestehende Bedrohungen zu minimieren. Das Konzept zur Aufstellung der Streitkräfte ähnelt laut IDF-Strategie dem deutschen: Es geht um eine Streitkraft, die flexibel und beweglich genug ist, um in allen genannten Funktionen wirkungsvoll einsetzbar zu sein. Die Hauptaufgabe beider Armeen ist aber die Verteidigung des Staatsgebiets und der eigenen Bürger. Die Vorbereitung auf die Erfüllung dieses Auftrags geht allerdings in beiden Fällen Hand in Hand mit anderweitigen operationellen Einsätzen.
Die Kriegsführung der Zukunft
Während die offiziellen Ziele der beiden Armeen also wie erwähnt Gemeinsamkeiten aufweisen, gibt es, was künftige Kriege angeht, einen großen Unterschied zwischen der Bundeswehr und den IDF: Die Strategiepapiere der Bundesregierung genau wie die Konzepte der Bundeswehr nennen keine spezifischen Bedrohungen des Friedens, sondern verschiedene eher allgemeine Bedrohungen. Die IDF dagegen verweisen auf eine sehr klare Bedrohung: Krieg mit der Hisbollah, auch wenn der Fokus nicht ausschließlich hierauf liegt, sondern ebenso auf den militärischen Fähigkeiten Irans und seiner Stellvertreter.
2018 unterzeichnete die damalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die neue „Konzeption der Bundeswehr“. Darin werden der Cyber- und Informationskrieg als Dimensionen der Kriegsführung genannt, die die Grenzen zwischen Front und Heimatfront verwischen und nicht nur eine Angelegenheit der Bundeswehr, sondern der gesamten Bundesregierung sind. So ist die Bundeswehr nur ein Teil einer nationalen Anstrengung, um Bedrohungen dieser Art entgegenzutreten.
Am 9. Februar 2021 veröffentlichten Kramp-Karrenbauer und General Eberhard Zorn, Generalinspekteur der Bundeswehr, gemeinsam ein Positionspapier mit dem Titel „Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft“. Darin argumentieren sie, dass Deutschland den Einsatz militärischer Gewalt im Gegensatz zu anderen Nationen nicht als Mittel zur Konfliktbeilegung oder als Instrument der Diplomatie betrachtet. Außerdem stellen sie fest, dass das Land und die Armee „schlecht gewappnet“ für neuartige Bedrohungen wie Drohnen, Killersatelliten, Hyperschallwaffen, Gefahren aus dem Cyberraum und andere nichtkinetische Bedrohungen seien. Diese Stellungnahme war Teil von Kramp-Karrenbauers und Zorns Versuch, von ihnen geplante Reformen umzusetzen. Eine Studie der Führungsakademie der Bundeswehr beschreibt die Kriegsführung der Zukunft ähnlich. Dort heißt es, die Grundmuster militärischer Konflikte änderten sich. Die Studie stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie neue Technologien und nichtkinetische Bedrohungen den Krieg der Zukunft beeinflussen werden. Neue Bedrohungsarten ergeben sich vor allem aus sprunghaften Verbesserungen bei digitalen Informationskapazitäten und der Verbreitung dieser neuen Technologien. Weiter ist in dem Papier zu lesen: „Vor uns liegt demnach ein neuer, hoch technologisierter Kriegsschauplatz: das Multi-Domain Battlefield (MDB), welches die seit Jahrzehnten etablierte Konzentration auf die ‚klassischen‘ Dimensionen Land, Luft und See mehr als nur herausfordert. Der Weltraum und der Cyberraum sind de facto bereits neue Gefechtsfelder.“
Der Krieg der Zukunft – so die hochrangigen Bundeswehroffiziere – wird in fünf Dimensionen ausgefochten werden: Luft, See, Cyber- und Informationsraum, Land und Weltraum. Neue Technologien werden die Unterscheidung zwischen Front und Heimatfront schwammig machen. Die Bundeswehr wird so zu einem Teil eines Ansatzes, der von der gesamten Bundesregierung ausgeht.
Im März 2021 veröffentlichte das israelische Institute for National Security Studies (INSS) ein Memorandum, in dem ausgeführt wird, wie künftige Bedrohungen durch die Hisbollah aussehen könnten und welche operationellen Möglichkeiten es gäbe, darauf zu reagieren. Die Verfasser gehen davon aus, dass in einem künftigen Krieg „Israel weitreichende Schäden erleiden wird, zumindest in der ersten Kriegsphase, und zwar auf mehreren Gebieten: Es besteht die Möglichkeit von Versuchen, für Israel lebenswichtige Ziele zu beschädigen, etwa durch Angriffe auf die Infrastruktur der IDF (Hauptquartier, Luftbasen, Rekrutierungszentren für Reservisten); durch Angriffe auf kritische Infrastruktur und die Grundversorgung (See- und Lufthäfen, Energie- und Wasserversorgung, Transport); durch gezielte Angriffe auf Regierungsstellen; durch Unterbrechung von Wirtschaftskreisläufen; und durch Angriffe auf Bevölkerungszentren. Diese Taktik zielt darauf, das Sicherheitsgefühl der Bürger und ihr Vertrauen auf die nationale Widerstandskraft zu untergraben. All dies deutet darauf hin, dass der nächste Krieg einen hohen Preis fordern wird – deutlich höher als in vergangenen Kriegen.“ Außerdem sind die Hisbollah und Iran heute in der Lage, Israel und die IDF auch im Cyber-, Informations- und elektromagnetischen Raum anzugreifen.
Die Trends der Kriegsführung der Zukunft, wie sie sich derzeit herauskristallisieren, sind für die israelische Armee ähnlich wie für die deutsche. Erstens: Künftige Kriege dürften stärker technologiebasiert sein. Zweitens: Diese Kriege werden an der Front genau wie an der Heimatfront geführt. Drittens: Die Bedeutung des Cyber- und Informationsraums ist aufgrund technischen Fortschritts bereits gewachsen und wird das weiter tun.
Trotz leichter Unterschiede bei den Streitkräftestrukturen und Bedrohungsszenarien kommen die Bundeswehr und die IDF zu ein und derselben Antwort auf ihre jeweiligen operationellen Herausforderungen: multi-domain warfare. Die Möglichkeit, die Fähigkeiten der Bundeswehr in allen Dimensionen einzusetzen, ist ein Dauerthema im Bundesverteidigungsministerium und in Strategiepapieren der Bundeswehr. Der derzeitige Generalstabschef der IDF, Generalleutnant Aviv Kochavi, hat ein neues operationelles Konzept für die israelischen Streitkräfte geprägt, das den Namen „Siegkonzept“ (victory concept) erhielt. Grundstein dieses Konzepts ist der Versuch, einen Krieg durch einen Einsatz in allen Dimensionen kurz zu halten, seine Kosten für Israel und die IDF zu drücken und dem Gegner maximalen Schaden zuzufügen.
Die öffentliche Debatte
Ein Merkmal der neuen Art der Kriegsführung ist wie erwähnt der immer stärkere Gebrauch neuartiger Waffensysteme. Diese werden oft als zielgenau und smart beschrieben, beruhen auf dem Einsatz künstlicher Intelligenz und Robotik. Und so haben sie, neben vielen anderen, auch noch den Vorteil, dass nur verhältnismäßig wenige Menschenleben durch sie aufs Spiel gesetzt werden, sowohl mit Blick auf Kombattanten als auch mit Blick auf unbeteiligte Dritte.
Andererseits ergeben sich durch den Einsatz dieser Systeme – wie bei jedem technischen Mittel, das auf künstlicher Intelligenz beruht – auch neue Herausforderungen. Eines der Werkzeuge, das immer mehr zum Einsatz kommt, ist das sogenannte UAV (unmanned aerial vehicle, unbemanntes Fluggerät) – ein ferngesteuertes Fluggerät. Diese neuen Werkzeuge provozieren Debatten, die sich in zwei Stränge unterteilen lassen. Einer kreist um fachlich-operationelle Aspekte, also Fragen nach dem Gebrauch der Werkzeuge, dem Schutz gegen einen solchen Gebrauch durch den Feind oder danach, wie man solche neuen Werkzeuge sinnvoll mit dem Einsatz von Landstreitkräften verbindet. Der zweite Strang betrifft dagegen ethisch-normative Fragen an eine Kriegsführung, in der die menschliche Dimension eine geringere Rolle spielt.
Es ist interessant, diesen beiden Diskussionssträngen aus einer vergleichenden Perspektive mit Blick auf Israel und Deutschland zu folgen. Während nämlich in Deutschland die moralische Debatte über Waffensysteme auf Grundlage künstlicher Intelligenz im Mittelpunkt steht, dreht sich die fachliche und politische Diskussion in Israel – neben rechtlichen Fragen darüber, wie der Gebrauch „ferngesteuerter Objekte“ geregelt sein sollte – um operationelle Aspekte. Hier geht es ganz wesentlich darum, ob es möglich ist, nur durch den Einsatz von Distanzwaffen und luftgestützten Systemen strategische Ziele zu erreichen und gegnerische Kräfte zu überwinden. Ein anderer zentraler Aspekt bezieht sich auf die je nach Einsatzziel fachlich beste Balance zwischen dem Einsatz von Bodentruppen und dem bewaffneter Drohnen. Daneben geht es am Rande auch noch darum, inwiefern der Übergang zu einer technologiebasierten Armee in Israel auch Auswirkungen auf das Rekrutierungsmodell und das Anforderungsprofil der Soldatinnen und Soldaten haben muss.
In Israel gilt bekanntermaßen eine Wehrpflicht, was der Vorstellung einer Armee entspricht, die im Volk verwurzelt ist. Dieses Modell zieht seine Berechtigung auch aus einem Konzept, das davon ausgeht, dass so viele Soldatinnen und Soldaten wie möglich benötigt werden. Diese Notwendigkeit steht nun angesichts der Einführung und zentralen Rolle der hier behandelten neuen Systeme zur Diskussion. Die Debatte über diese Systeme ist zuletzt außerdem entlang von Politik- und Verfassungsfragen geführt worden. Dabei ging es darum, wer die Autorität hat, über den Gebrauch dieser Werkzeuge zu bestimmen, und wie diese Waffensysteme mit der Politik des gezielten Tötens zusammenhängen, die aus der Sicht Israels ein Teil des Kampfes gegen den Terror ist.
Die Diskussion gewann auch wegen einer Äußerung des Generalstabschefs an Fahrt, wonach er die Erlaubnis erteilt habe, bewaffnete Drohnen als Teil einer großangelegten Operation („Shover Galim“) gegen Terrorinfrastruktur im Westjordanland einzusetzen, die bereits seit Monaten läuft. Aber sogar hier ging die Debatte im Kern darum, wer eigentlich die Befugnis besitzt, einen solchen Einsatz zu erlauben – als Reaktion auf die Äußerung des Generalstabschefs stellte der Verteidigungsminister klar, dass nur er eine solche Anweisung geben könne. Nicht zur Diskussion standen moralische Aspekte zum Gebrauch dieser Mittel an sich. In Israel ist die Wahrnehmung verbreitet, dass die moralischen Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz dieser Mittel bereits durch die wohlbekannte Debatte über die moralische Bewertung der Praxis des gezielten Tötens abgehandelt seien. Trotz der rechtlichen und moralischen Fragen, die es bei dieser Praxis gibt – es geht de facto um Hinrichtungen – ist sie vom Obersten Gericht Israels abgesegnet worden. Dieses entschied, dass die Praxis solange rechtens sei, wie sie sich gegen sogenannte tickende Zeitbomben richte.
Für Uzi Rubin vom Begin-Sadat Center for Strategic Studies geht es hier um eine „neue Art der Kriegsführung, die weniger Ressourcen und Menschenleben kostet“. Er spricht auch das geringere Risiko für Piloten der israelischen Luftwaffe an, deren Tod traditionell eine sensible Angelegenheit in der israelischen Gesellschaft ist.
Die Entscheidung, ob die deutsche Bundeswehr in die Lage versetzt werden sollte, mit bewaffneten Drohnen zu kämpfen und per Fernsteuerung zu töten, wurde im Koalitionsvertrag von 2018 zunächst ausgeklammert. In jenem Jahr genehmigte der Bundestag die auf neun Jahre befristete Anmietung von fünf Heron-TO-Drohnen aus der Produktion von Israel Aerospace Industries. Laut Lydia Wachs von der Stiftung Wissenschaft und Politik vereinbarten CDU/CSU und SPD, dass das Parlament über die Bewaffnung dieser Drohnen erst nach einer umfassenden Bewertung völker- und verfassungsrechtlicher wie auch ethischer Fragen entscheiden würde.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer sagte im Dezember 2019 nach einem Besuch bei deutschen Truppen im afghanischen Kundus: „Wenn ich den Wunsch der Soldaten hier mitnehme, und ich kann ihn ehrlich gesagt nachvollziehen, dann spricht vieles für die Bewaffnung der Drohne. (…) Und wir müssen uns ernsthaft fragen, ob wir mit Blick auf das Leben der Soldaten, das hier eingesetzt wird, es wirklich unterlassen, das, was wir an Möglichkeiten haben, auch wirklich einzusetzen.“
Die Ministerin organisierte im Anschluss eine Reihe von Diskussionsformaten mit Experten, Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft. Die Diskussionen zum Einsatz von Drohnen drehten sich dabei um fachliche Themen, aber nicht nur aus einem militärischen, sondern auch einem rechtlichen und moralischen Blickwinkel.
Wachs fasst die deutsche Debatte über bewaffnete Drohnen so zusammen: „Diejenigen, die für die Beschaffung bewaffneter Drohnen sind – in erster Linie die CDU – unterstreichen immer wieder, dass es dabei um das Recht auf bestmöglichen Schutz für die eingesetzten deutschen Streitkräfte in Brennpunkten auf der ganzen Welt gehe. Demnach könnten bewaffnete Drohnen patrouillierenden Truppen unmittelbare Luftunterstützung und besseren Schutz im Notfall bieten. Zudem verursachten bewaffnete Drohnen im Falle ihres Einsatzes dank größerer Präzision weniger Opfer unter der Zivilbevölkerung. In der kritischen und zu großen Teilen pazifistischen deutschen Öffentlichkeit beschwören Drohnen aber Bilder extraterritorialer gezielter Tötungen durch die USA in Pakistan, Jemen und Somalia herauf. Die türkischen Drohneneinsätze gegen Kurdengruppen seit 2016 haben dieses Bild ebenso weiter verfestigt wie der im September 2020 wieder ausgebrochene Bergkarabachkonflikt, der zahlreiche öffentlich zugängliche Videos hervorbrachte, die zeigen, wie aserbaidschanische Drohnen armenische Militärfahrzeuge und -gebäude treffen. (…) Die Grünen und die Linke äußern die Sorge, dass der Einsatz militärischer UAVs zu einer wachsenden Distanz zwischen dem Drohnenpiloten und dem Einsatzgebiet führen könnte, durch die es auf operationeller wie auch auf politischer Ebene zu einer emotionalen Gleichgültigkeit und zu einer geringeren Hemmschwelle bei der Kriegsführung kommen könne.“
Ungeachtet dessen hat Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine – neben vielen anderen Änderungen in der deutschen Außenpolitik – auch ein Umdenken in der Debatte um bewaffnete Drohnen bewirkt. Am 27. Februar 2022 kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz an, dass die Bundesregierung die „Anschaffung der bewaffneten Heron-Drohne“ nun aktiv vorantreiben werde. Im April stimmte der Verteidigungsausschuss des Bundestags dafür, die für die Bewaffnung der Heron-Drohnen nötigen Raketen zu bestellen. Die Bundesregierung plant, den konkreten Einsatz solcher bewaffneter Drohnen unter Parlamentsvorbehalt zu stellen.
Die philosophisch-moralische Debatte
In seinem Artikel „Drohnen und Roboter: Von der sich verändernden Praxis der Kriegsführung“ schreibt der auf die Ethik des Krieges spezialisierte israelische Philosoph Daniel Statman: „Die Frage nach der Moral von Drohnen ist ein gutes Beispiel für eine allgemeinere theoretische Frage, nämlich ob und wie technologische Entwicklungen, die traditionelle Praktiken verändern, auch Veränderungen in den Normen erfordern, die diese Praktiken regulieren. In gewisser Weise ist die Antwort offensichtlich ‚Ja‘, denn die Anwendung moralischer Prinzipien hängt immer von Prämissen über die faktische Wirklichkeit ab. Wenn diese sich ändert, tun dies auch die moralischen Normen. Nicht so offensichtlich ist aber, ob die zugrundeliegenden moralischen Prinzipien sich auch ändern.“ Statman führt eine Reihe von Thesen auf, die in der Diskussion häufig von denen vorgebracht werden, die sich gegen die Entwicklung und Anwendung der infrage stehenden Werkzeuge stellen. Zu diesen Argumenten gehören:
Mangelnder Respekt beim Töten – Nach Ansicht mancher Debattenteilnehmer verdient es ein Mensch, auf denjenigen, der ihn töten will, zumindest den Finger richten (und ihn gegebenenfalls verurteilen) zu können, selbst wenn der Killer kilometerhoch in einem Flugzeug in der Luft schwebt. Der Gedanke dahinter ist, dass ein Mensch in einem Flugzeug zumindest einen weniger „gesichtslosen“ Tod bedeutet als ein ferngesteuerter Roboter.
Risikoloses Töten steht der Berechtigung zum Töten im Krieg entgegen – Dieses Argument geht auf die moralische Grundlage für die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten zurück, die sich aus der gegenseitigen Bedrohung ergibt, die zwei Kombattanten füreinander darstellen. Diejenigen, die gegen die Nutzung von Drohnen sind, führen manchmal das Argument ins Feld, dass die Risikolosigkeit, mit der eine Person eine Drohne steuern kann, deren Berechtigung infrage stellt, überhaupt Kombattanten zu töten.
Fragen der Verantwortlichkeit – Dieses Argu-ment bezieht sich auf eine Frage, die sich für jedes System stellt, das auf künstlicher Intelligenz beruht. Im Falle eines Unfalls sei schlicht unklar, wer für den Schaden verantwortlich sei.
Ein weiteres wichtiges Argument in der Debatte um den Gebrauch von Waffensystemen, die auf künstliche Intelligenz setzen, ist die Warnung vor deren leichtfertigem Einsatz. Demnach könnten Staaten in einer Situation, in der bestimmte Hemmfaktoren wegfallen – etwa die Furcht, eigene Einsatzkräfte einem Risiko auszusetzen; oder psychische Probleme damit, „mit den eigenen Händen zu töten“ –, schneller geneigt sein, Angriffe zu starten. Diese Befürchtung gibt es natürlich genauso mit Blick auf „klassische“ Bombenangriffe aus der Luft, aber sie ist bei den hier behandelten Waffensystemen noch stärker ausgeprägt. Statman schreibt zu diesem Argument: „Die Hauptsorge ist, dass die Entfernung zwischen den Drohnenpiloten und ihren Opfern zu einer Abstumpfung beim Töten führt.“
Dennoch verwirft Statman all diese Argumente weitgehend und kommt zu einem anderen Ergebnis: „Man muss immer vorsichtig damit sein, die Zukunft vorherzusagen. Dennoch kann man wohl sagen, dass drohnenbasierte Militäreinsätze – verglichen mit den großen Schlachten der Vergangenheit und deren schrecklichem Blutzoll – wesentlich humaner erscheinen. Sie ermöglichen auch ein besseres Verhältnis zwischen moralischer Verantwortung und der Anfälligkeit für Verteidigungsmaßnahmen. Wenn man Bomber, Marschflugkörper und – besonders offensichtlich – die verschiedenen Spielarten von Massenvernichtungswaffen dagegenhält, werden Drohnen mit einiger Wahrscheinlichkeit als echtes moralisches Fortschrittsversprechen in die Annalen der Kriegsführung eingehen.“
Fazit
Deutschland und Israel haben zwar einerseits eine ähnliche Einschätzung der Merkmale der Kriegsführung der Zukunft und ein ähnliches Verständnis der entsprechenden Einsatzkonzepte. Die Art und Weise aber, wie die wachsende Bedeutung von Hochtechnologie und künstlicher Intelligenz für die Kriegsführung den Diskurs in beiden Ländern beeinflusst, ist durchaus unterschiedlich. Während die Diskussion sich in Israel vor allem um fachliche Fragen, wie den bestmöglichen Gebrauch der neuartigen Waffensysteme und deren richtiges Zusammenspiel mit Landstreitkräften, dreht, rufen diese Systeme in Deutschland hauptsächlich rechtliche und ethische Debatten über ihren Gebrauch hervor.
– übersetzt aus dem Englischen –
Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Sammelband „Bundeswehr der Zukunft – Verantwortung und Künstliche Intelligenz“, den die Konrad-Adenauer-Stiftung am 17. Januar 2023 veröffentlicht. Weitere Informationen dazu finden Sie unter https://kas.de/de/bundeswehr-der-zukunft.
Dr. Idit Shafran Gittleman ist Leiterin des Programms Militär und Gesellschaft am Israel Democracy Institute und Lehrstuhlinhaberin an der Reichmann-Universität. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Moralphilosophie, politische Philosophie, Ethik, Recht im Krieg sowie Militär und Gesellschaft in Israel.
Eyal Berelovich hat am Institut für Islam- und Nahoststudien der Hebräischen Universität Jerusalem promoviert und arbeitet für das Institut zur Erforschung des Landkrieges der IDF.
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