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Mohamed Abd El Ghany, Reuters

Auslandsinformationen

Zwischen Aufbruch und Repression

von Ulf Laessing

Die Medienlandschaft in der arabischen Welt im Umbruch

Zehn Jahre nach den Aufständen des „Arabischen Frühlings“ ist die Medienlandschaft im Nahen Osten und in Nordafrika im Umbruch. Einst staatstreue Massenmedien in Ländern wie Tunesien und Sudan berichten nun ausgewogener. Gleichzeitig investieren vor allem die reichen Golfstaaten und Ägypten in ihre Staatsmedien. Doch eine ganze Reihe privater Online­formate wie Blogs und Podcasts versucht, einer Übermacht der Staatsmedien zu trotzen und objektiv für die Menschen in der Region zu berichten.

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Die Facebook-Revolution und die Politisierung arabischer Fernsehsender

Als im Januar 2011 Massenproteste gegen Ägyptens Präsidenten Husni Mubarak ausbrachen, schlug die Stunde der sozialen Medien und des katarischen Fernsehsenders Al Jazeera. Junge Leute hatten sich schon lange von lokalen Zeitungen mit den täglichen Mubarak-Fotos auf den Titelseiten abgewandt und nutzten soziale Medien als Hauptinformationsquelle. Per Facebook riefen Aktivisten zu Protesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo auf. Die, die nicht mitdemonstrierten, verfolgten Tag und Nacht auf Al Jazeera, wie Mubarak gestürzt wurde.

Al Jazeera hatte sich seit seinem Start 1996 Respekt erworben, als es das Monopol von Staatssendern brach, deren Programm sich weitgehend auf offizielle Verlautbarungen beschränkte. Der Sender führte Talkshows ein, in denen Oppositionelle auftraten, was schnell zu Problemen mit vielen arabischen Regierungen führte.

Dennoch war Al Jazeera nach Meinung von Kritikern nie losgelöst von Katars Politik, das zeigte sich auch in Ägypten und anderen Ländern, wo ebenfalls Massenproteste ausbrachen. Die Begeisterung vieler Zuschauer über die Ägypten-Berichte war vorbei, als der Sender in den Verdacht geriet, Partei zu ergreifen – zum Beispiel in Syrien, wo über die Unterdrückung von Protesten durch das Regime berichtet, Gewaltakte der Opposition aber oft ignoriert wurden. Viele prominente Journalisten verließen daraufhin den Sender. Die Glaubwürdigkeit des Senders litt zusätzlich, als Katar Rufe nach demokratischen Reformen im eigenen Land unterdrückte.

Andere Golfstaaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), denen Al Jazeeras Einfluss ein Dorn im Auge war, rüsteten zur medialen Gegenoffensive. Der saudische Fernsehsender Al-Arabiya mit Sitz in Dubai ging 2003 an den Start und wurde nach dem Umsturz von Mubarak in Ägypten zur Plattform für Regierungen wie Saudi-Arabien ausgebaut, die sich besorgt über den steigenden Einfluss der Islamisten, des Irans und mit Teheran verbündeter Milizen wie der Hisbollah im Libanon äußerten. Mit Sky News Arabia ging 2012 ein weiterer in den VAE beheimateter Sender an den Start.

 

Neue Freiheiten für alte und neue Medien

Viele junge Leute haben sich seit 2011 angesichts der Polarisierung von Fernsehsendern von den traditionellen Medien abgewandt, da mit den Umwälzungen glaubwürdige Alternativen entstanden. Zum einen waren dies bereits existierende Medien wie Zeitungen – so in Tunesien, Ägypten oder Marokko –, wo Journalistinnen und Journalisten nun neu gewonnene Freiheiten ausnutzten. Zudem wurden neue Formate wie politische Talkshows gestartet, um über bisherige Tabuthemen wie die Rolle der Armee oder Islamisten zu diskutieren. Zeitungen wie Al-Masry Al-Youm begleiteten kritisch das Chaos, das nach Mubaraks Umsturz folgte, als der islamistische Präsident Mohammed Morsi 2013 knapp gewählt wurde, ohne jemals von vielen Ägyptern akzeptiert zu werden.

Tunesische Medien berichten glaubwürdig über die Transformation des Landes.

Tunesien, Geburtsland des „Arabischen Frühlings“, ist ein weiteres Beispiel für die Veränderungen der Medienlandschaft in der Region. Viele Tunesier wandten sich von arabischen Fernsehsendern wegen der oben beschriebenen Polarisierung ab, während in dem nordafrikanischen Land klassische Medien, von Zeitungen über private Radiosender bis zu Staatsmedien, mit dem Sturz von Ben Ali professionell berichteten. Der Radiosender Mosaique, der auch eine Nachrichtenwebseite betreibt, und die staatliche Nachrichtenagentur TAP waren vor 2011 Verlautbarungsorgane der Regierung. Seit 2011 berichten sie glaubwürdig über die Transformation des Landes in all ihren Facetten: von fast täglichen Anti-Regierungsprotesten, Regierungskrisen, der neuen demokratischen Verfassung bis zu Anschlägen von Dschihadisten.

 

Mada Masr und Tunisie Numérique

Außerdem kamen Medien-Neugründungen in der Region hinzu. Das prominenteste Beispiel ist die 2013 gestartete Onlineplattform Mada Masr in Ägypten, die für investigative Berichte und Reportagen über Politik und Wirtschaft bekannt ist und bis heute zu den besten Qualitätsmedien in der Region zählt. Die Redaktion hat ihre Berichterstattung inzwischen über Ägypten hinaus auf Sudan, Libyen und andere Länder ausgeweitet. Mada Masr ging aus der Onlinezeitung Egypt Independent hervor, einer weiteren Neugründung nach 2011. In Tunesien und Marokko sind auch neue Medien hinzugekommen, oder bereits existierende haben expandiert. Ein beliebtes Nachrichtenportal ist Tunisie Numérique, das auf Arabisch, Französisch und nun auch auf Englisch sachlich über Politik, Wirtschaft, Kultur, Lokal- und Verbraucherthemen aus Tunesien, der Region und der Welt berichtet.

Und Mada Masr war nicht die einzige Innovation im postrevolutionären Ägypten: Der ägyptische Politiksatiriker Bassem Youssef, der schon Langzeitherrscher Mubarak in Videos auf Youtube kritisiert hatte, bekam nach 2011 eine Show im Fernsehen, in der er sich regelmäßig über den neuen Präsidenten Morsi lustig machte und Missstände wie Stromausfälle anprangerte. Mit seiner Show war es allerdings vorbei, als der aktuelle Präsident Abdel Fattah al-Sisi 2013 die Macht übernahm. Youssef musste Ägypten ein Jahr später nach einer Gerichtsverurteilung verlassen und lebt heute im Exil in den Vereinigten Staaten.

 

Mediendebatten in Libyen

In Libyen war eine ähnliche Entwicklung nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 zu beobachten. Neue Zeitungen, Fernseh- und Radiosender oder Nachrichtenwebseiten entstanden, wo Politiker über den künftigen Kurs des Landes debattierten. Unvergessen bleibt, als nach der umstrittenen Wahl von Ministerpräsident Ahmed Maiteeq 2014 zwei Parlaments-Vizepräsidenten live im Fernsehen die Gültigkeit der Wahl diskutierten – unter Gaddafi hatte es noch nicht einmal Debatten gegeben. Mit der Spaltung des Landes in Lager in West und Ost 2014 und der Intervention mehrerer ausländischer Mächte in den Konflikt wurden auch die Fernsehsender und die weitere Medienlandschaft polarisiert. Der Druck auf Journalistinnen und Journalisten wuchs und es gab von da an keine nationalen Medien mehr, die nicht auch eine der Konfliktparteien unterstützten. Das Interesse vieler Menschen an traditionellen Massenmedien und Formaten ließ daraufhin, wie auch in anderen Ländern, deutlich nach.

 

Die Entwicklung neuer Formate im Ausland

Auch in anderen Ländern der Region ging es mit den neuen Medienfreiheiten bergab. Ägypten ist das beste Beispiel, wo die Regierung seit 2013 ein Verlangen von Teilen der Bevölkerung ausnutzt, nach den chaotischen Jahren nach Mubaraks Sturz wieder zu einem „starken“ Staat zurückzukehren. Talkshows und Medien werden jetzt angeblich von den Behörden mittels Regieanweisungen an Chefredakteure per Whatsapp-Chatroom gesteuert. In Jemen, Libyen oder Syrien haben sich die Bürgerkriege verschärft, was den Zugang für Journalistinnen und Journalisten erschwert hat. Andere Länder wie Marokko, Kuwait, Algerien oder Jordanien erlauben auch weiter Freiräume für Medien, sofern bestimmte rote Linien nicht überschritten werden. Dies betrifft insbesondere Kritik an Sicherheitskräften, Herrscherfamilien oder Staatsoberhäuptern. Jordanien verbot etwa im April 2021 jegliche Berichterstattung über einen Streit in der Königsfamilie. Marokko ist in letzter Zeit verstärkt gegen Medien vorgegangen, die über Korruptionsfälle bei Firmen im Besitz der Königsfamilie oder von Regierungsmitgliedern berichteten. Die Oppositionszeitung Akhbar Al-Youm stellte im März 2021 ihren Betrieb ein, nachdem Behörden nach Angaben der Organisation Reporter ohne Grenzen länger keine Anzeigen mehr geschaltet hatten und dem Verlag Beihilfen in der Coronapandemie verweigerten, die anderen, weniger kritischen Medienhäusern zuteil wurden. Mehrere leitende Redakteure wurden in den letzten Jahren verhaftet, Chefredakteur Soulaimane Raissouni wurde im Juli 2021 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. In einem weiteren Rückschlag für die Pressefreiheit wurde der Investigativ-Journalist Omar Radi ebenfalls im Juli zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Neue Formate sind entstanden und Redaktionen haben sich im Ausland angesiedelt, wenn ein professionelles Arbeiten vor Ort schwierig wurde.

Trotz einer Polarisierung von lokalen Medien und zunehmenden Drucks auf Medienschaffende in einigen Ländern überwiegen die Fortschritte seit 2011. Es gibt nun auch im Nahen Osten unabhängige Qualitätsmedien und der Journalistenberuf ist trotz aller Herausforderungen sehr attraktiv. Ausländische Medien wie Nachrichtenagenturen mit Büros in der Region erhalten ständig Bewerbungen von Universitätsabsolventen, zum Beispiel von der American University in Cairo (AUC), die trotz eines schwieriger werdenden Umfelds weiter Journalistinnen und Journalisten ausbildet, zum Teil in Zusammenarbeit mit ausländischen Universitäten. Es sind neue Formate entstanden und Redaktionen haben sich im Ausland angesiedelt, wenn ein professionelles Arbeiten vor Ort schwierig wurde oder Visa kaum zu bekommen waren – wie bei den Massenprotesten 2019 in Algerien, als die Regierung ausländischen Berichterstattern die Einreise verweigerte.

Es zeigt sich hier ein Trend, den man schon im Sudan unter dem Autokraten Omar al-Baschir beobachten konnte. Weil die Regierung in seiner Amtszeit wenig Presse-Visa erteilte und unabhängiges Arbeiten in Konfliktregionen wie Darfur praktisch unmöglich machte, siedelten sich von ausländischen Geldgebern unterstützte Medien wie Radio Dabanga oder Nuba Reports im Ausland an, die dank guter Quellen vor Ort professionelle Berichte aus Darfur oder der Konfliktregion Süd-Kordofan lieferten. Beide Medien haben ihre Berichterstattung mittlerweile auf den ganzen Sudan ausgeweitet.

Eine ähnliche Entwicklung kann man nun auch in Bürgerkriegsländern wie Syrien beobachten, wo mehrere Onlineformate entstanden sind, die sich im Libanon oder in Europa angesiedelt haben. Sie nutzen die Zuarbeit lokaler Reporterinnen und Reporter sowie Quellen, die im Land aus politischen Gründen keine Plattform mehr haben. Ein Beispiel ist das syrische Onlineportal Al-Jumhuriya, das Features und Hintergrundberichte über syrische Flüchtlinge im Exil, das Leben in Syrien unter Präsident Baschar al-Assad und andere Themen auf Arabisch und Englisch produziert. Die Artikel werden von Oppositionellen geschrieben, sind aber häufig lesenswert und keine plumpe Gegen-Propaganda. Qualitativ gute Berichte zu den Themen Hochschulen und Studium in der arabischen Welt, die politisch etwas neutraler im Ton sind, finden sich beispielsweise auch beim Studenten-Onlinemagazin Al-Fanar. Andere Formate für ausgewogene Berichterstattung sind Syria Direct und Syrian Observer.

 

Neue überregionale Magazine

Es gibt inzwischen auch einige hochwertige, länderübergreifende Portale wie das Newlines Magazine, das 2021 mit exzellenten Reportagen und Hintergrundartikeln über den Nahen Osten auf den Markt kam. Es wird von einem Team aus hauptsächlich arabischen Journalistinnen und Journalisten aus Washington geleitet, die Expertinnen und Experten aus der Region mit Themen beauftragen. Ein weiteres Online-Qualitätsmagazin ist Jadaliyya, das kurz vor dem Beginn des „Arabischen Frühlings“ an den Start ging, um politische und wissenschaftliche Analysen aus den Ländern der Region anzubieten. Das Portal hat sein Angebot in den letzten Jahren ausgebaut und liefert Hintergrundinformationen zu aktuellen Themen und Konflikten.

Für viele junge Menschen in der Region sind soziale Medien oder private Blogs die Hauptinformationsquelle.

In zunehmendem Maß arbeiten auch ausländische Investigativ-Formate mit Journalistinnen und Journalisten in der Region zusammen, um Artikel zu Themen wie Korruption oder Migration zu recherchieren, die im Land selbst schwierig zu veröffentlichen wären. Prominente Beispiele sind das deutsche investigative Onlinemagazin Correctiv und das internationale Portal Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), neben mehreren ähnlichen Projekten. Correctiv hat etwa mithilfe eines syrischen Journalisten Ungenauigkeiten in Nahost-Berichten deutscher Fernsehsender aufgedeckt und Überlebende eines Chemiewaffen-Angriffs auf die syrische Stadt Khan Scheichun interviewt.

 

Der Aufstieg von Blogs, digitalen Medien und Bürgerjournalismus

Für viele junge Menschen in der Region ist wegen der Polarisierung traditioneller nationaler und regionaler Medien der digitale Raum – in den sozialen Medien oder auf privaten Blogs – die Hauptinformationsquelle. Die Zahl der Internetnutzer im Nahen Osten und in Nordafrika hat sich seit 2011 auf 65 Millionen mehr als verdoppelt. Arabische Beiträge machen einen überdurchschnittlich hohen Anteil auf den 100 beliebtesten Seiten auf Facebook, Twitter und anderen Plattformen aus. Das bereits erwähnte Online-Nachrichtenportal Tunisie Numérique etwa hat fast eine halbe Million Follower alleine auf Facebook.

In Algerien ist eine der beliebtesten Nachrichtenquellen das Portal alHirak.com, das hauptsächlich von Aktivistinnen und Aktivisten betrieben wird, die Proteste gegen die Regierung organisieren und politische Veränderungen wollen. Das Portal hat überwiegend regierungskritische Posts, es gibt aber auch Links zu ausländischen Medien oder Sport- und Kulturberichte.

In vielen Ländern sind auch private Blogs, betrieben nicht zuletzt von jungen Menschen und Frauen, gestartet, die über Alltagsprobleme berichten. Ihnen fehlt es häufig an journalistischen Standards mangels einer entsprechenden Ausbildung, aber sie erreichen trotzdem ein breites Publikum.

Die größte Herausforderung für neue digitale Medien ist es, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu entwickeln und journalistische Standards einzuführen.

Die jüngste Innovation sind dutzende Themen-Gruppen zum Libyen-Konflikt auf Clubhouse, einer 2021 gestarteten iPhone-App. Das Portal ist zum Hauptmedium für Libyer geworden, die sachlich über ihr Land diskutieren wollen, was in ihren Massenmedien wegen einer Politisierung nicht mehr möglich ist. Jede Woche kommen auf Clubhouse neue Libyen-Foren hinzu. Auch in Ägypten, Saudi-Arabien, dem Iran und Jemen ermöglicht Clubhouse einen Dialog zwischen Journalisten, Aktivisten und der Öffentlichkeit, der bisher die staatliche Zensur umgehen konnte.

Solche „Bürgerjournalistinnen und -journalisten“ sind für viele eine Alternative zu den traditionellen Massenmedien wie Zeitungen, die etwa in Ägypten oder Syrien meist in Staatshand sind und gedruckt werden, unabhängig davon, ob sie gelesen werden oder nicht – vergleichbar mit der Zeitung Neues Deutschland in der DDR. Niemand der unter 35-jährigen Ägypter informiere sich aus den lokalen Zeitungen oder Fernsehsendern, räumte Informationsminister Osama Heikal im Oktober 2020 ein. Er musste daraufhin zwar zurücktreten, doch es ist kein Geheimnis, dass Staatszeitungen wie Al-Ahram bei einer jungen Bevölkerung, die mit sozialen Medien groß geworden ist, wenig Anklang finden.

Die größte Herausforderung für neue digitale Medien ist es, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu entwickeln und journalistische Standards einzuführen. Nichtregierungsorganisationen wie das amerikanische Institute for War and Peace Reporting (IWPR) bieten hierzu Beratung und Workshops an. Neue Medien bekommen häufig kaum Werbeanzeigen von Behörden und haben zusätzliche Einbußen von Privatkunden im Zuge der Coronakrise erlitten. Kritische Medien wie Mada Masr sind auf Abonnenten und Spenden angewiesen. Sie finden ohne Probleme interessierte Leserinnen und Leser und gewinnen Journalistenpreise, haben aber Schwierigkeiten, sich zu finanzieren und ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu finden.

 

Golfmedien expandieren

Eine Unterstützung neuer digitaler Medien ist aus Sicht von Expertinnen und Experten wichtig, weil Regierungen, die wenig Toleranz für Pressefreiheit zeigen, expandieren, wie das Beispiel der Zeitung The National aus Abu Dhabi zeigt. Die englischsprachige VAE-Staatszeitung ist derzeit das größte Wachstumsprojekt auf dem Printmarkt in der Region. Die Redaktion wird mit neuen Korrespondentenbüros erweitert, um zur führenden Zeitung der Region aufzusteigen. Dank attraktiver Gehälter hat die Zeitung prominente westliche und arabische Reporterinnen und Reporter angezogen, die sachlich über den Syrienkonflikt oder auch die Lage im Irak oder Jordanien berichten. Anders sieht es in Ländern aus, in denen die VAE militärisch und politisch aktiv sind – wie zum Beispiel in Libyen, wo über die militärische Intervention der Türkei berichtet wird, ohne auf die von den VN dokumentierten Waffenlieferungen aus den Emiraten an den ostlibyschen Kommandeur Haftar hinzuweisen.

Ein ähnliches Bild bietet sich bei den Fernsehsendern wie Al Arabiya, der mit der Marke Alhadath expandiert hat. Ein Ableger von Alhadath ist in Ostlibyen Haftars Haussender. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums ist Al Jazeera, der nach Einschätzung von Kritikern in seinem arabischen Kanal weiter positiv über Länder mit engen Beziehungen zu Katar wie die Türkei berichtet.

 

Ausblick und Handlungsoptionen

Staatliche Repression hat in einigen Ländern wie Ägypten in den letzten Jahren zugenommen, aber Journalistinnen und Journalisten haben insgesamt viele der neu gewonnenen Freiheiten bewahrt. Der Journalistenberuf bleibt trotz aller Schwierigkeiten und staatlicher Repression attraktiv für junge Leute. Relativ gute Arbeitsbedingungen existieren derzeit weiter beispielweise im Sudan, Libanon, in Tunesien, Marokko und mit Abstrichen auch in Kuwait und Jordanien. In Tunesien berichten private Tageszeitungen und Radiosender weiter kritisch über Politik und die jüngste Protestwelle. Auch in dem Golfemirat Kuwait kritisieren Zeitungen regelmäßig Regierung und Parlament, aber direkte Kritik an Herrscherhaus und Emir bleibt tabu. Jordanien toleriert die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten, solange sie nicht negativ über das Königshaus und den Monarchen berichten. Es gibt viele Gestaltungsräume, auch für internationale Akteure, um gezielt lokale Medien – insbesondere digitale Plattformen und andere Akteure wie Pressesprecherinnen und Pressesprecher – zu unterstützen.

 

Hoffnung im Sudan nach al-Baschirs Sturz

Große Hoffnung auf Besserung der Arbeitsbedingungen für Medien gibt es im Sudan seit dem Sturz des Langzeitherrschers al-Baschir infolge von Massenprotesten im Jahr 2019. Das Land gehörte unter dem Autokraten zu den größten Unterdrückern von Journalistinnen und Journalisten in der Region. Oppositionszeitungen wurden regelmäßig zensiert und kritische Reporterinnen und Reporter eingesperrt. Mit der Einsetzung einer zivilen Übergangsregierung, die mit dem immer noch mächtigen Militär regiert, probieren Medienschaffende neue Freiheiten aus. Das Onlineportal Ayin, das bereits unter al-Baschir „undercover“ aus Bürgerkriegsgebieten wie Süd-Kordofan berichtete, hat seine Aktivitäten ausgeweitet. Die staatliche Nachrichtenagentur SUNA berichtet jetzt ähnlich wie Staatsmedien in Tunesien sachlich und live von Pressekonferenzen.

Einige Pressesprecher behandeln Informationen, die öffentlich zugänglich sein sollten, immer noch wie Staatsgeheimnisse.

Den zivilen Behörden, die Journalistinnen und Journalisten bessere Arbeitsbedingungen ermöglichen wollen, fehlt es jedoch an Unterstützung. Der neue Informationsminister Faisal Saleh wurde als oppositioneller Journalist unter al-Baschir gegängelt. Die neue zivile Regierung ist der Pressefreiheit verpflichtet und hat neue Gesetze angekündigt, um Medien mehr Zugang zu offiziellen Informationen zu ermöglichen. Ihnen fehlt es aber an Ressourcen, um Trainingskurse für Pressesprecherinnen und Pressesprecher in den Ministerien und Behörden anzubieten.

Während sich das Klima allgemein deutlich verbessert hat, behandeln einige Pressesprecherinnen und Pressesprecher Informationen, die öffentlich zugänglich sein sollten, immer noch – wie unter der Herrschaft al-Baschirs – wie Staatsgeheimnisse. Dies betrifft nicht nur inoffizielle „Tabuzonen“ für Journalistinnen und Journalisten bei Recherchen zur Rolle des Militärs und verbündeter Milizen, die Teile der Wirtschaft kontrollieren, zum Beispiel die für den Export wichtigen Goldminen, sondern auch weniger brisante Bereiche wie ökonomische Daten zu Staatsfinanzen. Bislang ist der Zugang zu solchen Informationen häufig abhängig von persönlichen Beziehungen. Trainingskurse hätten hier zudem die wichtige Funktion, ein Umdenken anzustoßen, um eine Stigmatisierung von Medienschaffenden zu beenden, die in dem früheren Autokraten al-Baschir nahestehenden Medien Karriere gemacht haben und sich jetzt im „neuen Sudan“ ausgegrenzt fühlen.Als lokale Partner kämen die Sudanese Professionals Association oder das Sudanese Journalists Network in Betracht, die beide in der Öffentlichkeit hohes Ansehen genießen.

Zum anderen würden lokale Zeitungen von Unterstützung profitieren, um ihre Onlineauftritte zu verbessern. Hauptproblem für unabhängige Medien bleibt auch im Sudan wie in anderen Ländern, in Zeiten der schlimmsten Wirtschaftskrise des Landes seit Jahrzehnten ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Viele Projekte wie Radio Dabanga bleiben von Zuwendungen ausländischer Geldgeber abhängig. Tageszeitungen wie al-Sudani haben sehr rudimentäre Onlineversionen, was ihre Reichweichte außerhalb des Hauptverbreitungsgebietes in Khartum und anderen großen Städten wie Port Sudan beschränkt. Gezieltes Training würde hier helfen, um die Qualität des Onlineangebots und damit die Vermarktungschancen zu verbessern.

 

Balanceakte in Algerien, Marokko, im Irak und in Jordanien

Algerien, Marokko, der Irak und Jordanien sind neben dem Sudan vielversprechende Länder für Projekte, um Medienschaffende zu unterstützen. Die vier Länder stehen für Medienmärkte, wo Journalistinnen und Journalisten mehr Freiheiten als etwa in Ägypten haben und arbeiten können, wenn sie heikle Themen vermeiden. Insbesondere der Regimewechsel in Algerien mit dem Rücktritt von Präsident Abdelaziz Bouteflika 2019 nach Massendemonstrationen hat eine leichte Verbesserung der Arbeitsbedingungen gebracht, was Handlungsoptionen für internationale Akteure eröffnet. Während der wochenlangen Unruhen hatten Staatsmedien wie die offizielle Nachrichtenagentur APS nach einigem Zögern auch über die Proteste berichtet. Journalistinnen und Journalisten schreiben seitdem regelmäßig über die Demonstrationen, die mit dem Abgang von Bouteflika nicht abebbten, sondern sich nun auch gegen die dominierende Rolle der Armee und der politischen Elite richteten. Präsident Abdelmadjid Tebboune erließ im Februar 2021 eine Amnestie, um eine Reihe kritischer Medienschaffender sowie Aktivistinnen und Aktivisten wie Khaled Drareni nach einem Protest freizulassen. Drareni ist einer der prominentesten Journalisten Algeriens mit 165.000 Followern auf Twitter, der für französische Sender arbeitet und eine eigene Nachrichtenwebseite, die Casbah Tribune, betreibt. Er engagiert sich zudem als Aktivist für Pressefreiheit in der Organisation Reporter ohne Grenzen und kritisiert immer wieder die Rolle der Armee und die aus seiner Sicht undemokratische Transition seit dem Abgang von Bouteflika. Seine Freilassung wird von einigen als Zeichen gesehen, weitere Freiräume zuzulassen – trotz vieler Probleme. Mehrere Blogs, unabhängige Zeitungen und die Webseite alHirak.com begleiten die noch unklare weitere Transformation des Landes, sind aber zum Teil recht unerfahren, was journalistische Standards, Angebote und Vermarktung angeht. Hier können Trainings helfen, insbesondere auch, um die Lokalberichterstattung zu verbessern, die häufig nicht an das Niveau von Medien in Marokko herankommt.

Marokko ist eines der wenigen Länder der Region, wo es eine ganze Reihe professioneller Medien gibt – so zum Beispiel das Online-Nachrichtenmedium Le Desk, bekannt für seine investigativen Berichte zu brisanten Themen wie Korruption von Regierungsvertretern und Unternehmen, die zu dem weitverzweigten Wirtschaftsimperium des Königshauses gehören. Andere professionelle Onlineformate sind Lakome2, Telquel und Medias24 für exzellente Wirtschaftsnachrichten. Der Druck auf unabhängige Medien und Journalistinnen und Journalisten, nicht über Tabuthemen wie Korruption im Königshaus zu berichten, hat zugenommen – doch es gibt immer noch Freiräume. Unabhängige lokale Medien berichten zum Beispiel regelmäßig über Proteste oder Armut.

In Marokko könnten Kooperationen von ausländischen Investigativ-Plattformen wie Correctiv oder OCCRP mit marokkanischen Journalistinnen und Journalisten gemeinsame Recherchen zu Themen vorantreiben, die auch in Europa oder den Vereinigten Staaten auf Interesse stoßen könnten – wie zum Beispiel Migration von Armutsflüchtlingen nach Spanien. Le Desk und andere Medien berichten fast jede Woche über diesen Themenkomplex und könnten viel zur Besserung der häufig oberflächlichen Berichterstattung europäischer Medien beitragen. Solch ein Projekt wäre ebenso in Zusammenarbeit mit algerischen Medien sinnvoll, da viele arbeitslose Algerier versuchen, Europa per Boot zu erreichen. Auch hierzu finden sich regelmäßig Berichte in lokalen Zeitungen, aber sehr wenig in ausländischen Medien, die in Algerien kaum präsent sind. Europäische und deutsche Medien könnten mit so einer Zusammenarbeit ihre Kolleginnen und Kollegen in Marokko und Algerien dabei unterstützen, langfristige und ambitionierte Recherchen zu lokalen Themen aus internationaler Perspektive durchzuführen.

In Marokko würden auch Workshops zur Wirtschaftsberichterstattung Sinn machen. Die Börse in Casablanca ist einer der wichtigsten Handelsstandorte in Nordafrika, und börsennotierte marokkanische Unternehmen und Banken haben in den letzten Jahren stark in Afrika südlich der Sahara expandiert (als Teil der Außenpolitik des Königreichs). Die Berichterstattung in lokalen Medien geht häufig nicht über die offiziellen Verlautbarungen hinaus. Hier könnten Workshops für qualitative Verbesserungen sorgen.

Einige lokale Medien im Irak müssen Personal abbauen und Kosten einsparen, da das Anzeigenvolumen in der Coronapandemie eingebrochen ist.

Journalistinnen und Journalisten im Irak gehen derzeit einen Balanceakt ein. Seit dem Sturz von Saddam Hussein 2003 sind viele neue Medien auf den Markt gekommen – sowohl unabhängige als auch parteigebundene. In den letzten Jahren hat sich das Klima weiter verschlechtert. Die Regierung hat Fernsehsender und zeitweise auch ausländische Medien wie das Reuters-Büro in Bagdad suspendiert. Dennoch gibt es dort noch Medien, die weiter professionell ihre Arbeit machen wie beim Sender al Mirbad, der aus Basra im Südirak berichtet – einer Region, die unter Korruption, Armut und Umweltverschmutzung leidet, obwohl sie dank ihrem Ölreichtum die Haupteinnahmequelle für den irakischen Staatshaushalt ist.

Internationale Partner könnten lokalen Sendern, Nachrichtenwebseiten und Zeitungen in der Hauptstadt Bagdad und in Irakisch-Kurdistan dabei helfen, ihr journalistisches Angebot, vor allem in den häufig oberflächlichen Lokalteilen, zu verbessern. Handwerklich verbesserte Berichte etwa über mangelnde staatliche Dienstleitungen wie schmutziges Trinkwasser dürften auf großes Interesse stoßen und das Profil solcher Medien schärfen. Einige lokale Medien müssen Personal abbauen und Kosten einsparen, da das Anzeigenvolumen in der Coronapandemie eingebrochen ist. Sie haben kaum Ressourcen, um Reporterinnen und Reporter weiterzubilden – eine Aufgabe für internationale Akteure. Auch hier würden spezielle Schulungen für Pressesprecherinnen und Pressesprecher oder gemeinsame Workshops mit Journalistinnen und Journalisten helfen, das Verhältnis von Medien und Behörden zu verbessern und gegenseitige Vorurteile abzubauen. Für Jordanien kämen ähnliche Projekte infrage. Praktika oder Redaktionsbesuche in Deutschland würden Journalistinnen und Journalisten aus der Region wertvolle Erfahrungen vermitteln.

 

Gesucht: Fact-Checking in Bürgerkriegsregionen

In Bürgerkriegsregionen wie Libyen, Jemen oder Syrien, wo es praktisch keine unabhängigen Medien gibt, können internationale Akteure einen Beitrag leisten, um Grundwissen aufzubauen und Instrumente für private Blogs zu entwickeln, um Fakten zu überprüfen – eine außerordentlich wichtige Aufgabe in Zeiten von Fake-News-Kampagnen von Regierungen und ihren Unterstützern in den sozialen Medien. In Libyen oder Syrien, aber auch Ägypten und den Golfstaaten wird der öffentliche Diskurs von Staatsmedien und „Troll“-Kampagnen dominiert, die mithilfe von automatischen Bots Falschbehauptungen aufstellen und vermeintliche Gegner in den sozialen Medien attackieren.

In Libyen beispielsweise gibt es kein Medium, das nicht zu einer Konfliktpartei gehört. Hauptdebattenforen sind soziale Medien und die neue Clubhouse-App, wo sich Libyer sachlich informieren wollen – Fact-Checking-Webinare würden hier weiterhelfen, Qualität in Debatten und den Austausch von Libyern unterschiedlicher Herkunft und politischer Ansichten zu bringen. In Libyen erfreuen sich private und interaktive Blogs und Podcasts größerer Glaubwürdigkeit als von Konfliktparteien gesteuerte Massenmedien. Workshops könnten helfen, Blogs und Podcasts zu professionalisieren sowie Minderheiten und Frauen hörbarere Stimmen zu geben.

Sowohl Medienkonsumentinnen und -konsumenten als auch Journalistinnen und Journalisten in anderen Ländern wie dem Libanon oder solchen inmitten einer demokratischen Transformation wie Tunesien oder dem Sudan haben häufig wenig Grundwissen über politische und wirtschaftliche Zusammenhänge und das Erkennen von Falschinformationen. Projekte, die einen Beitrag zur allgemeinen politischen Bildung oder Medienethik leisten, könnten auch diese Zielgruppe erreichen.

Die staatliche Repression und Politisierung von Staatssendern im Nahen Osten und in Nordafrika dürften zukünftig in einigen Ländern weiter zunehmen, doch die neuen Freiheiten, die 2011 geweckt wurden, haben das Denken und die Ambitionen der Journalistinnen und Journalisten in der Region nachhaltig verändert. Die Medienlandschaft wird in den nächsten Jahren weiter im Umbruch sein. Es werden neue Formate und Kanäle entstehen, zum Teil im Ausland, um trotz staatlicher Zensur ausgewogen aus den einzelnen Ländern zu berichten. Internationale Akteure können eine wichtige Rolle spielen, Journalistinnen und Journalisten auf diesem Weg zu begleiten.

 


 

Ulf Laessing befindet sich in Vorbereitung auf seinen Einsatz als Leiter des Regionalprogramms Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Bamako. Zuvor arbeitete er elf Jahre als Auslandskorrespondent für die Nachrichtenagentur Reuters im Nahen Osten und in Nordafrika, unter anderem im Sudan, in Libyen, Saudi-Arabien und zuletzt in Ägypten.


 

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