Ausgabe: 4/2021
„Die gegenwärtige junge Generation formuliert wieder nachdrücklicher eigene Ansprüche hinsichtlich der Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft und fordert, dass bereits heute die dafür erforderlichen Weichenstellungen vorgenommen werden. Als zukunftsrelevante Themen haben vor allem Umweltschutz und Klimawandel erheblich an Bedeutung gewonnen.“ Diese Ausführungen stammen aus einer Zusammenfassung der Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2019 – und beziehen sich somit auf Deutschland. Bei hiesigen Jugendlichen stehen demnach Umweltschutz und Klimawandel „im Mittelpunkt der Forderung nach mehr Mitsprache und der Handlungsaufforderung an Politik und Gesellschaft“. Insgesamt kennzeichnet die junge Generation eine „pragmatische Grundorientierung“, sie ist leistungsorientiert und überwiegend zufrieden mit der Demokratie. Dieser grundsätzlichen Zufriedenheit mit der Demokratie steht allerdings eine Distanz zu den diese maßgeblich tragenden politischen Parteien gegenüber. Laut einer Umfrage der Generationen Stiftung aus dem Jahr 2021 fühlten sich vor der Bundestagswahl rund 54 Prozent der jungen Befragten von keiner der antretenden Parteien vertreten. Sogar mehr als 83 Prozent gaben an, die Regierung habe ihre Anliegen trotz vielfältiger Proteste in den vergangenen Jahren ignoriert.
Wie aber sieht es in anderen Weltregionen aus? Welche Anliegen formulieren Jugendliche, welche Ziele? Wie schätzen sie ihre Perspektiven ein? Und auf welche Weise prägen die politischen und sozioökonomischen Umstände, die sich je nach Region und Land teilweise gravierend unterscheiden, die Einstellungen und Ambitionen junger Menschen?
Der vorliegende Beitrag nimmt drei Regionen in den Blick, in denen die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Regionalprogramme mit einem Schwerpunkt auf politischem Dialog und nicht zuletzt der Förderung von politischem Nachwuchs unterhält: Westafrika, Südostasien und Lateinamerika. Er bezieht sich unter anderem auf nichtrepräsentative Umfragen, die von diesen Programmen in der jeweiligen Region unter jungen Menschen durchgeführt wurden. Dabei zeigt sich ein vielschichtiges Bild: Während der Wille zu politischem Engagement bei vielen durchaus gegeben ist, führen die politischen Gegebenheiten oft zu Resignation – oder zu Protest. Das Vertrauen in Parteien und politische Institutionen ist vielfach erschüttert. In Südostasien etwa ist ein Großteil der Umfrageteilnehmer unzufrieden mit dem Regierungssystem. In Westafrika, wo bereits die Nähe zu klassischen Politikern als rufschädigend gilt, gehen viele junge Menschen in die innere und äußere Emigration, die gut Gebildeten gehen am seltensten zu Wahlen – gänzlich anders als etwa in Deutschland, wo bei der Bundestagswahl 2017 87 Prozent mit hohem Bildungsniveau, aber nur 64 Prozent mit niedrigem ihre Stimme abgaben.
Und doch sind junge Menschen in den betrachteten Regionen trotz teils deutlich widrigerer Umstände als in Deutschland auch Motor der Veränderung: Sie interessieren sich zwar wenig für Parteien, aber doch stark für Politik. In Lateinamerika und Südostasien geht die Jugend auf die Straße. Sie protestiert, je nach Land, gegen Korruption, Einparteiensysteme, Militärcoups, fahrlässige COVID-19-Politik, gegen Armut, Hunger und Drogenhandel. Und die Proteste zeigen durchaus Wirkung und schieben mancherorts tiefgreifende Veränderungsprozesse an: In Chile etwa initiierten sie einen neuen Verfassungsprozess. Der Klimawandel spielt für junge Menschen – zumindest im nationalen Kontext – in den drei Vergleichsgebieten dagegen kaum eine Rolle, Fragen nach politischer und wirtschaftlicher Stabilität dominieren. Der Klimawandel gilt als verursacht durch westliche Industrienationen.
Corona ist ein sehr wichtiges Thema für die junge Generation und bereitet große Sorgen. Viele junge Menschen in den untersuchten Regionen haben Angst vor Armut und Hunger, dem Sterben von Familienangehörigen und dem Anstieg von Arbeitslosigkeit. Im Folgenden werden die für die drei ausgewählten Regionen gewonnenen Erkenntnisse ausführlicher dargelegt.
„Jung“ und „afrikanisch“ – ein Pleonasmus
Während die Begriffsbestimmung eines „jungen Menschen“ in Deutschland Jugendliche zwischen 14 und einschließlich 17 bzw. – je nach Definition – Personen unter 27 Jahren umfasst, ist die Begriffsbestimmung im afrikanischen Kontext weiter gefasst. Die Afrikanische Charta der Jugend legt eine Altersspanne zwischen 15 und 35 Jahren fest. Die Altersgruppe unter 35 Jahren macht heute etwa 77 Prozent der afrikanischen Bevölkerung insgesamt aus, die sich wiederum bis zum Jahr 2050 auf 2,4 Milliarden nahezu verdoppeln soll. Allerdings variieren die Konturen der Jugend im (west-)afrikanischen Raum stark nach sozialem Kontext und den tatsächlichen Umständen. So ist es keine Seltenheit, dass sich Mitglieder politischer Parteien mit 40 bis 50 Jahren noch zu den Jugendverbänden zählen oder ein unverheirateter 40-Jähriger noch im Elternhaus wohnt. 60 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer im Folgenden näher erläuterten Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung verbinden den Übergang hin zum Erwachsenwerden mit finanzieller Unabhängigkeit bzw. einer geregelten und vergüteten Tätigkeit. Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit erfolgt eine Emanzipierung vom familiären Umfeld entsprechend spät: 49 Prozent wohnen nach wie vor im Haushalt der Familie.
Für diese Studie des Regionalprogramms Politischer Dialog Westafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung wurden vom Marktforschungsunternehmen LOOKA 2.000 junge Menschen aus Côte d’Ivoire, Guinea, Benin und Togo im Alter von 18 bis 35 Jahren befragt. Die Studie ergab vielfältige Einblicke in deren Ambitionen und Sichtweisen. Ihre Ergebnisse werden hier abgerundet und ergänzt durch qualitative Befragungen afrikanischer Stipendiatinnen und Stipendiaten in der Region Westafrika und in Deutschland.
Persönliche Prioritäten: Bildung, Jobs und materielle Sicherheit
Trotz Unzufriedenheit mit dem Bildungssektor, der als zu unflexibel wahrgenommen wird und dessen Curricula sich oftmals zu wenig an den tatsächlich nachgefragten Kompetenzen des Arbeitsmarktes orientieren, hat sich der Bildungsstand in der Region über die Jahre langsam, aber stetig verbessert. So ist beispielsweise der Anteil junger Ivorerinnen und Ivorer, die die höhere Sekundarstufe besuchen, von 25 Prozent (2014) auf 34 Prozent (2019) angestiegen und der Anteil derjenigen, die studieren, hat sich von 8,2 Prozent (2013) auf immerhin 10 Prozent (2019) erhöht. In einer immer besser ausgebildeten jungen Bevölkerung steigen die Ambitionen und die Verbesserung der persönlichen wirtschaftlichen Situation ist prioritär. Der nationalen und regionalen Wirtschaftspolitik fehlt es indessen noch an geeigneten Ansätzen, private Investitionen zu fördern und durch entsprechende Rahmenbedingungen wirkungsvoll zu begleiten, um im Ergebnis den Industrialisierungsgrad zu erhöhen und die große Masse an Schulabsolventinnen und -absolventen in den Arbeitsmarkt aufnehmen zu können. Laut der KAS-Umfrage befinden sich 72 Prozent der befragten jungen Menschen aktuell auf der Suche nach einer Arbeitsstelle, knapp ein Drittel kann sich vorstellen, den afrikanischen Kontinent hinter sich zu lassen. Je höher der Ausbildungsgrad, desto stärker die Bereitschaft, das eigene Land aus ökonomischen Gründen zu verlassen – in West- und Zentralafrika ist die Tendenz etwas ausgeprägter als im östlichen und südlichen Teil des Kontinents. Diese mögliche Talentabwanderung kann mittel- und langfristig erhebliche volkswirtschaftliche Verluste bedeuten. Verstärkt wird dieser Trend auch von der Verantwortung junger Menschen gegenüber der Verwandtschaft: Sechs von zehn Befragten gaben an, ihre (Groß-)Familie finanziell zu unterstützen.
Die Attraktivität internationaler Organisationen als Arbeitgeber, insbesondere für gut ausgebildete Fachkräfte bzw. Universitätsabsolventen, ist entsprechend hoch und die Tendenz geht nach wie vor deutlich zu staatlich bzw. institutionell abgesicherten Jobs und weniger zu einem Engagement in der freien Wirtschaft, das mit beruflicher Unsicherheit verbunden wird. Bei denen, die sich doch für den Weg des Unternehmertums entscheiden, handelt es sich vorwiegend um junge Männer im Landwirtschafts- und Tourismussektor. Der Anteil an registrierten kleinen und mittleren Unternehmen ist über alle Wirtschaftssektoren hinweg gering, die Mittelschicht bislang wenig ausgeprägt. Eine eindeutige Mehrheit sieht ihre Bedürfnisse und Sorgen in der jeweiligen Politik ihrer Regierung oder politischen Klasse eher nicht berücksichtigt. Gleichwohl blicken die meisten Befragten optimistisch in die Zukunft. 85 Prozent sind überzeugt, dass sich ihr Leben in ihrem Land in den nächsten zehn Jahren verbessern werde. Eine 2013 veröffentlichte Umfrage des Pew Research Center wies bereits in eine ähnliche Richtung, indem sie herausarbeitete, dass die Hälfte der befragten Afrikanerinnen und Afrikaner optimistisch in die Zukunft blickt und glaubt, die nächste Generation werde besser gestellt sein. Das mag überraschen, doch der Kontinent ist zu einem zunehmend wichtigen Absatzmarkt geworden, afrikanische Ökonomien befinden sich seit Jahren im Aufschwung. So lag das reale BIP-Wachstum für Westafrika vor der COVID-19-Pandemie bei 3,3 Prozent (2018), wobei unter anderem die Côte d’Ivoire und Benin deutlich hervorstechen und ein realesBIP-Wachstum von 7,4 Prozent bzw. 6 Prozent verzeichneten. Auch wenn die langfristigen Folgen der COVID-19-Pandemie noch nicht vollkommen absehbar sind, so scheint sich die Entwicklung derzeit zu stabilisieren. Für 2021 und 2022 erwartet die Weltbank in West- und Zentralafrika immerhin ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent bzw. 3 Prozent. Das hohe Bevölkerungswachstum führt zwar dazu, dass die Anzahl von in extremer Armut lebenden Menschen steigt, jedoch hat sich die Armutsrate in Afrika in den letzten Jahrzehnten stetig verringert.
Wahlen bedeutend, aber wenig Vertrauen in politische Akteure
Eine deutliche Mehrheit der jungen Menschen informiert sich via Fernsehen über politische Vorgänge im Land (34 Prozent). Es folgen Facebook (20 Prozent) und Radiokanäle (19 Prozent). Politische Informationen, die aus dem Familienumfeld kommen, genießen ein vergleichsweise hohes Vertrauen – im Durchschnitt verlassen sich 31 Prozent auf derart vermittelte Informationen. Bei weniger gebildeten jungen Menschen beträgt dieser Anteil sogar 37 Prozent, während nur 18 Prozent der Universitätsabsolventinnen und -absolventen bei politischen Informationen in erster Linie auf Familienmitglieder vertrauen. Soziale Medienkanäle folgen als vertrauenswürdige Informationsquelle hier auf Rang zwei mit 21 Prozent, wobei Facebook (20 Prozent) sich in Westafrika weit vor Whatsapp (8 Prozent) als wichtigste Plattform an der Spitze befindet. Nur 4 Prozent der Befragten informieren sich regelmäßig über online oder analog erscheinende Zeitungen.
Die Bedeutung von Wahlen bleibt für die junge Generation hoch. 77 Prozent geben an, schon einmal an nationalen Wahlen teilgenommen zu haben, 67 Prozent wollen dies auch in Zukunft tun, während sich 26 Prozent erst noch entscheiden wollen. 5 Prozent schließen eine Teilnahme aus. Die Umfrage bestätigt die Ergebnisse einer jüngst erschienenen Afrobarometer-Studie über die Jugend in der Côte d’Ivoire: je höher das Bildungsniveau, desto niedriger die Wahlbereitschaft. Während 60 Prozent der weniger gebildeten Befragten an der letzten Wahl teilgenommen haben, waren es unter den höher Gebildeten nur 41 Prozent. Die Gründe für dieses Ergebnis sind sicherlich komplex und lassen sich an dieser Stelle nicht umfassend erörtern. Es wäre jedoch naheliegend zu vermuten, dass höher gebildete junge Menschen strukturelle Gegebenheiten eher hinterfragen und angesichts der mangelnden Einhaltung demokratischer Prinzipien dazu tendieren, politischen Akteuren weniger zu vertrauen. Interessanterweise gaben unter den Befragten außerdem ein Viertel (26 Prozent) an, dass sie das Wahlalter von 18 Jahren für zu niedrig hielten.
Spielraum für politische Diskussionen findet sich im Freundeskreis und etwas weniger in den Familien selbst. Auf lokaler und kommunaler Ebene wenden sich junge Menschen in erster Linie an den jeweiligen chef du quartier, wohl am ehesten mit einem Ortsvorsteher oder -sprecher zu vergleichen, um Probleme anzusprechen und zu lösen. Nur minimale Lösungskompetenz wird den gewählten Bürgermeistern und Abgeordneten zugetraut. Zwar kennt etwa die Hälfte der Befragten den Namen eines Parlamentariers, 89 Prozent geben jedoch an, nicht zu wissen, auf welche Weise sie einen Abgeordneten kontaktieren können. Deutliche Mehrheiten gäbe es für die Einbindung traditioneller oder religiöser Autoritäten in politische Entscheidungsprozesse – obwohl dies in manchen Ländern gesetzlich nicht zulässig ist. Dies lässt den Rückschluss zu, dass diese Akteure der alltäglichen Lebensrealität der jungen Bevölkerung näher sind und ein höheres Vertrauen genießen als gewählte politische Akteure. Bei der Exekutive scheint dieses Vertrauensdefizit noch nicht angekommen zu sein. So ernannte der ivorische Präsident Alassane Ouattara kürzlich 14 neue Distriktgouverneure: 13 Männer, eine Frau, keine Person jünger als 50 Jahre. Unter dem Bild der neuen Amtsträger war zu lesen, dass sich der Präsident eine moderne und dezentralisierte Côte d’Ivoire wünsche, um die Entwicklung in den Regionen fernab der wirtschaftlichen Metropole Abidjan für die ivorische Bevölkerung zu beschleunigen.
Da wundert man sich nicht über die ernüchternde Tatsache, dass 32 Prozent der jungen Befragten angeben, niemals über Politik zu sprechen. Bei jungen Frauen ist diese Tendenz mit 40 Prozent besonders ausgeprägt. Bei vielen jungen Parteimitgliedern ist ein großer Unmut spürbar, der selten offen angesprochen wird. Denn an konstruktiven, transparenten Dialogprozessen innerhalb von Parteien, die auch die Interessen junger Menschen ernst nehmen, fehlt es. Indiz dafür ist auch, dass Jugendverbände häufig von Personen jenseits der 40 oder 50 Jahre angeführt werden. Nicht selten lassen sogar in zivilgesellschaftlichen Organisationen engagierte junge Menschen in Gespräche einfließen, dass sie apolitisch seien, um jegliche Nähe zu klassischen Politikakteuren zu vermeiden. An Gestaltungsinteresse für die Entwicklung des eigenen Landes mangelt es jedoch nicht, die Hälfte der Befragten – die alle aus den jeweiligen Hauptstädten bzw. aus Wirtschaftszentren stammen – gab an, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren.
Bad Governance und Angst vor Ernährungsunsicherheit
Die Analysen derjenigen, die sich für Politik interessieren, weisen mit Blick auf die gesellschaftspolitischen Herausforderungen überwiegend Gemeinsamkeiten auf. Neben den Sorgen aufgrund von Arbeitslosigkeit bzw. der schwierigen Suche nach geregelter Beschäftigung taucht der Aspekt der bad governance, der schlechten Regierungsführung, immer wieder auf. Das Vertrauen in staatliche Institutionen und Verwaltung ist gering ausgeprägt, insbesondere im Bildungsbereich. Die Einmischung des Militärs in die nationale Politik wird als problematisch, Korruption als systemisch und als zentrales Entwicklungshindernis wahrgenommen.
Die Bedrohung der Ernährungssicherheit taucht in zahlreichen Rückmeldungen der Befragten als zentrale Herausforderung sowohl für das jeweilige Land als auch für die gesamte westafrikanische Region auf. Die diesbezüglichen Sorgen nähren sich aus den erheblichen Abhängigkeiten des Kontinents im Warenverkehr und aus der bislang kaum entwickelten Versorgungsautonomie – trotz des Ressourcenreichtums in einer Region, wo große Teile der Gesellschaft als Kleinbauern ihr Überleben sichern. Die COVID-19-Pandemie hat diese Situation durch teilweise Grenzschließungen für Menschen und Waren zugespitzt. Die endlich konkrete Umsetzung der Afrikanischen Freihandelszone (AfCFTA) oder auch Projekte wie der gemeinsame afrikanische Reisepass wurden von den jungen Menschen nicht als Lösungen für mehr Mobilität und Ernährungssicherheit durch Wirtschaftswachstum genannt. Dies mag an der Abstraktheit dieser politischen Vorhaben liegen, aber wohl auch am mangelnden Vertrauen in die Afrikanische Union (AU) und ihre 54 Mitgliedstaaten, die im Zusammenspiel für die Umsetzung und tatsächliche Anwendung des Freihandelsabkommens zuständig zeichnen. Außenpolitisch schreiben junge Westafrikanerinnen und Westafrikaner mit Blick auf regionale oder internationale Organisationen lediglich der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und den Vereinten Nationen eine ausgeprägte Bedeutung zu. Die Erstgenannte hat allerdings zunehmend mit dem Ruf zu kämpfen, ein exklusiver Club der westafrikanischen Staatschefs zu sein, aber in keinem Fall eine integrierende Struktur zugunsten der westafrikanischen Gesellschaften.
Die Frage der Ernährungssicherheit stellt eine thematische Brücke zum Klimawandel dar. Isoliert betrachtet räumen junge Westafrikanerinnen und Westafrikaner dem Klimaschutz keinen dezidierten Vorrang ein. Wenn es jedoch um Wassermangel, Dürren und rückläufige Bewaldung geht, wird dies durchaus im Kontext des Klimawandels eingeordnet. Insbesondere die sich verändernden Trocken- und Regenzeiten sowie die Austrocknung von Seen werden auch von der breiten, landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung zunehmend wahrgenommen. So litt die im regionalen Vergleich infrastrukturell gut entwickelte Côte d’Ivoire 2021 unter heftigen Stromausfällen und Energieversorgungsproblemen, da der Wasserstand verschiedener Staudämme zur Energiegewinnung zu niedrig war. Die individuelle Ursachenforschung führt zu klaren Schlussfolgerungen – der Klimawandel sei Folge der Wirtschaftsentwicklung westlicher Staaten. Dort habe man ihn verursacht und müsse nun auch entsprechende Lösungen erarbeiten und finanzieren.
Zunehmend sensibilisiert für das Thema Sicherheit
Dem Themenbereich Sicherheit begegnen jungeMenschen aus (West-)Afrika zunehmend mit Interesse, aber auch mit Sorge. Das Begriffsverständnis ist ausgeprägt und umfasst die Komplexität des Sicherheitsbegriffs in seinen militärischen und gesellschaftlichen Facetten. Konkret nennen die Befragten die oft unzureichende Sicherung von Wahlen, die Proliferation von Waffen und Drogen, xenophobe Übergriffe oder auch ethnisch-religiöse Konflikte. Einzelne stellen eine Verbindung zum Tribalismus oder zur Armut als Hauptursache her. Ein aktueller Grund ist zudem der sich ausbreitende islamistische Terrorismus in der Sahel-Region, dessen verschiedene Gruppierungen zunehmend die Küstenländer am Golf von Guinea im Blick haben. In jüngster Zeit häufen sich Anschläge, unter anderem auf Militärposten im Norden der Côte d’Ivoire. Als wichtigste außenpolitische Partner werden unter anderem die USA, Frankreich und China genannt, als bedeutende sicherheitspolitische Akteure kommen Russland sowie regionale Partner wie Nigeria, Burkina Faso und Niger hinzu.
Partei-, nicht politikverdrossen – junge Menschen in Südostasien
Mut und Motivation – diese Haltung prägt junge Menschen in Südostasien bei der Gestaltung ihrer Zukunft. Mit Blick auf die jungen Demonstrantinnen und Demonstranten, die gerade in Myanmar unerschrocken und mit langem Atem gegen den Militärcoup und im Nachbarland Thailand gegen die unzureichende COVID-19-Politik der Regierung protestieren, ist beides dringend gefragt. Doch auch in den anderen Ländern der Region herrscht diese Einstellung vor – dieser Eindruck basiert auf den vielfältigen Kontakten mit jungen Menschen im Rahmen der Arbeit des Politikdialogprogramms Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung. Bestätigt werden die Beobach-tungen unter anderem durch Ergebnisse einer nichtrepräsentativen Umfrage des Regionalprogramms unter mehr als 350 jungen Menschen im Alter von 18 bis 35 Jahren mit vornehmlich höherem Bildungsabschluss in Südostasien.
Klimawandel und Korruption bereiten größte Sorgen
Doch nicht nur die Kritik an politischen Entwicklungen fordert Mut und Motivation, sondern auch die Beschäftigung mit den globalen Zukunftssorgen. Hier zeigt die Umfrage beim Thema Klimawandel Schnittmengen, aber auch unterschiedliche Akzentsetzungen zwischen Deutschland und Südostasien. Auch wenn nur ein Bruchteil aller Jugendlichen in Deutschland aktiv an den Fridays for Future-Protestaktionen teilnahm, so stellen für sie laut der aktuellen Shell-Jugendstudie der Klimaschutz und die Umweltverschmutzung die zentralen Sorgen dar. Dies gilt in Deutschland für alle sozialen Schichten, wobei in den unteren Einkommensschichten wirtschaftliche Nöte weiterhin sehr präsent sind.
Diese Sorge bestätigen die Befragten der Umfrage des Regionalprogramms in Südostasien: Der Klimawandel wird mit 65 Prozent als die größte Herausforderung bewertet, die es global zu bewältigen gilt. COVID-19 (59 Prozent) sowie Ungleichheit und Armut (jeweils rund 30 Prozent) schließen sich an. Die Frage nach den drei größten Herausforderungen auf nationaler Ebene verändert die Gewichtung. Im eigenen Land sehen nur noch 15 Prozent der Befragten den Klimawandel und die Umweltverschmutzung als eines der drei dringlichsten Themen. Erklärbar ist dies mit dem Verständnis des Klimawandels als ein länderübergreifendes Problem. Stattdessen ist auf nationaler Ebene Korruption die größte Herausforderung (50 Prozent). Dieses Ergebnis deckt sich mit den Zahlen anderer Studien. Dabei kann der Begriff Korruption in Südostasien verschiedene Dimensionen der unrechtmäßigen Vorteilsnahme einschließen, so auch staatliche Beamte, die ihre Befugnisse überschreiten oder ihren eigentlichen Aufgaben nicht nachkommen sowie schlechtes Management öffentlicher Gelder oder monetäre Anreize für die Stimmabgabe für eine bestimmte Partei bei Wahlen. Weiterhin sind Klientelismus und Patronage in den südostasiatischen Gesellschaftsstrukturen verankert. Korruption ist in der Wahrnehmung der nationalen Herausforderungen dicht gefolgt von COVID-19 (45 Prozent). Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, ökonomisch (55 Prozent) sowie persönlich (61 Prozent) schlechter als vor dem Beginn der Pandemie aufgestellt zu sein. Demokratisierung und die dazugehörenden Indikatoren wie freie Meinungsäußerung, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit werden ebenfalls als Herausforderungen für die eigene Gesellschaft gewertet (rund 20 Prozent).
Der eigenen Zukunft und der Zukunft des eigenen Landes blicken junge Menschen in Südostasien mit gemischten Gefühlen entgegen. Ziele für das eigene Leben sind insbesondere der Aufbau einer Karriere und die Gründung einer Familie sowie Glück, Gesundheit und das Gefühl, „an positiven Veränderungen mitzuwirken“ (alle Aspekte liegen zwischen 35 und 40 Prozent). Auffällig ist, dass die eigenen Zukunftsaussichten als eher gut beurteilt werden, wohingegen die Zukunft des eigenen Landes insgesamt als eher schlecht beurteilt wird. Im Gegensatz dazu blicken über 50 Prozent der jungen Menschen in Deutschland positiv auf die Zukunft der deutschen Gesellschaft. Dies mag damit zusammenhängen, dass der Großteil der Befragten aus Südostasien unzufrieden oder sehr unzufrieden mit dem Regierungssystem ihres Landes ist. Noch nicht einmal 15 Prozent äußern sich als zufrieden oder sehr zufrieden. Einher geht dies mit dem Wunsch der Mehrheit (über 90 Prozent) nach einer stärkeren Beteiligung junger Menschen in der Politik. Die Unzufriedenheit beschränkt sich dabei nicht nur auf das System, sondern bezieht sich auch auf die handelnden Politikerinnen und Politiker, welche Meinungen und Anliegen junger Menschen nicht berücksichtigten (über 60 Prozent). Die Gesellschaftsstrukturen vieler südostasiatischer Länder sind hierarchisch organisiert: (Lebens-)Erfahrung und Alter haben einen hohen Stellenwert. Formale politische Strukturen für das Engagement junger Menschen auf nationaler und kommunaler Ebene sind zwar teilweise vorhanden, allerdings sind diese oftmals nicht demokratisch legitimiert, von hochrangigen Parteipolitikerinnen und -politikern bestimmt oder werden als „Kaderschmiede“ für die Kinder einflussreicher Politikerinnen und Politiker instrumentalisiert. Möglichkeiten für die (partei-)politische Beteiligung junger Menschen sind also vorhanden. Diese sind aber teils nicht für alle zugänglich oder können beschränkend wirken. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die Beteiligungsmöglichkeiten junger Menschen nicht mit Umsetzungskapazitäten verbunden sind oder jungen Menschen aufgrund der Existenz von Jugendgremien die Beteiligung in anderen Foren verwehrt bleibt. In Deutschland sind junge Menschen im Vergleich zufriedener mit Politikerinnen und Politikern und bewerten die politischen Abläufe generell weniger negativ.
Ehrenamt statt parteipolitisches Engagement
An der Umfrage des KAS-Regionalprogramms nahmen insbesondere an Politik interessierte junge Menschen teil. Daher ist es nicht überraschend, dass mit 15 Prozent ein hoher Anteil im Vergleich zur Gesamtgesellschaft Mitglied in einer politischen Partei ist. Die Mehrheit der Befragten (85 Prozent) ist jedoch nicht Mitglied einer politischen Partei. Die persönlichen Beweggründe dafür sind ernüchternd: 37 Prozent nannten als Grund, dass sie sich von keiner der bestehenden politischen Parteien repräsentiert fühlen, was wiederum mit der Unzufriedenheit mit dem politischen System und den Politikerinnen und Politikern korreliert. Individuelle Antworten bemängeln zudem das politische Klima und die Integrität der Parteien und ihrer Mitglieder. Der Wunsch, Veränderung zu bewirken, ist ausgeprägt, scheint aber nur sehr bedingt innerhalb der nationalen Politik umsetzbar. Die Parteiensysteme zahlreicher südostasiatischer Länder erschweren ein aufrichtiges parteipolitisches Engagement der jungen Generation, speziell für junge Menschen, die nicht über wirtschaftlichen oder familiär bedingten Einfluss verfügen. Oppositionsarbeit kann mit negativen persönlichen Konsequenzen verbunden sein. Generell gibt es in Südostasien eine starke Orientierung an Führungspersönlichkeiten und Klientelismus bei der Vergabe parteipolitischer Posten. In vielen Fällen dienen Parteien als Instrument der politischen (und wirtschaftlichen) Elite zur Wählermobilisierung und als Zugang zu staatlichen Ressourcen. Die Fluidität der Parteiensysteme und eine fehlende Programmatik erschweren jungen Menschen die Identifikation mit einer Partei.
Der Unzufriedenheit mit dem politischen System und dem Fernbleiben von Parteien stehen ein starkes Interesse an Politik sowie zivilgesellschaftliches Engagement gegenüber. Die Unzufriedenheit mit der Politik ihres Landes führt nicht zur Politikverdrossenheit der jungen südostasiatischen Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer. Vielmehr sind sie teilweise bis sehr am politischen Geschehen interessiert (86 Prozent) und informieren sich darüber regelmäßig. Laut einer VN-Umfrage von 2014, an welcher mehr als 17.800 junge Menschen aus Süd- und Südostasien teilnahmen, folgen 65 Prozent der Befragten in den Philippinen, 60 Prozent in Indonesien, 67 Prozent in Thailand, 52 Prozent in Malaysia und 75 Prozent in Vietnam den politischen Nachrichten. Der Drang nach Veränderung spiegelt sich in einem starken zivilgesellschaftlichen Engagement wider: 72 Prozent der Befragten der Umfrage des Regionalprogramms engagieren sich in Nichtregierungsorganisationen, an der Universität oder in Gemeinschaftsorganisationen. Diese hohe Zahl kann mit dem hohen Bildungsniveau und dem persönlichen Hintergrund der Befragten zusammenhängen, denn (gesellschafts-)politisches Engagement korreliert mit dem Bildungsabschluss: 58 Prozent der jungen Indonesierinnen und Indonesier mit höherem Bildungsabschluss engagieren sich laut der VN-Umfrage politisch und zivilgesellschaftlich (zum Beispiel durch Petitionen und Proteste), ohne höheren Bildungsabschluss hingegen nur 44 Prozent. Zusätzlich zu den Unzulänglichkeiten politischer Parteien in der Region kann die Attraktivität der genannten Organisationen auch daher rühren, dass im Gegensatz zu komplexen Abstimmungsprozessen, Verhandlungen und Kompromissen zur politischen Entscheidungsfindung die Ergebnisse schneller erzielt werden und sichtbar sind. Das Gefühl, „an positiven Veränderungen mitzuwirken“, stellt sich zeitnah ein. Auch soziale Medien spielen dabei eine wichtige Rolle.
Ein Viertel aller vom KAS-Regionalprogramm Befragten nimmt außerdem aktiv an Protestaktionen teil. Beispiel hierfür ist die Demokratiebewegung in Thailand, bei der Studentinnen und Studenten die Absetzung des Premierministers, eine Überarbeitung der Verfassung und eine Neuerung der Rolle der Monarchie fordern und dafür Verhaftung und Gewalt in Kauf nehmen. Im bereits angeführten Kampf der Bevölkerung Myanmars gegen den Militärputsch vom Februar 2021 riskieren junge Menschen ihr Leben. Starkes politisches Interesse bei gleichzeitiger Unzufriedenheit mit und Fernbleiben von politischen Parteien sowie die engagierte (gesellschafts-)politische Beteiligung in anderen Foren und online sind Trends in Südostasien, die bereits vor einem Jahrzehnt spürbar waren und sich auch während der anhaltenden COVID-19-Pandemie weiter fortsetzen.
Die Säulen der Demokratie – freie Wahlen und eine funktionale Opposition – erhalten in der KAS-Umfrage weitestgehend Zustimmung. Interessant ist jedoch die Einstellung zu der Frage, inwiefern eine rigide Führungspersönlichkeit zur guten Führung des eigenen Landes notwendig sei: 39 Prozent stimmen dieser Aussage (sehr) zu, wohingegen 31 Prozent (sehr) dagegen sind. 30 Prozent sind bei dieser Frage unentschlossen. Dabei muss die Wahrnehmung einer rigiden Persönlichkeit nicht nur mit negativen Attributen wie beispielsweise der Einschränkung von Freiheiten verbunden sein, sondern kann auch als Führung angesehen werden, die für Ordnung und Fortschritt sorgt. Das Demokratieverständnis der jungen Generation in Südostasien ist eng verknüpft mit good governance – den Praktiken eines effektiven und transparenten Regierungshandelns.
Präferenz für regionale Problemlösungen
Welche Bedeutung wird multilateralen Problemlösungen durch die junge Generation im Rahmen der Umfrage des KAS-Regionalprogramms zugemessen und wer sind die relevanten Akteure? Die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) ist mit rund 35 Prozent Vorreiter in Bezug auf die Frage, wer wichtigster Anknüpfungspunkt für die Außenpolitik des eigenen Landes sein sollte. Obwohl es dem Staatenverbund bisher beispielsweise nicht gelungen ist, dem Territorialanspruch Chinas im Südchinesischen Meer entschieden und geeint entgegenzutreten, genießt er in der jungen Generation größte Anerkennung. Dies hängt sicher mit der Erkenntnis zusammen, dass gerade dem großen Nachbarn im Norden letztlich nur durch engere regionale Zusammenarbeit begegnet werden kann. Interessanterweise liegen China und die USA – die nach Hegemonie strebenden Systemkonkurrenten, deren Rivalitätskampf in der Region besonders spürbar ist – bei der Frage nach dem wichtigsten Anknüpfungspunkt in der Außenpolitik mit jeweils ungefähr zehn Prozent nahezu gleichauf. Im Vergleich dazu sind die Empfindungen gegenüber den USA deutlich positiver als solche gegenüber China. Vor dem Hintergrund dieser sich verschärfenden Rivalität gelingt es auch der EU, sich zunehmend als potenziell wichtiger Partner für die Region zu positionieren. Um dieses Momentum zu nutzen, bedarf es allerdings noch einiger Anstrengungen. ASEAN, China und die USA sind wirtschaftlich und vor allem (sicherheits-)politisch präsenter in Südostasien. Die EU und ihre Mitgliedsländer ringen hingegen (noch) um ein verstärktes Engagement in der Region.
Das Augenmerk junger Menschen in Südostasien liegt jedoch auf den (gesellschafts-)politischen Herausforderungen im eigenen Land. Die junge Generation artikuliert ihre Unzufriedenheit und tritt aktiv für Veränderungen ein. Als Motor für politischen und gesellschaftlichen Wandel verlangt sie dabei zunehmend mehr Mitspracherechte und fordert somit die zum Teil hierarchischen Gesellschaftsstrukturen in ihren Heimatländern heraus.
Materielle Bedürfnisse überwiegen – junge Menschen in Lateinamerika
Digitalisierung und neue Protestbewegungen auf der einen, traditionelle Probleme wie Korruption und soziale Verwerfungen auf der anderen Seite – Lateinamerikas Jugend befindet sich besonders im Brennpunkt des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs in der Region. Durch teilweise harte Lockdowns aus ihrem gewohnten Lebensrhythmus gerissen haben junge Menschen die Pandemie in einer besonders prägenden Phase ihres Lebens zu spüren bekommen. Laut der jüngsten VN-Umfrage unter Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren in Lateinamerika und der Karibik gaben 52 Prozent der Befragten an, im Zusammenhang mit der Pandemie an Stress und Angstzuständen gelitten zu haben. Die Abwanderung vieler Aktivitäten der ohnehin digital vergleichsweise stark vernetzten lateinamerikanischen Jugend in den virtuellen Raum wurde dadurch noch weiter verstärkt. Bereits 2019 verbrachten lateinamerikanische Jugendliche durchschnittlich fast dreieinhalb Stunden täglich auf Social Media – fast doppelt so viel wie Nordamerikaner.
Grundsätzlich bezeichnen sich laut der erwähnten VN-Umfrage 93 Prozent der jungen Befragten als gut über das Pandemiegeschehen informiert. Differenzierter fällt die Meinung zur Antwort der eigenen Regierung auf die Pandemie aus. Während 30 Prozent sie als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ bezeichnen, betrachtet ein ähnlicher Prozentsatz sie als „durchschnittlich“ (32 Prozent) und „gut“ bzw. „sehr gut“ (38 Prozent). Nur 21 Prozent der Befragten gaben an, die eigene Familie habe irgendeine staatliche Leistung im Zusammenhang mit der Pandemie erhalten. 16 Prozent erklärten, sie hätten durch die Pandemie ihre Arbeit entweder verloren oder diese sei eingeschränkt worden (etwa durch Teilzeit oder Verdienstverluste). Aufgrund dieser Gemengelage ist es wenig überraschend, dass auf der Liste der persönlichen Zukunftssorgen die finanzielle Situation der eigenen Familie mit 64 Prozent an erster Stelle steht, gefolgt von der Angst vor dem Verlust von Familienangehörigen und einer Verzögerung der eigenen Ausbildung mit jeweils 50 Prozent. „Politische Auseinandersetzungen“ sind mit 32 Prozent derzeit dagegen weit abgeschlagen.
Vertrauenskrise gegenüber demokratischen Institutionen und Parteien
Nichtsdestotrotz waren und sind junge Menschen Protagonisten zahlreicher sozialer und politischer Auseinandersetzungen. Dies gilt insbesondere für die sozialen Unruhen, die Lateinamerika vor und während der Pandemie heimgesucht haben. Prominentestes Beispiel hierfür ist Chile, wo eine von jungen Kräften maßgeblich angestoßene Protestbewegung in einem neuen Verfassungsprozess mündete. Nicht zuletzt weist der bekannte chilenische Soziologe und Buchautor Carlos Peña darauf hin, dass bei den Protesten neben allen inhaltlichen Forderungen auch der „generationelle“ Faktor nicht unterschätzt werden dürfe. Denn die Jugend sei vor dem Hintergrund geschwächter traditioneller Orientierungsinstanzen wie etwa Kirchen, Gewerkschaften oder politischer Parteien in ihrem Aktivismus stärker von ihren eigenen subjektiven Erfahrungen, dem Konsum und von immer multipleren Einflüssen geprägt. Dies gilt neben Chile auch für andere, ansonsten sehr unterschiedliche Schauplätze gesellschaftlicher Mobilisierung und politischer Proteste während der letzten Monate und Jahre – darunter Brasilien, Bolivien, Ecuador, Guatemala, Kolumbien, Kuba oder Peru. Gemein ist all diesen Entwicklungen, dass die Mobilisierungsaufrufe vor allem über elektronische Medien stattfanden sowie dass sie von recht losen und wenig institutionalisierten Bündnissen getragen wurden und werden. Häufig richten sich derartige, maßgeblich die Jugend mobilisierende Proteste dabei gegen eine wahrgenommene Unfähigkeit eines erstarrten politischen Systems, auf Forderungen nach mehr Beteiligung, mehr Rechten verschiedenster Art und für diverse gesellschaftliche Gruppen, mehr Wohlstand oder mehr Bildungsgerechtigkeit eine adäquate Antwort zu geben. In diesem Zusammenhang wurden oft auch politische Parteien als Teil des zu bekämpfenden politischen Systems empfunden.
Gegenüber diesem Aktivismus zeigen unterschiedliche Studien und Erhebungen, dass sich die Partizipation junger Menschen in formellen demokratischen Instanzen wie Parteien und auch die Teilnahme an Wahlen nicht erst seit der COVID-19-Pandemie in einer Krise befinden. Daran hat auch das auf 16 Jahre heruntergesetzte Wahlalter in Ländern wie Argentinien, Brasilien oder Ecuador nichts Erkennbares geändert. Interessant ist, dass in zahlreichen Ländern Lateinamerikas für verschiedene Ämter wie etwa Gemeinderäte, Abgeordnete oder das Präsidentenamt ein passives Wahlrecht erst ab 21, 25, 30 oder gar 35 Jahren (im Falle des Senatoren- oder Präsidentenamtes in Brasilien und Chile) gewährt wird.
Erste Anzeichen deuten sogar darauf hin, dass die Coronakrise junge Menschen in Lateinamerika insgesamt noch weiter von den formellen Instanzen der Politik entfernt hat. Dass das Vertrauen vieler junger Menschen in ihre politischen Eliten weiter gesunken ist, zieht sich auch wie ein roter Faden durch eine vom Regionalprogramm Parteiendialog und Demokratie in Lateinamerika durchgeführte, nichtrepräsentative Umfrage unter mehr als 350 der Konrad-Adenauer-Stiftung verbundenen jungen Menschen mit hohem politischem Engagement zwischen 18 und 35 Jahren. In dieser Gruppe gaben 31,7 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, mit ihren politischen Entscheidungsträgern unzufrieden zu sein, 33,7 Prozent schätzen die Zukunft ihres Landes eher pessimistisch ein. Noch aussagekräftiger ist jedoch eine andere Feststellung. Auf die Frage, ob ihre Altersgenossen sich für Politik interessieren, antworten lediglich 36 Prozent affirmativ.
Hauptsorgen: Korruption, Armut, Bildungsgerechtigkeit
Für Alt und vor allem auch Jung bleibt ein altes Problem der Region deren größte Herausforderung – die Korruption. Seit Langem schneidet die Region bei internationalen Rankings hier nicht gut ab. In den vergangenen Jahren hat eine Reihe spektakulärer Korruptionsskandale wie die Enthüllungen um den Lava-Jato-Prozess das Thema ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt, was das ohnehin schon geringe Vertrauen der Bevölkerung in ihr politisches Establishment noch weiter erschütterte. Wenig überraschend gaben in der KAS-Umfrage auch 57,3 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer Korruption als Hauptproblem in ihrem Land an – gefolgt von Armut, die 32,6 Prozent der jungen Befragten nannten. Die Pandemie hat die sozialen Probleme für die jungen Menschen deutlich verschärft. Laut der erwähnten repräsentativen VN-Umfrage gaben 31 Prozent der befragten jungen Menschen an, im eigenen Umfeld gebe es Nahrungsmittelknappheit – eine Zahl, die bei Befragten mit Migrationshintergrund und aus indigenen Gemeinschaften auf 44 bzw. 45 Prozent ansteigt.
Armut und Ungleichheit zeigen sich für junge Menschen besonders drastisch im Bildungssektor. Dieser ist in den meisten lateinamerikanischen Staaten unterfinanziert und durch einen starken Privatschulsektor geprägt, zu dem jedoch vor allem Kinder aus einkommensstarken Familien Zugang haben. Obwohl mehr als zwei Drittel aller Schulabgänger ihren Abschluss an einer öffentlichen Schule erwerben, machen sie nur ein Viertel der Studentinnen und Studenten an staatlichen Universitäten aus. Die Hälfte aller Kinder kann nach der Grundschule nicht richtig lesen und schreiben – 90 Prozent von ihnen kommen aus Familien der untersten Einkommensschichten.
In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass für die jungen Befragten der KAS-Umfrage, die sich mehrheitlich in einer akademischen Ausbildung befinden, Bildungsgerechtigkeit einen wichtigen Aspekt ihrer politischen Forderungen darstellt. Da der Zugang zu qualitativ hochwertigen Hochschulen in Lateinamerika jedoch deutlich eingeschränkter ist als etwa in Europa, ist dieser viel stärker mit Fragen des sozialen Aufstiegs verbunden als in wohlhabenden Industrienationen. Während in Europa mit dem Studium tendenziell stärker Wege zur Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung Einzug gehalten haben, legt die KAS-Umfrage nahe, dass viele lateinamerikanische Jugendliche bei ihrem Studium die materiellen Aspekte, die mit einem sicheren, auskömmlichen und stabilen Arbeitsverhältnis zusammenhängen, stärker gewichten. Insgesamt steigt die positive Einstellung hinsichtlich der persönlichen Zukunft proportional zum Bildungsniveau.
Interessant an der KAS-Umfrage ist zudem, dass der Klimawandel zwar mit 59,2 Prozent von den meisten Befragten noch vor der Armut (47,9 Prozent) zu den dringlichsten globalen Herausforderungen gezählt wird, bei der Bewertung der politischen Hauptbaustellen im eigenen Land jedoch mit nur 10,4 Prozent der Nennungen sehr weit abgeschlagen ist. Die Spitzenplätze nehmen hier Korruption (57,4 Prozent), Bildung (41,6), Arbeitslosigkeit (38,8), Armut (32,6) oder Drogenhandel (20,2) ein. Klimastreiks und ähnliche Aktionen sind in Lateinamerika bestenfalls ein Randphänomen in wirtschaftlich besser gestellten Gegenden. Offenbar wiegen gesamtgesellschaftliche Probleme, die mit fehlender wirtschaftlicher und politischer Stabilität zusammenhängen und die eigene Existenzsicherung betreffen, im Alltag der jungen Generation stärker als abstraktere Klimathemen.
Ähnliches gilt für außenpolitische Themen. Als Referenzpunkte für die Außenpolitik ihrer Länder führen die Europäische Union (37,8 Prozent) und die USA (19,8 Prozent), die als positiv wahrgenommen werden. Die EU wird dabei durchaus als Best Practice-Modell gesehen, von dem für die Politikgestaltung im eigenen Land gelernt werden kann. Die USA spielen vor allem als Sehnsuchtsort eine Rolle, von dem sich viele ein besseres Leben als in ihren Heimatländern erhoffen. Zwar ist die Mehrheit der Befragten der Meinung, dass die Außenpolitik des eigenen Landes in Zusammenarbeit mit anderen Staaten stattfinden sollte. Ein relativ großer Anteil von 30,4 Prozent der Befragten gibt jedoch an, dass diese Außenpolitik vor allem den eigenen nationalen Interessen folgen sollte, auch unabhängig von multilateralen Organisationen. Hinsichtlich China herrscht vor allem Unkenntnis. Gemessen an seiner globalen Bedeutung für die Zukunft und den enormen chinesischen Investitionen sowie dem massiven politischen Druck, den Peking in weiten Teilen der Region ausübt, findet das Thema gerade auch bei jungen Menschen nur wenig Beachtung.
Neue Kommunikationskanäle notwendig
Im Vergleich zu Vorgängergenerationen, die in ihrer prägenden Phase oft gegen autoritäre Systeme ankämpften, ist die heutige Jugend Lateinamerikas bei allen Defiziten zu einem großen Teil in demokratischen Staatsgebilden aufgewachsen. Während vorherige Generationen die Demokratie oft als Zielvorstellung ihres politischen Einsatzes betrachteten, richtet sich das politische Engagement vieler junger Menschen des Kontinents heute gegen die bestehenden oder wahrgenommenen Defizite dieser demokratischen Systeme. Dabei besteht die Gefahr, dass der Protest gegen diese Schieflagen in ein zunehmendes Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen und Entscheidungsfindungsprozessen als solchenumschlägt. Um dies zu verhindern, sind Institutionen und Parteien dringend gefordert, neue Kommunikationskanäle zur Lebensrealität junger Menschen zu etablieren und diesen reale Partizipationsmöglichkeiten einzuräumen. Nur wenn die Forderungen junger Menschen nicht nur ernst genommen, sondern diese aktiv in die Bildung gesellschaftlicher Konsensstrukturen einbezogen werden, können Lateinamerikas Demokratien zukunftsfähig bleiben.
Elisabeth Hoffmann ist Koordinatorin für Familie und Jugend der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Florian Karner war Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Westafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Katharina Hopp war Trainee im Regionalprogramm Politischer Dialog Westafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung und ist derzeit Referentin in der Stabsstelle Evaluierung der Stiftung.
Alina Reiß ist Trainee im Regionalprogramm Politikdialog Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung in Singapur.
Sebastian Grundberger ist Leiter des Regionalprogramms Parteiendialog und Demokratie in Lateinamerika und des Auslandsbüros Uruguay der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Dr. Thomas Schaumberg war Trainee im Auslandsbüro Uruguay der Konrad-Adenauer-Stiftung und ist derzeit Referent in der Abteilung Lateinamerika.
Laura Rubio war Praktikantin im Auslandsbüro Uruguay der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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