Ausgabe: Sonderausgabe 2021/2021
Schwieriges Verhältnis: Russland und die EU
Das Verhältnis zwischen Russland und der EU hat sich im Laufe der letzten Jahre stetig verschlechtert. Gleiches gilt für das Bild der EU in russischen Medien und Meinungsumfragen sowie letztlich auch innerhalb der russischen Führungselite. Das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2017 zu russischen (stereotypen) Bildern von der EU dürfte unverändert gültig sein. Demnach wird die EU vielfach als feindseliger sowie dekadenter und schwacher, gleichzeitig aber auch herablassender Akteur dargestellt. Vor diesem Hintergrund wird die konfrontative Haltung der russischen Führung gegenüber der EU nachvollziehbar, denn gegenüber einem als schwach wahrgenommenen Akteur lassen sich die eigenen nationalen Interessen bei bewusster Missachtung des (Völker-)Rechts – beispielsweise die Annexion der Krim – wesentlich leichter durch-setzen.
Andererseits ist Russland an einem Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der EU vor allem im Energiesektor interessiert, da ein Gutteil der russischen Gas- und Ölexporte auf dem EU-Markt verkauft wird. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass das dennoch oft zurückweisende Verhalten Russlands gegenüber der EU teilweise taktischer Natur ist. Der Verweis der russischen Seite auf die Alternative einer engeren wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit mit China – die durchaus stattfindet – dient auch als Druckmittel gegenüber der EU und dem Westen insgesamt, der den Aufstieg Chinas mit wachsender Sorge beobachtet. Bei nüchterner Betrachtung der „Alternative China“ ist jedoch auch der russischen Seite klar, dass Russland gegenüber China allein in einer schwächeren Position wäre.
Unterschiedliche Sichtweisen: Die Länder der östlichen Partnerschaft und die EU
Die sechs Länder der östlichen Partnerschaft der Europäischen Union – Belarus, Moldau, die Ukraine, Georgien, Armenien und Aserbaidschan – verstehen sich untereinander nicht als „Staatenbund“. Sie eint jedoch die strategische Lage, sich als ehemalige Sowjetrepubliken jeweils zur Europäischen Union und zur Russischen Föderation positionieren zu müssen. In der Form, in der die östliche Partnerschaft 2009 gegründet wurde, gibt es sie allerdings nicht mehr. Aserbaidschan und Belarus haben sich faktisch daraus verabschiedet.
Aserbaidschan hat bei gleichzeitiger Fortdauer der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der EU mit der schrittweisen Errichtung eines autoritär-diktatorischen Systems den wertebegründeten Entwicklungsweg hin zu Demokratie und Rechtsstaat verlassen. Der „Sündenfall“ mit Blick auf das Verhältnis des Landes zur EU war zweifellos der Krieg gegen Armenien um Bergkarabach im Herbst 2020. Ungeachtet der komplizierten rechtlichen Bewertung des Konfliktes hat ein Mitgliedsland der östlichen Partnerschaft in einem Konflikt mit einem anderen Land der Staatengruppe offen auf den Einsatz militärischer Gewalt gesetzt. Das widerspricht dem auf friedlicher Konfliktlösung gründenden Gedanken der östlichen Partnerschaft.
Belarus unter der Führung Alexander Lukaschenkos, der in den Jahren vor 2020 eine „multi-vektorale Außenpolitik“ verfolgte und damit eine Art Äquidistanz zur EU und zu Russland zu wahren versuchte, hat mit der brutalen Niederschlagung der Proteste nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Sommer 2020 und der gewaltsamen Unterdrückung der Demokratiebewegung mit zehntausenden Inhaftierungen und Repressionen gegenüber der Zivilgesellschaft die Phase der – bedingten – Annäherung an die EU beendet. Sie wird in der Propaganda des Regimes als Feindbild aufgebaut. Anfang Juli 2021 erklärte Minsk, die Teilnahme an der östlichen Partnerschaft gänzlich auszusetzen, was einem Austritt gleichkommt. Auch wirtschaftlich löst Lukaschenko das Land – sei es willentlich oder notgedrungen – seitdem weiter von den bestehenden Verbindungen zum Westen. Gesprächs- und Vermittlungsangebote der EU ließ Minsk stets unbeantwortet.
Von den verbliebenen Ländern der östlichen Partnerschaft steht Armenien etwas abseits der Entwicklung. Es hat kein Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen und steht der Russischen Föderation wohlwollender gegenüber als dies aus westlicher Perspektive wahrgenommen wird. Derzeit muss das Land zudem den faktischen Verlust Bergkarabachs innenpolitisch verarbeiten. Die Enttäuschung über die Untätigkeit der EU im jüngsten Krieg mit Aserbaidschan ist deutlich zu spüren. Brüssel spielte hier keine nennenswerte politisch-diplomatische Rolle.
Demgegenüber richten sich die Republik Moldau, die Ukraine und Georgien stärker auf die EU aus als zuvor. Tatsächlich haben die drei Länder durchaus Fortschritte bei der Umsetzung des 2014 geschlossenen Assoziierungsabkommens mit der EU vorzuweisen. Die Ukraine konnte trotz weiterhin bestehender gravierender Probleme im Bereich der Justiz und der Korruptionsbekämpfung zweifellos Erfolge verzeichnen, beispielsweise bei der Dezentralisierung. Mit dem friedlichen Machtwechsel nach den Präsidentschaftswahlen 2019 hat die ukrainische Demokratie zudem ihren ersten größeren Belastungstest seit 2014 bestanden. Nicht zuletzt ist das Land in seiner Verteidigungsfähigkeit inzwischen weitaus robuster als noch 2014, was den politischen und militärischen Preis im Falle weiterer Aggressionen von außen deutlich in die Höhe treiben würde. In Georgien sind ebenfalls Fortschritte bei den Reformen zu beobachten. Die fortwährenden Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition außerhalb des parlamentarischen Rahmens und die von der EU – zuletzt vom Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel persönlich – vermittelten Kompromisse zeigen allerdings, dass das Wechselspiel von Regierung und Opposition gestört ist. In der Republik Moldau ist binnen eines Jahres sogar eingetreten, was selbst optimistische Beobachter noch im Sommer 2020 für unwahrscheinlich gehalten hätten: Mit Maia Sandu wurde Ende 2020 eine proeuropäische, reformorientierte und persönlich integre Präsidentin ins höchste Staatsamt gewählt und im Parlament haben die Reformkräfte seit den Wahlen vom 11. Juli 2021 die absolute Mehrheit der Sitze.
Mit Blick auf das Verhältnis zur EU ist es der erklärte Wille der Ukraine, Georgiens und der Republik Moldau, den Annäherungskurs fortzusetzen. Jüngst wurden die drei Außenminister in Brüssel als das „Assoziierte Trio“ vorstellig; der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba unterstrich bei der Gelegenheit, „dass es für unsere drei Länder keine Alternative zur europäischen Integration gibt“. Umgekehrt, so Kuleba, müsse die EU „unsere drei Länder als ein ernsthaftes Projekt zur Sicherung von Frieden und Wohlstand in Europa wahrnehmen“. Es müsse positive Signale vonseiten der EU geben, dass die Türen für weitere Integrationsschritte offen stünden. Das schließt immerhin die Möglichkeit einer „differenzierten“ Integration nicht aus, wie sie in jeweils unterschiedlicher Form mit dem Vereinigten Königreich oder den Mitgliedern der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) besteht, eine Integration unterhalb der Schwelle der Mitgliedschaft. Für letztere gibt es derzeit wohl kaum entsprechende Mehrheiten in den Hauptstädten der EU, zumal die Frage zuerst mit Blick auf die Länder des Westbalkans beantwortet werden müsste.
Dr. Jan Philipp Wölbern ist Referent für Osteuropa in der Abteilung Europa, Nordamerika und Multilateraler Dialog der Konrad-Adenauer-Stiftung.