Länderberichte
Um die im Vorfeld aufgetretenen Bedenken einzelner Mitgliedstaaten zu zerstreuen, gelten Einschränkungen für drei der sensibelsten landwirtschaftlichen Waren, bei denen die EU-Produzenten Eigeninteresse anmelden:
- Zucker,
- Bananen und
- Reis.
Hier wurde der Liberalisierungsprozeß in die Zukunft verschoben.
- So werden ab 01. Januar 2001 die Zölle auf Bananen in fünf Schritten jährlich um 20% gesenkt. Ab dem 01. Januar 2006 können die 48 Länder ihre Bananen zollfrei in die EU eingeführen.
- Ab 01. September 2006 werden die Zölle für Reis schrittweise abgebaut: zum 01. September 2007 werden sie um 50% und ein Jahr später um 80% reduziert. Im Jahre 2009 werden die Zölle auf die Handelsware Reis vollständig abgebaut sein.
- Der Liberalisierungsprozess für die Ware Zucker verläuft analog wie für Reis: er beginnt am 01.Juli 2006 und wird im Jahre 2009 vollständig beendet sein.
Als Ausgleich für die Verschiebung der Fristen gewährt die Union den 48 betroffenen Ländern ab sofort zollfreie Kontingente für die erwähnten sensiblen Waren. Dafür wird die bisher höchste Jahresausfuhr eines jeden Landes in die EU als Ausgangsbasis genommen, die sich - bis zur vollständigen Liberalisierung- jedes Jahr um 15% erhöht.
In der Initiative wurden allerdings auch Regelungen gegen Betrug eingebaut: Es gilt eine sogenannte "Guillotine-Klausel", durch welche die Kommission auf direktem Wege und ohne Konsultation der zahlreichen Sachverständigenausschüsse die Einfuhrbedingungen aussetzen kann. Diese Klausel werde beispielsweise bei der Umgehung der Ursprungsregelung, aber auch bei anderen Betrugsversuchen wirksam.
Vorbehalte innerhalb der EUInnerhalb der Europäischen Union herrschte im Vorfeld keineswegs Einigkeit über die geplante Initiative. Seit Pascal Lamy Mitte letzten Jahres seine Pläne bezüglich der Liberalisierung der Märkte für die 48 ärmsten Länder der Welt vorstellte, erhielt er zwar sehr viel Zuspruch, beispielsweise von Mike Moore, Generaldirektor der Welthandelsorganisation, und anderen Vertretern internationaler Organisationen, aber es wehte ihm aus der Richtung einiger Mitgliedstaaten auch ein eisiger Wind entgegen.
Besonders hartnäckig sträubten sich die südlichen EU-Mitgliedstaaten Italien, Spanien, Portugal und Griechenland sowie Deutschland, Österreich und Frankreich gegen die Liberalisierung der EU-Märkte. Diese Länder erzeugen selbst einige sensible landwirtschaftliche Güter wie Zucker und Reis. Im Falle Frankreichs gehören Bananenproduzenten noch immer zu den eigenen Territorien.
Die skandinavischen Länder und die anderen Nordeuropäer sprachen sich von Beginn an für die Initiative aus. Im Falle Deutschlands bestand zwar eine grundsätzliche Zustimmung, Sorge bereitete aber die deutsche Zuckerindustrie. Nach langem Ringen wurde in Berlin letztendlich jedoch die politische Entscheidung getroffen, diese Initiative mitzutragen.
Hingegen waren bis ganz zum Ende der Debatten Spanien und Frankreich gegen diese Initiative und hätten sie um ein Haar zum Scheitern gebracht. Die in Frankreich anstehenden Präsidentschaftswahlen stärkten die ohnehin äusserst streitbaren Kräfte der nationalen Agrarlobby zusätzlich. Der französische Handelsminister traute sich vor diesem Hintergrund nicht, Zugeständnisse an die EU zu machen. Der Europäische Kommissar Pascal Lamy, ein Franzose, war heftigen Vorwürfen seitens seiner eigenen Landsleute ausgesetzt.
Selbst aus der eigenen Behörde wurden Lamy Knüppel zwischen die Beine geworfen: Der Europäische Kommissar für Agrarpolitik, der Österreicher Franz Fischler, veröffentlichte Ende letzten Jahres eine Studie über die Auswirkungen der Initiative auf die europäischen Märkte.
Allein für die Liberalisierung des Zuckerhandels -für den sie als Grundlage eine Einfuhr von 2,7 Millionen Tonnen in einen völlig offenen europäischen Markt annahmen- bezifferten seine Dienste den für die EU entstehenden Schaden auf etwas mehr als eine Milliarde Euro.
Pascal Lamy widersprach in einer Pressekonferenz am 18. Januar 2001 in Brüssel diesem Horrorszenario entschieden. Gerade am Beispiel der Handelsware Zucker könne man diese Befürchtungen entkräften: die 48 ärmsten Länder der Welt produzierten gegenwärtig nur rund 2,1 Millionen Tonnen Zucker hauptsächlich für den Eigenbedarf.
Diese Menge entspräche gerade mal einem Prozent der Weltproduktion. Die EU produziere allein 18 Millionen Tonnen. Bei einer Steigerung ihrer Ausfuhren um 30% könnten die 48 ärmsten Länder, so Lamy, maximal 100.000 Tonnen in die EU einführen. Die ärmsten Länder der Welt produzierten so wenig, dass - so betonte Lamy vor der Presse- eine reale Gefahr für die europäische Produktion wirklich nicht gegeben sei.
Um die Kritiker zu besänftigen und diese positive Initiative nicht an einigen nationalen Bedenken scheitern zu lassen, verpflichtete sich die Kommission - neben den erwähnten relativ langen Fristen für den Abbau der Zölle- zur genauen Beobachtung der Reis-, Bananen-, und Zuckerimporte und gegebenenfalls zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen, um mögliche schädliche Folgen für die europäischen Aktivitäten in diesen Sektoren zu vermeiden. Eine offizielle Bewertung der Entwicklung ist von der Kommission im Jahre 2005 vorzulegen.
Vorbehalte von Seiten der AKP-StaatenAuch von anderer Seite geriet Pascal Lamy unter Beschuss: Die AKP-Staaten, mit denen die Europäische Union seit den 70er Jahren besondere Handelsabkommen hat, beschwerten sich heftig über die geplante Initiative. Die rund 70 Länder, denen die EU privilegierte Einfuhrkonditionen gewährt, fürchten um ihre Sonderstellung auf dem europäischen Markt. Diese Angst gipfelte in dem Vorwurf des Botschafters der Fidschi-Inseln bei der EU, Matai Toga, die EU beraube die Armen, um anderen Armen Privilegien zu gewähren.
Die AKP-Staaten wünschen sich nun nach Einführung der Initiative "Alles - außer Waffen" neue intensive Beratungsrunden. Sie gehen davon aus, weniger in die EU exportieren zu können und gegen andere Drittweltstaaten konkurrieren zu müssen.
Pascal Lamy versuchte auch hier die erhitzten Gemüter zu beruhigen. An den mit den AKP-Staaten ausgehandelten Verträgen würde sich ja nichts ändern. Beispielsweise würde am sog. "Zuckerprotokoll" festgehalten, das diesen Ländern für die Handelsware Zucker Mindesteinfuhren garantiert sowie den Gemeinschaftspreis, der etwa dem dreifachen Weltmarktpreis entspricht.
Auch andere Abmachungen, die für weitere Güter gültig sind, seien bis Vertragsende in jedem Falle wirksam. Die erwähnten Einfuhrzölle für die 48 ärmsten Länder auf die sensibelsten Waren Zucker, Reis und Bananen seien erst dann vollständig abgebaut, wenn die Verträge mit den AKP-Staaten ohnehin ausliefen.
Auch die AKP-Staaten versuchte Pascal Lamy mit dem Hinweis auf die geringe Produktionsmenge dieser Länder sowie die in die Initiative aufgenommenen abschreckenden Betrugsklauseln zu beruhigen.
Warum eine Öffnung der EU-Märkte ?Die Europäische Initiative "Alles - außer Waffen" ist Teil eines umfassenden entwicklungspolitischen Ansatzes der Europäischen Kommission. Armutsbekämpfung und Entschuldung sind weitere Aspekte.
So unterzeichnete der Europäische Kommissar für Entwicklungspolitik, der Däne Poul Nielson, Mitte letzten Jahres in Brüssel ein Finanzierungsabkommen, welches in Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds die Schuldenreduzierung der schwer verschuldeten ärmsten Länder der Welt (LLDC II) zum Ziel hat. Die Europäische Union ist der wichtigste Geber dieses Abkommens.
"Alles - außer Waffen" stellt eine handelspolitische Maßnahme dar, um auch die Ärmsten der Welt zu Nutznießern der Globalisierung zu machen. Eine stärkere Integration in das Weltwirtschaftssystem soll zur Reduzierung der weltweiten Armut beitragen. Die Integration in den Welthandel und die damit verbundene Öffnung für Investitionen in die ärmsten Ländern der Welt, soll sich auf deren Zugang zu Technologien und Arzneimittel, auf deren Textilindustrie, auf die Erhöhung des Sozialstandards und viele weitere Bereiche auswirken.
Dieser handelspolitische Ansatz müsse, so Pascal Lamy in einem Communiqué, mit einer stärkeren Finanzhilfe zugunsten der Durchführung flankierender Maßnahmen in den Entwicklungsländern verbunden werden. Es müsse in jedem Falle eine Kohärenz in den Aktionen der EU und den Institutionen von Bretton Woods sowie der Einrichtungen der Vereinten Nationen (IAA, UNEP, UNDP, usw.) geben.
Die Reaktion der anderen großen Industrieländer auf die Initiative der EU ist durchweg positiv. Auch Kanada, Japan, Korea, Neuseeland, Norwegen sowie die Vereinigten Staaten von Amerika haben bereits signifikante Maßnahmen in ihrer Handelspolitik angekündigt, welche allerdings allesamt nicht so weit gehen wie jene der EU. Chile und Neuseeland haben immerhin bereits angekündigt, sich der europäischen Initiative anzuschließen.
Besonders positiv ist die Reaktion der verschiedenen internationalen Institutionen: So waren etwa der Generalsekretär der WTO, der Brite Mike Moore, als auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, voll des Lobes. In einem Interview mit der Financial Times erklärte Kofi Annan sogar, dass sich die großen Industrieländer, allen voran die Vereinigten Staaten, ein Beispiel an der EU nehmen sollten.
Wird sich "Alles - außer Waffen" positiv auf eine neue WTO-Runde auswirken ?Durch das Fiasko im kanadischen Seattle, wo die letzte WTO-Runde scheiterte, wurden zumindest das Gewicht und die wachsende Bedeutung der Entwicklungsländer in einem multilateralen System sichtbar.
In Europa und den anderen Industrienationen lernte man dadurch, dass der Beginn und der Abschluss jeder neuen Runde nur möglich sind, wenn nachdrücklich und explizit die Interessen der Entwicklungsländer in allen Bereichen und in jeder Phase des Prozesses berücksichtigt werden.
So ist die Initiative "Alles - außer Waffen", neben allem anderen, auch als ein psychologisches Signal in Richtung der Entwicklungsländer zu werten, die sich in der letzten WTO-Runde eher als Opfer denn als Partner begriffen haben. Man hofft damit die Vorbehalte und Bedenken der Entwicklungsländer hinsichtlich der Aufnahme von neuen internationalen Handelsgesprächen im Rahmen der Welthandelsorganisation zu verringern. Die EU, die offensichtlich keinen Zweifel daran hat, dass es zu erneuten Verhandlungen kommt, verspricht sich damit gar eine Erleichterung der nächsten WTO-Runde.