Deutschland ist derzeit mit etwa 1.400 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen einer Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen und einer Ausbildungsmission der Europäischen Union in Mali tätig. Die Bundeswehr ist seit 2013 in dem westafrikanischen Land, um zur Stabilisierung des Nordens beizutragen, wo die französische Armee 2013 die Herrschaft der Dschihadisten beendet hatte. Parallel versucht die EU mit Training und Capacity Building, die Kampfkraft der schwachen malischen Streitkräfte zu verbessern. Beide Missionen haben bislang wenig Erfolg: Das von Korruption, Militärcoups und Armut erschütterte Land ist in den letzten zehn Jahren nie richtig zur Ruhe gekommen. Die von Frankreich 2013 in die Wüste vertriebenen Dschihadisten sind schnell wieder zurückgekehrt und haben sich seitdem im Norden und in Zentralmali sowie den Nachbarstaaten Niger und Burkina Faso festgesetzt.
Doch bei aller Kritik an dem Einsatz hat die Blauhelm-Mission doch geholfen, dass die großen Städte Nord-Malis noch unter Regierungskontrolle sind und die Instabilität sich nicht noch weiter ausgebreitet hat. Nord-Mali wäre ohne die VN-Mission MINUSMA vermutlich längst kollabiert. Nicht die Bundeswehr hat versagt, sondern der malische Staat, der es versäumt hat, in die von Frankreich zurückeroberten Gebiete zurückzukehren und dort Dienstleistungen wie z.B. Bildung und vor allem Perspektiven für die ungezählten Arbeitslosen, die leichte Beute für die Dschihadisten sind, anzubieten.
Die Zukunft der Blauhelm-Mission ist unklar, seitdem Frankreich im Februar angekündigt hatte, den auch im eigenen Land unbeliebten Barkhane-Militäreinsatz zu beenden. Zuvor waren Spannungen zwischen Mali und der früheren Kolonialmacht eskaliert. Präsident Emmanuel Macron ist verärgert, dass Bamako die traditionelle Partnerschaft mit Frankreich nicht fortsetzen will und zudem die Zusammenarbeit mit Russland forciert. Paris hatte bereits letztes Jahr angekündigt, die Zahl seiner Soldaten von 5.000 auf 2.300 Mann zu reduzieren. Nun läuft der Abzug der restlichen Truppen und soll bereits bis Juli beendet sein. Auch der zu Barkhane gehörende europäische Spezialkräfteverbund Takuba bricht seine Zelte ab.
Und was dann?
Doch ohne Frankreich wird die VN-Mission deutlich weniger handlungsfähig – weder Bundeswehr noch andere MINUSMA-Partner haben ein Mandat für Kampfeinsätze: Dies war die Aufgabe der Franzosen, die stets innerhalb weniger Minuten Kampfhubschrauber in der Luft hatten, um Terroristen zu bekämpfen – wie etwa im Januar bei einem Granatwerfer-Angriff auf das Camp in Gao, wo auch die Bundeswehr stationiert ist. Die Franzosen waren für die MINUSMA eine Art Begleitschutz, verwalteten auch den Flughafen Gao und waren zudem für die Evakuierung verwundeter Blauhelm-Soldaten zuständig. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um die französischen Truppen zu ersetzen. Bis Juli soll der Abzug über die Bühne gehen, aber da während der Regenzeit im Sommer viele Straßen nicht passierbar sind, könnte sich der Umzug noch bis zum Frühherbst hinziehen – wertvolle Zeit für Verhandlungen der Vereinten Nationen mit westliche Nationen, die Hubschrauber oder mobile Lazarette schicken könnten – doch diese benötigen ihre Ausrüstung jetzt zumeist, um die Ostflanke der NATO zu verstärken. Ein robusteres MINUSMA-Mandat müsste auch vom VN-Sicherheitsrat beschlossen werden, was am Widerstand Russlands scheitern dürfte. Moskau hat in Mali vordringlich das Ziel, den Westen zu spalten – und mit der Entsendung von Wagner-Söldnern hat Russland den überhasteten Abzug der Franzosen ja mitausgelöst, wobei Moskau eine direkte Verbindung zwischen Kreml und Wagner-Gruppe offiziell immer wieder leugnet. Ein Rückzug weiterer westlicher Staaten – weil MINUSMA weniger handlungsfähig ist – würde Russland gefallen.
Russlands Intervention als größte Herausforderung
Die Sicherheitslage hat sich mit dem begonnenen Abzug der Franzosen bereits verschlechtert. Dschihadisten des „Islamischen Staates in der Größeren Sahara“ haben im Norden eine neue Offensive gestartet und planen angeblich in den nächsten Tagen, bis in die Nähe Gaos vorzudringen. Dazu kommt, dass sich die einst zersplitterten Ex-Rebellen der Tuareg von 2012 wieder vereint haben – offiziell, um mit der Regierung zu verhandeln, aber sicher auch mit dem Hintergedanken, sich auf den Abzug der Franzosen vorzubereiten, um im Norden erneut zu expandieren. Dies ist eine explosive Situation, weil eine Blauhelm-Truppe sich gegen Angriffe auf ihre Camps ohne französische Luftunterstützung kaum wehren könnte.
Vielleicht die größte Herausforderung für Deutschland und die westlichen Partner ist aber die Intervention Russlands. In Mali gibt es seit Wochen eine pro-Russland-Stimmung — dies erklärt sich vor allem mit einer Ablehnung von Frankreich als dominierende Macht aus historischen Gründen. Viele Malier denken, mit Russland stehe nun eine Supermacht hinter dem Land, um den Konflikt mit den Dschihadisten militärisch zu lösen. Doch ein paar hundert Söldner und circa sechs Hubschrauber samt Trainern können einen Dauer-Konflikt nicht beenden, für den es ohnehin keine militärische Lösung gibt. Was vielen Maliern noch nicht klar ist: Russland könnte den Einsatz schnell wieder beenden, wenn die Wagner-Kämpfer und Hubschrauber im Rahmen der Ukraine-Invasion benötigt werden. Dann stünde Mali nach dem Abzug Frankreichs ganz ohne Partner da. Man darf eins nicht vergessen: Moskau hat an Mali wenig Interesse, der russische Botschafter in Bamako spricht noch nicht einmal Französisch. Es dürfte Moskau vor allem darum gehen, den Westen zu spalten und zu verunsichern. Mali bestreiten, dass es Wagner-Söldner im Land gibt und bezeichnet die Zusammenarbeit als offizielle Militärkooperation.
Dazu kommt: Auch die Stimmung in Mali könnte sich gegen Russland drehen. Erst kürzlich wurden Berichte von Human Rights Watch[1] und französischer Medien über Übergriffe von Wagner-Söldnern und malischen Soldaten an Zivilisten bekannt. Wagner-Söldner wurden in Syrien, Libyen und der zentralafrikanischen Republik von den Vereinten Nationen immer wieder beschuldigt, schwere Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Letzte Woche tötete die malischen Armee nach eigenen Angaben 203 Terroristen in der Stadt Moura, wo Dschihadisten Unterschlupf gefunden hatten. Die französische Zeitung Libération berichtet dagegen von einer fünftätigen Tötungsorgie durch Wagner und malische Söldner. Bis zu 400 Zivilisten seien getötet worden, berichtete die Zeitung[2]. Human Rights Watch bezeichnete dies als die „schlimmste Gräueltat“ im Mali Konflikt[3]. Die Vereinten Nationen, die EU und die Vereinigten Staaten haben sich besorgt gezeigt und eine unabhängige Untersuchung verlangt.
MINUSMA hat allerdings bislang keine Erlaubnis bekommen, Moura zu besuchen und kann auch keine Luftaufklärung betreiben – Mali hatte Mitte Januar von der Mission und Frankreich verlangt, alle Drohnen und Luftaufklärungsflüge vorher genehmigen zu lassen. Flüge im Zentrum, wo Wagner tätig ist, sind seither nicht mehr erlaubt. Die Bundeswehr ist besorgt, dass nun das von Deutschland gelieferte Material, u.a. gepanzerte Personentransporter, auch von Einheiten genutzt wird, die mit Wagner in den Krieg ziehen.
Das mutmaßliche Massaker sowie andere Übergriffe, von denen berichtet wurde, werden sich nach Einschätzung von Diplomaten wie ein „Rekrutierungsprogramm“ für Dschihadisten auswirken, die sich vor allem mit benachteiligten Ethnien wie den Viehhirten der Fulbe in Zentralmali verbündet haben. Moura ist eine Fulbe-Stadt. Die Mitglieder dieser Volksgruppe werden von den Behörden und Ackerbauern im Zugang zu Wasser und Weideland seit Jahrzehnten benachteiligt. Viele Fulbe sind arbeitslos und suchen ihr Heil bei Dschihadisten, die sich als Parallelstaat mit eigenen Strukturen anbieten. Im Gegensatz zum Nahen Osten gibt es wenig Hardliner bei den Dschihadisten, die meisten sind arbeitslose Mitläufer – Tötungen von Zivilisten treiben den Dschihadisten in diesem Sinne noch mehr junge Menschen in die Arme.
Keine Wahlen in Sicht – Inflation galoppiert
Auch die politische Lage bleibt kompliziert. Mali hat seit August 2020 eine Militärregierung, die die ursprünglich für Februar 2022 geplanten Wahlen um mehrere Jahre verschieben will. Die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS hat deswegen im Januar schwere Sanktionen wie die Schließung der Grenzen verhängt, die die Bevölkerung hart treffen. Diese haben bislang allerdings eher einen gegenteiligen Effekt: Viele Malier haben sich mit der Militärregierung solidarisiert und ein neues Gefühl von Nationalstolz entwickelt. Dies hat zu weiteren Spannungen mit Paris geführt, das für die Sanktionen mitverantwortlich gemacht wird. Ein Ende des Konflikts zwischen Mali und ECOWAS ist noch nicht in Sicht, auch weil die Junta über das weitere Vorgehen untereinander zerstritten ist. Das Risiko der Instabilität steigt auch, weil Russlands Ukraine-Krieg die Preise für Benzin und Lebensmitteln nach oben treibt. Die Benzinpreise stiegen bereits um ca. 20%, Lebensmittel werden hauptsächlich importiert.
Risiken auch für Niger
Risiken drohen auch für den Nachbarstaat Niger, wo die Bundeswehr 200 Spezialkräfte zur Ausbildung der lokalen Streitkräfte stationiert hat. Dorthin will Frankreich zumindest einen Teil der aus Mali abgezogenen Truppen verlegen. Das Thema ist heikel: Dort ist bereits das Barkhane-Hauptquartier angesiedelt und darüber hinaus auch ein Drohnen-Stützpunkt der Vereinigten Staaten. Niger hat eine demokratisch gewählte Regierung, Präsident Mohamed Bazoum ist ein verlässlicher Partner des Westens. Doch auch er steht unter Druck, weil es in seinem Land ebenfalls ein historisch gewachsenes antifranzösisches Sentiment gibt. Niger leidet wie andere Sahelstaaten unter schwacher Staatlichkeit, weitverbreiteter Armut sowie einem rasanten Bevölkerungswachstum – Frauen bekommen im Schnitt sieben Kinder. Immer wieder wurde das Land von Staatsstreichen erschüttert. Darüber hinaus geht auch hier immer mehr Territorium an die Dschihadisten verloren. Die Inflation ist, wie in Mali, in Folge der Ukraine-Invasion und dem Scheitern der Ernte mangels Regens in die Höhe geschossen. Das Welternährungsprogram der Vereinten Nationen bezog bisher etwa die Hälfte seiner Getreidelieferungen aus der Ukraine. Noch mehr französische Truppen könnten die Stimmung in Niger aufheizen und das Land überfordern. EUTM ist dank der deutschen Spezialkräfte auch in Niger tätig. Dort gibt es größere Erfolge als in Mali, da der Staat stabiler und die Streitkräfte professioneller sind.
Trotzdem bleiben?
Bei aller Kritik am Bundeswehr-Einsatz würde ein überstürzter Abzug westlicher und deutscher Truppen nur Russland in die Hände spielen. Deutschland und Europa haben ein Interesse daran, Mali als das Epizentrums der dschihadistischen Bedrohung im Sahel zu stabilisieren. Selbst französische Militärs geben unter der Hand zu, dass der Abzug militärisch ein Fehler und von innenpolitischen Gründen getrieben ist – Macron will im Präsidentschaftswahlkampf Härte zeigen. Ohne die MINUMSA würde Nord-Mali noch weiter destabilisiert werden und die letzten Städte im Norden der Kontrolle der Regierung entgleiten.
Frankreich und die Takuba-Partner wollen künftig von Terrorismus bedrohten Staaten wie Côte d’Ivoire, Togo oder Benin ihre Hilfe anbieten, um ein weiteres Überschwappen des Konflikts von Mali und Burkina Faso zu verhindern. Aber ohne Präsenz in Mali wird das Problem nicht wirksam bekämpft werden können, da das Land zu einem Zentrum der Dschihadisten in der Region geworden ist. In Mali darf kein Vakuum entstehen. Ein schneller Abzug wäre nur im Interesse Russlands und würde zudem den Einsatz in Niger beenden, da es sich hier um eine gemeinsame EUTM-Mission handelt.
Deutschland genießt nach wie vor eine ausgezeichnete Reputation in Mali. Es ist es wichtig, bei Gesprächen mit malischen Regierungsvertretern den Einsatz der Wagner-Söldner zu verurteilen und gleichzeitig zu unterstreichen, dass Deutschland sich weiter in Mali und dem Sahelraum engagieren zu wollen - mit Entwicklungszusammenarbeit zur Bekämpfung der Armut und der Bundeswehr, deren Präsenz in Nord-Mali solche Projekte erst möglich macht. Nur einige wenige Zahlen zeigen, was für Deutschland auf dem Spiel steht: Malis Durchschnittsalter ist 15 Jahre – das Land hat eine der weltweit höchsten Bevölkerungsraten. Im Schnitt bekommen Frauen etwa sechs Kinder. Ein Kollaps Malis würde eine nicht abzuschätzende Zahl von verzweifelten jungen Menschen zunächst in die Arme von Terroristen treiben und dann möglicherweise eine nicht zu beherrschende Welle von Armutsmigration in Gang setzen.
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[1] Vgl. Human Rights Watch, Mali: A new wave of Executions, Februar 2022.
[2] Vgl. Au Mali: Cinq jours de massacre à Moura, 3. April 2022.
[3] Vgl. New York Times, Western officials condemn reports of ‚massacre’ by military in central Mali, 4. April.