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Länderberichte

Der Irak am Scheideweg: Stabilisierung oder weitere Fragmentierung?

von Nils Wörmer, Hannes Pichler

Parlamentswahlen sind wegweisend für Stabilisierungs- und Reformbemühungen

Erstmals nach dem militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS) finden am 12. Mai 2018 nationale Parlamentswahlen im Irak statt. Die Wahlen werden entscheidend dafür sein, ob es dem Irak nach Jahren des Krieges gelingen wird, sich politisch zu stabilisieren, ein landesweites Sicherheitsregime zu etablieren und einen dringend notwendigen Reformkurs einzuschlagen. Trotz enormer Herausforderungen zeichnete sich bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen eine weitere Fragmentierung der Parteienlandschaft ab, während konkrete Sachthemen in den Hintergrund des politischen Diskurses gerückt sind.

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Ausblick und deutsche Interessen

 

Aufgrund der Fragmentierung der irakischen Politiklandschaft ist davon auszugehen, dass keine Liste die notwendige Mehrheit erreichen wird, um eine Regierung zu bilden. Wie in der Vergangenheit, dürften sich auch nach den Wahlen 2018 die stärksten Listen zu einer großen Koalition zusammenschließen. Entscheidend für die Kräfteverhältnisse innerhalb der nächsten Regierung werden dabei die Ergebnisse der schiitischen Listen in Bagdad und in den neun schiitischen Provinzen im Süden des Landes sein. Von den insgesamt 329 Parlamentssitzen könnten rund 190 Mandate auf schiitische Abgeordnete fallen.

 

Umfragen und Expertenanalysen schreiben dem aktuellen Premierminister Haider Al-Abadi gute Chancen auf eine Wiederwahl zu. Dafür müssten insbesondere seine Victory Alliance sowie seine natürlichen Partner im schiitischen Lager, etwa die Liste von Muqtada Al-Sadr, gut abschneiden und zusammengerechnet über 100 der etwa 190 schiitischen Parlamentssitze erreichen. Zudem gibt es keine größeren Listen, die eine Koalition mit Haider Al-Abadi kategorisch ausschließen würden. Die Allianz Abadis mit Hadi Al-Ameri, dem Vorsitzenden der Conquest Alliance (al-Hashd ash-Schaabi), scheiterte im Januar 2018 zwar nach wenigen Stunden und sorgte für Enttäuschung im Abadi-Lager. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Abadi nach den Wahlen, um den eigenen Machterhalt sicherzustellen, erneut auf Ameri zugehen wird.

 

Mit Spannung wird außerdem das Ergebnis Nuri Al-Malikis, dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Abadis innerparteilichen Konkurrenten erwartet. Sollte seine State of Law Coalition stark abschneiden, dürfte es zu einem harten Machtkampf zwischen Abadi und Maliki kommen, der zu einer Kompromisslösung beim Amt des Ministerpräsidenten führen könnte und damit zu einer Ablösung Abadis. In diesem Zusammenhang wird es bedeutend sein, wie stark sich Sunniten für sunnitische Kandidaten auf schiitischen Listen aussprechen werden und damit Einfluss auf die Kräfteverhältnisse im schiitischen Parteienlager nehmen.

 

Es ist im Interesse der jungen irakischen Demokratie und gut für die Stabilisierungs- und Wiederaufbaubemühungen im Land, wenn das Ausmaß der Gewalt im Zuge der Parlamentswahlen am 12. Mai 2018 gering bleibt und die Vorwürfe über Wahlbetrug im Rahmen bleiben. Konkret bedeutet dies, dass Demonstrationen friedlich verlaufen, politische Morde ausbleiben und der IS keine Anschläge, insbesondere auf Wahllokale, durchführen würde. Nicht ausgeschlossen werden kann zudem, dass der mögliche Austritt der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran (JCPOA), über den Präsident Trump am irakischen Wahltag entscheiden wird, negative Auswirkungen auf die Sicherheitslage im Irak entfalten könnte.

 

Durch die Einführung des elektronischen Wahlsystems wurden die Abstimmungsstandards deutlich verbessert: Eine nachträgliche Manipulation des Wahlergebnisses gilt unter den neuen Voraussetzungen als unwahrscheinlich bis ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen werden kann jedoch, dass es im Vorfeld der Wahlen beziehungsweise noch in der Wahlkabine zu Bestechung, Erpressung oder Einschüchterungsversuchen kommt, die das Wahlergebnis verfälschen. Im Vorfeld der Wahlen ist bekannt geworden, dass Wählerstimmen in verschiedenen Provinzen erkauft wurden oder sichere Arbeitsstellen bei entsprechender Stimmabgabe versprochen wurden. Dies gilt insbesondere für Bagdad und die südlichen Landesteile wie Basra, die für die Kräfteverhältnisse im schiitischen Lager ausschlaggebend sein werden. Möglich ist auch, dass bewaffnete Kräfte, etwa schiitische Milizionäre, ein Klima der Angst in oder im Umfeld der Wahllokale verursachen und dadurch Einfluss auf den Wahlausgang nehmen werden.

 

Der Irak ist ein zentraler Partner Deutschlands im Nahen Osten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Stabilisierungsbemühungen in der Region und den Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Aus diesem Grund liegt es im deutschen Interesse, dass die Wahlen gewaltfrei und fair ablaufen und es zügig zur Bildung einer stabilen, unabhängigen Regierung kommt. Dies ist mit-unter eine Voraussetzung dafür, dass dringend notwendige ökonomische und politische Reformen umgesetzt werden sowie der Wiederaufbau und die Reintegration von Flüchtlingen vorangetrieben werden können.

 

Darüber hinaus ist die Neustrukturierung des irakischen Sicherheitssektors unter einer stabilen, neuen irakischen Regierung erforderlich. In Kooperation mit der Regierung von Haider Al-Abadi hat die deutsche Bundesregierung im März 2018 eine Neuausrichtung der Bundeswehr-Mission im Irak beschlossen, um diesen Reformprozess zu begleiten und irakische Sicherheitskräfte auch im Zentralirak auszubilden. Bis vor kurzem hatte sich das deutsche sicherheits-politische und zivilgesellschaftliche Engagement vor allem auf die ARK konzentriert. Deutschland ist nun enger Partner Bagdads in der Stabilisierung des gesamten Landes und in der Bekämpfung des IS oder anderer dschihadistischer Terrororganisationen.

 

Den vollständigen Länderbericht zu den Wahlen im Irak finden Sie in der Anlage

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