Länderberichte
Am 14. November beschloss das Kabinett Miller, in den Beitrittsverhandlungen mit der EU in zwei entscheidenden Punkten nachzugeben, um die in letzter Zeit immer stärker in Zweifel gezogene Position Polens unter den Spitzenkandidaten wieder herzustellen:
- Bei der Arbeitnehmer-Freizügigkeit geht Polen auf die EU-Position ein, eine zwei- bis siebenjährige Übergangszeit nach dem Beitritt vorzusehen, wobei einzelne Länder wie z.B. Dänemark, Schweden u.a. möglicherweise in Sonderabkommen Freizügigkeit herstellen können (worum sich Polen mit so vielen Ländern wie möglich bemühen wird).
- In der Frage von Grundstückskäufen durch Ausländer (gemeint sind vor allem Deutsche) verzichtet Polen ganz auf Übergangszeiten im Falle von Investitionen (bisher gefordert: 5 Jahre). Bei Käufen von landwirtschaftlichen Nutzflächen und Waldgebieten geht Polen von einer bisher geforderten 18-jährigen Übergangszeit auf 12 Jahre herunter. "Ausverkäufen" und Spekulationen soll durch eine Vielzahl von Verwaltungsvorschriften und Zusatzbedingungen vorgebeugt werden (wobei EU-Länder wie Holland, Frankreich, Dänemark etc. als Vorbild dienten).
Das Desaster bei der Vermittlung und seine Folgen
In der Fernsehansprache an die Nation am 15. November sprach Premier Miller nur in allgemeinen Worten von dieser Positionsänderung. Auch die Presseerklärungen in Warschau brachten nicht mehr als die in Punkt 2 geschilderten Fakten. Am 20. November jedoch verkündeten Außenminister Cimoszewicz und die Chefin des Amtes für Europäische Integration (UKIE) im Außenministerium, Hübner, in Brüssel entscheidende Details der neuen Verhandlungsposition, die bisher in Polen selbst nie bekannt gegeben worden waren. Sie betreffen Landkäufe und sehen weitere Erleichterungen vor, z.B. die Möglichkeit, Ackerland schon nach 3 Jahren Anpachtung (vorausgesetzt, der ausländische Käufer bearbeitet das Land auch) und Grundstücke für "Erholungszwecke" nach 7 Jahren zu erwerben, unabhängig von der ansonsten 12-jährigen Übergangszeit.
Der Entrüstungssturm in Parlament und in den Medien war bemerkenswert. Vor allem die Tatsache, dass bisher in Polen unbekannte Details, die entscheidende Erleichterungen bei Landkäufen für Ausländer bedeuten, ausgerechnet in Brüssel (also in der "Höhle des Löwen") bekannt gegeben wurden und dass Danuta Hübner dies damit erklärte, in Polen hätten die Journalisten eben nicht danach gefragt, wurde bei allen Oppositionsparteien als Provokation empfunden. Die Folgen im Einzelnen:
- Der radikale Bauernführer, Sejm-Vizemarschall und Chef der "Samoobrona" Andrzej Lepper bezeichnete Cimoszewicz öffentlich mehrmals als "Kanaille" - die Bürgerplattform hat einen Antrag eingebracht, Lepper aus dem Amt des Vize-Sejmmarschalls zu entfernen. Interessant wird, ob die SLD, die ihn mit in diese Position gewählt hatte, mitmacht. In ersten Umfragen hat knapp die Hälfte der polnischen Bevölkerung Lepper ihre Unterstützung ausgesprochen.
- Alle Oppositionsparteien außer der Bürgerplattform (PO) unterstützen einen Misstrauensantrag gegen Cimoszewicz - er dürfte allerdings abgelehnt werden. Die voraussichtliche Enthaltung der PO ist immerhin ein Lichtblick.
- Aber auch die gemäßigte Opposition wird diese Woche die Regierung wegen ihrer Informationspolitik scharf kritisieren. Schon die allgemein fomulierten Zugeständnisse der Regierung gegenüber der EU waren auch von der PO als "riskant" (PO-Chef Plazynski) und "Fehler" (Stv. Vors. Rokita) bezeichnet worden. Nun wird es noch schwerer, einen europapolitischen Konsens zu finden.
- In der Bauernpartei PSL, dem Juniorpartner in der Regierungskoalition, kam es bei einer Klausurtagung der Fraktion zum Thema Landkäufe fast zu einem Aufstand gegen den Parteivorsitzenden und Landwirtschaftsminister Kalinowski. Er konnte seinen Kopf nur aus der Schlinge ziehen, indem er behauptete, selbst unvollständig über die Veränderung der Verhandlungsposition informiert worden zu sein. Das aber zwang ihn dazu, zusammen mit der PSL-Fraktion von der SLD offiziell die Rücknahme wichtiger Teile der neuen Position zu fordern. Das aber wird die SLD nicht zulassen. Zwar enthält der Forderungskatalog der PSL weder eine Deadline noch eine explizite Drohung des Koalitionsbruchs, doch ist allein die Direktheit der Forderungen nur wenige Wochen nach Bildung der Koalition ein Zeichen großer Schwäche für die Regierung.