Länderberichte
Auslöser
Diese Verhandlungen spitzten sich in den letzten Tagen auf die Frage nach dem neuen Prmierminister zu.
Nach Tagen vollkommener Verworrenheit erklärte der AWS-Vorsitzende Marian Krzaklewski am Freitag, dem 2. Juni seine Kandidatur. Diese Kandidatur wurde von der AWS-Fraktion im Sejm am 5. Juni offiziell unterstützt und in die Verhandlungen mit der Freiheitsunion eingebracht. Die Freiheitsunion befand die Kandidatur Krzaklewskis am Morgen des 6. Juni für nicht annehmbar; Parteivorstand und Parlamentsfraktion erklärten den sofortigen Rückzug aus der Regierung. Dies betrifft auch die Staatssekretäre und stellvertretenden Wojewoden, die durch die Freiheitsunion vorgeschlagen wurden.
Dass die Freiheitsunion Krzaklweski als Premier nicht akzeptiert würde, wurde schon kurz nach dem bekannt werden seiner Kandidatur spekuliert. Denn als mächtigster Politiker im AWS-Lager wird er von der Freiheitsunion für die schwierige Lage von Koalition und Regierung mitverantwortlich gemacht. So schob die Freiheitsunion am gestrigen Dienstag auch nur vor, dass Krzaklewskis Kandidatur zum Premierminister mit seiner Kandidatur zum Präsidenten unvereinbar sei. Als Erklärung nachgeschoben wurde denn auch der eigentliche Grund:
Der "Vertrauensverlust", den man gegenüber Krzaklewski spüre und der eine Verbesserung der Regierungspraxis unwahrscheinlich mache. Von den Gegensätzen in der Sachpolitik wog die Uneinigkeit über den Haushalt am schwersten, den die Freiheitsunion hatte zunehmend Zweifel, ob sie die AWS auf einen soliden Haushalt für 2001 würde festlegen können.
Die Landschaft nach der Schlacht
Die Situation Krzaklweskis
Dass Krzaklweski so klar vom kleinen Koalitionspartner abgelehnt wurde und damit der letzt-endliche "Auslöser" der Trennung wurde, ist demütigend genug und lässt seine Kandidatur für die Präsidentschaft wenig erfolgversprechend erscheinen. Dass ihm aber bei seinem Wunsch, Premierminister zu werden, die Unterstützung der AWS-Teilpartei SKL versagt blieb (die die Kandidatur des Sejmpräsidenten Macej Plazynski favorisierte und sich im Votum der AWS-Fraktion über Krzaklweski enthielt), deutet auf seine zunehmende Schwäche innerhalb der AWS hin.
Die Beziehungen zwischen Freiheitsunion und AWS
Die Hauptakteure beider Parteien sind nach dem Verhandlungsmarathon der letzten Wochen sichtlich erschöpft. Blankliegende Nerven und die aufgestaute Frustration haben daher zum letzlichen Auseinanderbrechen der Koalition wohl ebenso beigetragen wie Gegensatz in der Sachpolitik. Obwohl beide Parteien nun der jeweils anderen die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen geben, bemühen sie sich auch, die Gesprächsfäden nicht ganz abreißen zu lassen. Führende Politiker der Freiheitsunion sprechen von einer "Trennung" und nicht von einer "Scheidung" und versichern der AWS ihre Unterstützung bei wichtigen Abstimmungen im Sejm.
Gleichzeitig kündigt die Freiheitsunion aber ihren erbitterten Widerstand gegen ungeliebte Gesetzesvorhaben der AWS an. AWS-Politiker erklären, immer und ohne Vorbedingungen zu Gesprächen mit der Freiheitsunion bereit zu sein. Angesichts der schwierigen Lage ist die Atmosphäre zwischen den ehemaligen Koalitionspartnern also noch relativ versöhnlich, zu-mindest an der Spitze. An der Basis herrscht auf beiden Seiten erhebliche Verbitterung über den ehemaligen Koalitionspartner vor.
Die Regierung
Premierminister Buzek wird wahrscheinlich noch in dieser Woche 4 neue Minister ernennen. Außenminister Geremek wird mit Blick auf die große Außenministerkonferenz Ende Juni in Warschau noch etwa 4 Wochen sein Amt ausüben. Es ist weiterhin möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich, dass er bis zu den nächsten Wahlen im Amt bleibt. Erste Spekulationen über seinen Nachfolger gehen in Richtung Jan Kulakowski (parteilos, gegenwärtig Chefunterhändler für den EU-Beitritt) oder Czeslaw Bielecki ("Bewegung 100", Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses des Sejm). Auch Andrzej Ananicz (stellvt. Außenminister) wird genannt. Als Nachfolger für Verteidigungsminister Onyszkiewicz wird Bronislaw Komo-rowski (SKL; Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Sejm) gehandelt. Nachfolger von Leszek Balcerowciz im Finanzministerium könnten entweder Jaroslaw Bauc (RS-AWS, gegenwärtig stellvt. Finanzminister) oder Mirsolaw Sekula (RS-AWS, Vorsitzender des Finanzausschusses des Sejm) werden. Beide wären durch ihre Nähe zum wirtschaftspolitischen Kurs Balcerowicz's allem Anschein nach eine Beruhigung für Investoren und Märkte.
Die Spannungen zwischen AWS-Regierung und AWS-Fraktion im Sejm, die der Hauptgrund für die Frustration der Freiheitsunion waren, sind in der jetzigen Minderheitsregierung natürlich nicht aufgehoben. Beobachter der Regierung gehen aber davon aus, dass sie weniger zu Tage treten könnten, weil die Regierung keine schwerwiegenden Entscheidungen mehr fällen wird. Die Aufschiebung der Steuerreform und der weiteren Privatisierung wäre somit zwar nicht gut für Polen, würde der Regierung aber zumindest den Anschein der Stabilität geben. Der Prozess der Rechtsangleichung an den EU-Binnenmarkt ist von der neuen politischen Situation noch am wenigsten betroffen, da die postkommunistisch-sozialdemokratische SLD und die Freiheitsunion der AWS ihre Unterstützung bei Abstimmungen im Sejm zugesagt haben.
Der Fahrplan bis zu den nächsten Wahlen
Durch die konstitutionelle Vorkehrung des konstruktiven Mißtrauensvotums ist die Regierung Buzek gegen einen überraschenden Sturz gefeit, da eine Mehrheit der Opposition für einen gemeinsamen Kandidaten politisch höchst unwahrscheinlich ist.
Keiner Gruppierung (außer der SLD) liegt an Parlamentswahlen, die fast zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen in diesem Herbst stattfinden würden. Die wahrscheinlichste Variante lautet deshalb: Die Minderheitsregierung Buzek findet für den Haushalt bis Ende Januar 2001 im Sejm keine Mehrheit. Der Präsident erwirkt daraufhin eine Verkürzung der Legislaturperi-ode und es kommt zu Neuwahlen im März oder April 2001.
Politiker der AWS sprechen zwar auch von einer Minderheitsregierung, die sich bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2001 hält - dies ist aber wohl eher Wunschdenken. Beschleunigen dürften sich die Arbeiten an einer neuen Wahlordnung und an den Kandidatenlisten. Weiterhin ist es möglich, dass die Freiheitsunion einen Kandidaten für die Präsident-schaftswahlen vorschlagen wird, um sich für den "langen Wahlkampf" aus Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu rüsten. Obschon Leszek Balcerowicz hierfür der nächstliegende Kandidat wäre, verneint er seine Kandidatur standhaft und macht sie eher unwahrscheinlich.