Länderberichte
Reformvorhaben
"A strong Europe needs a strong Commission." Der einleitende Satz im Weissbuch zeigt schon auf, wohin es den Weg weisen will: Die Kommission soll ihrem Stellenwert im europäischen Politik-Prozess gemäss, (wieder) zu einer leistungsfähigen Behörde werden.
Ein wenig Skepsis ist dabei angebracht - in der Kommission wurden schon eine ganze Reihe von Reformprojekten auf den Weg gebracht, zuletzt noch unter der Santer-Kommission. Doch allen Bemühungen wurde das gleiche Schicksal zuteil: die Reformansätze verliefen weitgehend im Sande.
Es sei die Neigung zu erkennen, es würden schnell grosse, umfangreiche Projekte lanciert, wo oftmals Einzellösungen in Teilbereichen angebracht wären, so ein Fachbeamter in der Generaldirektion Aussenbeziehungen. Die Erklärung dafür liegt auf der Hand: grosse umfassende Reformvorhaben erlangen grössere Aufmerksamkeit durch die Medien und befriedigen eher den Wunsch der Öffentlichkeit nach mehr Kontrolle und Transparenz.
Immerhin: das Reformmodell kann man insgesamt als schlüssig bezeichnen. Problematischer ist die Frage der Umsetzung und die der Nachhaltigkeit. "Viel Reform und wenig Routine" sei derzeit an der Tagesordnung, wird von Kommissionsbeamten bemängelt. Verfahrensweisen, wie gut oder schlecht sie auch sein mögen, können sich erst gar nicht einspielen. Die Kommission gleicht einer ständigen Baustelle, von der aber sorgfältige und saubere Arbeit erwartet wird.
Ob das Reformprojekt der grosse Wurf ist, als der es von seinen geistigen Vätern präsentiert wird, muss sich noch erweisen - die Vorhaben sind ambitioniert und der Zeitrahmen ist eng gesteckt: bis 2002 soll der Reformprozess abgeschlossen sein.
Personalreform und Prioritäten-Setzung
Die Reform des Personalmanagements zielt auf eine weitgehende Flexibilisierung, sowohl der Besoldungsmuster als auch der Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten sowie der Personalrekrutierung.
Die bisherige in vier Kategorien geteilte Laufbahnstruktur, soll in ein einheitliches, lineares Laufbahnsystem überführt werden. Anstelle des Dienstalters sollen bei der Beförderung individuelle Leistungsmerkmale im Vordergrund stehen. Die Schaffung neuer Karrierestrukturen wird innerhalb der Kommission als das herausragendste und problematischste Projekt der Personalreform angesehen. Anspruch und grosse Chance des neuen Laufbahnsystems wäre die Freisetzung zusätzlicher Leistungspotentiale durch offenere Karrierestrukturen und verbesserte Aufstiegschancen.
Das wird von den Mitarbeitern weitgehend genauso gesehen, Gewerkschafter äussern allerdings auch Bedenken: Das veränderte Laufbahnsystem würde auch überarbeitete Stellenbeschreibungen mit sich bringen und damit die Gefahr der Einstellung neuer Beamter mit geringerem Ausbildungsniveau zu geringeren Kosten.
Das würde dem Ziel der Kommission entsprechen, die gesamte Gehaltsmasse nicht zu vergrössern, bei gleichzeitiger Gelegenheit, mehr Personal einstellen zu können.
Ein weiterer Punkt ist die Befürchtung, die offeneren Laufbahnstrukturen ermöglichten es erfahrenen Beamten nationaler Behörden - als Seiteneinsteiger - in vergleichsweise hohe Positionen zu gelangen, die europäischen Institutionen nur als Sprungbrett zu nutzen, um nach wenigen Jahren wieder in nationale Behörden zurückzukehren. Die Folge wäre eine vergleichsweise geringe Loyalität gegenüber dem europäischen Dienstherrn und mithin eine mögliche Schwächung der Kommission als Garant der europäischen Integration.
Grundsätzlich begrüsst wird von den Gewerkschaften auch das Vorhaben einer Vereinheitlichung des europäischen Beamtenstatuts und damit die Aufhebung der Trennung je nach Organ. Damit würde auch der Wechsel von Beamten innerhalb der europäische Institutionen erleichtert.
Skeptisch wird hingegen das Vorhaben betrachtet, mit der Änderung des Statuts auch die Entgeldberechnungsmethode zu verändern.
Die "Methode" ist ein Berechnungsmodus, nach dem die Besoldung der europäischen Beamten geregelt wird. Die Vereinbarung, die der öffentliche Dienst der Union erstmals Anfang der 70er Jahre mit dem Ministerrat getroffen hatte, sieht eine automatische Besoldungsanpassung aufgrund des Inflationsausgleiches, plus dem durchschnittlichen Reallohnzuwachs der Mitgliedsländer vor. Die Vereinbarung wurde auf jeweils sieben bis acht Jahre getroffen und läuft 2001 wieder aus.
Trotz unbestrittener Vorteile der "Methode", wie der Vermeidung alljährlicher Tarifauseinandersetzungen, stört vor allem die Nettozahler unter den Mitgliedstaaten der Automatismus der Vereinbarung.
Im Dezember 2001 wird es, gemäss dem Zeitplan des Weissbuches, Gesamtverhandlungen mit den Gewerkschaften über die erwähnten Punkte geben - an der "Methode" wird aber kaum zu rütteln sein.
In Zusammenhang mit den Flexibilisierungs-Bemühungen im Personalbereich ist auch die angekündigte Fokussierung auf Kern-Arbeitsbereiche der Kommission zu sehen. Alle Arbeitsbereiche, die nicht-hoheitlicher Natur sind, sollen auch an äussere Organisationen (nationale Verwaltungen, private Agenturen und Firmen) abgegeben werden können. Problematisch ist dabei die Trennung zwischen hoheitlichen und nicht-hoheitlichen Aufgaben, deren Trennschärfe nicht immer eindeutig gegeben ist.
Die Neigung der Kommision zur Externalisierung ist tendenziell gross, denn damit entfällt für sie das Eingeständnis, nicht über die notwendigen Mittel für konkrete Projekte zu verfügen. Und es ist derzeit leichter für die Kommission, Mittel für operationelle als für personelle Zwecke freizustellen.
Entsprechend dem Weissbuch soll auch in dem Bereich eine Änderung der Haushaltsordnung vorgenommen werden. Die Trennung zwischen personellen, operationellen und administrativen Ressourcen bei Vorlage des Haushalts, soll zugunsten Aktivitäten-bezogener Massnahmenbereiche aufgehoben werden.
Die massnahmenbezogene Aufbereitung des Haushalts wird dem neuen Referat "Strategische Planung und Programmierung" unterliegen. Auch damit wird nochmals die Bedeutung der Orientierung an politischen Kernbereichen unterstrichen.
Finanzreform
Die Reform von Audit und Finanzkontrolle soll einer Tendenz der letzten Jahre, des "Deresponsablelising", entgegenwirken. Die Ex-ante-Kontrollen, die zentral von der Generaldirektion (GD) Finanzkontrolle durchgeführt werden, sind nicht zielgerichtet und der Verantwortung der einzelnen Generaldirektionen entzogen.
Die derzeitige Finanzkontrolle ist sowohl für die Vorabkontrolle als auch für die nachträgliche Prüfung der finanziellen Transaktionen zuständig. Das Weissbuch sieht vor, die Funktionen zu trennen, die GD Finanzkontrolle mittelfristig komplett aufzulösen und die Kontrollen dezentral in den jeweiligen GD erfolgen zu lassen.
Die interne Kontrolle (Ex-ante-Kontrolle) würde dann innerhalb der GD selber vorgenommen und jeder Generaldirektor würde dafür auch die entsprechende Verantwortung tragen. Die interne Kontrolle wäre nach Aussage eines Mitglieds der Task-Force Reform der Kommission nicht nur eine reine Finanzkontrolle, sondern vielmehr auch Qualitätskontrolle für die Arbeitsabläufe innerhalb der GD.
Die Ex-post-Kontrolle aller Aktivitäten würde neuen Auditabteilungen übertragen werden, die jeweils in den GD einzurichten wären. Das Audit würde demnach auch dezentral für jede GD erfolgen, von einem zentralen Auditdienst, dem Internal Audit Service (IAS), betreut.
Verantwortlich für den IAS wäre zunächst der Vize-Präsident, später der Präsident.
Hier ist ein erster Kritikpunkt, vornehmlich aus den Reihen des Europäischen Parlaments, zu sehen: Die Überarbeitung der Haushaltsordnung würde mindestens eineinhalb Jahre in Anspruch nehmen - in dem Zeitraum müssten Übergangslösungen greifen.
Viele Parlamentarier, allen voran Diemuth Theato (CDU) als Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, sehen die von der Kommission geplanten Übergangslösungen als unzureichend an. Sie betont, dass es keinen "soft flow" geben dürfe, keine unbefriedigende Übergangslösung.
Der IAS als zentrale Monitoring-Instanz wäre nur akzeptabel, wenn die Verantwortung von Anfang an direkt beim Präsidenten läge.
Zudem müssten Frau Theato zufolge die zentralen Ex-ante-Kontrollen und die GD Finanzkontrolle als zentrale Kontrollinstanz bestehen bleiben. Wenn Weisungsberechtigte eine Prüfung für sinnvoll erachteten, müsse das auch von unabhängiger Stelle aus, von ausserhalb der GD möglich sein.
Auch die im Weissbuch vorgesehene Einrichtung der Position eines zweiten Stellvertretenden Generalsekretärs sieht Frau Theato eher kritisch. In der Stelle, vorgesehen für eine zentrale Prozessüberwachung der Finanzkontrolle, sieht sie lediglich eine weitere "Ausweitung von Bürokratie". Ein Vorteil wäre hingegen, dass der zweite Stellvertretende Generalsekretär nicht Teil eines ausführenden Apparates sondern "ein Entscheider" wäre, der auch mit einem kleinen Stab Systemabläufe direkt beeinflussen könnte.
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Zumindest besteht die Gefahr einer neuerlichen Zentralisierung im Generalsekretariat und somit beim Präsidenten.
Das Reformprogramm - ein Big Bang?
Der Kommissionspräsident sieht in dem vorgelegten Reformprogramm einen "Big Bang" in organisatorischer und kultureller Hinsicht. Die skizzierten Reformprojekte zeigen tatsächlich den Willen zu einer umfassenden Modernisierung und einer messbaren Effektivitätssteigerung in der 22.000 Mitarbeiter zählenden Behörde.
Ob es aber zu dem "Big Bang", zu einer wirklich umfassenden Reform kommt, hängt vor allem von den anderen Akteuren ab, dem Ministerrat, den Gewerkschaften und nicht zuletzt dem Parlament. Aber auch wenn wahrscheinlich nicht alle Reformprojekte wie im Weissbuch geplant umgesetzt werden können, so sehen Kommissionsbeamte in dem Vorhaben zumindest einen "Aufbruch zu neuen Ufern".
Die Aufbruchstimmung, allein schon die Diskussion des Reformpapiers, mag zumindest das Bewusstsein in den beteiligten Institutionen, wie auch in der Öffentlichkeit darüber schärfen, wie die Kommission künftig aussehen soll und wie ihre Arbeit effektiv und transparent gestaltet werden kann.