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Europa: Tony Blairs Dilemma

von Dr. Bernhard Lamers
Während die als private Meinung geäußerten europapolitischen Visionen von Außenminister Fischer noch mit Zurückhaltung aufgenommen werden konnten, bringt die Rede von Staatspräsident Chirac vor dem Deutschen Bundestag die britische Regierung und Großbritannien insgesamt in Zugzwang.

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Europa - Tony Blairs Dilemma

Im In- und Ausland wiederholte Bekundungen, prinzipiell für einen Eurobeitritt Großbritanniens zu sein und in Europa eine gewichtige Rolle spielen zu wollen, haben sich abgenutzt und verlangen nach politischer Entscheidung und Führung. Hinweise aus der Wirtschaft über negative Auswirkungen des hohen Pfundkurses und durch die unklare und zögerliche Haltung der Regierung zum Euro tun ein Übriges.

Auch wenn in Kommentaren zu Einzelheiten und den Unterschieden in den beiden visionären Grundsatzreden Stellung bezogen wird, geht es letztendlich immer wieder um die Frage des Euro und eines Zweiklasseneuropas mit Großbritannien in der zweiten Liga. In der Eurofrage sieht sich Blair Umfrageergebnissen gegenüber, die eine hohe Ablehnung zeigen: 70 Prozent der Briten wollen ihr Pfund Sterling behalten.

In der Grundsatzfrage, mehr Flexibilität zuzulassen, fordern die oppositionellen Tories noch mehr Flexibilität als im Amsterdam-Vertrag vorgesehen ist. Ein Veto gegen die Einführung von flexibler Kooperation läßt Tony Blair als Verhinderer einer Weiterentwicklung erscheinen.

Die Akzeptanz der Avantgarde-Idee wird Großbritannien zwangsläufig zumindest vorübergehend zweitklassig werden lassen. Weder in der Frage der Reduktion der Parlamentssouveränität – etwa bei Einführung von Mehrheitsentscheidungen – noch in der Akzeptanz von Rechtsnormen mit europäischem Verfassungsrang ist der politische Gestaltungsspielraum groß oder überhaupt gegeben.

Da der Euro immer noch das zentrale Thema ist und Großbritannien ohne den Beitritt zur Währungsunion in Europa neben Deutschland und Frankreich eine gleichgewichtige Rolle nicht wird spielen können, ist es reizvoll, unterschiedliche Szenarien aufzuzeigen.

Szenario 1

In vorgezogenen Neuwahlen erreicht die Labour Party ein ähnlich gutes Ergebnis wie 1997. Auf der Woge einer derartigen Zustimmung ist dann mit einem baldigen Referendum zu rechnen mit einer guten Wahrscheinlichkeit, eine Mehrheit für den Beitritt zur Währungsunion zu gewinnen.

Da wegen einer Vielzahl ungelöster Probleme im Gesundheitssystem, im Bildungswesen, bei der inneren Sicherheit und bei der Einwanderung die Unzufriedenheit in der Bevölkerung zunimmt, gleichzeitig die Konservative Partei an Kompetenz gewinnt, ist ein solches Szenario sehr unwahrscheinlich.

Szenario 2

Die Abnutzungserscheinung der Blair-Regierung setzt sich fort und es kommt bereits im nächsten Jahr zu einem Regierungswechsel. Da die Tories mit dem Versprechen antreten werden, zumindest in der nächsten Legislaturperiode das Pfund nicht aufzugeben, wäre damit der Beitritt zum Euro für weitere fünf Jahre zuzüglich der – bei Meinungsumschwung – anfallenden Übergangsphase von mindestens drei weiteren Jahren ausgeschlossen. Auch dieses Szenario ist sehr unwahrscheinlich.

Szenario 3

Die vorgezogenen Neuwahlen führen zu einem Verlust für die Regierungspartei von etwa 50 Sitzen. Damit wäre die Mehrheit auf - immer noch komfortable - ca. 80 Sitze reduziert. Aufgrund des Wahlversprechens, innerhalb eines Jahres nach den Wahlen ein Referendum anzuberaumen, wird es zu einem solchen Volksentscheid kommen.

Da dieses Szenario am wahrscheinlichsten ist, stellt sich die Frage nach dem vermeintlichen Ausgang. Neben der emotionalen Bindung an das Pfund, der Entwicklung des Euro und der Volkswirtschaften im Euro-Europa, dem zu erwartenden zunehmenden Druck aus Teilen der Wirtschaft und Gewerkschaftskreisen, einer weitgehend nur Politiker und Intellektuelle interessierende Debatte über Souveränitätsverluste des Parlaments, den Medien, die je eher auf die Regierungslinie einschwenken dürften, desto überzeugender Blairs Führungsrolle sein wird, ist die aktuelle Europadebatte über die Zukunft Europas von Bedeutung.

Angesichts ungelöster und offener Fragen zur Erweiterung der EU und Reform bzw. Konsolidierung des Bestehenden, beides besondere Anliegen von Tony Blair, spielt die Debatte um die Vorschläge Fischers und Chiracs den Gegnern eines Eurobeitritt in die Arme und riskiert die politische Zukunft von Blair, der wohl bei einer Niederlage im Referendum Gordon Brown über kurz oder lang Platz machen müßte. Damit wäre gleichzeitig auch ein Europa mit engagierter britischer Präsenz und Beteiligung für einige Zeit auf Eis gelegt.

Im Vorgriff auf die Chirac-Rede äußert sich Quentin Peel in der Financial Times im Tenor ähnlich: "Etwas Eigenartiges geschieht in der Europäischen Union. Die Konsequenzen sind nicht vorhersehbar. Sie könnten sogar kontraproduktiv sein."

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