Länderberichte
1. Gegenwärtige Situation
Seit 1999, besonders aber seit September 2002, befindet sich die Côte d’Ivoire in einer politisch und sozial instabilen Situation, die seitdem mehrfach zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt hat. Der Konflikt ist so gravierend, dass selbst die Existenz dieses bisherigen Vorzeigestaates in Frage steht. Aufgrund der Größe des Landes und der wirtschaftlichen Sonderstellung würde ein Auseinan-derfallen in zwei Staaten und einem darauf unvermeidlich folgenden langwierigen Bürgerkrieg katastrophale Auswirkungen auf die Stabilität der gesamten Region haben. Aber bereits jetzt sind die direk-ten Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso, die für ihre Versorgung vom Seehafen Abidjan abhängig sind, betroffen. Außerdem hatten beiden Staaten, aber darüber hinaus auch Länder wie Niger und Ghana, bereits größere Flüchtlingsströme zu integrieren, da die Elfenbeinküste für die Nachbarländer für viele Jahre ein Arbeitsplatzeldorado darstellte.
Seit dem 4. November 2004 hat sich die Lage ein zweites Mal nach dem 19.09.2002, als für kurze Zeit im Gefolge eines Putschversuches von Armeeangehörigen aus dem Norden und dem Marsch von Ver-bänden auf die Hauptstadt Abidjan Bürgerkriegsverhältnisse herrschten, zu einer unübersehbaren Krise verschlechtert. Im September 2002 war durch das robuste Einschreiten französischen Militärs (3.000-Mann Kontingent) der Vormarsch der Rebellen beendet worden; seitdem ist das Land faktisch in einen von den Rebellen kontrollierten Nord- und von der legitimen Regierung Gbagbo beherrschten Südteil gespalten. Jetzt griff die ivorische Luftwaffe mit Kampfjets mehrere Stellungen der Rebellen (Forces Nouvelles) im Nordteil des Landes an. Diese Militäraktionen wurden sowohl von der französischen Regierung als auch von der UNO verurteilt und die Regierung Gbagbo wurde aufgerufen, die Kampfhandlungen einzustellen. Die ivorische Regierung hatte die Angriffe mit der Weigerung der Rebellen, die in Accra III vorgesehene Entwaffnung vorzunehmen, begründet.
Am darauffolgenden Samstag (06.11.2004) griffen die Kampfjets der ivorischen Luftwaffe dann einen französischen Militärstützpunkt nahe der Stadt Bouaké, der zweitgrößten Stadt der Elfenbeinküste und gleichzeitig „Hauptstadt“ des Nordens, an und töteten 9 französische Soldaten und einen amerikani-schen Zivilisten. Das französische inzwischen ca. 4.000 Mann starke Militärkontingent agiert inzwischen im Rahmen einer UN-Friedensmission. Die Regierung Gbagbo versichert, der Angriff sei unabsichtlich erfolgt, auf Anordnung des französischen Präsidenten Chirac wurde dennoch die kleine ivorische Luftwaffe einschließlich des Präsidentenjets „neutralisiert“, also vernichtet. Gleichzeitig brachte französisches Militär den internationalen Flughafen von Abidjan, benannt nach dem Staatsgründer Felix Houphouet, unter ihre Kontrolle.
Nach der Zerstörung der Luftwaffe begannen in Abidjan gewaltsame Ausschreitungen durch die „jungen Patrioten“ (Anhänger von Präsident Gbagbo) gegen westliche Zivilisten, wobei nicht mehr zwischen französischen und Bürgern anderer westlicher Länder unterschieden wurde. Die aufgebrachte Menge brannte u.a. eine französische Schule nieder und richtete ihren Zorn gegen Geschäfte ausländi-scher Eigentümer, i.d.R. französische, aber auch libanesische. Ebenso wurden Militäreinrichtungen der UNO angegriffen und beschädigt. Zuvor waren die Parteizentralen mehrerer oppositioneller politischer Parteien (PDCI, RDR) zerstört worden, ebenso wie die Verlagshäuser der oppositionellen, privaten Presse.
Die französischen Streitkräfte setzten Schockgranaten und Warnschüsse ein, um die Menge unter Kon-trolle zu halten. Bei den Zusammenstössen wurden zahlreiche Menschen getötet, die Rede ist von mehr als 30 Toten und mehreren Tausend Verletzten.
In den regierungskontrollierten Radio- und Fernsehstationen wurde zudem öffentlich zum Kampf gegen die „französischen Besatzer“ aufgerufen. Unter anderem hat der radikale Parlamentspräsident Mamadou Coulibaly der französischen Regierung vorgeworfen, seit Ausbruch der Krise die Rebellen zu unterstützen (obwohl das französische Eingreifen im September 2002 einen Vormarsch – und damit die gewaltsame Absetzung der Regierung Gbagbo – verhindert hatte).
Seit Sonntag, den 07.11.2004 ist laut der französischen Verteidigungsministerin Alliot-Marie die „Situation zwar angespannt, aber unter Kontrolle“. Polizisten sind in Abidjan unterwegs, um Plünderungen zu verhindern und das französische Militär hält wichtige logistische Punkte besetzt. Der Präsident Frankreichs macht Gbagbo persönlich für die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung verantwort-lich.
Die gewaltsamen Ausschreitungen gegen westliche Bürger haben neben der französischen Regierung auch die deutsche und britische Regierung dazu veranlasst, ihren Staatsbürgern durch die Bereitstellung von Evakuierungsflugzeugen die Ausreise zu ermöglichen. So sind bis zum 14. 11. 2004 u.a. ca. 50 Deutsche, Schweizer und Österreicher von einem Airbus der Bundesluftwaffe evakuiert worden, England hat ca. 400 britische Staatsbürger nach Ghana ausgeflogen. Bei den bisher evakuierten französischen Staatsbürgern schwankt die Zahl zwischen 2.000 und 4.000. Insbesondere Fälle von Vergewaltigung und eskalierender Gewalt veranlassen immer mehr Franzosen – für die die Côte d’Ivoire nicht nur die wirtschaftliche Grundlage darstellt, sondern die auch ihre Heimat ist – dazu, über eine Ausreise nachzudenken. Präsident Gbagbo, der an dieser Situation nicht gerade unschuldig ist, hat inzwischen die fatalen Folgen für die ivorische Wirtschaft erkannt und die Franzosen aufgefordert, das Land nicht zu verlassen, er bürge für ihre Sicherheit.
Mit der Verstärkung der französischen Truppen demonstriert Frankreich, dass es seine Interessen in dem Land weiterhin durchzusetzen gewillt ist. Dort findet sich zwar kein Erdöl, die Elfenbeinküste gilt aber als einer der weltweit größten Produzenten und Exporteuren von Kaffee, Kakao und Palmöl. Ne-ben diesen wirtschaftlichen Interessen spielen sowohl historische Gründe als auch strategische Überlegungen eine Rolle. In der Côte d’Ivoire, die lange als Modell eines erfolgreichen, scheinbar unabhängigen afrikanischen Staates galt, leben (bzw. lebten) 15.000 bis 20.000 Franzosen, die nicht nur wichtige wirtschaftliche Akteure darstellen, sondern als Garant französischer Wirtschaftsinteressen auftreten. Letzteres vor allem in Form von Beratern in den Regierungsministerien. Politische Analysten wei-sen daher auch darauf hin, dass in der Côte d’Ivoire der Entkolonialisierungsprozess noch bevorstehe bzw. jetzt im Gange sei und dieser immer gewaltsam ablaufe. Sie verweisen auf das Beispiel Algeriens, das General de Gaulle zu der Erkenntnis veranlasst hatte, dass vor der Dekolonisierung die Abreise (der Kolonialherren) komme. In der politischen Praxis hat sich weder der General noch seine Nachfolger an diese Erkenntnis gehalten. Im Gegenteil!
Die Situation in der Côte d’Ivoire ist allerdings weitaus komplexer, als dass sie sich mit dieser simplen Formel umschreiben ließe. Im Folgenden soll daher der Kontext kurz umrissen werden. Für eine umfassendere Analyse wird an dieser Stelle allerdings auf eine Internetressource verwiesen, und zwar einem Artikel der deutschsprachigen Oktober 2004-Ausgabe der renommierten französischen Monatszeitschrift „Le Monde Diplomatique“:
http://www.monde-diplomatique.de/pm/2004/09/10/a0058.text. name,asktN0sUf.n,1
Abschließend soll noch auf einen erneuten Vermittlungsversuch der Afrikanischen Union (AU) hingewiesen werden, die den südafrikanischen Staatspräsidenten Mbeki direkt nach der Bombardierung nach Abidjan geschickt hatte. Dieser verkündete anl. einer Pressekonferenz tatsächlich, er sei sehr glücklich, dass ihm Staatspräsident Gbagbo versichert habe, jetzt alle vorher getroffenen Vereinbarungen, vor allem das Accra III Abkommen, umsetzen zu wollen! Anschließend lud er die Konfliktpartei-en einzeln zu Vermittlungsgesprächen nach Kapstadt ein.
2. Kontext
Das ethnisch-regionale Auseinanderbrechen der einstigen Insel der Stabilität in Westafrika setzte bereits mit dem Tod des „Vaters der Nation“ Houphouet-Boigny (1960-1993) ein. Bei aller Zweifelhaf-tigkeit seiner Politik hat er es vermocht, durch die intensive Anwerbung von Ausländern aus Burkina Faso, Mali, Ghana und Togo den einstigen Wohlstand des Landes zu sichern. Um die innere Stabilität des Landes abzusichern, besiegelte er eine strategische Allianz zwischen dem mehrheitlich christlich bestimmten Süden und dem mehrheitlich muslimischen Norden, sprach Ausländern sogar das Wahlrecht zu und etablierte zur Sicherstellung des Status quo ein ausgeklügeltes System der Machtverteilung zwischen den Baoulé im Süden und den Dioula im Norden. Posten und öffentliche Ämter wurden nach einem subtilen System, das sich am regional-ethnischen Gleichgewicht orientierte, vergeben. Nationalität orientierte sich am nationalen Bekenntnis und an der Nützlichkeit, nicht an der Geburtsurkunde.
Houphouet-Boignys Nachfolger als Staats- und Parteichef (Parti démocratique de Côte d'Ivoire, PDCI), Henri Konan Bedié, brach – um der Machterhaltung im neuen Mehrparteiensystem willen – mit diesem Erbe und nutzte die latent vorhandenen ethnischen Spannungen, um den Hauptwidersacher Alassane Dramane Ouattarra aus dem Norden als Konkurrent auszuschließen und seiner Ethnie, den Baoulé, die Macht zu sichern. Bedié bezog sich bei der Ausschließung des Kandidaten Alassane Dramane Ouattarra, dem Vorsitzenden der größten ivorischen Oppositionspartei RDR (Rassemblement Démocratique Républicain) auf eine umstrittene Wählbarkeitsklausel (die so genannte Ivoirité-Klausel) in der Verfassung (Art. 35 Abs.3).
Ivoirisierung bedeutete von nun an eine stärkere Stellung der Baoulé. General Robert Guéï, der Weihnachten 1999 mit einem Putsch die Macht übernahm, war angetreten, um die „Enttabuisierung“ des Landes einzuleiten, hat aber im Gegensatz dazu die ethnischen Auseinandersetzungen nur noch ver-schärft. Er stellte eine so genannte Übergangsregierung auf und versicherte der Bevölkerung die Durchführung demokratischer Wahlen.
Am 7. Oktober 2000 veröffentlichte der Oberste Gerichtshof die Liste der Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen. Alassane Dramane Ouattarra wurde wiederum von den Wahlen ausgeschlossen – obwohl er, ein erfolgreicher Weltbank- und IMF-Funktionär, unter Houphouet bereits Premierminister gewesen war. Bei den durchgeführten Wahlen wurde der langjährige Oppositionelle und Sozialisten-chef Laurent Gbagbo (Front Popular d'Ivoire, FPI) zum Präsidenten gewählt. Dieser wusste die Identitätsfrage zu nutzen und setzte die Politik seiner Vorgänger fort, mit dem einen Unterschied, dass er nun seiner Ethnie, den Bété, den Vorzug gab und die gesamte Gendarmerie und Polizei des Landes durch Rekrutierung des Nachwuchses unter den Bété tribalisierte, ganz abgesehen von den „Jeunes patriotes“, die, teilweise unter der Führung seiner Ehefrau, Druck auf die Straße ausübten.
Hatte die Cote d’Ivoire mit der Durchführung des nationalen Versöhnungsforums Ende 2001 und der noch im August 2002 vollzogenen Gründung einer Regierung der nationalen Einheit alle Hoffnungen auf eine politische und wirtschaftliche Stabilisierung genährt, so traten mit den Ereignissen seit dem 19. September 2002, als Rebellentruppen im Norden zum Kampf gegen die Regierung Gbagbo aufriefen und durch die Besetzung fast der Hälfte des Landes die Republik spalteten, die fast vergessen geglaubten politischen und ethnisch-sozialen Fragmentierungen zwischen Norden und Süden sowie mehrheitlich christlich und mehrheitlich muslimisch geprägten Landesteilen offen zutage.
Trotz der angeforderten „logistischen Hilfe“ der ivorischen Regierung an Frankreich (Frankreich und die Côte d’Ivoire haben seit 1962 einen bilateralen Verteidigungspakt), wurden nur einige hundert französische Soldaten entsandt, um die Sicherheit der vor Ort lebenden Franzosen zu sichern. Die französische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie gab als Begründung an, dass es sich um einen innerstaatlichen Konflikt handelt.
Im Rahmen einer UN-Mission wurde eine Pufferzone zwischen den verfeindeten Landesteilen errichtet, an der 6.000 UN-Soldaten und 4.000 französische Soldaten beteiligt sind.
Darauf folgende Friedensgespräche, wie zum Beispiel in Lomé am 10.November 2002 initiiert von der CEDEAO (Communauté économique d´Etats d’Afrique de l’Ouest) zwischen einer Regierungsdelega-tion und Mitgliedern des politischen Arms der Rebellenbewegung Mouvement Patriotique de Côte d’Ivoire (MPCI) scheiterten an dem nichtvorhandenen Willen der Konfliktparteien, da jeder an diesem Konflikt profitiert.
Auch das von der französischen Regierung initiierte Abkommen von Marcoussis (einem Vorort von Paris) im Januar 2003 konnte nie umgesetzt werden. So wurde beispielsweise die beschlossene Entwaffnung der Rebellen, die im Folgeabkommen in Accra (Accra III) auf den 15. Oktober 2004 zeitlich präzisiert wurde, von den Forces Nouvelles verweigert.
3. Anhang
Übersicht „Marcoussis-Abkommen“
In dem „Marcoussis-Abkommen“ hatten sich die politischen Parteien der Cote d´Ivoire sowie die drei Rebellenbewegungen , die politisch als Forces Nouvelles agieren, auf eine Erklärung, die an der Legitimität der derzeitigen Präsidentschaft Laurent Gbagbos festhielt mit der Vorgabe, allgemeine Neuwahlen in 2005 durchzuführen, geeinigt. Für die Übergangszeit sollte eine Regierung der nationalen Einheit unter Führung des nominierten Premierministers Seydou Diarra sowie unter Beteiligung der Rebellen gebildet werden. Darüber hinaus wurde die Regelung der folgende 9 Punkte vereinbart:
- Entwaffnung der Rebellen;
- Reform des Sicherheitssektors (d.h. teilweise Integration der Rebellenverbände in die reguläre Armee);
- Amnestie (der Vergehen im Rahmen der Rebellion); *Bekämpfung der Menschenrechtsverletzungen; *Unterbindung öffentlicher Hetzkampagnen und Aufrufe zu Gewalt;
- Vorbereitung und Überwachung von allgemeinen Wahlen in 2005;
- Beendigung der Abgrenzungspolitik in Sachen Staatsbürgerschaft und Ausländer (u.a. Streichung der „Ivorité-Klausel“); *Regelung der Landbesitzverhältnisse sowie
- Regelung des aktiven und passiven Wahlrechts.
- Wesentliche Inhalte des Abkommens im Anhang.
- „Patriotische Bewegung der Côte d´Ivoire“ (Mouvement patriotique de Côte d´Ivoire, MPCI) später kamen hinzu: „Ivorische Volks-bewegung des Fernen Westens“ (Mouvement populaire ivoirien du grand ouest, MIPGO), und „Bewegung für Gerechtigkeit und Frieden“ (Mouvement pour la justice et la paix, MJP).