Was bisher geschah
Seit dem demokratischen Umbruch 1990 verfügte die Mongolei nahezu durchgehend über ein reines Mehrheitswahlsystem, das bei der Wahl 1992 zum ersten Mal Anwendung fand. Nach der Protestwahl 2008 und den darauffolgenden Unruhen im Land, bei denen fünf Menschen umkamen, führte die Mongolei bei der Parlamentswahl 2012 ein Grabenwahlsystem ein. 28 der 76 Abgeordneten zogen über Parteilisten in das Parlament ein, die restlichen Parlamentarier wurden direkt gewählt. Der Änderung des Wahlrechts ist eine Entscheidung des Verfassungsgerichts vorausgegangen, die die Einführung eines Grabenwahlsystems ausdrücklich erlaubte.[1] Das Resultat war ein Machtwechsel zu Gunsten der bis dahin nahezu durchgehend oppositionellen Demokratischen Partei (DP). Bereits bei der nächsten Wahl 2016 wurde wieder ein reines Mehrheitswahlsystem eingeführt. Auch diese Änderung basierte auf einer Entscheidung des Verfassungsgerichts, das ein Grabenwahlsystem als nicht mit der mongolischen Verfassung vereinbar bezeichnete.[2]
2022 entschied das Verfassungsgericht, dass die mongolische Verfassung eigentliche keine Aussage über die genaue Ausgestaltung des Wahlsystems enthalte.[3] Damit wurde die Möglichkeit eröffnet, das Wahlsystem abermals zu ändern. Am 31. Mai 2023 passte die Mongolei zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres und zum dritten Mal seit 2019 ihre Verfassung an. 2019 beschränkte das von der Mongolischen Volkspartei (MVP) dominierte Parlament die Anzahl der Amtszeiten des Präsidenten auf eine Wahlperiode. Die Position des Premierministers gegenüber dem Präsidenten wurde gestärkt. Das präsidiale Vetorecht bei der Benennung der Minister wurde entzogen. Gleichzeitig sollte die Trennung zwischen der Exekutive und Legislative geschärft werden. Die Anzahl der Regierungsmitglieder, die aus den Reihen der Parlamentarier rekrutiert werden durften, wurde verfassungsrechtlich auf vier Personen begrenzt. Der letzte Punkt wurde vom Verfassungsgericht 2022 wieder kassiert. Laut aktuellem Stand dürfen alle Minister gleichzeitig Parlamentarier sein. Kein Jahr später folgen nun weitere Anpassungen des mongolischen politischen Systems. Durch ihre Festschreibung in die Verfassung sollen die jetzigen Änderungen unumkehrbar oder zumindest nur schwer rückgängig gemacht werden.
Das Parlament wächst
Einer der zentralen Punkte der jüngst beschlossenen Reform ist die Vergrößerung des Parlaments um mehr als 65 Prozent von 76 auf insgesamt 126 Sitze. Ursprünglich war eine Verdopplung des Parlaments auf 152 Sitze anvisiert. Dass die Zahl der Sitze am Ende auf 126 festgesetzt wurde, ist dem Widerspruch der mongolischen Bevölkerung gegen jegliche Vergrößerung des Parlaments geschuldet. Gerade die oppositionelle Demokratische Partei (DP) hat sich für eine moderatere Erhöhung der Parlamentarierzahl stark gemacht. Dadurch scheint sich die Partei der öffentlichen Kritik an der äußert unpopulären Entscheidung entziehen oder diese zumindest minimieren zu wollen.
Die Vergrößerung des Großen Staatskhurals wird mit der vermeintlich eingeschränkten Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Parlaments begründet.[4] Jeder Abgeordnete gehört aktuell im Durchschnitt drei Ausschüssen an. Darüber hinaus verantworten die direkt gewählten Abgeordneten die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung ihres Wahlkreises. Dies führt zu einer Überlastung der Abgeordneten. Sie schaffen es verständlicherweise kaum, sich in angemessener Zeit und Weise mit Gesetzesvorhaben zu beschäftigen. Die geringe Anzahl an Ausschussmitgliedern von durchschnittlich elf Abgeordneten hat zur Folge, dass die Mehrheiten im Ausschuss leicht organisiert bzw. beschafft werden können. Beide Aspekte führen dazu, dass insbesondere die Qualität der Gesetze nicht selten als unzureichend angesehen wird. Viele notwendige Gesetzesvorhaben werden erst gar nicht beraten bzw. beschlossen.
Ein weiteres Argument für die Vergrößerung des Parlaments ist die Stärkung der Legislative gegenüber der Exekutive. Das Machtverhältnis wurde zuletzt zu Gunsten der Regierung verschoben, als alle Minister aus den Reihen der Abgeordneten rekrutiert werden durften. Bei 20 Ministerien, von denen fast alle durch Parlamentarier geführt werden, gehört nahezu ein Viertel der Abgeordneten der Regierung an.
Die Geschäftsführerin des Düsseldorfer Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung, Dr. Heike Merten, unterzog die mongolischen Reformvorhaben einer (verfassungs-)rechtlichen Einordnung unter dem Gesichtspunkt demokratierelevanter Überlegungen. Hinsichtlich der zum damaligen Zeitpunkt vorgesehenen Verdopplung der Sitze stellte sie fest, dass diese „einen Beitrag dazu leisten (können), die Repräsentationsfähigkeit des Parlamentes zu erhöhen, das Arbeitsaufkommen der Parlamentarier zu reduzieren und die effektive Kontrolle der Regierung durch das Parlament sicherzustellen.“[5]
Ein weiteres, inoffizielles, jedoch von einigen Abgeordneten ins Feld geführtes Argument ist die Korruptionsbekämpfung bzw. -prävention. Ein größeres Parlament sei schwerer zu manipulieren bzw. nur sehr teuer „zu kaufen“. Damit würde der mögliche unerwünschte Einfluss durch Lobbyisten oder ausländische Akteure sinken.
Grabenwahlsystem als Allzweckmittel
Das reine Mehrheitswahlrecht wurde durch ein Grabenwahlsystem mit Elementen einer Verhältniswahl ersetzt. Dieses sieht vor, dass 78 Parlamentarier direkt und weitere 48 über landesweite geschlossene Parteilisten gewählt werden. Die zwei zusätzlichen direkt gewählten Abgeordneten werden auf zwei Wahlkreise in Ulaanbaatar verteilt.
Das Grabenwahlsystem soll gleich mehrere Defizite beseitigen. Die direkt gewählten Abgeordneten sind oft mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden sich zu sehr auf die Wahlkreise konzentrieren und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Landes vernachlässigen. Darüber hinaus sind die Provinzen gegenüber der Hauptstadt überrepräsentiert. Obwohl etwa die Hälfte der mongolischen Bevölkerung in Ulaanbaatar lebt, wird diese gerade einmal von ca. 35 Prozent der Parlamentarier vertreten. Dies macht sich insbesondere in den Haushaltsberatungen deutlich. Die Provinzen werden bei der Mittelzuteilung erkennbar bevorzugt. Die Probleme der Hauptstadt wie Verkehrsbelastung, Luftverschmutzung, veraltete Energieinfrastruktur oder fehlende soziale Einrichtungen häufen sich. Projekte von nationaler Tragweite wie der Bau neuer Eisenbahnverbindungen, Straßen und Wasserkraftwerke kommen aufgrund mangelnder Finanzierung kaum voran. Mit der Einführung des Verhältniselementes ist die Hoffnung verbunden, dass die über Parteilisten gewählte Abgeordnete das übergeordnete Wohl des Landes besser im Blick haben könnten.
Als ein weiteres Defizit gilt in weiten Bevölkerungsteilen die Tatsache, dass aufgrund des Mehrheitswahlsystems nur wenige Parteien im Parlament vertreten sind; derzeit sind es drei. Die aktuelle Sitzverteilung ist nicht repräsentativ für die tatsächliche Stimmverteilung. So stellt die regierende MVP über 80 Prozent aller Parlamentarier, obwohl die Partei weniger als 50 Prozent der Gesamtstimmen bei der Parlamentswahl 2020 auf sich vereinigen konnte. Forschern zur Folge könnte das Grabenwahlsystem dazu führen, dass bis zu fünf Parteien nach der nächsten Wahl in das Abgeordnetenhaus einziehen könnten. Damit geht nicht nur die Hoffnung einher, dass die bislang „verlorenen“ Stimmen im Parlament vertreten sein werden und damit die Integrationsfunktion der Wahlen gestärkt wird. Darüber hinaus soll die Fragmentierung des Parlaments die de facto Einparteienherrschaft brechen und durch Koalitionen mehr Konsens im Parlament erzwingen. Die Entscheidungen sollen dadurch besser abgewogen und ihre Qualität verbessert werden.
Hinter der vorgehaltenen Hand wird noch ein außenpolitisches Argument ins Feld geführt. Ein diversifiziertes Abgeordnetenhaus würde den Druck der beiden autoritären Nachbarn China und Russland auf die regierende MVP reduzieren. Laut mongolischer Verfassung liegt die außenpolitische Richtungskompetenz beim Parlament. Damit wäre die Verantwortung für mögliche kritische Entscheidungen auf mehrere Schultern verteilt.
Eingeschränkte Wahlfreiheit und begrenzter Wahlkampf[6]
Die nach der Verfassungsreform notwendige Änderung des Wahlgesetzes folgte auf dem Fuße. Bereits am 16. Juni 2023 beschlossen die Abgeordneten neben der erwarteten Vergrößerung des Parlaments und der Einführung des Grabenwahlsystems einige weitere tiefgreifende Anpassungen.
Eine wichtige Änderung ist die Erhöhung der Geschlechterquote für die Kandidaten von 20 auf 30 Prozent. Die Partei- oder Koalitionslisten müssen paritätisch und abwechselnd mit unterschiedlichen Geschlechtern besetzt werden. Die Entscheidung, über die im Vorfeld durch unterschiedliche Frauengruppen stark lobbyierte Quote von 40 Prozent, wurde auf die kommende Wahlperiode vertagt. Die gesellschaftliche Debatte um die Erhöhung einer Quote war wenig kontrovers. Eine Einschränkung der Wahlfreiheit, wie sie in Deutschland als ein Gegenargument zu der Geschlechterquote aufgeführt wird, wurde nicht thematisiert. Die realen Vorteile einer Quote wie die bessere Repräsentation von Frauen im Parlament und die vermeintlichen Vorzüge wie die geringere Anfälligkeit von Frauen gegenüber Korruption dominierten die Debatte.
Kritiker der Quote im Allgemeinen und der vorliegenden Lösung im Speziellen deuten darauf hin, dass nach der paritätischen Besetzung der Liste nur noch 14 von insgesamt 78 Direktkandidaten mit einem anderen Geschlecht besetzt werden müssen. Aufgrund der besonderen Bedeutung, die in der Mongolei einer direkten Wahl und damit einer unmittelbaren Legitimierung zugemessen wird, wird befürchtet, dass gerade die weiblichen Kandidaten bzw. Abgeordneten gegenüber ihren Kollegen schlechter dargestellt werden könnten. Es kommt hinzu, dass direkt gewählte Parlamentarier über zusätzliche Ressourcen verfügen, indem sie bestimmte Budgetmittel de facto unmittelbar für bevorzugte Projekte einsetzen können.
Eine weitere wesentliche Änderung des Wahlgesetzes betrifft das Verbot vom faktischen Verkauf der Kandidaturen. Bisher mussten Interessenten sich im Vorfeld der Nominierungen finanziell engagieren, um kandidieren zu dürfen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Rechtsnorm tatsächlich eingehalten wird. Es kann jedoch bereits jetzt festgestellt werden, dass die Regelung erhebliche Auswirkungen auf die Wahlkampffinanzierung haben dürfte.
In dem Bestreben, die in letzten Jahren ausufernden Wahlkampfkosten zu begrenzen, wurden zudem gleich mehrere Regelungen getroffen, die weitreichend in den Wahlkampf eingreifen. Die zulässige Anzahl von Wahlplakaten wurde um 70 Prozent reduziert, zusätzlich soll nur ein Plakattyp für alle Kandidaten einer Partei verwendet werden dürfen. Die Anzahl an Wahlhelfern und die Höhe ihrer Entschädigung wurden verringert. Bislang durfte ein Kandidat einen Wahlhelfer pro 200 Stimmberechtigten bezahlen. Die Kosten für Werbung im Internet dürfen 15 Prozent der Gesamtkosten nicht übersteigen. Die Dauer der Wahlkampagne wurde von 21 auf 18 Tage reduziert. Ob damit die erhoffte Kostenreduzierung von mindestens 40 Prozent gegenüber der Parlamentswahl 2020 erreicht werden kann, bleibt abzuwarten. Insbesondere der letzte Punkt könnte in dem am dünnsten besiedelten Land der Welt zu einer Benachteiligung der Landbevölkerung, aber auch von wenig bekannten und unabhängigen Kandidaten führen.
Ein weiterer Aspekt hat einen immensen Einfluss auf den mongolischen Wahlkampf und seine Fairness. Die Größe der Wahlkreise sowie deren Zuschnitt sollen erst einige Monate vor der Wahl bekannt gegeben werden. Dieser Punkt könnte sich als besonders kritisch für die Opposition erweisen. Die Frage, ob wie bisher in einer Provinz die Kandidaten mit den besten Ergebnissen in das Parlament einziehen oder ob jede Provinz in mehrere Wahlkreise unterteilt wird, ist von großer Bedeutung. Die Kandidatenkür bzw. die Zuteilung der Wahlkreise sowie die notwendige kurzfristige Anpassung der Wahlkampagnen könnten eine hohe Herausforderung gerade für neue und kleinere Parteien darstellen. Darüber hinaus deuten einige mongolische Wahlexperten darauf hin, dass sich kleinere Wahlkreise mit nur einem zu wählenden Abgeordneten Parlamentariern der Regierungspartei aufgrund ihres Amtsbonus einen unlauteren Vorteil verschaffen könnten.[7]
Gleichwohl wird versucht, Wahlfälschung entgegenzuwirken bzw. diese zu erschweren. So wird eine Wählermarkierung mit Hilfe von Tinte vorgesehen. Damit sollen „Karusselle“ unterbunden werden, ein aus Russland übernommener Begriff für organisierten Wählertransport von Wahllokal zu Wahllokal zwecks mehrfacher Stimmabgabe. Es bleibt zu hoffen, dass die verwendete Tinte immer wischfest sein und die Markierung nicht wohlwollend übersehen wird.
Eine interessante Regelung betrifft das Verbot von Versprechen nicht realisierbarer Sozialleistungen, die nicht im Staatshaushalt vorgesehen sind. Es wird aus dem Gesetz nicht klar, ob die Einführung neuer Transferzahlungen im Falle eines Wahlsieges oder die Leistungserhöhung durch eine Umschichtung im Haushalt ebenfalls unter das Verbot fallen. Dieser Logik folgend könnten falsche und unrealistische Wahlversprechen einfach in Gänze verboten werden.
Weitere erwähnenswerte Änderungen im Wahlgesetz sind die Einführung einer Vier-Prozent-Hürde für Parteien und einer Fünf- bzw. Sieben-Prozent-Hürde für Wahlkoalitionen und die Wahlbeteiligung von im Ausland lebenden Mongolen. Insbesondere der letzte Punkt könnte einigen bisherigen Randparteien zusätzliche Stimmen verschaffen.
Stärkere Institutionalisierung von Parteien[8]
Das am 7. Juli 2023 verabschiedete Parteiengesetzt soll die Parteien stärken und ihre Institutionalisierung fördern. Dazu wird die staatliche Parteienfinanzierung merklich erhöht und die private Finanzierung begrenzt. Zudem wurden mehrere Vorschriften zur Verwendung von Staatsgeldern erlassen. Es wird eine strikte finanzielle Kontrolle der Parteien vorgesehen.
Eine geschlechtsspezifische Quote findet sich auch im Parteiengesetz. So sollen 40 Prozent der Repräsentations-, Führungs- und Kontrollgremien darüber besetzt werden. Eine staatliche Kommission zur Sicherung der Geschlechtergerechtigkeit soll darüber wachen und bei Bedarf Maßnahmen ergreifen.
Die staatliche Finanzierung steht im Fokus des Gesetzes. Durch deren Ausweitung sollen die Parteien unabhängiger und der Einfluss vermögender Personen reduziert werden. Alle Parteien, die bei landesweiten Wahlen mehr als ein Prozent der Wählerstimmen bekommen haben, haben Anspruch auf die Förderung, die sich nach der folgenden Formel berechnet: 0,5 Prozent des Mindestlohnes[9] * Anzahl der erhaltenen Stimmen + das 25-fache des Mindestlohnes * Anzahl der gewählten Abgeordneten. Für gewählte weibliche Kandidatinnen und Menschen mit Beeinträchtigungen gibt es einen einmaligen Aufschlag. Darüber hinaus sollen Parteien in Nichtwahljahren auf allen Ebenen quartalsweise nicht-monetäre Unterstützung in Form von Konferenzräumen und jeweils 30 Minuten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen erhalten.
Die Gewährung der staatlichen Unterstützung ist an einige weitere Bedingungen gebunden, die die Parteien zu einem aktiven Mitgliedermanagement animieren sollen. So darf die Höhe der staatlichen Mittel das Zweifache der Summe aus den Mitglieder- und Mandatsträgerbeiträgen sowie privaten und Unternehmensspenden nicht übersteigen. Damit werden die Parteien angeregt, ihre Mitglieder aktiv anzusprechen und für sich zu werben, wenn sie die Förderung ausschöpfen wollen. Gleichwohl besteht an dieser Stelle das Potenzial zur Diskriminierung von kleineren und jungen Parteien, die einen Achtungserfolg bei der Parlamentswahl erzielen.
Neben der Motivation zur Mitgliederpflege über die staatliche Finanzierung werden im Gesetz auch einige Vorgaben zur jährlichen Aktualisierung der Mitgliederdaten sowie der Veröffentlichung der Mitgliederzahlen gemacht. Parteimitglieder sollen sich von Parteiunterstützern, die im Gesetz ebenfalls definiert werden, neben dem passiven und aktiven Wahlrecht nicht zuletzt durch die Zahlung von Mitgliederbeiträgen unterscheiden. Selbst an dieser Stelle gibt es eine Vorgabe: Monatliche Mitgliederbeiträge dürfen nicht mehr als fünf Prozent des Mindestlohns, Mandatsträgerbeträge nicht mehr als einen Mindestlohn betragen. Die Summe von jährlichen Spenden durch Privatpersonen und Unternehmen wird ebenfalls strikt definiert und auf jeweils 12 bzw. 50 Mindestlöhne begrenzt. Strenge Vorgaben gibt es auch bei der Veröffentlichungspflicht. Diese soll von der Parteizentrale für das gesamte Land quartalsweise erfolgen. Bei Verstößen kann die staatliche Finanzierung gestrichen werden.
Gerade für die DP könnten die Vorgaben zur Mitgliederpflege und dem Einzug von Beiträgen zugleich Fluch und Segen bedeuten. Einerseits könnte die Partei endlich Klarheit über die eigenen Mitglieder erhalten und das Problem eines nicht vorhandenen Mitgliederregisters lösen. Andererseits könnte sich die bislang ohne jeglichen Beleg angegebene Mitgliederzahl von 200.000 als reines Wunschdenken entpuppen.
Das Parteigesetz macht nicht nur in Bezug auf die Finanzen weitreichende Vorgaben. Die interne Parteistruktur wird ebenfalls im Wesentlichen durch das Gesetz definiert. So ist die Schaffung einer repräsentativen, einer führenden und einer kontrollierenden Instanz innerhalb der Partei vorgeschrieben. Das Kontrollgremium darf sich personell nicht mit anderen Parteiinstitutionen überschneiden. Die Gremien müssen mindestens alle vier Jahre bestätigt werden. Bei einer Änderung parteiinterner Statuten sind Beratungen vorgeschrieben, die alle Mitglieder umfassen.
Darüber hinaus wird die Schaffung eines parteiinternen Think Tanks vorgeschrieben. Dieser soll sich um die programmatische Weiterentwicklung der Partei, die politische Bildung und fachliche Trainings der Mitglieder sowie um relevante Forschung kümmern. An dieser Stelle gibt es genaue Vorgaben hinsichtlich der Verwendung staatlicher Mittel. Mindestens 20 Prozent dieser Mittel müssen für die Beteiligungsförderung von Frauen, Jugendlichen, Senioren und Menschen mit Beeinträchtigungen ausgegeben werden. Jeweils mindestens 15 Prozent sollen in die politische Bildung respektive in die Forschung fließen. Mindestens ein Drittel der festgelegten Gelder muss über das jeweilige Parteiinstitut ausgegeben werden. Gleichzeitig wird ein faktisches Verbot von Kapitalanhäufung eingeführt. Das Parteikapital und die Einkünfte daraus dürfen 50 Prozent der staatlichen Förderung nicht überschreiten. Verstöße gegen eine dieser Vorgaben werden ebenfalls durch eine Streichung der staatlichen Mittel sanktioniert.
Die strenge Rechenschaftspflicht, die sich im Gesetz mehrfach findet, ist sicherlich notwendig und gut begründet, auch in der Mongolei möchte der Steuerzahler sicher gehen, dass sein Geld sinnvoll ausgegeben wird. Jedoch muss darauf geachtet werden, dass die Kontrollen und Audits nicht zur Druckausübung missbraucht werden. An dieser Stelle ist es erwähnenswert, dass sowohl der Parteivorsitzende als auch der Schatzmeister laut Gesetz keiner Beschäftigung mit Bezug auf Finanzen nachgehen dürfen. Die Beschränkung ist schwer nachzuvollziehen, da davon ausgegangen werden konnte, dass gerade aufgrund der strengen Kontrollen die Parteien Fachexperten als Schatzmeister bevorzugen könnten.
Reguliert wird in dem Gesetzt auch die Kooperation der Parteien mit internationalen und ausländischen Organisationen. Dazu finden sich zwei Vorgaben, zum einen ein Verbot zum Erhalt von Spenden durch die genannten Akteure. Zum anderen dürfen jedoch gemeinsame Projekte und Veranstaltungen mit internationalen oder ausländischen Organisationen, die durch diese finanziert werden, stattfinden. Dabei müssen sie der politischen Bildung, der Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Bürgerfreiheiten oder der Stärkung der jeweiligen Partei „in Übereinstimmung mit demokratischen Prinzipien“ gewidmet sein. Es wird sich zeigen, ob die gesetzliche Formulierung sich als scharf genug erweist oder ob der sicherlich vorhandene Spielraum kreativ genutzt werden kann, um den politischen Gegner und seine internationalen Partner unter Druck zu setzen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die gesetzliche Norm, dass sowohl der Parteivorsitzende als auch die Parteistatuten weiterhin bei dem Obersten Gericht gemeldet und von diesem registriert werden müssen. Das Oberste Gericht soll die Meldung als eine Anfrage behandeln und muss sie innerhalb von 30 Tagen entweder bestätigen oder ablehnen. Angesichts des dreijährigen Streits innerhalb der DP um den Vorsitz und der zweifelhaften Rolle, die das Oberste Gericht dabei gespielt hat, wäre eine Präzisierung des Paragrafen durch die DP-Fraktion zu erwarten gewesen.
Fazit: Hohe Ansprüche – Gemischte Erwartungen
Dem bisherigen Wahlsystem verdankt die regierende MVP eine mehr als komfortable Mehrheit von über 80 Prozent bei den letzten beiden Parlamentswahlen. Es erscheint daher widersinnig, dass gerade eine derart dominierende Partei das System ändert. Die weit verbreitete Skepsis in der mongolischen politischen Landschaft gegenüber den beiden Gesetzen ist nachvollziehbar. Jedoch kann und muss zum jetzigen Zeitpunkt die offiziell ausgeführte Begründung akzeptiert werden.
Der zu erwartende Einzug mehrerer Parteien in das mongolische Parlament kann sowohl positiv als auch negativ gewertet werden. Mehr Parlamentarier unterschiedlicher Parteien könnten dazu beitragen, dass die Qualität der Gesetze zunimmt und die Regierung besser und stärker kontrolliert wird. Die lebendigeren Debatten könnten jedoch auch im Streit ausarten, die Arbeit des Parlaments blockieren und das Vertrauen der Bevölkerung in die beiden demokratischen Institutionen, Parteien und Parlament, weiter beschädigen. Koalitionsregierungen könnten durch Konsensentscheidungen bessere und gesellschaftlich breit akzeptierte Lösungen erarbeiten. Die regierenden Parteien könnten sich jedoch aus parteipolitischen Überlegungen heraus gegenseitig lähmen, halbherzige Kompromisse produzieren und eine angemessene Entwicklung des Landes verhindern. Deutschland kann hierbei sowohl als ein positives als auch ein negatives Beispiel dienen.
Die weitgehend strikten Vorgaben des Parteiengesetzes könnten zu einer Institutionalisierung der Parteien beitragen. Die Ausweitung der staatlichen Finanzierung könnte dabei helfen, Politik und Wirtschaft in der Mongolei zu entflechten. Das Gesetz hat grundsätzlich das Potenzial, Parteien stärker an ihre Mitglieder, statt an von egoistischen Partikularinteressen geleitete Geldgeber zu binden. Allein die Abschaffung der bislang gängigen Praxis vom Verkauf von Kandidaturen wäre eine immens positive Entwicklung. Das strenge Kontrollsystem, die teilweise schwammigen Definitionen und das zuweilen wählerisch agierende mongolische Justizsystem könnten jedoch die wenigen Reste von Vertrauen der mongolischen Bevölkerung in demokratische Institutionen nachhaltig zerstören. Eine Instrumentalisierung des Parteigesetzes zur Schwächung oder Unterdrückung der Opposition könnte die mongolische Oase der Demokratie endgültig trockenlegen.
Die Zusammensetzung des Großen Staatskhurals und die mongolische Politik werden durch die Gesetzesnovellierungen nachhaltig verändert. Es bleibt abzuwarten, wie die neuen Gesetze am Ende implementiert werden und wie ihre Wirkung auf die politische Landschaft der Mongolei aussehen wird. Die Festschreibung des Grabenwahlsystems in der Verfassung lässt bereits eine Fragmentierung der politischen Parteien erkennen, die eine erneute verfassungsgebende Mehrheit durch eine Partei sehr unwahrscheinlich macht. Dies lässt die Hoffnung aufkeimen, dass die jüngsten Änderungen mehr als zwei Wahlperioden überdauern könnten, es sei denn, es fänden sich Abgeordnete von Oppositionsparteien, die gegen besseres Wissen und gegen das Wohl ihrer eigenen Partei votierten. Das mongolische Verfassungsgericht könnte auch entscheiden, dass der das Wahlsystem betreffende Teil der Verfassung eigentlich verfassungswidrig sei. Auch das hat es in der jüngsten mongolischen Vergangenheit gegeben.
[1] Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Daniel Schmücking; Dulguun Batmunkh, Juli 2016: „Erdrutschsieg der Mongolischen Volkspartei“ https://www.kas.de/de/web/mongolei/laenderberichte/detail/-/content/erdrutschsieg-der-mongolischen-volkspartei1; Stand 10-20-2023
[2] Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Daniel Schmücking; Dulguun Batmunkh, Juli 2016: „Erdrutschsieg der Mongolischen Volkspartei“ https://www.kas.de/de/web/mongolei/laenderberichte/detail/-/content/erdrutschsieg-der-mongolischen-volkspartei1; Stand 10-20-2023
[3] Hanns-Seidel-Stiftung, Ts. Sarantuya; S. Munkhjargal, November 2020 (1992):
„Verfassung der Mongolei – inoffizille Übersetzung“ https://mongolia.hss.de/fileadmin/user_upload/Projects_HSS/Mongolia/Dokumente/2023/Verfassung_der_Mongolei.pdf; S.22; Stand10-20-2023
[4] ConstitutionNet, Munkhsaikhan Odonkhuu, Juli 2023:
„Will Recent Constitutional Amendments Promote Political Pluralism in Mongolia?”, https://constitutionnet.org/news/will-recent-constitutional-amendments-promote-political-pluralism-mongolia; Stand 10-20-2023
[5] Heinrich Heine Universität Düssenldorf, Heike Merten, Mai 2023:
„Stellungnahme zu den angekündigten Verfassungs- und Wahlrechtsreformen in der Mongolei“; https://www.kas.de/documents/268650/24559246/Stellungnahme+Mongolei+Stand+25.05.2023.pdf/8ada7e22-4cf5-84e7-c068-6333572ecbf4?version=1.0&t=1684999375483; Stand 10-20-2023
[6] Mongolisches Recht: „Über das mongolische Wahlrecht“
https://legalinfo.mn/mn/detail?lawId=14869; Stand 10-20-2023
[7] Toim, Oktober 2023:
„Für lange etablierte Politiker der MVP ist es von Vorteil in kleinen Wahlkreisen zu kandidieren“
http://www.toim.mn/article/7096eg9g?fbclid=IwAR0X4RTVBr5AkQQhifrmnPxYGq9F7h4vhXSNcHd8hLqtaZfpN4LHJFzTTiY; Stand 10-20-2023
[8] Mongolisches Recht: „Über das mongolische Wahlrecht“
https://legalinfo.mn/mn/detail/508; Stand 10-20-2023
[9] Bei dem mongolischen Mindestlohn handelt es sich um eine monatliche Summe, aktuell in Höhe von 550.000MNT.