Assads vierte Amtszeit
Syrien erlebt heute zum zweiten Mal nach Ausbruch des Konflikts im März 2011 Präsidentschaftswahlen. Zuletzt gewann Assad 2014 mit 88,7 Prozent der Stimmen. Ein erneuter Sieg ist ihm gewiss, er wird weitere sieben Jahre regieren. Nach Übernahme des Präsidentenamtes von seinem Vater Hafiz, war er in den Jahren 2000 und 2007 der einzige Kandidat. Infolge einer Verfassungsänderung gab es 2014 erstmalig Mitbewerber, die allerdings vorab vom Regime bestimmt wurden.
Die westlichen Staaten sowie die Vereinten Nationen stufen die anstehende Wahl als unrechtmäßig und undemokratisch ein. Die Umstände in Syrien ließen keine faire und freie Abstimmung zu, das Ergebnis sei daher „nicht glaubwürdig“ und werde Assad keine Legitimität verschaffen, sagte ein US-Diplomat im Gespräch mit der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS).[1] Gilles Bertrand, Chargé d’Affaires der Europäischen Union für Syrien, äußerte bei einem Treffen mit der KAS, dass die Wahl keinen politischen Fortschritt signalisiere und nicht zu einer Änderung der EU-Position beitrage: „Sie steht nicht im Einklang mit UN-Sicherheitsratsresolution 2254. Deshalb kann sie weder bei der Beilegung des Konflikts helfen noch zu einer Normalisierung der Beziehungen mit Damaskus führen. Wir sind weit von einem Prozess entfernt, in dem alle Syrer – das umfasst Millionen Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Angehörige der Diaspora – die Möglichkeit haben, ohne Einschränkungen in einem sicheren und neutralen Umfeld an der Wahl teilzunehmen.“[2]
Assads Verbündete Russland und Iran halten sie hingegen für legitim. Ein russischer Syrienexperte meint, UN-Resolution 2254 fordere freie und faire Wahlen nachdem sich Opposition und syrische Regierung auf eine neue Verfassung geeinigt haben. Solange dies nicht geschehe, müsse nach bestehendem Recht abgestimmt werden. Die Wahl stehe daher nicht im Widerspruch zum Beschluss der Vereinten Nationen.[3]
Wie sehen Syrerinnen und Syrer die Wahl?
Abgesehen von den Assad-Anhängern betrachten die meisten Syrerinnen und Syrer die Wahl als eine Farce, viele rufen zum Boykott auf. Der langjährige Oppositionelle und Präsident der Organisation Building the Syrian State, Louay Hussein, äußerte gegenüber der KAS: „Es sind Scheinwahlen. Es gibt in Syrien weder Rede- noch Meinungsfreiheit.“ Das hohe Maß an Repression gegen jeden, der öffentlich erkläre, nicht auf der Seite Assads zu stehen, erlaube keine demokratische Abstimmung.[4] Wer nicht für ihn stimmt, muss mit Drangsalierungen rechnen, es droht der Verlust des Arbeitsplatzes, Haft oder gar Folter. Viele unterstützen ihn nur, um Repressalien zu entgehen. Assads Macht fußt einzig auf seinem Geheimdienstapparat, nicht auf dem freien Willen der Wähler und Wählerinnen. Ein syrischer Gesprächspartner erklärt, die Wahl verändere sowieso nichts, „das Ergebnis ist vorbestimmt.“ Nichtwählen könne hingegen zu Problemen führen. Neben der Einschüchterung durch das Regime bemängelt er den manipulierten Wahlvorgang, der einzig Assads autoritäre Diktatur befestige – von einer fairen Abstimmung zu sprechen, sei „der Gipfel der Heuchelei“.[5]
Wo wird gewählt und wer darf abstimmen?
Die Wahl findet vornehmlich in von der Regierung kontrollierten Gebieten statt. Die kurdische Autonome Verwaltung in Nord- und Ostsyrien beteiligt sich nicht aktiv an den Wahlen, genehmigte allerdings, Wahlurnen in Baath-Parteibüros aufzustellen. Vom Votum ausgeschlossen sind etwa vier Millionen Menschen, die in den Nordprovinzen leben, unter anderem in Idlib, wo islamistische Milizen beziehungsweise die Türkei das Sagen haben.
Syrerinnen und Syrer im Ausland konnten ihre Stimme in vielen Ländern bereits am 20. Mai abgeben, jedoch nur, wenn sie einen gültigen Ausreisestempel vorweisen. Diesen besitzen die meisten Menschen, die vor der Verfolgung des Regimes fliehen mussten allerdings nicht. Somit darf ein Großteil der 6,6 Millionen Flüchtlinge nicht abstimmen. Das Regime schließt so über die Hälfte der Bevölkerung von der Wahl aus. Einige Länder, darunter auch Deutschland, bezweifeln aufgrund dieser Einschränkung die Rechtmäßigkeit der Abstimmung und untersagten die Aufstellung von Wahlurnen in syrischen Botschaften.
Wer darf antreten?
Das syrische Wahlgesetz verhindert die Kandidatur von Regierungsgegnern: Bewerber und Bewerberinnen benötigen die Zustimmung von mindestens 35 Abgeordneten des syrischen Volksrates, der von Assads Baath-Partei dominiert wird. Außerdem müssen sie vor der Abstimmung zehn Jahre ununterbrochen in Syrien gelebt haben. Viele Oppositionelle sind jedoch ins Ausland geflohen, als das Regime die Proteste 2011 brutal niederschlug. Das Oberste Verfassungsgericht, dessen Richter vom Präsidenten selbst ernannt werden, entscheidet schließlich über die Zulassung der Bewerber und Bewerberinnen. Die Nominierung eines echten Gegenkandidaten ist daher schon rein rechtlich ausgeschlossen.
Wer sind die diesjährigen Mitbewerber?
Neben Assad bewerben sich zwei weitere Kandidaten um die Präsidentschaft: Abdallah Sallum Abdallah und Mahmud Mer’ei. Beide sind weitgehend unbekannt und verfügen über keine nennenswerte Anhängerschaft. Louay Hussein meint: „Es gibt keine Gegenkandidaten, Assads Mitbewerber sind lediglich eine Formalität, um das absurde Bild einer demokratischen Wahl vorzutäuschen. Sie wagen es weder Assad zu kritisieren noch haben sie den Mut, bei der Wahl für sich selbst zu stimmen.“ Für eine KAS-Partnerin aus Suweida sind sie lediglich „Komparsen in einem Regimeschauspiel, das nach zuvor vereinbartem Skript abläuft.“ Es gebe keinen Unterschied zwischen ihnen und Assad, „sie sind alle Teil derselben Gang.“[6]
Ein abtrünniger Aspirant in Ägypten
Erstmalig tritt bei dieser Wahl ein Kandidat in der Diaspora an: Der syrische Schauspieler Jamal Suliman. Im Gespräch mit der KAS erklärte er, was ihn zu dieser rein symbolischen Kandidatur antreibt, denn auf dem Stimmzettel steht sein Name nicht. Politische Mitbestimmung sei ein verbotener Traum in Syrien, so Suliman, „ich möchte dieses Tabu brechen und alle Syrer und Syrerinnen dazu ermutigen, an einer demokratischen syrischen Gesellschaft mitzuarbeiten.“ Damit dies gelinge, brauche es aber auch Menschen, die demokratische und liberale Werte verkörpern. Die Opposition habe es bislang versäumt, politische Führungspersönlichkeiten hervorzubringen, denen die Syrerinnen und Syrer als auch die internationale Gemeinschaft vertrauen. Er möchte nun beide hinter sich vereinen, um eine zukünftige Alternative zum jetzigen Regime aufzuzeigen.[7]
Assads Sieg ist für Syrien eine Niederlage
Ein besseres Leben für die Menschen bedeutet Assads erneute Präsidentschaft nicht. Die humanitäre und wirtschaftliche Lage ist katastrophal, die Lebensmittelpreise haben sich im vergangenen Jahr vor allem durch die galoppierende Inflation mehr als verdoppelt. Viele Syrerinnen und Syrer müssen stundenlang für Brot anstehen, Benzin und Gas sind überall knapp. Laut den Vereinten Nationen sind 13,4 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen – zwei Drittel der Bevölkerung. 12,4 Millionen sind von Hunger bedroht, das sind 4,5 Millionen mehr als im Vorjahr.[8]
Jamal Suliman befürchtet, Agonie, Angst und Armut in Syrien dürften zunehmen, denn „die Hölle vor der Millionen Menschen geflohen sind, geht nun weiter.“ Die Reformbereitschaft der syrischen Regierung dürfte nach dem Wahlsieg sogar noch abnehmen, vermutet er. Die USA und die EU machen politische Fortschritte allerdings zur Bedingung, um den Wiederaufbau des zu großen Teilen zerstörten Landes zu finanzieren. Ein europäischer Diplomat betonte: „Wir haben kein Interesse daran, Milliarden Euros auf das Regime zu kippen, die dann im gleichen korrupten Netzwerk mit seinen mafiösen und verrotteten Strukturen versanden wie zuvor.“ Damaskus müsse zuerst Bereitschaft zu politischen und wirtschaftlichen Reformen zeigen.[9]
Assad untergräbt bislang allerdings jeglichen Versuch einen Wandel anzustoßen. Seit zwei Jahren blockiert er das Verfassungskomitee aus Opposition und Regierung in Genf. Assad werde die Verfassung vermutlich einseitig ändern, meint Louay Hussein, „die tyrannische Natur des Regimes wird fortbestehen.“ Auch der russische Syrienexperte glaubt nicht, dass Assad derzeit zu größeren Reformen bereit sei. Das Regime wolle zunächst seine Machtposition absichern. Russland unterstütze es dabei, der Kreml wolle keine „revolutionären Veränderungen, sondern einen evolutionären Prozess.“ Dies erfordere mehr Zeit.
Angesichts des andauernden Leids der syrischen Bevölkerung unterstreicht der EU-Diplomat Gilles Bertrand hingegen die Dringlichkeit eines baldigen und grundlegenden Wandels: Damit das Land nicht weiter in die Instabilität abrutsche und sich der Zukunft zuwenden könne, seien bedeutende politische Veränderungen unerlässlich. „Sie können nicht so tun, als sei nichts passiert und versuchen, das syrische Haus auf demselben Fundament wiederaufzubauen, das 2011 zu seinem Zusammenbruch geführt hat.“
Für den Westen ist die Wahl gegenstandslos
Syrien ist international weitgehend isoliert. Europäische und US-Sanktionen verhindern Geschäfte mit dem Regime und dadurch einen Wiederaufbau des Landes. Seinen Wahlerfolg dürfte Assad dazu nutzen, eine Lockerung des Embargos und eine Normalisierung der außenpolitischen Beziehungen zu erreichen. Für die USA und die EU heißt Assads Wiederwahl daher vor allem, dass sie am bisherigen Kurs festhalten. Gilles Bertrand betont, „als enger Nachbar Syriens ist es ein Kerninteresse Europas, das Land auf einem Pfad nachhaltiger Stabilität zu sehen, in einem Prozess der von allen Syrern bestimmt und von den Vereinten Nationen begleitet wird. Ohne glaubhafte Fortschritte und solange die Repression anhält, wird die Europäische Union ihre Position jedoch nicht ändern.“ Die EU dürfte sich dazu auch mit ihren Partnern in der Region, beispielsweise Ägypten und Saudi-Arabien, abstimmen. Auch der US-Diplomat fordert Assad auf, seine kompromisslose Haltung aufzugeben und in einen ernsthaften politischen Dialog zu treten. Der Versuch, den Konflikt auszusitzen, werde nicht zur Aufhebung von Sanktionen führen.
Assad muss handeln
Seine Wiederwahl bedeutet keinen Machtzuwachs für Assad, sie ist lediglich eine legalistische Formalität. Assads Unterstützer dürften ihn schon bald nach seiner Strategie für die Zeit danach fragen, denn wirtschaftlich und politisch ist das Land in einer Sackgasse. Die Regierung hat allerdings keine Antwort darauf. Die Unzufriedenheit wird wachsen und das Regime könnte möglicherweise noch repressiver agieren. Assads einziger Ausweg ist, auf Europa und die USA zuzugehen. Solange er seine politische Blockadehaltung nicht aufgibt und den Weg für einen demokratischen Übergang freimacht, darf es kein Entgegenkommen geben. Nicht zuletzt, da dies andere autoritäre Regime zu einem ähnlichen Verhalten ermutigen könnte.
Internationale Organisationen sollten die syrische Zivilgesellschaft auch weiterhin dabei unterstützen, Strukturen jenseits des autoritären syrischen Staates aufzubauen, die im Falle eines Regimewechsels den Grundstein für einen demokratischen Neuanfang bilden können.
[1] Gespräch mit einem US-Diplomaten, der zu Syrien arbeitet, am 20. Mai 2021.
[2] Gespräch mit dem Chargé d’Affaires der Europäischen Union für Syrien, Gilles Bertrand, am 20. Mai 2021 in Beirut.
[3] Gespräch mit einem russischen Syrienexperten am 17. Mai 2021.
[4] Gespräch mit Louay Hussein am 18. Mai 2021.
[5] Gespräch mit einem syrischen Kontakt am 16. Mai 2021.
[6] Gespräch mit einer syrischen Kooperationspartnerin am 17. Mai 2021.
[7] Gespräch mit Jamal Suliman am 18. Mai 2021.
[8] Vgl. UN-OCHA, „U.S. announces additional humanitarian assistance for the Syria crisis response”, 30. März 2021 und World Food Program, „Twelve million Syrians now in the grip of hunger, worn down by conflict and soaring food prices”, 17. Februar 2021.
[9] Gespräch mit einem europäischen Diplomaten, der zu Syrien arbeitet, am 10. Mai 2021.