Länderberichte
Besonders gravierend ist die Zunahme der von beiden Gruppen verübten Massaker an der Zivilbevölkerung, denen bereits in den ersten 10 Monaten des Jahres mehr Menschen zum Opfer fielen als 1999. Zwei Drittel der Massaker (507 Opfer) gehen auf das Konto der paramilitärischen Gruppen, die übrigen Fälle (164 Opfer) wurden von der Guerilla, in erster Linie den FARC ("Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens") verübt.
Ungebremster Anstieg der Entführungen
Dramatische Ausmaße hat der ungebremste Anstieg der Entführungen angenommen, die mit 3.029 Fällen in den Monaten Januar - November 2000 bereits die Zahlen des Vorjahres deutlich übertroffen haben. Für das gesamte Jahr wird mit einer Zahl von etwa 3.300 Entführungsopfern gerechnet. In ihrer überwiegenden Mehrheit werden Entführungen aus erpresserischen Motiven begangen.
Die aus Lösegeldzahlungen erzielten Einnahmen bilden eine wesentliche Finanzierungsgrundlage der Guerrilla. So überrascht es nicht, das die Guerrillaorganisationen FARC und ELN für mehr als die Hälfte der Entführungsfälle verantwortlich sind, während knapp 10% auf das Konto der Paramilitärs gehen. Die übrigen Entführungen werden von nicht politisch motivierten kriminellen Organisationen begangen, die ihre Opfer allerdings teilweise an die Guerrilla "verkaufen", so dass eine exakte Abgrenzung schwer möglich ist.
Anders als in der Vergangenheit beschränken sich Entführungen nicht mehr nur auf die Bevölkerungsschichten mit hohem Einkommen, sondern betreffen in zunehmendem Maße auch Angehörige der Mittelschicht, besonders gefährdet sind Geschäftsleute sowie Landwirte. In vielen Fällen ist die Freiheitsberaubung von langer Dauer: Von den im laufenden Jahr entführten Personen befinden sich noch mehr als 1000 in Geiselhaft. Auch die Zahl der Entführungen mit tödlichem Ausgang ist erheblich: 202 der Entführungsopfer des Jahres 2000 wurden ermordet, weitere fünf starben in Geiselhaft.
In Kolumbien hat sich in den vergangenen Jahren eine unter kommerziellen Gesichtspunkten betriebene "Entführungsindustrie" etabliert, die in ihrer Art beispiellos ist. Das Ausmaß des Problems wird u.a. daran deutlich, dass etwa 60% der weltweit registrierten Entführungsfälle in Kolumbien verübt werden.
Die Hauptverantwortlichen, die Guerrillaorganisationen FARC und ELN, haben bisher keine Bereitschaft erkennen lassen, von dieser für sie lukrativen Praxis Abstand zu nehmen. Es ist daher zu befürchten, dass sich der negative Trend der vergangenen Jahre noch weiter fortsetzen wird, zumal auch die paramilitärischen Gruppen zunehmend an Entführungen beteiligt sind.
Forderungen nach einer "Politik der harten Hand"
Die kontinuierliche Verschlechterung der allgemeinen Sicherheitslage und die von Guerrilla und Paramilitärs begangenen massiven Menschenrechtsverletzungen haben zu einem spürbaren Umschwung in der öffentlichen Meinung geführt. In den Augen der Öffentlichkeit hat die Guerrilla durch ihren fortgesetzten Terror gegen die Zivilbevölkerung jede Glaubwürdigkeit verloren.
Zugleich sind die Hoffnungen auf einen Erfolg des Friedensprozesses mit den FARC, der im November von der Guerrilla einseitig suspendiert worden war, auf ein Minimum gesunken. Nach einer Meinungsumfrage der Tageszeitung "El Espectador" befürwortet noch nicht einmal ein Viertel der Befragten die Entscheidung der Regierung, die für die Friedensgespräche entmilitarisierte Zone um eine Frist von nur 55 Tagen zu verlängern, um den FARC die Gelegenheit zu geben, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Stattdessen finden Forderungen nach einer "Politik der harten Hand" immer mehr Zustimmung. Politischer Exponent dieser Richtung ist der frühere Gouverneur von Antioquia, Alvaro Uribe Vélez, der in allen Meinungsumfragen erheblich an Boden gewonnen hat und nunmehr an dritter Stelle hinter dem voraussichtlichen Kandidaten der Liberalen Partei, Horacio Serpa, und der Unabhängigen Noemí Sanín liegt. Wie Serpa gehört Uribe Vélez der oppositionellen Liberalen Partei an, unterscheidet sich jedoch von diesem grundlegend durch seine kritische Haltung gegenüber dem gegenwärtigen Friedensprozess.
Im Mittelpunkt der Forderungen Uribes steht die Stärkung der staatlichen Autorität durch eine gezielte Modernisierung von Militär und Polizei. Darüber hinaus unterstützt er aber auch eine öffentliche Diskussion über die Aufstellung von Milzen, wie sie unter anderem von dem nationalen Viehzüchterverband gefordert wird. Bereits in seiner Zeit als Gouverneur von Antioquia hatte Uribe private Selbstverteidigungsgruppen (sogenannte "Convivir") zugelassen, die die staatlichen Ordnungskräfte bei der Bekämpfung der Kriminalität unterstützen sollten, in der Praxis jedoch in Verdacht gerieten, Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen zu unterhalten.
Die Bedenken gegen die von Uribe Vélez vertretene Position richten sich weniger gegen die Forderung nach militärischer Härte als solcher, als vielmehr gegen seine Aufgeschlossenheit für die Aufstellung von Milizen. Nach Ansicht zahlreicher Beobachter wären diese von staatlicher Seite nicht ausreichend kontrollierbar und könnten daher leicht unter den Einfluss der Paramilitärs geraten.
So warnt der angesehene Politologe Eduardo Pizarro, unter den Bedingungen des kolumbianischen Konflikts würden Milizen zu "tausendköpfigen Monstern, die (...) ihre eigentliche Funktion überschreiten und jede Art von Willkürhandlungen begehen". Umso notwendiger ist nach Ansicht Pizarros daher eine Wiederherstellung der staatlichen Autorität. Wer sich gegen die Stärkung von Militär und Polizei wende, nütze damit letztlich den Interessen der Paramilitärs.
Stärkung der staatlichen Institutionen
In weiten Teilen des politischen Spektrums besteht ein Konsens über die Notwendigkeit, der eskalierenden Gewalt durch eine Stärkung der staatlichen Institutionen zu begegnen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Modernisierung der Streitkräfte, die seit Amtsantritt der Regierung Pastrana wesentliche Fortschritte gemacht hat.
Auch wenn es weiterhin Zweifel an der Effizienz des Militärs gibt, hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Streitkräfte in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Hierzu hat zweifellos auch das Vorgehen der Regierung gegen von Militärs begangene Menschenrechtsverletzungen sowie insbesondere gegen Verbindungen zu den paramilitärischen Gruppen beigetragen. So ist seit Anfang 1999 ein verstärktes Vorgehen der Streitkräfte gegen die Paramilitärs zu verzeichnen, allein in diesem Jahr führten Militäraktionen zur Festnahme von fast 1000 Mitgliedern paramilitärischer Organisationen.
Im Mittelpunkt der aktuellen Debatte steht die Frage, wie durch gesetzgeberische Maßnahmen die Handlungsfähigkeit des Staates bei der Bekämpfung der Gewalt verbessert werden kann. Die Vorschläge für eine solche Anti-Terror-Gesetzgebung zielen in erster Linie auf eine Erweiterung des Handlungsspielraums der Streitkräfte, u.a. durch Übertragung von Polizeifunktionen an das Militär oder die Schaffung besonderer Zonen, in denen die militärische Verantwortlichen mit Sondervollmachten ausgestattet würden.
Forderungen nach einer allgemeinen Strafverschärfung reichen von der Einführung der nach kolumbianischem Recht derzeit nicht vorgesehenen lebenslangen Freiheitsstrafe, wie sie von Staatspräsident Pastrana befürwortet wird, bis hin zur Todesstrafe für terroristische Gewaltakte. Besonders die letztgenannte Forderung stieß jedoch auf vielfachen Widerspruch und hat unter den gegenwärtigen Bedingungen keinerlei Aussicht auf Verwirklichung.
Auch wenn die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen kontrovers diskutiert wird, wächst die Einsicht in die Notwendigkeit, die Handlungsfähigkeit des Staates bei der Bekämpfung der Gewalt nachhaltig zu verbessern. Angesichts der bisherigen Erfahrungen wird hierin auch eine entscheidende Voraussetzung für Fortschritte bei dem Friedensprozess mit der Guerilla gesehen. So bildet nach Ansicht der Tageszeitung "El Tiempo" (17.12.00) "die Stärkung des Staates (...) die unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass eine politische Lösung des bewaffneten Konflikts möglich wird", die Anti-Terror-Gesetzgebung sei daher "eine Notwendigkeit des Friedensprozesses".