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Länderberichte

Regierungskrise in Lettland

von Jörg-Dietrich Nackmayr
Nach nur neun Monaten trat der lettische Ministerpräsident Skele am 12. April 2000 von seinem Amt zurück. Die aus drei Parteien bestehende Mitte-Rechtskoalition war mit dem ergeizigen Ziel angetreten, die Wirtschafts- und Finanzkrise im Gefolge der Rußlandkrise zu überwinden. Sie übernahm die Amtsgeschäfte von einer aus den Parlamentswahlen am 3. Oktober 1998 hervorgegangenen Minderheitsregierung unter Vilis Kristopans aus der liberal-nationalen Partei "Lettlands Weg", der national-konservativen Partei "Vaterland und Freiheit" und der liberalen "Neuen Partei", die ebenfalls an wirtschaftspolitischen Fragen im Sommer 1999 gescheitert war.

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Kristopans mußte zurücktreten, als sich die Koalition im Juni 1999 bei der Wahl des Staatspräsidenten nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnte. Skele, der zum zweiten Mal als Ministerpräsident in seiner politischen Karriere scheitert, konnte zuletzt in einer Atmosphäre aus Skandalen, ausbleibenden Erfolgen bei der Privatisierung und einer zwar deklarierten, aber in seiner Herkunft nebulösen privaten Einkommenserklärung die Koalition nicht mehr zusammenhalten.

Entzündet hatte sich die jüngste Regierungskrise um den Konflikt zwischen Skele und dem Wirtschaftsminister Vladimirs Makarovs, dessen Rücktritt Skele am 6. April forderte, weil dieser dem Leiter der lettischen Privatisierungsagentur, Janis Naglis, das Unterschriftsrecht entzogen hatte. Skele sah darin einen Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. Diese Auffassung war zwar in der Koalition, nicht aber im Parlament mehrheitsfähig, in der Skeles Volkspartei mit 24, die Partei Lettlands Weg mit 21 und die Partei Vaterland und Freiheit mit 17 von 100 Sitzen vertreten sind. Nachdem die den Wirtschaftsminister stellende Partei Vaterland und Freiheit ihre Unterstützung für Skele aufgekündigt hatte, war deutlich, daß der Ministerpräsident bei dem von der Opposition geforderten Mißtrauensvotum am 13. April keine Mehrheit erhalten würde. Skele kam seiner Abwahl mit seinem Rücktrittsersuchen vom 12. April zuvor.

In der Auseinandersetzung zwischen Skele und dem Wirtschaftsminister sehen Beobachter einen Konflikt zwischen der Erdöl- und Nahrungsmittelbranche um wirtschaftlichen Einfluß, die sich immer wieder bei den noch ausstehenden Privatisierungen entzündet hatte. Die überfällige Privatisierung der staatlichen Schiffahrtsgesellschaft Latvian Shipping Company und des staatlichen Stromversorgers Latvenergo hat unmittelbare Auswirkungen auf die einflußreiche Erdölindustrie des Landes.

Während Skele wie der Leiter der Privatisierungsbehörde eine Privatisierung an den größten Investor forcierten, forderte der Wirtschaftsminster eine Veräußerung an den Meistbietenden. Der Leiter der Privatisierungsbehörde Naglis hatte wiederholt öffentlich den starken Einfluß der Erdölbranche auf die Politik kritisiert, und damit auch auf die Partei Vaterland und Freiheit gezielt, der eine enge Beziehung zur Erdölindustrie nachgesagt wird und die den Wirtschaftsminister stellte. Vor diesem Hintergrund ist die vom Wirtschaftsminster verfügte Entlassung von Naglis als Versuch zu sehen, den Einfluß der Erdölindustrie weiter zu stärken. Naglis, der als Privatisierungexperte gilt und Skeles Vertrauen genießt, wurde mit konstruiert wirkenden Argumenten entmachtet. Die notwendige aber ausgebliebene Verlängerung seiner Vollmachten durch das Kabinett war vom Wirtschaftsminster versäumt worden, der diese Formalie dann aber zum Anlaß nahm, Janis Naglis die abgelaufenen Vollmachten zu entziehen. Als das Kabinett Naglis dann ohne die abwesenden Minister von Vaterland und Freiheit erneut bestätigte, war die Koalition zerbrochen.

Der immer wieder behaupteten Einflußnahme der Erdölindustrie mittels Parteispenden auf die Politik und hier insbesondere über die Partei Vaterland und Freiheit und Lettlands Weg entspricht die Nähe der Volkspartei und ihres Vorsitzenden Skele zur Nahrungsmittelindustrie. Hier erfuhr die Öffentlichkeit vor kurzem ein interessantes Detail, das Skeles Position in der jüngsten Krise zusätzlich schwächte.

Eine von Skele deklarierte, aber in ihrer Herkunft nicht glaubwürdig erklärte private Einkommensposition von 29 Mio US $ im Jahr 1999 führte zu bis heute nicht restlos aufgeklärten Fragen an den Ministerpräsidenten. Skele behauptet, diese Summe aus dem Verkauf des Schokoladenherstellers Ave Lat Grupa Laima erhalten zu haben. Den Kauf dieses Unternehmens will er im Jahr 1993 aus einem Bankkredit finanziert haben. Der Weiterverkauf dieses Unternehmens im April 1999 an die Management Ltd. wirft unter anderem die Frage auf, woher das Geld für den Kauf der Ave Lat Grupa Laima wirklich kam.

Skele, der diese Transaktion nicht als natürliche Person, sondern über die ihm gehörende Offshore-Firma UVK abwickelte, sieht sich jetzt dem Verdacht ausgesetzt, mit diesem Geschäft möglicherweise Geld gewaschen zu haben. Finanzexperten habe in den letzten Tagen den Vorwurf erhoben, daß der Verlauf der Transaktion als Standardmodell für Geldwäscheoperationen gilt, in der das Eigentum an eine Offshore-Firma verkauft wird, deren tatsächlicher Besitzer der Verkäufer selbst ist.

Aber auch die in der Regierung Kristopans vertrene Neue Partei zeichnet sich durch ihre Nähe zur Wirtschaft aus. Sie ist als Interessenvertretung der norwegischen Investorengruppe Warner-Hakon anzusehen, die Supermarktketten in Norwegen und Lettland betreibt. Bei der sich jetzt abzeichnenden Koalitionsbildung dürfte die Neue Partei mit ihren 8 Parlamentariern wieder vertreten sein.

Noch ist nicht mit Sicherheit vorauszusagen, welche Parteien die neue Koalition tragen werden. Als gesichert gilt, daß der Ministerpräsident von der Partei Lettlands Weg nominiert werden wird. Als aussichtsreicher Kandidat gilt der Geschichts- und Philosophielehrer Andris Berzins. Berzins, der bereits drei Kabinetten als Minister angehörte - als Arbeitsminister im Kabinett Valdis Birkavs 1993, Wohlfahrtsminister im Kabinett von Maris Gailis 1994 und Arbeitsminister im ersten Kabinett von Andris Skele 1995 - steht seit 1997 der Verwaltung der Haupststdt Riga als Bürgermeister vor. Die Zeit bis zur Regierungsbildung eilt auch deshalb, da Lettland Mitte Mai Gastgeber der Tagung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in Riga sein wird.

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Elisabeth Bauer

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