Länderberichte
Das Ende des Kalten Krieges wirkte sich im asiatisch-pazifischen Raum weniger dramatisch aus als in Europa. Dennoch veränderte sich die sicherheitspolitische Lage der Region in einigen Punkten gravierend. Eine Reihe von herausragenden politischen und wirtschaftlichen Ereignissen, wie etwa das rasante wirtschaftliche Wachstum in China und in den anderen ost- und südostasiatischen Staaten, die sich anschließende Wirtschafts- und Währungskrise und das Heranwachsen einer neuen Generation von politischen Führern, welche nicht mehr länger auf persönliche Erfahrungen mit Krieg und Unabhängigkeit zurücksehen, macht eine Neubewertung der asiatischen Sicherheitspolitik notwendig.
Vergangen sind längst die Tage, die von Nationalstaaten als eigenständigen Machtzentren gekennzeichnet waren, immer in einer sich ständig verändernden Welt bestrebt, ein Gleichgewicht der Kräfte (ein Gleichgewicht des Schreckens?) zu wahren. Jetzt scheint sich als erstrebenswerte Alternative herauszukristallisieren: Staaten auf dem Wege zu einer friedlichen und nachhaltigen Entwicklung, ihre Interessen teilend und bestrebt, Konflikte im diplomatischen Dialog auszuräumen. Reine Zukunftsmusik oder erreichbare politische Realität?
Gemeinsame Interessen, Dialog und einheitliches Handeln sind in einer neuen Friedensordnung notwendige Grundlagen des gegenseitigen Verständnisses. Nur so entsteht Vertrauen unter den Staaten. Gemeinsame Erfolge auf dem Weg zu einer Sicherheitsgemeinschaft bestätigen den eingeschlagenen Weg.
Gute Noten für ASEAN
Für Admiral Dennis C. Blair, den Oberkommandierenden der amerikanischen Streitkräfte im Pazifik, stellt der zehn Länder zählende Verband der südostasiatischen Staaten (ASEAN), bestehend aus Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar (Burma), den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam, eine solche Sicherheitsgemeinschaft dar. "Kein ASEAN-Mitglied hat seit Bestehen des Verbandes mit einem anderen Mitglied Krieg geführt. Die südostasiatischen Staaten haben Mechanismen errichtet, die bei strikter Beibehaltung ihrer Unabhängigkeit und Betonung ihrer eigenen nationalen Interessen gegenseitiges Vertrauen schaffen", stellte Blair kürzlich auf einer Asienreise dem Verband gute Noten aus. Das "ASEAN Regional Forum", ferner das Fünf-Mächte-Abkommen zwischen Australien, Neuseeland, Großbritannien, Malaysia und Singapur sowie andere bilaterale sicherheitspolitische Abkommen zwischen den USA und Staaten der Region hätten Strukturen geschaffen, auf die man jetzt aufbauen könne. Mit Sorge blickt Blair auf Südasien. Diese Region sei im Vergleich zu Südostasien wegen des explosiven Konflikts zwischen Indien und Pakistan ein wahres Pulverfass.
Die USA haben in der Region große Sicherheitsinteressen. Mächtiger Gegenspieler ist dabei zunehmend China. Dabei gibt es zwischen Washington und Peking jedoch nicht nur Konflikte. Frieden im Mittleren Osten, unabdingbare Voraussetzung für dringend benötigtes Öl und Gas, der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus und Drogen, die Nichtweiterverbreitung von atomaren Waffen, friedenserhaltende Maßnahmen in Osttimor und vor allem der politische Ausgleich auf der koreanischen Halbinsel, wo es am 12. Juni dieses Jahres zu einem historischen Treffen der Präsidenten von Nord- und Südkorea kommen soll, sind dabei nur einige Stichworte. Kein Wunder, dass amerikanische Beobachter bei der Diskussion über sicherheitspolitische Belange trotz aller Gegensätze mit China immer wieder auf die Einbeziehung Pekings drängen.
Dabei wird es in der Region entscheidend darauf ankommen, dass die im Grundsatz bilateralen sicherheitspolitischen Abkommen durch ein weitverzweigtes Netz von sogenannten Partnerschaften ersetzt werden mit dem Ziel, mittelfristig eine Sicherheitsgemeinschaft aufzubauen. Da ist dann nicht nur die Politik gefragt, dies hat auch eine militärische Komponente. Sicherlich müssen die Streitkräfte eines Landes nach wie vor vor allem die Unabhängigkeit des Landes gegen einen Angriff von außen garantieren können, darüber hinaus sollten sie jedoch auch den Kontakt zu den Streitkräften der anderen Staaten in der Region suchen, um auf diese Weise Vertrauen zu schaffen und an gemeinsamen Maßnahmen etwa unter dem Dach der Vereinten Nationen teilnehmen zu können.
Beim Blick auf die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in der asiatisch-pazifischen Region wird deutlich, dass es einen regelmäßigen und effektiven Austausch von Informationen auf der Ebene der Streitkräfte nicht gibt. Die Kommunikation ist schwierig, die Ausrüstung nicht kompatibel. Osttimor war ein Fallbeispiel für den notwendigen Austausch, um damit zu gemeinsamen Aktionen zu kommen. Die Konzentration auf humanitäre und friedensschaffende Aktionen könnte einen Rahmen für die Zusammenarbeit schaffen, ein Rahmen, der in einem zweiten Schritt den Aufbau von Sicherheitsgemeinschaften erlaubt.
Eckpfeiler Japan
Grundpfeiler des amerikanischen Engagements in Asien ist nach wie vor Japan. Für Washington sind die sicherheitspolitischen Beziehungen zu Japan die bedeutendste strategische Komponente. Da kommen kräftige Misstöne aus Okinawa unlängst höchst unpassend. In Okinawa sind 75 Prozent der rund 50 000 amerikanischen Soldaten in Japan stationiert. Ein beachtlicher Teil der Insel befindet sich unter amerikanischer Kontrolle, darunter der Luftwaffenstützpunkt Kadena, der größte in Asien.
Die japanische Kritik an der amerikanischen Präsenz wird lauter, jetzt sogar angeführt vom Gouverneur von Okinawa. Japans Protestierende hoffen auf den Juli, dann soll in der Stadt Nago im Norden Okinawas der G-8-Gipfel der führenden Industrienationen stattfinden. Hier will man den internationalen Gästen zeigen, was man von der geballten Präsenz der amerikanischen Streitkräfte hält.
Für Washington ist der Ärger unverständlich. Amerikanische Militärs wollen unbedingt an Okinawa festhalten. Für sie ist die Insel von strategischer Bedeutung, liegt sie doch näher an der koreanischen Halbinsel und an der Strasse von Taiwan als an Tokio. Um auf Dauer sicherheitspolitischer Garant in der Region zu sein, müsse man, so heißt es im US-Verteidigungsministerium, maximal zwei Flugstunden von Taiwan und Korea entfernt sein. Weniger Truppen auf Okinawa beeinträchtigten die amerikanische Schlagkraft in der gesamten Region und hätten eine destabilisierende Wirkung. "Wir sind der wichtigste Bestandteil des Klebstoffes, der die Region zusammenhält", meint ein Sprecher der US-Marines.
Das sieht man in Tokio durchaus mit gemischten Gefühlen. Noch immer ringt Japan nach dem Ende des Kalten Krieges mit seinem sicherheitspolitischen Selbstverständnis. Amtliche Stellen und Wissenschaftler in Tokio sehen langfristig unterschiedliche Sicherheitsinteressen zwischen beiden Staaten. Das Wegbrechen des vormaligen gemeinsamen "Feindes", der Sowjetunion", erfordere zwingend die Neubewertung der Verteidigungsallianz zwischen Tokio und Washington. Ein wichtiges Jubiläum im September des nächsten Jahres wird für weiteres Nachdenken und Schlagzeilen sorgen. Dann jährt sich zum fünfzigsten Mal der Friedensvertrag von San Francisco, mit dem die amerikanische Besatzung Japans endete.
Einige japanische Abgeordnete haben schon damit begonnen, laut über den Sinn der Verfassung nachzudenken, welche Japan in der pazifistischen Präambel und insbesondere in Artikel 9, dem sogenannten Kriegsverzichtsartikel, den Einsatz von Gewalt verbietet.
Derartige Verfassungsreformen waren bis vor kurzem noch absolutes Tabuthema. Jetzt steht die Diskussion hierüber auf der politischen Tagesordnung und verändert die amerikanisch-japanischen Beziehungen entscheidend. Dies wird auch Japans neuer Premier Yoshiro Mori erfahren. Er reist im nächsten Monat nach Okinawa, um mit den örtlichen Stellen über ihren Konflikt mit amerikanischen Stellen und deren Stützpunkten zu reden.
Regionale Antworten auf sicherheitspolitische Herausforderungen
Für US-Admiral Blair kann es bei den sicherheitspolitischen Herausforderungen im asiatisch-pazifischen Raum nur "regionale" Antworten geben. Die USA setzten zunehmend auf eine deutlich erweiterte Beteiligung zum Beispiel an gemeinsamen Truppenübungen. Ferner wolle man den Austausch von Informationen unter den Streitkräften in der Region fördern, für Aus- und Weiterbildung der Offiziere sorgen und finanzielle Mittel auf die humanitären und friedensschaffenden Maßnahmen lenken. Zu dieser Politik sieht der Admiral keine Alternative. Denn: "Andernfalls würden in Asien nationalistische Tendenzen für permanente Krisen sorgen und der Kontinent ständig Gefahr laufen, in bewaffnete Konflikte hineinzugeraten."