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Dennis Jarvis / flickr / CC BY-SA 2.0

Länderberichte

Strafrechtsreform Rumänien

Momentaufnahme kurz vor Ende der EU-Ratspräsidentschaft

Seit einigen Monaten gerät die rumänische Justizreform wieder verstärkt in den Fokus europäischer Politik. Dieser Trend lässt sich insbesondere bei der Betrachtung der (internationalen) Medienlandschaft feststellen. Dies dürfte der rumänischen EU-Ratspräsidentschaft geschuldet sein, welche das Land in der ersten Jahreshälfte 2019 innehat, vor allem aber einer sich verschärfenden Auseinandersetzung um die Unabhängigkeit der Justiz. Rumänien scheint neben Polen und Ungarn als dritter Mitgliedsstaat der Europäischen Union vor einem Rechtsstaatsverfahren zu stehen. Auslöser dafür ist eine umfassende Strafrechtsreform, welche im April dieses Jahres das rumänische Parlament passiert hat.

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Nachdem bereits in den vergangenen Jahren das Justizwesen in Rumänien Gegenstand zahlreicher Veränderungen war, folgte nun eine weitere umfassende Strafrechtsreform. Am 24. April 2019 wurden 43 Einzeländerungen im Strafgesetzbuch sowie 219 Einzeländerungen in der Strafprozessordnung verabschiedet. Hinzu kommen Novellierungen verschiedener Nebengesetze, wie z.B. des Gesetzes 78/2000 („Gesetz zur Prävention, Aufdeckung und Sanktionierung von Korruption“).

Einordnung

Die Gesetzesänderungen stellen die Fortsetzung eines umfangreichen Reformvorhabens der Regierungskoalition der Parteien PSD und ALDE dar, die sowohl organisatorische Neuordnungen der Justiz als auch konkrete materielle Regelungen betreffen. Im Zentrum der jüngsten Änderungen stehen die Strafverfolgung und das Strafrecht selbst. Im Sommer 2018 haben die Regierungsparteien systemische Änderungen in der Justizorganisation vorgenommen. So schuf der Gesetzgeber eine neue interne Ermittlungsbehörde, die „Sonderstaats-anwaltschaft für Justizstraftaten“ (SSIJ), deren Funktion darin besteht, gegen Richter und Staatsanwälte wegen (vermeintlichen) Dienstverstößen zu ermitteln. Die wohl prominenteste Beschuldigte der SSIJ ist Laura Kövesi, die ehemalige Leiterin der Sonderabteilung der Staatsanwaltschaft für Korruptionsstraftaten (DNA). Sie wurde Mitte 2018 aus ihrem Amt entfernt. Flankiert werden solche größeren Einschnitte von weniger umfangreichen Gesetzesänderungen, ohne dass diese jedoch weniger brisant wären. Beispielsweise strukturierte man im Wege einer Eilverordnung (Nr. 7/2019) erst im Februar dieses Jahres das Auswahlverfahren für hochrangige Richter und Staatsanwälte um. Ebenso erhielt die SSIJ nachträglich einen autonomen Status innerhalb der Struktur der Staatsanwaltschaft. Dies bedeutet, dass der Generalstaatsanwalt keinerlei Weisungsrecht über diese Einrichtung hat. Beide Maßnahmen können zu einem stärkeren politischen Einfluss auf die Arbeit der Justizorgane führen. Der Chef der neu geschaffenen Behörde ist Gheorghe Stan, dessen Nähe zur regierenden PSD kein Geheimnis ist.

Damit sind nur zwei prominente Beispiele genannt für die zahlreichen kleineren und größeren Veränderungen in der rumänischen Justiz. Dies ist wichtig im Hinterkopf zu behalten, da anderenfalls sich nur schwer die Tragweite der neuerlichen Gesetzgebung erfassen lässt. Aufgrund der Vorgeschichte liegt die Annahme nahe, dass – nachdem bereits größere organisatorische Umstrukturierungen in der Justiz vollzogen wurden – nun die materiellen und verfahrensrechtlichen Strafvorschriften in den Fokus der Regierung geraten. Die Beschlüsse aus dem April sind lediglich ein weiterer Schritt, um innerhalb der Justiz die Interessen der Regierung umzusetzen.

Schließlich ist der Umstand, dass die rumänische Justiz zeitgleich zur hier untersuchten Strafrechtsreform Ermittlungs- und Strafverfahren gegen mehrere hochrangige Politiker führt, zu berücksichtigen. Allen voran ist Liviu Dragnea zu nennen, bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung und Inhaftierung am 27. Mai 2019 Präsident des rumänischen Abgeordnetenhauses und auch Vorsitzender der PSD, also der größten Partei der derzeitigen Regierungskoalition. Er sah sich seit Jahren mit Ermittlungen wegen verschiedener Amtsdelikte konfrontiert. Rechtskräftig verurteilt wurde er bereits 2015 wegen versuchten Wahlbetrugs zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, damals allerdings ausgesetzt zur Bewährung. Ein weiteres Verfahren wegen Amtsmissbrauchs führte nun zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Zu Grunde lag die fiktive Anstellung von zwei Mitarbeiterinnen, welche in Wahrheit für die örtliche PSD-Filiale tätig waren, bei einer regionalen Behörde, die unter anderem für den Schutz von Kindern zuständig ist. Durch die mehrjährige fiktive Anstellung der beiden Mitarbeiterinnen ist dem rumänischen Staat ein Schaden von ca 100.000 Lei, umgerechnet ca 22.000 Euro entstanden. Die Vorschriften des rumänischen Strafrechts sehen für Amtsdelikte relativ harte Strafen vor. Die Staatsanwaltschaft hatte eine 7-jährige Haftstrafe für Dragnea beantragt, am Ende erhielt er eine Gesamtstrafe von immerhin noch 3 Jahren und 6 Monaten Haft. Das Berufungsverfahren hatte sich in diesem Falle ungewöhnlich lang hingezogen, sodass auch eine Verjährung bestimmter Taten Dragneas gedroht hatte. Die in diesem Verfahren relevanten Straftatbestände und Verfahrens-vorschriften waren zum Teil Gegenstand der laufenden Strafrechtsreform, was den Vorwurf nahelegte, die Reform sei maßgeblich vorangetrieben worden, um bestimmten Politikern Straffreiheit zu ermöglichen.

Gesetzgebungsverfahren und Verfassungs-gerichtsentscheidung

Das Gesetzgebungsverfahren der Strafrechtsreform begann im Sommer 2018. Die Initiatoren aus den rumänischen Regierungsparteien PSD und ALDE begründen die Notwendigkeit für Änderungen mit einer aus ihrer Sicht ungerechten bisherigen Gesetzeslage, die wiederum von einer voreingenommenen Justiz zu ihren Zwecken missbraucht werde. Nachdem das Gesetz in erster Lesung im Juli 2018 beide Parlamentskammern passierte, legten sowohl mehrere Oppositionsparteien als auch der Staatspräsident die Gesetzesneufassungen dem Verfassungsgericht vor: Die rumänische Verfassung sieht vor, dass das Verfassungsgericht auf Antrag bereits vor Inkrafttreten von Gesetzen über deren Verfassungsmäßigkeit entscheiden kann.

Am 12. bzw. 25. Oktober 2018 entschied das Gericht, dass insgesamt 31 geplante Einzeländerungen im Strafgesetzbuch und sogar 64 in der Strafprozessordnung verfassungswidrig sind. So entschied das Gericht u.a., dass durch die Reform Beschuldigte ungerechtfertigte Privilegien im Verfahren erhalten würden. Dazu zählte beispielsweise eine zeitliche Begrenzung von Ermittlungen, die nicht mit der Verfassung vereinbar sei. In der Folge gingen der Gesetzestext zur erneuen Beratung an das Parlament zurück. Die Entwürfe wurden dabei nicht in einem ordentlichen Ausschuss eines der beiden Parlamentskammern, Senat und Abgeordnetenhaus, behandelt, sondern in einem eigens eingerichteten Sonderausschuss (sog. „Gemeinsamer Ausschuss zur Gewährleitung der legislativen Stabilität im Justizwesen“). Dessen Vorsitzender ist der PSD-Abgeordnete Florin Iordache, obwohl er zuvor als Justizminister im Februar 2017 nach Massenprotesten zurücktreten musste, weil er maßgeblich eine Amnestiegesetzgebung für Korruptionsstraftäter vorangetrieben hatte. Der damalige Vorstoß kann auch als Startschuss des nun gut zweijährigen Konfliktes zwischen Justiz und Regierung angesehen werden.

Im Laufe der Beratungen gab es immer wieder auch Bestrebungen, einzelne Änderungen im Wege von Eilverordnungen nach Art 73 Abs. 3 der rumänischen Verfassung zu beschließen. Dieser Weg der Rechtsänderung wird verhältnismäßig häufig genutzt und bietet für die Regierung den erheblichen Vorteil, dass auf Zustimmung und Unterschrift des Staatspräsidenten verzichtet werden kann. Präsident Klaus Johannis ist ein starker Kritiker der aktuellen Regierung. Nach der Entlassung des Justizministers Tudorel Toader im April dieses Jahres im Streit über andere geplante Eilverordnungen war dieser Weg für eine weitere Strafrechtsreform jedoch keine realistische Option mehr. Nach Ansicht des damaligen PSD-Vorsitzenden und Parlamentspräsidenten Dragnea und anderer hochrangiger PSD-Politiker hatte Justizminister Toader nicht in ausreichendem Maße vom Instrument der Eilverordnungen Gebrauch gemacht. Die Abstimmung der jüngsten Strafrechtsreform wurde schließlich im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens im Parlament angesetzt, wo sich eine große Mehrheit fand.

Das Abstimmungsergebnis mag aufgrund der hohen Zustimmung erstaunen, zeigt es doch, dass die Kritik allein an der größten Regierungspartei, der PSD und ihrem (seit Ende Mai 2019 ehemaligen) Vorsitzenden Dragnea, zu kurz greift. Im Abgeordnetenhaus stimmten 180 Abgeordnete für die Reform des Strafgesetzbuches, 81 stimmten dagegen. Bei der Strafprozessordnung sah es ähnlich aus: Dort stimmten 181 dafür und 73 dagegen.¹ Dabei sollte berücksichtigt werden, dass die Regierungskoalition aus PSD und ALDE momentan nicht mehr über eine eigene Mehrheit im Parlament verfügt, sondern auf weitere Unterstützung angewiesen ist. Dazu zählt insbesondere die Ungarn-Partei, die UDMR. Ja-Stimmen kamen aber auch aus anderen Fraktionen. Die Gegenstimmen resultieren maßgeblich aus der Ablehnung aus dem bürgerlichen Lager durch die Parteien PNL, USR und PMP.

Unmittelbar nach der Verabschiedung im Parlament kündigten die PNL und die USR an, einzelne Teile des Gesetzes vor dem Verfassungsgericht anzugreifen. Gleiches gilt für Staatspräsident Johannis, der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit anmeldete. Insoweit wiederholen sich die Vorgänge aus dem Jahr 2018. Es wird interessant sein zu sehen, ob die Regierungsparteien die angemahnten Regelungen angepasst haben bzw. solche Veränderungen im Detail vorgenommen haben, die bei der Entscheidung in 2018 noch unbeanstandet blieben. Allerdings verlegt die Opposition ihre Hauptkritik nun auf das Verfahren. Sie rügt bspw. eine mögliche Verletzung der Parlamentsrechte, da das Abgeordnetenhaus nachträglich einige Änderungen an dem zuvor im Senat beschlossenen Gesetzestext vorgenommen hatte. Außerdem stützen sie sich auf Art. 1 der Verfassung, indem in Absatz 3 das Demokratieprinzip verankert ist, welches durch das gesamte Verfahren verletzt worden sei.

Durch die Vorlage beim Verfassungsgericht können die Änderungen in Strafgesetzbuch und Strafprozessordnung vorerst nicht in Kraft treten. Es fehlt weiterhin die Unterschrift des Staatspräsidenten. Letzteres ist allerdings rechtlich umstritten, da er auch öffentlich die Reform aus inhaltlichen Gründen kritisiert hatte. Laut Verfassungsrechtsprechung verfügt er aber über kein umfassendes Prüfungsrecht, insbesondere darf er kein Veto aus politischen Gründen einlegen. Er ist weitgehend darauf beschränkt, die formalen Voraussetzungen des Zustandekommens eines Gesetzes zu überwachen. Gleichwohl räumt ihm aber bei Zweifeln die Verfassung ein Vorlagerecht an das Verfassungsgericht ein, von dem er hier Gebraucht macht.

Gesetzgebung zur Korruptionsbekämpfung

Korruption ist sicherlich ein Phänomen, das alle Gesellschaften betrifft. Je verbreiteter sie jedoch ist, desto bedrohter ist auch der Rechtsstaat als solcher. So fehlt es dann oft an einer elementaren Gleichbehandlung der Bürger durch öffentliche Stellen. Geld und Einfluss entscheiden über Machtverteilung und die Gestaltung eines Landes.

Die Antikorruptionsgesetzgebung ist in Rumänien sehr umfassend und durchaus auch ein scharfes Schwert. Es gibt sehr detaillierte Regelungen im Strafgesetzbuch und auch das bereits erwähnte Gesetz Nr. 78/2000, welches als Nebenstrafrecht fungiert und ausschließlich Tatbestände im Bereich Korruption erfasst. Das Strafgesetzbuch selbst enthält im Abschnitt „Amtsdelikte“ mindestens acht Straftatbestände, die sich auf Handlungen mit Bezug zu Korruption befassen. Auch existieren vergleichsweise hohen Strafandrohungen, z.B. wird Amtsmissbrauch mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter 2 Jahren geahndet. Ebenso werden nahezu täglich Verfahren eingeleitet und Prozesse gegen Funktionsträger aller staatlichen Ebenen geführt. Dennoch bleibt der Eindruck bestehen, dass diese in der Breite ohne größere Wirkung bleiben. Das dürfte wiederum ein Beleg dafür sein, dass ein repressives Vorgehen gegen Korruption nicht allein zum gewünschten Erfolg führt, sondern vielmehr von präventiven Maßnahmen flankiert werden muss.

Die meisten der neuerlichen Gesetzesänderungen erscheinen bei einzelner Betrachtung als – zumindest für die Rechtsstaatlichkeit – wenig problematisch. Im politischen Kontext mag natürlich ein Streit aufkommen, ob z.B. Strafrahmen und Verjährungsfristen gesenkt oder erhöht werden, doch berührt dies eben nicht die grundsätzlichen Prinzipien eines rechtsstaatlich verfassten Staates. Man muss also – wie bereits erwähnt – diese Einzeländerungen in ihrer Gesamtheit und im Kontext der Änderungen aus der jüngeren Vergangenheit betrachten sowie in Erwägung ziehen, wem diese Anpassungen zugutekommen könnten.

Einzelne Änderungen

Aus den fast 300 Einzeländerungen lassen sich einige problematische Elemente herausfiltern. Insbesondere die Überarbeitung der Strafprozessordnung wirft größere Fragen auf. Das Verfahrensrecht ist stets ein entscheidender Faktor für Bewertung von Rechtsstaatlichkeit. Dabei geht es um Fragen, ob Verdächtige fair behandelt werden, aber auch, ob die Ermittlungsbehörden und Gerichte notwendige Instrumente an die Hand bekommen, um die materiellen Strafvorschriften effektiv durchzusetzen.

Im Strafgesetzbuch wurden durch die Reform vom April 2019 einige Delikte gestrichen, Verjährungsfristen verkürzt und Strafmaße heruntergesetzt. Prominentes Beispiel für eine komplette Streichung ist der Fahrlässige Amtsmissbrauch (Art. 298), den es künftig nicht mehr geben soll. Das Strafmaß für eine Reihe von Amtsdelikten (Art. 308 f.) wird sowohl in einfachen als auch in besonders schweren Fällen reduziert. Bei einer einfachen Begehung verkürzt sich die Strafe um die Hälfte, wenn der Beschuldigte bzw. Angeklagte bis zur rechtskräftigen Verurteilung den entstandenen finanziellen Schaden ersetzt. Das Strafmaß liegt zurzeit bei zwei bis sieben Jahren Freiheitsstrafe. In besonders schweren Fällen hingegen erhöht sich dieses Strafmaß nur noch um ein Drittel, statt bisher um die Hälfte.

Gleichzeitig werden Verjährungsfristen (Art. 154) verringert. Straftaten, die mit einer Strafandrohung von 10-20 Jahren Freiheitsstrafe versehen sind, sollen künftig nach nur acht Jahren verjähren, die derzeit noch geltende Regelung sah noch zehn Jahre (gemessen ab Begehung der Tat) vor. Straftaten, die mit einer Strafandrohung von 5-10 Jahren Freiheitsstrafe belegt sind, verjähren nun nach sechs Jahren statt zuvor nach acht Jahren. Insbesondere die letztgenannte Kategorie von Straftaten betrifft schwere Fälle von Amtsdelikten. In diesem Zusammenhang steht auch das gesetzgeberische Bestreben, die Aufklärung von Delikten der Bestechung bzw. Vorteilsgewährung zu erschweren. Ging nach alter Rechtslage derjenige straffrei aus, der den Ermittlungsbehörden das Tatgeschehen offenbarte, soll künftig dieses Privileg nur noch bis zu ein Jahr nach der Tatbegehung gewährt werden (Art. 290, 292). Gerade bei diesen relativ schwer zu ermittelnden Taten sind die Strafverfolgungsbehörden aber auf sog. „Whistleblower“ angewiesen.

Größere Bedeutung dürfte auch die Aufweichung von Straftatbeständen haben, die die Begünstigung von Amtsträgern erfassen. Demnächst wird unter anderem die Bestrafung drastisch niedriger ausfallen, wenn der Amtsträger nicht direkt selbst für eine Diensthandlung eine Gegenleistung erhält, sondern ein Dritter (Art. 13 (2) des Gesetzes Nr. 78/2000). In der Folge werden zum einen die Taten früher verjähren (s.o.), zum anderen hat es Potential für Konstruktionen, wonach Angehörige oder Verwandte Zuwendungen erhalten und „treuhänderisch“ für den Amtsträger verwalten.

Die vielfältigen Änderungen im Verfahrensrecht betreffen alle Stationen eines Strafverfahrens, von Ermittlungsbeginn bis zur Rechtskraft eines Urteils. So wurden die Hürden für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erhöht. Der nötige Verdachtsgrad muss nun „stichhaltige Beweise oder Hinweise“ enthalten, während zuvor ein „begründeter Verdacht“ ausreichte (Art. 305). Was womöglich eher etwas technisch klingt, mag sich als ernsthafte Hürde für Ermittlungen erweisen. Hier muss sich noch zeigen, wie die Ermittlungsbehörden und Gerichte mit der Neufassung in Praxis umgehen werden. Jedenfalls bietet sich für Vorgesetzte, die teilweise politisch motiviert handeln, ein Instrument an die Hand, ungewollte Verfahren gar nicht erst einzuleiten oder einzustellen.

Ein weiterer Teil der Reform betrifft das Privileg des Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechts im Strafverfahren. In Rechtsstaaten sind diese Rechte ein hohes Gut, um einerseits Gewissenskonflikte bspw. von Familienangehörigen oder Berufsgruppen zu vermeiden und andererseits die Selbstbelastungsfreiheit eines Zeugen zu schützen. Die neue rumänische Variante weitet nun diese Rechte aus, jedoch mit dem gegenteiligen Effekt massiver Rechtsunsicherheit. Künftig sollen auch sog. „ehe- und familienähnliche“ Verbindungen von Zeugen zum Beschuldigten geschützt sein (Art. 117). Das Gesetz lässt allerdings völlig offen, was darunter zu verstehen ist. Leicht zu erkennen ist, dass dies Tür und Tor für unterschiedliche Interpretationen öffnet und in der Folge Behörden und Gericht verunsichert. Auch potentielle Straftäter können auf diese Weise – unangemessen – vor Strafverfolgung bewahrt werden. Insofern wird ein rechtsstaatlich wichtiges Prinzip durch Unbestimmtheit diskreditiert.

Schließlich werden Zeugen in der neuen Gesetzesfassung auch umfassendere Rechte in der Vernehmungssituation eingeräumt (Art. 116). Nach dem Willen des Gesetzgebers haben sie nun unbeschränkt das Recht, ihren Rechtsbeistand zu kontaktieren und dadurch die Vernehmung jederzeit zu unterbrechen. Es wird befürchtet, dass Zeugen, die der Wahrheitspflicht unterliegen und lediglich ein Verweigerungsrecht im Falle einer möglichen Selbstbelastung geltend machen können, nun Vernehmungen zur Sachverhaltsaufklärung torpedieren können.

Weitergehend wird das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an laufenden Ermittlungs- und Gerichtsverfahren beschränkt. Künftig dürfen öffentliche Stellen keinerlei Informationen – weder direkt noch indirekt – zu Ermittlungsstand und beteiligten Personen eines Verfahrens veröffentlichen (Art. 4). Nachvollziehbar scheint dabei die Unschuldsvermutung eine Rolle zu spielen. Diese absolute Regelung geht jedoch eindeutig zulasten von Transparenz über Verfahren, v.a. wenn diese gegen Personen von öffentlichem Interesse in hohen politischen Ämtern laufen. Die Abwägung zwischen Informationsinteresse und Unschuldsvermutung dürfte in diesem Fall zum Vorteil derjenigen gereichen, die eine negative Presseberichterstattung vermeiden wollen.

Schließlich wurde die Beweismittelverwertung in Strafverfahren verengt. Zugegeben lässt sich diese Neuregelung auf rechtsstaatlich nicht unproblematische Praktiken der Ermittlungsbehörden in der Vergangenheit zurückführen. So war es möglich, dass Polizei und Staatsanwaltschaft auf Erkenntnisse von Nachrichtendiensten ohne größere Hürden zugreifen konnten. Eine solche Vermischung von nachrichtendienstlicher und polizeilicher Tätigkeit dürfte wohl zu Recht Unbehagen auslösen, wenn es auch überwiegend dem eigentlich begrüßenswerten Ziel der Korruptions-bekämpfung diente. Solche heimlichen und nachrichtendienstlichen Erkenntnisse dürfen künftig nur noch sehr eingeschränkt als Beweismittel genutzt werden. Als hauptsächlicher Anwendungsfall verbleibt der Kampf gegen Terrorismus (Art. 139, 162). In dem Zusammenhang wird auch die Verwertung von sog. Zufallsfunden weitgehend beschränkt. Das Ziel ist, dass v.a. bei einer Durchsuchung von Objekten aufgefundene Beweismittel für eine andere Straftat als die Anlasstat für die Durchsuchung, nicht mehr verwendet werden können. Auch hier muss sich zeigen, wie die Praxis damit umgeht, ob es dabei zu einer weiten oder eher engen Auslegung kommt.

Mögliches EU-Rechtsstaatsverfahren gegen Rumänien

Die Polarisierung im Land treibt diese Reform weiter voran. Der bisherige PSD-Vorsitzende Dragnea hatte zuletzt auch seinen Ton gegenüber der EU-Kommission verschärft. Frans Timmermanns, stv. Präsident der EU-Kommission und zuständig für Rechtsstaatsfragen, schrieb bereits am 10. Mai 2019 einen Brief an die rumänische Regierung und den Staatspräsidenten, in dem er ankündigte, dass die EU-Kommission die Einleitung des sog. Rechtsstaatsverfahrens vorbereite, um im Falle eines tatsächlichen Inkrafttretens der in Rede stehenden Reformen umgehend reagieren zu können. Dieser Mechanismus wurde bereits im Falle Polens angewandt. Möglich erscheint darüber hinaus auch ein Verfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag. Dragneas heftige Kritik richtet sich auch gegen Staatspräsident Johannis und versucht diesen als Marionette Brüssels zu diffamieren. Die Forderung nach einem Rechtsstaatsverfahren gegen Rumänien wurde auch von weiteren Politikern aus verschiedenen EU-Staaten erhoben.

Die rumänische Regierung hält dagegen unbeirrt an ihrem Kurs fest und versichert, dass die Gesetzesänderungen ausnahmslos verfassungs-konform seien. In ihrer Verteidigung beschuldigt sie neben EU und Staatspräsident Johannis auch die eigene Justiz, als diejenige, die sich gegen die Regierung verschworen hätte. Die Kritik an den beschlossenen Reformen nutzen die Regierungsparteien, um die Justiz als voreingenommen und als Werkzeug ihrer politischen Gegner zu bezeichnen (in der rumänischen Debatte ist dabei seit Monaten vom sog. „deep state“ die Rede). Aufgrund dieser verschärften Tonlage ergibt sich eine weitere Bewährungsprobe für die Justiz.

Kooperations- und Kontrollmechanismus sowie Venedig-Kommission

Auch darf nicht vergessen werden, dass Rumänien – neben Bulgarien – dem sog. Kooperations- und Kontrollmechanismus (CVM) der EU-Kommission seit 2007 unterliegt. Dieses jährliche Monitoring hat zum Ziel, in den beiden Ländern die Entwicklung des Rechtsstaats und den Kampf gegen Korruption darzustellen. Der letzte CVM-Report vom Oktober 2018² war für Rumänien besonders kritisch ausgefallen. Darin wurden v.a. die jüngsten Umstrukturierungen im Justizwesen heftig kritisiert. Schließlich fand sich in – eher allgemein gehaltenen – Handlungs-empfehlungen auch die Fortsetzung des Kampfes gegen die verbreitete Korruption. Die aktuelle Strafrechtsreform dürfte eher ein gegenteiliges Signal vermitteln. Jedoch darf auch hier nicht vergessen werden, dass es bei der Korruptionsbekämpfung vor allem an präventiven Schutzmaßnahmen fehlt, wie es die EU-Kommission auch schwerpunktartig einfordert.

Die Venedig-Kommission des Europarates hat sich bereits, auf entsprechenden Antrag, mit den Entwürfen der im April beschlossenen Reformgesetze befasst. Im Oktober 2018 gab sie eine Stellungnahme zu den damals noch als Vorschlägen behandelten Gesetzesänderungen ab.³ Darin forderte die Kommission eine völlige Überarbeitung, da die Neuregelungen eine generelle Schwächung der Ermittlungsbehörden sowie auch ungerechtfertigte Aufweichungen in der Strafbarkeit von Amts- bzw. Korruptionsdelikten. In einigen Fällen würde auch eine Verletzung von internationalen Verpflichtungen Rumäniens eintreten, die das Land durch den Beitritt zu entsprechenden Abkommen eingegangen ist. Unmittelbar nach der Veröffentlichung der Stellungnahme wurden diese Empfehlungen jedoch von den Regierungsparteien zurückgewiesen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Bedeutung der aktuellen Reform liegt in der schieren Menge der Detailänderungen, durch welche materielles und prozessuales Strafrecht novelliert werden. Erst diese Kombination führt zu einer ernsthaften Gefahr für den rumänischen Rechtsstaat.

Gerade im Bereich der Änderungen in der Strafverfahrensordnung mit seinen Restriktionen und (wie dargestellt) auch Unbestimmtheiten kann erwartet werden, dass die SSIJ dies zum Anlass nehmen wird, um ggf. gegen missliebige Staatsanwälte und Richter vorzugehen. Allein diese Möglichkeit dürfte wie ein Damoklesschwert wirken, mit dem langfristigen Effekt gehemmter Ermittlungsarbeit.

Ob politischer Druck aus dem In- und Ausland an dem Inkrafttreten bzw. in der Anwendung des neuen Gesetzes etwas ändern wird, bleibt abzuwarten. Das Artikel-7-Verfahren der EU scheint aufgrund seines politischen Charakters ein eher stumpfes Schwert zu sein. Möglich scheint auch ein Vertragsverletzungsverfahren bezüglich konkreter, nicht als EU-rechtskonform bewerteter Vorschriften. Wahrscheinlich ist wohl ein punktuelles Einschreiten des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

Das weitere Schicksal der laufenden Strafrechtsnovelle ist jedenfalls noch unbestimmt.

Wahrscheinlich erscheint – wie schon in den letzten Monaten – eine punktuelle Änderung einzelner besonders strittiger Vorschriften. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind weniger klar als zu Beginn der Legislaturperiode. Die aktuelle Regierungskoalition hatte in den letzten Monaten zahlreiche Abgeordnete verloren.

Die rumänische Bevölkerung hat sich in einem zeitgleich mit der Wahl zum Europäischen Parlament abgehaltenen Referendum mit großer Mehrheit für ein Verbot der Änderung des Strafrechts im Wege von Eilverordnungen sowie für ein Verbot von Amnestien bei Korruptionsdelikten ausgesprochen. Das Referendum hatte aber ohnehin nur konsultativen Charakter und frühere Referenden wurden in Rumänien nicht umgesetzt. Außerdem sind die hier besprochenen Änderungen gerade nicht im Wege der Eilverordnung verabschiedet worden.

Die Bevölkerung hat beim Referendum zwar ein Zeichen gesetzt (allein das Erreichen des Quorums von 30% muss dabei als Erfolg gewertet werden), eine solche Mobilisierung hat aber wohl eher nur singulären Charakter und ist nicht beliebig wiederholbar. Ob es angesichts der noch nicht abgeschlossenen Strafrechtsreform zu neuen Protesten der Bevölkerung kommen kann, muss bezweifelt werden.

Genau so offen ist indes, welche Priorität für die nach Dragneas erzwungenem Abgang und dem schlechten Abschneiden bei der Europawahl geschwächte PSD-ALDE-Koalition das weitere Vorantreiben der Strafrechtsreform noch hat.

 

[1] Das Abgeordnetenhaus hat 329 Abgeordnete.

[2] Progress report Romania 2018 [COM(2018)851].

[3] European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Opinion 930/2018, 20.10.2018.

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