Länderberichte
Ende Januar haben sich die ODS und die CSSD auf die konkrete Vertiefung des 1998 geschlossenen Oppositionsvertrages, der jetzt Toleranzpakt genannt wird, geeinigt. Die kurze Zeit darauf veröffentlichten fünf vertraglich geregelten Absprachen über
- den Staatshaushalt 2000,
- die Bedingungen, unter denen die Minderheitsregierung toleriert wird,
- EU-Beitritt,
- Änderungen des Wahlgesetzes, und
- die Kommunikation zwischen den beiden Fraktionen sollen das Bündnis zwischen ODS und CSSD bis zum Jahr 2002 absichern und den Fortbestand der Minderheitsregierung Zeman garantieren.
Zu den Bedingungen für die Tolerierung der Minderheitsregierung gehören unter anderem
- die beschleunigte Privatisierung von Banken und großen Unternehmen,
- die Vorlage eines Konzeptes zur Rentenreform durch die Regierung noch im Jahr 2000, v
- das Vorantreiben der Freigabe der Mieten und Energiepreise sowie
- die Garantie der Regierung, dass unter Berücksichtigung der Verpflichtung Tschechiens als NATO-Mitglied, die Verteidigungsausgaben nicht unter 2,2% absinken dürfen.
Deutlich eingeschränkt wurde der Spielraum der kleineren Parlamentsparteien, denn die ODS und die CSSD werden von jetzt an noch enger kooperieren, wie es die Absprache über die Kommunikation der beiden Fraktionen festlegt. Bei kontroversen Abstimmungen wird die CSSD also nicht zuerst um die Unterstützung der beiden kleineren Parteien KDU-CSL und US anfragen.
Die Kommentatoren bezeichnen den Toleranzpakt als "faktische Koalition", in der die CSSD die Regierungsverantwortung trägt und die ODS sich ein Mitspracherecht vorbehält, ohne für die Folgen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Tageszeitung "Mlada fronta dnes" kommentierte: "Auch wenn beide Parteien den Oppositionsvertrag Nr. 2 als ihren Triumph ausgeben müssen, kann sein Inhalt das wahre Kräfteverhältnis der Verhandlungspartner nicht verbergen. Klaus schloss seinen Winterfeldzug mit einem taktischen Sieg ab."
Unzufriedenheit äußerte auch Vizepremier Pavel Rychetský (CSSD), der gegenüber der Presse von einem "Opfer der Sozialdemokraten für das Land" sprach. Auch der CSSD-Fraktionschef Stanislav Gross spricht von einem "großen Zugeständnis" an die ODS von Seiten der Sozialdemokraten.
Als negative Reaktion ist auch das Verhalten von Petra Buzková, stellvertretende Vorsitzende der CSSD, zu deuten, die von ihrem Amt zurückgetreten ist und sich damit gegen den von der ODS und CSSD ausgehandelten Toleranzpakt wendet. Buzková steht seit 1990 (mit einer Unterbrechung von 1991-1993) an zweithöchster Position bei den Sozialdemokraten. Einen Parteiaustritt erwägt sie nicht, auch bleibt sie stellvertretende Parlamentsvorsitzende. Zudem gehen politische Experten davon aus, das die Umbesetzung des Kabinetts Zeman Teil der Vereinbarung zwischen ODS und CSSD ist, obwohl dies offiziell nicht im Abkommen festgelegt wurde.
Bereits am 9. Februar wurde Bohumil Fišer (CSSD), Herzspezialist und langjähriger Leiter des Physiologischen Instituts in Brünn, zum neuen Gesundheitsminister ernannt und ersetzt damit den vor zwei Monaten zurückgetretenen Ivan David (CSSD). Nach der anstehenden Verabschiedung des Staatshaushaltes wird Ministerpräsident Zeman weitere vier Minister seines Kabinetts auswechseln. Darüber informierte er Staatspräsident Havel. Namen wurden bisher noch nicht öffentlich genannt. Spekulationen zufolge werden Verkehrsminister Antonin Peltram (CSSD), Jaromir Cisar (CSSD), Minister für regionale Entwicklung, Innenminister Václav Grulich (CSSD) und Minister Jaroslav Bašta (CSSD), der für die gescheiterte Aktion "Saubere Hände" zuständig war, ausgewechselt werden.
Die gefundenen Lösungen zwingen die Sozialdemokraten jedoch zu keinerlei wirklich überraschenden Zugeständnissen. Einige Punkte, beispielsweise das Vorantreiben der Privatisierung, sind sogar Wiederholungen aus dem Wahlprogramm der CSSD. Zu verbalen Konfrontationen wird es zwischen den beiden Paktparteien vermutlich über Sachfragen wie die Reform des Rentensystems, das Gesundheitswesen und das Steuersystem kommen. Doch wirkliche Reformen wird wohl erst die nächste Regierung in Angriff nehmen.
Kritik an FPÖ/ÖVP-Koalition: Meinungen der tschechischen politischen Elite kontrovers
Die ÖVP/FPÖ-Koalition stößt auch in Tschechien auf starke Kritik. Bereits im vergangenen Jahr hatte das tschechische Kabinett die FPÖ als rechtsextreme Partei eingestuft. Mit dem Atomkraftwerk Temelin, den Beneš-Dekreten und der Entschädigung der Zwangsarbeiter stehen zudem einige Themen im Raum, die das Verhältnis zwischen den beiden Ländern trüben. Auch an regelmäßigen österreichischen Drohgebärden hinsichtlich des tschechischen EU-Beitritts fehlte es in der Vergangenheit nicht. Ministerpräsident Zeman (CSSD) verglich Haider mit Schirinowskij, Le Pen und Meciar. Sie alle stellten eine Gefahr für die Demokratie dar, so Zeman.
Auch im Außenministerium haben einige Passagen des verabschiedeten Programms des neuen österreichischen Kabinetts Besorgnis hervorgerufen. Noch Anfang Februar, als aus der EU bereits Kritik an der erwarteten Regierungsbeteiligung der FPÖ laut wurde, hatte Außenminister Kavan (CSSD) vorschnelle Reaktionen abgelehnt, zumal ihm der österreichische Botschafter in Tschechien versichert hatte, dass sich die Außenpolitik des Landes nicht ändern werde und auch eine neue österreichische Regierung die EU-Erweiterung nach Osten unterstützen werde.
Nun kommen jedoch in Prag ernsthafte Zweifel auf: Die von Bundespräsident Klestil formulierte Präambel und das Regierungsprogramm des neuen Kabinetts seien von "unterschiedlicher Diktion" geprägt, heißt es in einer Erklärung des tschechischen Außenministeriums.
Tschechien fühlt sich gleich in zwei sensiblen Punkten getroffen: Zum ersten Mal stelle sich eine österreichische Regierung hinter die Rückgabe- und Eigentumsforderungen der aus der Tschechoslowakei vertriebenen Sudetendeutschen. Ein weiterer Punkt ist das Beitrittsdatum Tschechiens zur EU: Die neue Regierung Österreichs relativiere den Erweiterungsprozess und könnte mit Forderungen nach großen Übergangsfristen für einige Bereiche den Prozess hinauszögern, befürchtet das Außenministerium.
Ministerpräsident Zeman erklärte offiziell, dass sich Tschechien an den Sanktionen der 14 EU-Staaten gegenüber Österreich beteilige. Er berief sich dabei auf das nationale Interesse des Landes, das in einem möglichst schnellen Beitritt zur EU bestünde. Die Äußerungen Haiders würden dem jedoch zuwider laufen. Das tschechische Außenministerium informierte den österreichischen Botschafter inzwischen darüber, dass von Seiten Prags aus kein Interesse bestehe, Gespräche über die gemeinsame Zukunft zu führen. Außenminister Kavan drohte gar, die diplomatischen Beziehungen auf ein Minimum zu reduzieren, sollte Österreich den EU-Beitritt an die Aufhebung der Beneš-Dekrete knüpfen.
Anders reagierte ODS-Chef Klaus. In einem Interview für Radio Freies Europa erklärte er, dass er nicht in einem Europa leben wolle, in dem andere Staaten einem Land diktieren würden, wer in dessen Regierung sitzen muss. Die Schritte der EU bezeichnete er als "falsch, unverständlich und kurzsichtig" und titulierte die Maßnahmen der EU als "Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines Staates".
Der KDU-CSL-Vorsitzende Jan Kasal und sein Stellvertreter Cyril Svoboda reisten sogar am 18. Februar nach Wien zu einem Gespräch mit Kanzler Wolfgang Schüssel, der ihnen bestätigte, den EU-Beitritt Tschechiens zu unterstützen. Jaroslav Zverina (ODS), Vorsitzender des Parlamentsausschusses für europäische Integration, sieht es als positiv an, dass die Christdemokraten das Kabinett Schüssels unterstützen und damit wenigstens eine "elementare Solidarität" der Rechtsparteien zeigten. Zeman verurteilte den Wienbesuch der KDU-CSL hingegen als "politische Ungeschicklichkeit".