Workshop
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Im Rahmen eines Mittagessen mit der Bolivianischen Vereinigung der Politikwissenschaftler (ABCP) und der KAS wurde die vom amtierenden Präsidenten Evo Morales angestrebte Verfassungsänderung diskutiert, welche seine erneute Wiederwahl ermöglichen könnnte und die im Februar per Volksreferendum abgesegnet werde soll.
In seine Begrüßungsworten steckten der Leiter des Auslandsbüros Boliviens der KAS, Maximilian Hedrich, und der Vorsitzender der ABCP, Marcelo Vernoux den Rahmen der Diskussion ab. Dabei wurden als Kernfragen für die Diskussion folgende herausgestellt: Wem nützt die Verfassungsänderung? Ist die mit demokratischen Grundsätzen vereinbar? Was bedeutet sie für die Demokratie in Bolivien? Warum treibt die Regierung Morales das Projekt jetzt voran? Wie schafft es die Regierung, den großen Rückhalt in der Bevölkerung zu erhalten?
In der anschließenden Diskussion wurde das Thema der Verfassungsänderung und Wiederwahl aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.
In einem ersten Schritt wurde analysiert, wem die Wiederwahl des Präsidenten Evo Morales nutzen würde und dabei wurden in erster Linie der Präsident selbst, sein Vizepräsident und die Spitze der Regierungspartei MAS identifiziert. Darüber hinaus wurde jedoch auf die Interessen von äusseren Akteuren hingewiesen: Bolivien ist eine Spielfigur des ALBA und der anderen Ländern des sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhundert, die sich momentan zum Grossteil in schweren Krisen befinden. Bolivien ist einer der letzten starken Akteure in diesem Feld und damit von großer Strahlkraft für die Region. Gleichzeitig kann man hier jedoch auch den Vergleich mit anderen lateinamerikanischen Ländern herstellen, die Verfassungsänderungen durchgeführt haben, um die Wiederwahl eines Präsidenten zu ermöglichen, wie z.B. Venezuela und Nicaragua. Diese durchlaufen zur Zeit heftige politische und wirtschaftliche Krisen und haben folglich keinerlei Nutzen aus der Wiederwahl gewonnen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Verweis auf Deutschland wiederlegt, in dem die Wiederwahl erstens keinen Verfassungsbruch darstellt bzw. diese verändern muss und in dem zweitens kein Präsidentialsystem herrscht, sodass eine unbegrenzte Wiederwahl nicht die gleichen Implikationen der Machtkonzentration mit sich bringt.
Beim Versuch, die eingangs gestellte Frage nach dem bestehenden Rückhalt in der Bevölkerung zu beantworten, wurde zuerst darauf hingewiesen, dass Evo Morales ohne Zweifel einer der wichtigsten Präsidenten des Landes ist und im Bereich der ethnischen Gerechtigkeit viele Fortschritte durchsetzen konnnte. Anderseits wurden jedoch auch die Progaganda und Kontrolle der Medien angesprochen, die kritische Stimmen gegen die Regierung im Land kaum zulassen und auf die ethnische Loyalität eines goßen Teil der Bevölkerung mit dem Präsidenten verwiesen, die das Wahlverhalten bedeutend beeinflusst.
Es dominiert momentan in Bolivien, insbesondere von Seiten des MAS, der Diskurs, dass das Land ohne den Präsidenten Evo zusammenbrechen würde. Dies ist jedoch eigentlich ein Anzeichen für die Schwäche des Präsidenten, welches die nur scheinbare Stabilität im bolivianischen Staat und der bolivianischen Bevölkerung deutlich macht. Dies zeigt, dass die Regierung des Präsidenten Morales vor allem unter der fehlenden Konsolidierung der Institutionen und allgemeinem Mangel an Institutionalisierung leidet und das Land unter Morales eigentlich instabil ist.
Der „Messianismus“, mit dem sich Evo Morales als selbstloser Heilsbringer insziniert, fällt jedoch in Bolivien auf fruchtbaren Boden: Als ein zentrales Problem der bolivianischen Gesellschaft wurde in der Diskussion der verwurzelter Autoritarismus identifiziert. Damit einher geht die fehlendene demokratischen Tradition in Bolivien. In diesem Zusammenhang wurde besonders darauf hingewiesen, dass die Linken in Lateinamerika einer Guerrilla-Tradition entstammen und deshalb keinerlei demokratischen Hintergrund und daher auch eine mangelnde Identifikation mit demokratischen Werten aufweisen. Dass die Demokratie in Bolivien noch in den Kinderschuhen steckt, zeigt sich auch an der inflationären Nutzung von Referenden als Legitimation für politische Projekte: Das komplexe demokratische System wird auf diese Weise auf einen formalen Aspekt reduziert. Außerdem wurde auf das Problem des Wahlbetrugs hingewiesen, der in Bolivien leider noch realtiv verbreitet ist und auch beim Referendum eine Rolle spielen könnte.
Darüber hinaus wurde der anstehende Wahlkampf für oder gegen die Verfassungsänderung diskutiert. Dabei stehen sich zwei ungleiche Gegner gegenüber, die über komplett ungleich verteilte finanziellen Ressourcen, interne Struktur und Koordinierungsressourcen verfügen. Für das JA wird die komplette politische Gesellschaft den Wahlkampf vorantreiben, während es eigentlich niemanden gibt, der die Kampagne für das NEIN anführen kann. Egal welche Oppositionspartei oder Oppositionspolitiker zum Zugpferd des Wahlkampfs würde – vermutlich würde dies eher unentschlossene Wählerstimmen kosten als gewinnen . Der einzige Akteur, der die Kampagne gegen die Verfassungsänderung leiten könnte, ist die Zivilgesellschaft. Es entwickelte sich jedoch eine kontroverse Diskussion darüber, ob die bolivianische Zivilgesellschaft reif und engagiert genug ist, um diese schwierige Aufgabe zu erfüllen. Im Kontext der Diskussion über den Wahlkampf wurde darauf hingewiesen, dass die aktuellen Umfragen eigentlich nicht unbedingt das Klima für das Projekt wiederspiegeln und momentan alles darauf hinweist, dass sich im Referendum das NEIN durchsetzen wird. Der Grund dafür, dass die Regierung des MAS das Projekt trotzdem zu diesem Zeitpunkt und mit solcher Intensität vorantreibt, ist demnach vermutlich, dass durch die drohende Wirtschaftskrise, die Bolivien im Jahr 2016 und 2017 ereilen wird, das Klima noch mehr kippen lassen könnte.
Abschließend wurde daraus resultierend die Frage gestellt, ob das JA zur Verfassungsänderung denn automatisch das JA zur Wiederwahl im Jahr 2019 bedeutet. Hier gingen die Meinungen auseinander. Der Effekt der wirtschaftlichen Krise auf die bolivianische Politik und das Wahlverhalten ist nicht zu unterschätzen. Während einige der versammelten Politikwissenschaftler daraus schlossen, dass die wirtschaftliche Krise das einzige sei, was die Vorherrschaft des MAS brechen könnte, mahnten andere an, dass die Parteispitze darauf bereits vorbereitet sei und Krisen in Lateinamerika schon so manches Mal radikalen Gruppen Aufwind verschafft haben.