Veranstaltungsberichte
Die öffentliche Wahrnehmung der aktuellen Situation Boliviens durch die bolivianische Stadtbevölkerung.
Eine quantitative Studie durchgeführt in der Stadt La Paz.“
Von Jörn Reineke | 12. Januar 2012 - 17:30 Uhr
Am Freitag, den 4. November 2011, wurde das Buch „Die öffentliche Wahrnehmung der aktuellen Situation Boliviens durch die bolivianische Stadtbevölkerung. Eine quantitative Studie durchgeführt in der Stadt La Paz“ durch den Koordinator der Studie, Antonio Vargas Ríos, Mitglied des Vorstands der Vereinigung der Journalisten von La Paz (APLP), durch Pedro Glasinovic V. Präsident der Vereinigung APLP und durch den Koordinator der Stiftung Konrad Adenauer, Dr. Ivan Velasquez, vorgestellt. Die Buchvorstellung fand um 18:45 in dem Auditorium der Vereinigung APLP, in dem Gebäude „Las Dos Torres“ in La Paz statt und dauerte ca. zwei Stunden.
Der zeitliche Ablauf der Buchvorstellung:
Die Vorstellung begann mit einer kurzen Rede von Dr. Iván Velásquez Castellanos in der er zu Beginn seine Dankbarkeit hinsichtlich der erfolgreichen Durchführung der Studie zum Ausdruck brachte. Weiterhin bemerkte Dr. Iván Velásquez, dass durch die durchgeführte Studie festgestellt wurde, dass die Ergebnisse der sechsjährigen Regierungszeit von Evo Morales weitgehend als unzureichend angesehen werden. Außerdem erwähnte er, dass in „kulturell fortgeschrittenen Ländern“ die öffentliche Meinungsforschung sozial institutionalisiert ist, was aber in Bolivien leider nicht der Fall sei.
Dr. Ivan Velásquez betonte in seiner Rede, dass Bolivien nur 0.004% seines Bruttoinlandproduktes in die Wissenschaft investieren würde. Auf Grund der Tatsache, dass die Innovationsschaffung vor allem in der Wissenschaft stattfindet und ein wichtiges Element der Entwicklungspolitik darstellt, wären höhere staatliche Ausgaben im Bereich der Wissenschaft essentiell, um der bolivianischen Wirtschaft neue Wachstumsimpulse zu geben. Anschließend erwähnte Dr. Velásquez, dass in kulturell entwickelten Ländern wissenschaftliche Untersuchungen und Umfragen wichtige Mittel zur politischen Entscheidungsfindung darstellen. Dr. Velásquez bedauerte, dass in Bolivien Untersuchungen und Umfragen oft einfach ignoriert würden und fügte hinzu, dass nur eine Verbesserung der ökonomischen Situation der bolivianischen Wirtschaft auch die Lebensbedingungen der bolivianischen Bevölkerung verbessern könnte. Aus dem Grund, dass 60% der Bolivianer unter der Armutslinie leben, würde eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage und eine Erhöhung des Lohnniveaus wesentlich dazu beitragen die Lebensqualität eines Großteils der Bevölkerung zu verbessern.
Nach der Meinung von Dr. Velásquez zeigt die Umfrage deutlich, dass die bolivianische Bevölkerung die wirtschaftliche Zukunft ihres Landes und die Wirtschaftspolitik der aktuellen Regierung eher als negativ beurteilen.
Am Ende seiner Rede sagte Dr. Velásquez, dass die Untersuchungsergebnisse innerhalb einer offenen und plural angelegten Debatte überdacht werden sollten, um Lösungen für die gesellschaftlichen Probleme Boliviens zu finden.
Im Anschluss folgte der Diskurs von Pedro Glasinovic, in der er sich zuerst für die Unterstützung der Konrad Adenauer Stiftung bedankte. Weiterhin sprach er seinen Dank den vielen helfenden Personen aus, die diese wissenschaftliche Arbeit ermöglicht hatten. Auch erwähnte er, dass die öffentliche Meinung ein Spiegelbild der existierenden gesellschaftlichen Probleme darstellt. Dabei sind die von der Regierung eingesetzten politischen und ökonomischen Maßnahmen, so Glasinovic, der Hauptgrund für diese öffentliche Wahrnehmung.
Im Anschluss folgte der Hauptteil der Buchvorstellung, in dem die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Studie, durch die Erklärungen und Kommentare, von Herrn Antonio Vargas Ríos präsentiert wurden.
Vorstellung der Studie:
Die quantitative Studie „Die öffentliche Wahrnehmung der aktuellen Situation Boliviens durch die bolivianische Stadtbevölkerung“ basiert auf eine Befragung, welche am 19. März 2011 in der Stadt La Paz durchgeführt wurde. Die 432 gesammelten Fragebögen spiegeln, so Antonio Vargas Ríos, die Repräsentativität der Studie wieder. Bei der Durchführung der Befragung wurde die Herkunft der Befragten, in Bezug auf die Stadtviertel in denen sie leben, wie auch deren Geschlecht und Alter berücksichtigt, um eine möglichst hohe Repräsentativität in Bezug auf die Zusammensetzung der bolivianischen Gesellschaft zu erreichen.
Zu diesem Zweck wurden weiterhin Fragen zur Arbeitssituation, den Wohnbedingungen und dem Bildungsniveau in die Befragung mit eingebunden, um die Lebensbedingungen der Befragten möglichst genau zu erfassen.
Die Untersuchung stellt unter anderem dar, wie die bolivianische Bevölkerung die aktuelle wirtschaftliche Situation wahrnimmt. Auf der Basis von Fragen, welche sich auf Themen wie z.B. die Finanzkrise aus dem Jahr 2008, die globale Erderwärmung und auf die Konflikte zwischen der Regierung, den Produzenten und EMAPA beziehen. Antonio Vargas Ríos hob hervor, dass die Ergebnisse zeigen würden, dass die Bevölkerung die aktuelle und die zukünftige wirtschaftliche Situation Boliviens als normal bis schlecht wahrnimmt. Diese Wahrnehmung, so Vargas, basiere ausschließlich auf den vorhandenen Engpässen von Grundnahrungsmitteln. Doch bestehe ein klarer Widerspruch in der öffentlichen Meinung, in Bezug auf die Legitimität der staatlichen Unternehmen EMAPA und INSUMOS BOLIVIA, da sie auf der einen Seite als wettbewerbsverzerrend angesehen werden, weil sie staatlich subventionierte Produkte verkaufen, aber auf der anderen Seite, als eine Erleichterung für große Familien wahrgenommen werden, weil diese auf günstigere Produkte angewiesen sind.
Die öffentliche Wahrnehmung der politischen Entscheidungen der Regierung wurde durch Fragestellungen sichtbar, welche sich auf Geschehnisse wie den GASOLINAZO (Regierungsmaßnahme, welche zu einer Preiserhöhung der Flüssigtreibstoffe, wie z.B. Benzin führte,) oder auf die Arbeitsweise des Präsidenten Morales bezogen.
Die Befragung zeigte ebenfalls in diesem Teil einen deutlichen Widerspruch in der öffentlichen Meinung. So wird die aktuelle Regierung und die Legislaturperiode des Präsidenten als normal bis schlecht wahrgenommen, aber die Verantwortung für diese Situation nicht bei dem Präsidenten gesehen sondern bei den Ministern, die den Präsidenten in einem schlechten Licht erscheinen lassen. Dem Regierungsoberhaupt Morales wird dagegen jegliche Eigenverantwortung für seine Amtsführung abgesprochen und ihm werden nur gute Absichten unterstellt.
Versucht man diese Wahrnehmung der Bevölkerung in La Paz zu begründen, wird deutlich, dass sie das Produkt des politischen Handelns des Präsidenten, hinsichtlich seiner Konfliktbewältigung und seiner Reaktionen auf Regierungsfehlern, ist. Denn in solchen Fällen übernimmt das Staatsoberhaupt keinerlei Verantwortung, sondern weist sie von sich, indem er die Schuld je nach Fall auf seine Minister oder die Polizei schiebt und sich so als Opfer darstellt, welches von nichts wusste. Das der Präsident Morales die Pflicht bzw. Macht besitzt, die Arbeit seiner Regierung zu koordinieren und zu überwachen, ist leider den meisten Befragten nicht bekannt.
Die Ablehnung jeglicher Verantwortung seitens des Präsidenten konnte man z.B. in bekannten Fällen, wie dem des Dekretes 748, auch bekannt als „el gasolinazo“ oder anhand des Konflikts hervorgerufen, durch die Planung des Baus einer Straße, welche ein indigenes Teritorium und einen Nationalpark mit dem Namen Isiboro-Secure (TIPNIS) durchqueren sollte, beobachten. Dabei muss erwähnt werden, dass dieser zuletzt genannte Konflikt nach der Durchführung der Umfrage stattfand. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte man sicherlich noch deutlich negativere Ergebnisse erhalten. Der Korrespondenzgrad der Bevölkerung, in Bezug auf die Entscheidungen der Regierung, wurde in der Umfrage durch Fragen wie z.B. “Was war der Grund für die Preiserhöhung der Flüssigbrennstoffe, wie z.B. des Benzins?” und “Benutzt die Regierungspartei MAS, nach ihrer Einschätzung, juristische Mechanismen gegen die Opposition?”, ermittelt.
Antonio Vargas Ríos schlussfolgert, dass die Regierung von Morales es nicht geschafft habe, ihren politischen Entscheidungen die nötige gesellschaftliche Kohärenz zu geben, weil sich durch die Umfrage zeigen würde, dass die Öffentlichkeit die aktuelle Regierung nicht als eine Regierung des Volkes ansieht, sondern viel mehr als eine Regierung bezeichnet, die die politische Linie der sozialistisch geprägten Partei MAS repräsentiert.
Weiterhin trifft die Regierungspolitik, in Bezug auf die Bezeichnung der Medien als “Feind”, auf Ablehnung in der Bevölkerung. Diese sieht den eigentlichen Gegner der Regierung in der Opposition. Die Verrechtlichung der Politik durch die Regierung und der daraus folgende Gebrauch juristischer Mittel gegen die Opposition, wird durch die Befragten als Unterdrückung und Revanchismus wahrgenommen und deshalb als kontraproduktiv für die Stabilisierung der bolivianischen Demokratie angesehen.
Auch in diesem Teil der Umfrage wird ein Widerspruch in der öffentlichen Meinung deutlich. Dieser Widerspruch basiert auf der Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Auffassung ist, dass der Gebrauch des juristischen Systems gegen die Opposition ein geeignetes Mittel sei, um korrupte Personen aus dem Weg zu räumen.
Dadurch wird ein fehlendes Demokratiebewusstsein bei Personen zwischen 18 und 34 Jahren deutlich, welche die Hauptgruppe der Befragten darstellen, weil die Inkompatibilität der Wertschätzung der Demokratie, als politische Ordnung und der Gebrauch der Justiz gegen die Opposition, evident ist.
Die Studie untersuchte weiterhin das politische Handeln der Bevölkerung durch Fragen, wie z.B.: “Für wen stimmten Sie in der vergangenen Präsidentschaftswahl?” oder “Sollte man ein Referendum durchführen, um die Legislaturperiode des Präsidenten Evo Morales zu unterbrechen?”. Die Untersuchung hob zwei wichtige Beobachtungen, in Bezug auf das politische Handeln der Bevölkerung hervor. An erster Stelle, dass die noch unentschlossenen Wähler zukünftige Wahlen bestimmen bzw. entscheiden würden. Die zweite wichtige Beobachtung beruht auf zwei entscheidenden Erkenntnissen. Einerseits wurde durch die Umfrage die als “harte Wählerschaft” bezeichnete Wählergruppe identifiziert, welche immer für Evo Morales stimmen würde. Andererseits wurde auch eine als “harte Opposition” bezeichnete Wählergruppe lokalisiert, welche sich aus Personen zusammensetzt, die auf keinen Fall Evo Morales oder seine sozialistischen Partei MAS in kommenden Wahlen unterstützen würden.
Die sogenannte “harte Wählerschaft” besteht prinzipiell aus Personen zwischen 18 und 44 Jahren, welche der Ethnie Aymara angehören und Mitglieder großer Familien von fünf bis acht Personen sind. Weiterhin gehören die Personen dieser Gruppe den Berufsgruppen der Händler, Hausfrauen, Studenten und nicht akademischen Angestellten in öffentlichen Büros an. Die „harte Opposition“ dagegen besteht hauptsächlich aus Personen mit europäischen Erscheinungsbild und Mestizen, mit einem Alter von 35 bis 44 Jahren. Außerdem gehören dieser Gruppe Menschen mit einem Alter von 60 oder mehr Jahren an. Ferner sind die Personen der „harten Opposition“ Mitglieder von Durchschnittsfamilien von einer bis vier Personen. Die berufliche Situation dieser Wählergruppe charakterisiert sich durch eine Zugehörigkeit zur Personengruppe der Akademiker. Sie sind grundsätzlich Arbeitnehmer die z.B. als Angestellte in öffentlichen und privaten Firmen arbeiten. Ferner sind auch Arbeitgeber, Arbeitslose und Rentner in dieser Wählergruppe vertreten.
Diese Gruppenkonstellation manifestiert eindeutig einen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Klassen und Ethnien. In diesem Fall verläuft die Konfliktlinie genau zwischen Personen die Mitglieder großer Familien sind, der Ethnie Aymara angehören und ein geringeres Bildungsniveau besitzen (mit Ausnahme der oben erwähnten Studenten); und einer andern Bevölkerungsgruppe, die sich vor allem aus Personen mit europäischem Erscheinungsbild und Mestizen zusammensetzt, Mitglieder von Durchschnitts-Familien sind und ein höheres Bildungsniveau besitzen.
Diese Beobachtung ist aber leider keinesfalls überraschend, da man schon von vorherigen Studien weiß, dass die strukturelle Armut in Bolivien mit der Zugehörigkeit zu Ethnien, wie z.B. Aymara, Quechua oder Guarani, assoziiert werden kann.Diese indigenen Ethnien sahen sich durch die ehemaligen Regierungen nicht vertreten, ein Zustand, welcher sich durch die Regierung des Präsidenten Evo Morales geändert hat. Die Umfrage zeigt deutlich, dass die hohen Geburtenraten ebenfalls in Verbindung mit der Zugehörigkeit zu diesen Ethnien stehen.
Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts konnte man in den europäischen Ländern das gleiche demographische Phänomen beobachten. Aus dem Grund, dass die Kinder in dieser Zeit von den Eltern als Altersvorsorge angesehen wurden, die sich um die Pflege bzw. finanziellen Absicherung der Eltern im hohen Alter kümmern mussten, waren kinderreiche Familien die Regel. Auf der anderen Seite ist es wichtig zu erwähnen, dass auch die schlechte Hygiene und Ernährung der Menschen in dieser Epoche zu einer hohen Kindersterblichkeitsrate beitrug, die das Reproduktionsverhalten der Menschen prägte. Aufgrund der gesellschaftlichen Weiterentwicklung und der Einführung von staatlichen Sozialversicherungssystemen, gehört diese Problematik, im Fall von entwickelten Ländern, der Geschichte an.
Durch die Umfrage wurde weiterhin versucht, das Vertrauen der Bevölkerung in öffentliche und private Institutionen zu erfassen. Dazu wurden Fragestellungen wie z.B. „Welche Institutionen schätzen sie als korrupt ein?“ und „Im Vergleich zu anderen Regierungen: wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Rauschgifthandels?“ mit in die Befragung eingebunden. Die durch die Umfrage gewonnen Daten zeigen, dass die Bevölkerung die aktuelle Regierung, im Vergleich zu den vorherigen, als genauso bis weniger korrupt ansieht. Die Polizei und die Regierung wurden dabei als die korruptesten Institutionen beurteilt. Die Presse, die Kirche und die gesetzgebende Versammlung (asamblea legislativa) sind, nach der Umfrage, die am wenigsten korrupten Institutionen.
Aufgrund des schlechten Ansehens der Polizei, welches auf negative individuelle Erfahrungen der Bürger im öffentlichen Bereich zurück zu führen ist, ist das große Misstrauen gegenüber dieser staatlichen Institution nicht überraschend. Dabei sollte die schlechte Reputation der Polizei ein alarmierendes Signal sein, denn gerade die hohe Bereitschaft der Polizisten sich bestechen zu lassen, ist alles andere als ein vorbildliches Verhalten. Die häufigen Verstrickungen von Polizisten hohen Ranges in Straftaten, wie z.B. im Fall von zwei Kommandanten der Polizei Óscar Nina y Ciro Oscar Farfán Medina, welche in einem kurzen Zeitraum in Strafta ten involviert waren und durch den Präsidenten Evo Morales ersetzt werden mussten, sind ein weiterer Grund für diesen schlechten Ruf der bolivianischen Polizei. Weiterhin ist der bekannte Fall des Ex-Kommandanten der Antidrogen-Spezialeinheit (FELCN), der zurückgetretene General René Sanabria, welcher in den USA aufgrund von Drogenhandel festgenommen wurde und zu 14 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt wurde, ein weiteres alarmierendes Beispiel für die aktuelle Situation der bolivianischen Polizei.
Auch in diesem Fall handelte Evo Morales auf eine Art und Weise, welche der eines Präsidenten unwürdig ist. In einer Fernsehansprache sagte er, dass der Bestechungskodex der Polizei sowie die Korruptionsfälle durch die spanische Kolonisation zu begründen sei. Statt die fehlende staatliche Kontrolle einzugestehen und aus diesem Grund die Polizeistrukturen zu reformieren, macht er Akteure, welche vor mehr als 200 Jahren gelebt haben, verantwortlich für die aktuellen Missstände. Die dringend nötigen Reformen sollten dabei ebenfalls die unzureichende Entlohnung der Polizei verbessern, welche die hohe Anfälligkeit der Polizei, in Bezug auf Korruption, mit verursacht. Ferner wären Fortbildungsmaßnahmen nötig, um ein Umdenken bei den Polizisten hinsichtlich ihrer Selbstdarstellung in der Gesellschaft zu bewirken. Eine Verbesserung dieser Situation ist von hoher Wichtigkeit, weil gerade die Polizei eine Beispielfunktion innerhalb einer Gesellschaft haben sollte und nur so die gesellschaftlichen Bildungs- und Ordnungsmaßnahmen, der restlichen bolivianischen Bevölkerung, Erfolg haben können. Die Studie versucht weiterhin die polemische Verabschiedung des Gesetzes gegen Rassismus und Diskrimination durch Fragen, die auf die öffentliche Wahrnehmung dieser zwei gesellschaftlichen Phänomene zielen, zu untersuchen. „Meinen Sie, dass Rassismus in unserem Land existiert?“, „Sind Sie schon einmal ein Opfer eines rassistischen Handelns geworden?“ und „Wer hat Sie diskriminiert?“ sind Fragestellungen, die in die Befragung integriert wurden.
Durch die daraus hervorgehenden Ergebnisse wurde deutlich, dass 56% der Bevölkerung die Präsenz von Rassismus stark wahrnimmt, aber auch, dass der Großteil der Befragten niemals selber Opfer des von ihnen so stark wahrgenommenen Rassismus geworden ist. Aus diesem Grund schlussfolgert Antonio Vargas Ríos, dass die Befragten Diskriminierung, in Form von Rassismus, nicht in erster Person erleben, sondern als eine externe Verhaltensweise wahrnehmen, welche außerhalb ihres sozialen Umfelds stattfindet und deshalb ausschließlich mit dem Verhalten Dritter in Verbindung gebracht wird. Diese Feststellung ist von hoher Wichtigkeit, da die Innenpolitik der Regierung, welche durch den Indigenismus geprägt ist, eine starke Polarisierung der Gesellschaft verursachte. Der starke Gebrauch des Begriffs Indigener erzeugte ein ausschließendes gesellschaftliches Klima, hinsichtlich der Bevölkerungsgruppen der Mestizen und derjenigen mit europäischer Abstammung, welche 40% der Gesamtbevölkerung Boliviens darstellen. Aus diesem Grund wird deutlich, dass die aktuelle Regierung den gleichen Fehler begann wie die vorherigen Regierungen, welche die indigenen Bevölkerungsgruppen ausgrenzten.
Andererseits hätte ein stärkerer Gebrauch der Begriffe, wie z.B. Bolivianer geholfen die gemeinsame nationale Identität zu verbessern, um so die Gemeinsamkeiten die das Volk hat zu unterstreichen und nicht die Differenzen, welche selbstverständlich bestehen und auch nicht ignoriert werden sollten. Die zuvor gemachten Erklärungen sind Versuche das paradoxe Ergebnis der starken Wahrnehmung von Rassismus einerseits und das gleichzeitige nicht vorhanden sein konkreter rassistischer Erfahrungen andererseits, durch eine verfehlte Innenpolitik der Regierung zu begründen. Außerdem wurde deutlich, dass die Beurteilung der Presse als rassistisch, durch den Präsidenten Evo Morales, sich nicht in dieser Form in der öffentlichen Meinung wiederspiegelt, was einmal mehr zeigt, dass die Übereinstimmung zwischen der Regierung und der bolivianischen Bevölkerung ungenügend ist.
Das bedeutet, dass die Reputation der Presse durch ihren Protest, welcher prinzipiell durch die Artikel 16 und 23 des Antirassismus-Gesetzes ausgelöst wurde, nicht beschädigt wurde. Die ablehnende Haltung der Medien gegenüber den Artikeln 16 und 23 begründet sich dadurch, dass diese Artikel die Meinungsfreiheit einschränken könnten. Die alarmierende Tatsache, dass 53% der bolivianischen Bevölkerung emigrieren würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten, unterstreicht die Existenz einer hohen Unzufriedenheit in der Bevölkerung, in Bezug auf die aktuelle Situation des Landes. Auch aus diesem Grund sollte die vorgestellte Studie als wichtig angesehen werden und auch seitens der Regierung Beachtung finden.
Die Ablehnung der Untersuchungsergebnisse durch die Senatorin Sandra Soriano, der Regierungspartei MAS, die sagte, dass „Ziffern oft nicht die Realität wiederspiegeln“ zeigt leider genau das Gegenteil. Aber wie schon der Präsident Pedro Glasninovic, der journalistischen Vereinigung aus La Paz (APLP), sagte: „Ein Problem zu ignorieren lässt es nicht verschwinden“.