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Die Reichweite, Tendenzen und Gegensätze rund um das Konzept der Entwicklung erlangen heutzutage eine politische Konnotation und sollten deshalb kritische beleuchtet werden. Genau dieses versuch das Werk „Entwicklungsvisionen: Indigene, staatliche und unternehmerische Perspektiven“, eine Publikation des Regionalprogramms „Politisch Partizipation Indígena“ der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sechs Autoren analysieren dabei das Konzept und die Problematik rund um „Entwicklung“ aus verschiedenen Perspektiven: Alicia Williner (Argentinien), María Soledad Pérez (Peru), Guillermo Vidalón (Peru), Lorena Terrazas (Bolivien), Freddy Limaco (Bolivien), Kinyapiler F. Johnson (Panama). Eine der Perspektiven ist die einer internationalen Organisation. Diese basiert auf der Analyse „Cambio Estructural para la Igualdad“ (deutsch: Strukturänderungen für mehr Gleichheit), die von der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) durchgeführt wurde. Diese Strukturänderung basiert, laut der Autorin Alicia Williner, auf zwei sich ergänzende Lösungsansätze: a) Ein Fiskalprogramm für die Sektoren mit höheren Einkommen, dessen Erträge auf die benachteiligten Bevölkerungsgruppen verteilt werden sollte. b) Die Steigerung der Produktionskapazitäten, die mit Bildung und technologischer Innovation in Verbindung steht. Die Herausforderung dabei ist die staatliche Kapazität Umweltbelastungen und den Ausbau natürlicher Ressourcen zu reduzieren. Die Ausbeutung natürlicher Ressourcen sei schon immer ein Hindernis für die Entwicklung gewesen, da dieses die Umwelt belastet und gesellschaftlichen Ungleichheiten nicht entgegenwirkt.
Die staatliche Perspektive wurde von der Abgeordneten Maria Soledad Perez Tello am Beispiel von Peru beleuchtet. Die Autorin ist der Meinung, dass jede gesellschaftspolitische Debatte sich im Rahmen nationaler Vereinbarungen, Konsens und Konsultationen mit den verschiedenen Sektoren einer Gesellschaft abspielen sollte. Des Weiteren plädiert sie für ein Entwicklungskonzept, das auf Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität basiert. Der Staat müsse Verzerrungen, die der Markt erzeugt, zuvorkommen und Rechte, die das allgemeine Wohlsein gewährleisten, sicherstellen. Abschließend kommentierte die Autorin, dass einen nationale Identität wichtig für die Entwicklung in Peru sei; diese müsse die ethnische und kulturelle Diversität, die Erhaltung nationaler Werte sowie eine flexible Partizipation Perus in der globalisierten Welt miteinschließen.
Was die unternehmerischen Entwicklungsperspektive betrifft, so präsentiert Guillermo Vidalón ein liberales Konzept, welches den individuellen Menschen im Mittelpunkt stellt. Dabei soll der Staat im Dienste der Bürger stehen, den (wirtschaftlichen) Austausch fördern und privates Eigentum sichern. Bei diesem Konzept handelt es sich vor allem um die individuellen Grundrechte, die besser von einem kleinen, aber effizienten Staat, geschützt werden können. Je mehr Freiheitsräume geschafft werden, desto mehr werden die wirtschaftlichen Erwartungen der Bürger erfüllt.
Die Vorstellung von Entwicklung nach der indigenen Bevölkerung wurde von Lorena Terrazas (aus der Sicht der indigenen Organisationen), Kinyapiler F. Johnson (aus der Sicht eines indigenen Volkes) und Freddy Limaco (er beschreibt ein Best-Practice Beispiel) beleuchtet. Diese Autoren versuchen das Konzept von „Entwicklung“ mit ihrer eigenen Weltanschauung des „Vivir Bien“ (deutsch: „Gut leben“) zu verbinden. Entwicklung aus ihrer Sichtweise umfasst eine Lebensqualität, die nicht mit materiellen Eigentum zu tun hat, sondern mit Glückseligkeit, Spiritualität und Achtung vor der Mutter Erde und der Umwelt. Dies impliziert die indigene Weltanschauung zu beachten und ihnen das Recht einzuräumen ihr eigenes Entwicklungskonzept zu definieren. Das Debattieren über Entwicklung ist nicht mehr ein Anliegen der grossen Ökonomen, stattdessen müssen alle Akteuren mit ins Boot geholt werden. Das neue Entwicklungskonzept muss, also, die kulturelle, religiöse und soziale Diversität aller Beteiligten entsprechen. Genau diese Gesinnung war im Mittelpunkt der Buchvorstellungen.
Zwei der Autoren stellten ihre Artikel vor: Lorena Terrazas und Freddy Limaco, beide aus Bolivien. Terrazas betonte, dass sie mit Amartya Sen Konzept übereinstimmt, welches sich auf eine Entwicklung, die wirtschaftliche Möglichkeiten und politische, soziale und kulturelle Freiheiten sowie die Sicherheit der Bürger in den Vordergrund stellt, bezieht. Die Suche nach differenzierten Entwicklungsparadigmen macht die Betrachtungsweise des „buen vivir, vivir bien y vida plena“ (deutsch: „Gut leben, Lebensqualität und erfülltes Leben“) als Alternative zu dem aktuellen System um so interessanter. Des Weiteren merkte sie an, dass in der Regel das Konzept von „Entwicklung“ mit Armut in Verbindung gebracht wird. Allerdings ist das Armutskonzept relativ und subjektiv, dafür einige Armut anhand von wirtschaftlichen Wohlstand, für anderen anhand sozialen und wirtschaftlichen Maßstäben gemessen wird.
Freddy Limaco erläuterte den Fall San José de Uchupiamonas, welcher die erfolgreiche Umsetzung eines wirtschaftlichen Entwicklungsmodel in einer indigenen Gemeinden widerspiegelt. Es geht um ein Tourismusvorhaben, dass in den 90er Jahren erfolgreich initiiert wurde. Bis heute bleibt das Vorhaben bestehen und hat 19 weitere indigene Gemeinden inspiriert. Dieses Beispiel basiert auf einer solidarischen Wirtschaft, wo die kulturelle Identität internalisiert wurde, aber wo die Gemeinde, mittels Bildung, kämpft um das Projekt aufrecht zu erhalten. Er lehnt allerdings eine individualistische und ausbeutende Wirtschaft ab. Gleichzeitig kritisiert er, dass es in Bolivien kein Gesetz gibt, welches das Gemeindeunternehmertum fördert.
Die erste Kommentatorin, die Anthropologin und Linguistin, Regina Martínez aus Mexiko, pontierte die Schwierigkeit bei der Definition des Entwicklungsbegriffs, welcher subjektiv ist. Das weltweite Verständinis des Begriffs, so Regina Martínez, erfüllt keinesfalls seinen Zweck: Er zeigt, wie die Schere zwischen Arm und Reich sich öffenet, und ferner eine immer weniger werdende Mittelklasse. Für sie sollte die Erarbeitung von Entwicklungsindikatoren mit der Teilnahme aller gesellschaftlichen Sektoren erfolgen. Das Problem liegt darin, dass die unterschiedlichen Vorstellung über Entwicklung keinen Konsens zur Folge hätten, weswegen die Herausforderung darin besteht in Dialog zu treten und einen rechtliche Rahmen zu schaffen.
Manuel Namuncura (gebürtiger Mapuche) stimmte der vorherigen Stellungnahme zu. Nach seiner Meinung muss Entwicklung einem menschlichen Ansatz entsprechen. Es muss ein Umdenken stattfinden, welches Entwicklung mit Chancengleicheit, Identität und Interkulturalität verbindet. Er hebte den guten Willen CEPALS hervor, Entwicklung zu überdenken, und sprach sich dafür aus, dass auch andere internationale Organisationen, wie MERCOSUR, UNASUR, usw., dem Beispiel der CEPAL folgen sollten. Es sei wichtig, so Numuncura, dass der Staat vor allem einen Dialog mit den Unternehmen suche. Auch sei es notwendig die indigenen Angelegenheiten zu institutionalisieren, um messbare Erfolge zu erzielen.
In der Fragerunde ging es um verschiedene Entwicklungsmodelle, wie beispielsweise das chinesische, und darum ob wirtschaftliches Wachstum von Entwicklung entkoppelt werden kann.