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Veranstaltungsberichte

Teil I: Der Stand der indigenen und ordinären Justiz

Fortschritte und Entwicklungdes Rechtspluralismus auf nationalem und internationalem Niveau

Am 26. und 27. August 2010 fand das zweitägige Seminar „Der Stand der ordinären und indigenen Justiz – Fortschritte auf nationalem und internationalem Niveau“ statt. Während am Donnerstag zahlreiche Experten Saal der Universität Católica Boliviana San Pablo (UCB) in La Paz referierten, fand das Seminar am Freitag in der Unidad Académica Campesina (Landeinheit) der Universität Católica in Tihuanaco statt. Den Teilnehmern wurde eine Palette nationaler und internationaler Beiträge über beide Justizformen und mögliche Koordinationsmechanismen geboten.

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Ziel des von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Kooperation mit der Univerität Católica Boliviana San Pablo und dem Rechtsstaatsprogramm für Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mexico organisierten Seminares war es, den Dialog über die beiden Justizformen voranzubringen und mögliche Koordinationsmechanismen vorzustellen, die beide Justizformen im Rahmen des „Gesetzes zur Abgrenzung der Justiz“ koordinieren könnte.

ERSTER TEIL: SEMINAR ÜBER INDIGENE UND ORDINÄRE JUSTIZ UND DES GESETZES ÜBER DIE ABGRENZUNG DER JUSTIZ, 26. AUGUST, LA PAZ

In Kooperation mit der Universität Católica Boliviana de San Pablo fand das zweitägige Seminar statt, das durch die Anwesenheit zahlreicher nationaler und internationaler Experten in Sachen indigener und ordinärer Justiz sowie Rechtspluralismus bereichert wurde. Studenten, Teilnehmer des Fortbildungsprogramm für indigene Führungskräfte der KAS (PPI) sowie Interessierte nahmen zahlreich am Seminar teil, dessen Aktualität durch die derzeitige Diskussion des Gesetzesentwurfes zur „Abgrenzung der Justiz“ gegeben war. Die neue bolivianische Verfassung garantiert der indigenen Justiz den gleichen Rang wie der staatlichen Justiz, aber schlägt keine hinreichenden Koordinationsmechanismen zwischen beiden Justizformen vor, was nun Aufgabe des Gesetzes zur „Abgrenzung der Justiz“ sein soll.

Dr. Hans van den Berg, Rektor der Universität Católica San Pablo, stellte in seinen Begrüßungsworten fest, wie wichtig ein offener und respektvoller Dialog zwischen Vertretern der einen und der anderen Justizform sei. Exklusion würde so vermieden, gegenseitige Bereicherung wäre die Folge.

Iván Velásquez, Koordinator des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bolivien, moderierte das Seminar und betonte, bevor er das Wort an Susanne Käss weitergab, dass ein Koordinationsmechanismus zwischen beiden Justizformen unbedingt notwenig sei.

Susanne Käss, Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bolivien, stellte in ihren Begrüssungsworten die Redner vor und hieß alle Teilnehmer herzlich Willkommen. Im Anschluss präsentierte sie das Engagement der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bolivien und Lateinamerika. So sprach sie nicht nur über die 2010 erschienene Publikation „Reflexión Crítica A La Nueva Constitución Del Estado“, sondern auch über das Programm zur Politischen Partizipation indigener Bürger (PPI) und die für die Zukunft geplanten Publikationen des Auslandsbüros der KAS in Bolivien. Besondere Aufmerksamkeit schenkte sie der von Dr. Rodriguez der UCB und seiner Studiengruppe erstellten Studie über Rechtspluralismus und das Gesetz zur Abgrenzung der Rechtssprechung in Bolivien.

Ivan Velásquez machte einen historischen Diskurs, indem er den Kampf der Indígenas um politische Partizipation und für ihre Rechte vor allem seit den 80er Jahren nachzeichnete, eine Zeit, in der Verfassungen beschlossen wurden, die dieses Ziel immer möglicher machten. Des Weiteren merkte er an, dass es einer der Hauptarbeitsschwerpunkte der Konrad-Adenauer-Stiftung sei, diesen Typ von Veranstaltung zu fördern um eine bereichernde und produktive Debatte anzuregen. Hernach bat Velásquez Herrn Lic. Víctor Hugo Cárdenas, Ex-Vizepräsident Boliviens und einer der Gründer der ersten kataristischen Partei Boliviens, ans Mikrofon.

ERFAHRUNGEN MIT DER INDIGENEN JUSTIZ

In der Zeit der Diktaturen in den 80er Jahren, so Cárdenas, war es schwierig, das Thema der indigenen politischen Partizipation überhaupt anzusprechen, was sich Mitte der 90er Jahre durch einige Demokratisierungsbemühungen sukzessive verbesserte. Durch einen Vergleich mit dem ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas, Nelson Mandela, machte Cárdenas deutlich, dass Bolivien es jedoch nicht geschafft hätte, exkludierte Gruppen zu inkludieren ohne weitere Ausgrenzung zu provozieren: Unter Mandela wurde eine Verfassung verabschiedet, die Farbigen und Weißen exakt die gleichen Rechte zugestand, in Bolivien werden den Indígenas durch die neue Verfassung Sonderrechte zugewiesen. Dies liege vor allem an einem vorherrschenden ethnischen Fundamentalismus und einer politisch-ideologisch geführten Debatte, die suggeriere, dass das Indigene die Inkarnation des Guten wäre. Daher sei eine akademische Debatte, wie sie im Seminar gefördert wurde, von absoluter Notwendigkeit um die ideologische Verfärbung zu mindern. Cárdenas gab zu bedenken, dass die indigene Justiz nicht an universale Prinzipien wie den Menschenrechten gebunden sei und die Lynchjustiz in diesem Zusammenhang in der letzten Zeit stark gestiegen sei. Demokratischer Fortschritt, Beachtung der Menschenrechte und eine verantwortungsbewusste Einbindung der verschiedenen Kulturen in Bolivien, insbesondere hinsichtlich der Etablierung zweier Justizsysteme seien daher die Perspektiven und Aufgaben für die Zukunft.

Im Anschluss sprach René Guery Chuquimia, Forscher und Dozent am anthropologischen und archäologischen Institut der Universidad Mayor de San Andrés, welcher über seine Publikation „Die Neubildung der Jach´a Suyu und der Nation Pakajaqi: Zwischen lokaler Macht und der kolonialen Rechte der Indigenas“ referierte. Seinen Vortrag konzentrierte Chuquimia auf Fragen der Administration der indigenen Territorien.

Der nächste Referent war Félix Vásquez, Ex-Senator des MAS und Ex-Abgeordneter der MBL sowie Teilnehmer des Programms zur politischen Partizipation indigener Bürger (PPI) der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die aus der Region Potosí stammende indigene Autorität Vásquez hob hervor, dass es die Aufgabe der Verfassung sei, den jeweils eigenen Werten indigener Kommunen genügend Freiraum zu gewähren. Familiäre, Grenz- und religiöse Konflikte würden in den Kommunen oft mit viel Feingefühl hinsichtlich der ergriffenen Mittel und Strafen sowie Auswahl der Richter gelöst und stellten ein adäquates Ambiente für diese Form von Konflikten im Vergleich zur ordinären Justiz dar. Um den Kulturunterschieden gerecht zu werden, sei es notwenig zu akzeptieren, dass viele indigene Gemeinschaften eben keinen modernen Lebensweg gehen, sondern ihren Traditionen und damit auch der indigenen Justiz treu bleiben wollen.

Nach einer Erfrischungspause stellte Ivan Velásquez Lic. Rudy Huayllas vor, seineszeichens Teilnehmer des PPI-Programmes des KAS, welcher über die aus Oruro stammende indigene Nation Killakas referierte, sowie über deren Justiz- und Institutionensystem. Darüber hinaus präsentierte er Statistiken über die Häufigkeit und Art der Konflikte, die durch die indigene Justiz beigelegt werden. Beispielsweise werden 45% der Territorialkonflikte durch indigene Autoritäten gelöst.

Eulogia Karina Quispe, Ex-Bürgermeisterin Tihuanacos, führte das Seminar fort, indem sie nach einer kurzen theoretischen Einführung die Zuhörer mit praktischen Erfahrungen hinsichtlich indigener Justiz bereicherte. Quispe machte deutlich, dass die ordinäre Justiz langsam, korruptionsanfällig und bürokratisch sei, während die indigene Justiz, solange sie auf starken gemeinsamen Werten basiere, schnelle und angemessene Lösungen anbieten könne. Der Vorteil hierbei seien die Kollektivinteressen, die im Gegensatz zur ordinären Justiz die Partikularinteressen dominieren.

Dr. Susana Hurtado, Professorin und Expertin in Sachen Rechtspluralismus, präsentierte nachfolgend das Konzept des juristischen Pluralismus und machte einen historischen und ethnischen Diskurs, in dem sie die Formierung einiger indigener Völker des bolivianischen Tieflandes erklärte und vorstellte. Nur in 179 von 327 Gemeinden Boliviens sei die staatliche Justiz überhaupt vertreten, so Hurtado, so dass den betreffenden Bürgern gar nichts anderes übrigbleibe, als ihre Konflikte im Rahmen der indigenen Rechtssprechung zu lösen.

Dr. Eduard Rodriguez Veltzé, Ex-Präsident Boliviens und Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der UCB, präsentierte im Folgenden das Forschungspapier "Rechtspluralismus und Abgrenzung der Justiz" und betonte, dass es wichtig sei, das Gesetz über die juristische Abgrenzung zu reflektieren, statt nur Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Des Weiteren stellte er in Frage, ob es sich in der neuen Verfassung um einen Rechtspluralismus oder nur um einen -Dualismus handle.

Marcos García Tornel und Valeria Ortiz, beide graduierte Mitglieder der Forschungsgruppe, der darüber hinaus noch Mariana Zeballos, Farit Rojas, Marcos García Tornel, Eliana Aguirre, Miguel Ángel Foronda, Tania Monter Eguino, Paula Vera, Marcelo Mercado und Katerin Brieger angehörten, stellten das Forschungspapier im Folgenden vor, welches nicht nur den historischen Weg der Herausbildung und politische Behandlung der indigenen und ordinären Justizsysteme behandelte, sondern vor allem eine kritische Reflexion des Rechtspluralismus in der neuen bolivianischen Verfassung darstellte.

Am Nachmittag wurde ein internationales Seminar über Rechtspluralimus auf Initiative des regionalen Rechtsstaatsprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführt.

Dr. Christian Steiner, Leiter des regionalen Rechtsstaatsprogramms für Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Mexiko eröffnete das Seminar und stellte die 2006 mit der Hilfe der KAS gegründete Arbeitskreis für Rechtspluralismus in Lateinamerika (PRUJULA) vor.

KOORDINATIONSMECHANISMEN

Dr. Juan Carlos Martínez, Sozialanthropologe und Forschungsprofessor am Institut für Sozialwissenschaften an der autonomen Universität Benito Juárez de Oaxaca in Mexico, betonte darauffolgend die Wichtigkeit standardisierter Regeln, vor allem wegen der internen Heterogenität der lateinamerikanischen Nationalstaaten. Ein monistisches Rechtssystem wäre gerade wegen dieser Heterogenität nicht ausreichend, vielmehr müssten Koordinationsmechanismen zwischen indigener und ordinärer Justiz Schritt für Schritt implementiert werden.

Dies bekräftigte auch Aresio Valiente López aus Panamá, der betonte, dass Koordinationsmechanismen und interinstitutionelle Strukturen zwischen beiden Justizsystemen von Nöten seien, da manche Sachverhalte besser vom einen, manche besser vom anderen gelöst werden könnten. López deutete an, dass das indigene Recht schon immer existiert hat und dass das nationale Recht durch das indigene und andersherum bereichert werden könne. Das indigene Recht sei nicht fragmentiert sondern basiere ganzheitlich auf einer eigenen Philosophie. Damit es nicht zu einem Missbrauch des indigenen Rechts komme, sei die Heiligung der Prinzipien und Werte innerhalb der Gemeinschaft unabdingbar.

Im Anschluss gab es eine Diskussionsrunde, für die extra vorbereitete Präzedenzfälle vorbereitet wurden. Die Teilnehmer behandelten vor allem die Frage, wie beide Rechtssysteme in einem Staat besser kooperieren können und welche Kompetenzkonflikte daraus entstehen können. Dr. Christian Steiner ging hierbei besonders auf die Frage der Territorien ein, indem er konstatierte, dass Rechtspluralismus nur in klar definierten Territorien funktionieren kann und dass immer darauf zu achten sei, dass die Funktionalität der Rechtssysteme gewährleistet bleibe.

Eine Studentin des PPI-Programmes der KAS stellte in einem bemerkenswerten Schlusswort fest, dass die indigene Justiz Grenzen habe und daher mit der ordinären Justiz Hand in Hand gehen müsse. Wenn beide Systeme ihre Grenzen kennen, können sie sich nur bereichern.

Zum Abschluss bedankte sich Susanne Käss bei allen Anwesenden und Referenten und würdigte die rege Teilnahme und fundierten Vorträge.

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