Veranstaltungsberichte
Dr. Iván Velásquez, Koordinator der Konrad Adenauer Stiftung in Bolivien, eröffnete den Abend, indem er das anwesenden Publikum mit einigen relevanten Hintergrundinformationen über den aktuellen TIPNIS Konflikt vertraut machte. Im TIPNIS Konflikt stehen sich demnach die indigenen Bevölkerungsgruppen der „Tierras bajas“, also dem Tiefland Boliviens, und die Regierung von Evo Morales gegenüber. Streitthema ist der angekündigte Autobahnbau durch den geschützten Nationalpark Isiboro Sécure (TIPNIS), welcher die Anknüpfung des östlichen Teils von Bolivien mit Brasilien verbessern soll.
Der Generalsekretär des Bolivianischen Verbandes der Politikwissenschaften (ABCP), Diego Murillo Bernardis, präsentierte in seinem Vortrag unter anderem die Gründe der Regierung für den Autobahnbau durch den Nationalpark. Demnach erhofft sich die Regierung durch die verbesserten Transportwege nach Brasilien einen wirtschaftlichen Aufschwung und eine verbesserte Integration des Landes. Die indigene Bevölkerung, die im Gebiet des Nationalparkes lebt und damit laut der neuen politischen Verfassung von 2009 auch rechtmäßige Eigentümer des Territoriums ist, befürchtet eine Zerstörung des einzigartigen Naturraums (Bolivien besitzt eine der größten Biodiversitäten der Erde) und des Zusammenlebens zwischen den 64 Kommunen. Sie berufen sich dabei besonders auf das im Jahre 2009 zugesicherte Verfassungsrecht der Konsultation, sollten Baumaßnahmen innerhalb ihres Territoriums vorgenommen werden. Dies wurde seitens der Regierung missachtet, die ankündigte, dass der Autobahnbau „so oder so“ stattfinden würde.
Am 25. September 2011 erreichte der sich als ohnehin schwierig gestaltende Dialog seinen traurigen Höhepunkt; Polizeikräfte griffen den friedlichen Marsch der Indigenen, die sich aus dem Departament Beni auf den Weg nach La Paz gemacht hatten, ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder. Daraufhin distanzierten sich die Verteidigungsministerin Cecilia Chacón und der Regierungsminister Sacha Llorenti von den Vorfällen und erklärten ihren Rücktritt.
Murillo erinnerte desweiteren an die starke Solidarität, die der Marsch am 19. Oktober bei seiner Ankunft in La Paz von allen Bevölkerungsteilen erfahren hatte. Mehr als 500.000 Einwohner von La Paz gingen damals auf die Strasse um ihre Unterstützung offen zu zeigen. Unter Druck gesetzt von der breiten Masse, erklärte Präsident Evo Morales schließlich fünf Tage später den Autobahnbau für gestoppt.
Die nächste Referentin, die Politikwissenschaftlerin und kurzzeitige Präsidentschaftskandidatin Jímena Costa, griff Murillos Punkt auf und zog Hoffnung aus dem erhöhten Politikbewusstsein und Interesse der bolivianischen Jugend. Die Jugendlichen würden heute nicht mehr aufgrund von Gesichtsfarbe, sondern für Inhalte und Ideale wie den Naturschutz und die Einhaltung der Verfassung auf die Strasse gehen. Sie habe dabei das Gefühl, dass die Jugend sich hinterfragt, welche Art von Staat sie wolle und sich dabei mehr und mehr von der aktuellen Regierung entfernen, auch weil der TIPNIS Konflik dem Ansehen Boliviens im Ausland stark geschadet hätte.
Costa ging außerdem auch auf den zweiten Thementeil des Abends, nämlich der Regierungskrise, stärker ein und erinnerte an die vielen Oppositionellen die entweder verhaftet wurden, wie zum Beispiel der ehemaligen Vizeinnenminister Gustavo Torrico, oder aus dem Amt geworfen wurde, wie Felix Patzi, der Gouverneurskandidat von La Paz. Sie stellte außerdem „Ungereimtheiten“ in den Wahlergebnissen von den Justizwahlen am 16. Oktober dieses Jahres fest und kritisierte, dass die Regierung den Zugang zu den endgültigen Wahlergebnissen erschwere. In ihrem Fazit forderte sie daher eine Re-institutionalisierung des Wahlorgans mit erhöhter Transparenz und Unabhängigkeit.
Der letzte Redner des Abends war Rafael López. Auch er stellte einige Mängel seitens der Regierung fest, so fehle dem Movimiento al Socialismo (MAS), also der „Partei“ von Evo Morales, eine klare Struktur (der MAS schloss sich aus verschiedenen sozialen Bewegungen zusammen und ist heute daher schwer als Partei zu bezeichnen). Auch López bemängelte die fehlende Unabhängigkeit der vier Gewalten, also Legislative, Judikative, Exekutive und das Wahlorgan, welche eine starke Bedrohung des demokratischen Systems in Bolivien darstelle. Zum Schluss seines Vortrags gab er an, dass der Regierung von Präsident Evo Morales es außerdem an einem klaren Verständnis des oft verwendeten Konzeptes der „Dekolonisierung“ mangele.
Der Abend wurde mit der Möglichkeit für die Zuschauer Fragen zu stellen und Kommentare abzugeben, abgerundet.