Veranstaltungsberichte
Die Veranstaltung wurde von Iván Velásquez, Koordinator der KAS in Bolivien eröffnet. Er begrüßte die geladenen Gäste mit den Worten, dass die Implementierung eines plurinationalen Staatsmodells von großen Schwierigkeiten begleitet sei. Komplexe Widersprüche könnten dabei in vielen Bereichen z.B. in der Konstitution, im Spannungsfeld zwischen genossenschaftlich und gemeinschaftlichen Staatswesen sowie im ökonomischen Handlungspielraum wahrgenommen werden.
Marcelo Varnoux, Präsident von ABCP begrüßte die Anwesenden und stellte das Konzept der „Almuerzo Trabajo“ kurz vor. Die regelmäßig stattfindenden Treffen bieten erfahrenen Politologen und Soziologen Raum für den Austausch und Dialog von Ideen und Perspektiven zur aktuellen Politik. Neben La Paz als Veranstaltungsort finden die Sitzungen auch in Cochabamba und Santa Cruz statt. Anschließend leitete der Präsident in die Problematik der zu diskutierenden Materie ein. Dabei hob er hervor, dass eine enorme Widersprüchlichkeit in der Konstitution und der Garantie der Rechte sowie in der jeweiligen „pluralistischen“ Ökonomie auftauche. Varnoux spezifizierte zwei Krisenherde: Erstens, eine durch die Verfassungsänderung herbeigeführte Erschütterung rechtlicher Leitlinien, welche in eine ethische Krise des Wandels mündetet. Zweitens, die Priveligierung einzelner Interessensgruppen im ökonomischen Sektor vor dem Hintergrund einer starken Tendenz zur Verstaatlichung der Wirtschaft, welche die Notwendigkeit eines effizienten Krisenmanagement hervorruft.
In der darauffolgenden Diskussion brachten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen ihre Sicht auf das plurinationale Staatsmodell näher und erläuterten zu den von Varnoux markierten Problemfeldern ihre Standpunkte. Diese führten zu einem anregenden Diskurs über die Handlungsweisen der aktuellen Regierung vor dem Hintergrund demokratischer Prinzipien.
Zunächst wies Jimena Costa darauf hin, dass es sich bei der aktuellen Regierung um eine zentralistisch ausgerichtete Organisation handele. Das aktuelle Vorgehen des Staates stehe folglich in großer Wiedersprüchlichkeit zur Unterstützung der Dezentralisierung. Darüber Hinaus erläuterte sie fünf Aspekte, die der bolivianische Staat gegenüber seinen Wählern erfüllen sollte: öffentliche Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Kampf gegen die Armut, ländliche Entwicklung und Bildung. Die Wähler hatten eine Realisierung dieser Aspekte unter demokratischen und autonomen Regierungsbestrebungen und nicht , wie es zurzeit der Fall zu sein scheint, unter autokratischen Einflüssen gewollt, fügte die ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin hinzu.
Erika Brockmann folgte mit ihrem Redebeitrag. Sie stimmte damit überein, dass die Identifikation von Widersprüchen wichtig sei. Zudem zeigte sie Besorgnis über den sich aktuell ausbreitenden Konflikt zwischen den Minenarbeitern. Damit einhergehend wies sie auf den Aspekt der Macht und dessen Reproduktion hin, welcher in der Regierung eines Staates immer einen imensen Einfluss habe. Brockmann stellte zudem Überlegungen zur Form sowie zur Art und Weise einer pluralistischen Ökonomie auf. Die von der Regierung unterstützte Wirtschaftspolitk trage postmarxistische und genossenschaftliche Züge. Es bleibt die Frage bestehen ob diese Formen mit der Realität funktionieren. Um die aktuelle Wirtschaftspoltik weiterhin zu rechtfertigen wird eine Analyse der reellen Umstände benötigt, merkte sie hinzu. Die ehemalige Abgeordnete der „MIR“ (Movimiento de Izquierda Revolucionaria) zeigte zudem konzeptuelle Widersprüche auf, welche sich in der Desorganisation des Staats und der Verletzung von Autonomitätsprinzipien wiederspiegeln. Abschließend betonte sie, dass in der Politik eines plurinationalen Staates ein alternativer Weg fernab von hohen Frustrationspotenzialen gefunden werden muss.
Walter Reyes Villa wies in seinem Kommentar auf eine hohe Inkonsistenz in der neuen Verfassung hin. Als Beispiel zeigte er die Diskrepanz zwischen der in der Verfassung niedergeschriebene Definition Boliviens als ein pazifistischen Staat, welcher aber gleichzeitig Ausgaben im militärischen Bereich, diese laufen unter limitierter Verwendung der Verteidigung, macht. In der bolivianischen Verfassung tauchen vieler dieser Abweichungen auf, welche es deshalb zu entdecken gilt, bemerkte Reyes Villa. In diesem Zusammenhang verwies er auf Publiaktionen der KAS über Demokratie.
Weiterhin bezog sich Gustavo Aliaga in seinem Beitrag auf Gegensätzlichkeiten im ökonomischen Handlungsgeschehen. Er stellte ein gesunkenes bolivianisches Produktionsvolumen in der Gasförderung in Vergleich zu dem anderer lateinamerikanischer Länder und kam zu dem Schluss, dass Bolivien weit hinter seinen wirtschaftlichen Kapazitäten verbleibe. Zudem deutete er auf eine wiedersprüchliche Haltung der Regierung gegenüber des Drogenhandels hin. In Bolivien sei eine Haltung vorzufinden welche die Schuld für den stark florierenden Dorgehandel stets bei äußeren Einflüssen sucht anstatt selber Verantwortung in dieser Thematik zu übernehmen und somit effizient gegen die Drogenproduktion vorzugehen, kommentierte er. Aliaga bemerkte außerdem, dass die aktuelle Wirtschaftspoltik von Propaganda durchzogen sei und es keine eindeutigen Bestrebungen in eine Richtung gebe.
Des Weiteren wurde der Kampf gegen die Armut und dessen Widersprüchlichkeit vor dem Hintegrund der Regierung von den Teilnehmern thematisiert. Hierbei kann statistischen Daten zufolge von einer Minderung der Armut ausgegangen werden. Es wurden bezüglich der Sichtweise auf diese Entwicklung aber auch Bedenken geäußert, denn in der generellen Entwicklung der Wirtschaft konnten nur geringe Verbesserungen wahrgenommen werden. Yerko Ilijic stellte in diesem Zusammenhang die Frage wo die Personen, welche die Armut verlassen konnten sich denn nun befinden? Darauf folgten Kommentare, die das hohe Ausmaß informeller Arbeitskraft, die Relativität des Konzeptes von Armut und die Schwierigkeit diese zu messen benannten.
Iván Velásquez wies in seinem Kommentar zu diesem Thema auf einen hohen Anstieg von Einzahlungen hin. Diese seien auf die hohe Arbeitsmigration von Bolivianern in andere Länder zurückzuführen und viermal so hoch wie in anderen lateinamerikanischen Ländern. Diese indirekte Unterstützung sei ein Faktor, der den Rückgang der Armut bewirkt hat, der aber nicht auf die Entwicklung der nationalen Wirtschaft zurückzuführen sei. Abschließend erläuterte Velásquez eine weitere Widersprüchlichkeit: ein im Vergleich zum Anstieg der Einzahlungen weitgehend geringer Rückgang der Armut.
Marcelo Varnoux schloss die Veranstaltung mit lobenden Worten zu einer spannenden Diskussion und bedankte sich bei den Teilnehemern und Teilnehemerinnen für ihre Wortbeiträge.