Veranstaltungsberichte
Der Wirtschaftsbericht der Fundación Milenio Nr. 28 für das Jahr 2009 wurde im April 2010 der Öffentlickeit vorgestellt. Für die Anfertigung des Berichts zeichnete ein Team von Wirtschaftswissenschaftlern der Milenio-Stiftung verantwortlich, bestehend aus Juan Brun, José Luis Evia, Germán Molina sowie Mario Napoleón Pacheco. Diesmalig beteiligt als Forschungsassistenten waren ferner Enrique Araníbar, Josué Mamani und Saúl Quispe. Die Koordinierung des Berichts oblag José Luis Evia.
In seiner Eröffnungsrede würdigte der Leiter der Fundación Milenio Roberto Laserna die seit 14 Jahren bestehende Zusammenarbeit mit der Konrad Adenauer Stiftung bei der Erarbeitung und Präsentation des Wirtschaftsberichts. Ferner wies er auf die lange Tradition dieser Analyse der bolivianischen Wirtschaft hin, die im Jahr 1996 ihren Anfang nahm. Auf die wissenschaftliche Methode Bezug nehmend, unterrichtete Roberto Laserna, dass die im Wirtschaftsbericht zugrundegelegten Daten vornehmlich aus offiziellen Quellen, d.h. überwiegend von Regierungstellen stammen.
Es folgte die Eröffnungsrede der Leiterin des Auslandsbüros der Konrad Adenauer Stiftung in Bolivien, Susanne Käss, die die Bedeutung des Wirtschaftsberichts als wertvolles Resumee der bolivianischen Wirtschaftsentwicklung hervorhob.
Anschließend stellten die drei Referenten Germán Molina, José Luis Evia sowie Mario Napoleón Pacheco den Wirtschaftsbericht vor. Dieser unterstreicht in erster Linie die zentralen Probleme der bolivianischen Wirtschaft im vergangenen Jahr und hebt dabei vor allem auf das niedrige Investitionsniveau sowie auf die sich stetig verschlechternde allgemeine ökonomische Situation des Landes ab. Zudem benennt der Wirtschaftsbericht als wesentliches Hindernis, welches die bolivianische Wirtschaft in ihrem Wachstum bremst, die ungenügenden Investitionen in die wichtigsten Wirtschaftsektoren des Landes wie den Bergbau und den Erdgassektor.
Als erster Referent präsentierte Germán Molina die Ergebnisse des Berichts bezüglich der bolivianischen Außenwirtschaft und der Haushaltslage. Er erläuterte, dass gleichwohl der Beginn des Jahres 2009 mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zusammenfiel, bereits um die Mitte des Jahres erste Anzeichnen einer allmählichen Überwindung der Krise spürbar waren und dass schlussendlich gegen Ende des Jahres die Zeichen auf wirtschaftlichen Aufschwung standen. Weiterhin führte er aus, dass sich die Weltmarktpreise für Primärgüter, mittels derer die bolivianische Wirtschaft von der internationalen Krise am unmittelbartsen getroffen wurde, im Laufe des Jahres stabilisierten, nachdem sie zuvor auf den niedrigsten Stand der gesamten letzten drei Jahre gefallen waren.
In Bezug auf die Exporte betonte Molina den Rückgang der bolivianischen Ausfuhr um 23% . Dies sei vornehmlich auf den Preisverfall jener Produkte zurückzuführen, die den größten Teil der bolivianischen Exporte ausmachen, aber auch auf die Reduzierung des Exportvolumens. Dennoch stieg der Gesamtwert aller ausgeführten Güter um 10% im Vergleich zum Jahr 2007 und um 30% im Vergleich zum Jahr 2006. Dem signifikanten Exporteinbruch steht ein vergleichsweise moderater Rückgang der Importe um 12% gegenüber. Ferner verwies Molina auf einen Überschuss sowohl in der Handels- als auch in der Leistungsbilanz Boliviens. Dennoch zeigte die Kapitalbilanz, den Rückgang der ausländischen Investitionen wiederspiegelnd, ein Negativsaldo auf. Die Zahlungsbilanz hingegen war am Ende des Jahres positiv, wobei der von der Zentralbank Boliviens (Banco Central de Bolivia) akkumulierte Wert 858 Millionen US$ betrug.
In Bezug auf den Außenhandelssektor unterstreicht der Wirtschaftsbericht die folgenden allgemeinen Ergebnisse:
1. Mit Beginn des zweiten Trimesters stabilisierten sich die Preise für die bolivianischen Exportprodukte und erreichten ein ähnliches Niveau wie 2006.
2. Sowohl im Wert als auch im Volumen verzeichnete die bolivianische Wirtschaft einen Rückgang der Exporte, gleichwohl ein positiver Handelsüberschuss beibehalten werden konnte.
3. Auch die Zahlungsbilanz war positiv, so dass Bolivien Reserven akkumulieren konnte.
Es folgten Ausführungen Molinas, die auf den Zusammenhang zwischen Steuereinkünften auf der einen Seite und dem Rückgang der Exporte, insbesondere aus dem Erdgassektor, auf der anderen Seite verwiesen. Letzteres führe zu einer spürbaren Verminderung der Einkünfte des Öffentlichen Sektors. Ebenso sanken in moderatem Maße dessen Ausgaben. Diese quasi ausgeglichene Bilanz steht den bedeutenden Überschüssen aus den Vorjahren, insbesondere 2006 und 2008, gegenüber. Das Haushaltsjahr im allgemeinen resümierend, trifft der Wirtschaftsbericht folgende wesentliche Aussagen:
1. Bezogen auf das BIP sanken die Einnahmen des Staates um 5,3% ebenso wie seine Ausgaben um 3,8%. Dies führte zu einer allmählichen Nivellierung des Steuerüberschusses.
2. Ungeachtet dessen, stiegen die Ausgaben für den Öffentlichen Dienst (Gehälter etc.).
3. Der Rückgang der Einnahmen spiegelt die Abhängigkeit der öffentlichen Finanzen vom Erdgassektor wider.
4. Es besteht eine Tendenz zur Wiederkehr eines Defizits. Ferner herrscht Unsicherheit bezüglich der haushaltspolitischen Nachhaltigkeit.
Anschließend referierte José Luis Evia die Entwicklungen in der Geldpolitik sowie bezüglich des Finanzsystems. Evia zufolge verzeichnete insbesondere ersterer Bereich die bedeutendsten Veränderungen, da ein Umschwung – mittels eines starken Rückkaufs von Staatsanleihen – von einer kontraktiven hin zu einer expansiven Geldpolitik erfolgte. Der Referent verwies außerdem darauf, dass die Verringerung der Zinssätze ausdrückliches Ziel der Geldpolitik war. Gleichfalls hätten die Gewinne aus Staatsanleihen im Verlauf des letzten Jahres stark abgenommen. Dies hat in Verbindung mit einem festen Wechselkurs auch Auswirkungen auf den Kapitalfluss. Der Wirtschaftsbericht belegt für den Zeitraum des letzten Trimesters 2009 einen erneuten Zuwachs bezüglich des Devisentransfers ins Ausland bei gleichzeitigem Devisenankauf des privaten Finanzsektors von der Bolivianischen Zentralbank.
Ferner hob Evia hervor, dass die monetäre Basis 2009 - beflügelt durch den Rückkauf von Staatsanleihen - stetig anstieg. Dies stellt eine Abkehr von der Entwicklung der letzten Jahre dar, als die monetäre Basis in erster Linie wegen der Akkumulation von Reserven angestiegen war. In Bezug auf die Bankeinlagen konstatiert der Wirtschaftsbericht ein anhaltendes Wachstum. Der beschriebene Wechsel in der Geldpolitik beraube die Staatsanleihen ihrer Attraktivität als potenzielle Anlage für die Ressourcen der Banken, die ebensowenig in Richtung eines anwachsenden Portfolio gelenkt würden. Außerdem verweist der Wirtschaftsbericht auf die hohen Gewinne der Banken im Jahr 2009, die allerdings jenen der Vorjahre entsprechen. Die Auswirkungen des Wechsels in der Geldpolitik würden sich hier erst später niederschlagen.
Den Geldsektor betreffend, resümierte Evia folgende Punkte:
1. Im Laufe des letzten Jahres vollzog sich ein Wechsel von einer kontraktiven hin zu einer expansiven Geldpolitik.
2. Als Konsequenz des Rückkaufs von Staatsanleihen stieg die monetäre Basis erneut an.
3. Die subnationalen Regierungen haben damit begonnen, Gebrauch von ihren Einlagen zu machen.
4. Mit einem festen Wechselkurs auf der einen Seite und einer freien Kapitalbewegung auf der anderen Seite neigt die Geldpolitik dazu, ineffektiv zu sein.
In Bezug auf das Finanzsystem trifft der Wirtschaftsbericht folgende zentrale Aussagen:
1. Die Einlagen im Finanzsystem unterliegen einem anhaltenden Wachstum.
2. Die Banken haben Schwierigkeiten, ein Investitionsziel für ihre zur Verfügung stehenden Ressourcen zu finden.
3. Im Verlauf des letzten Jahres sanken sowohl die passiven als auch die aktiven Zinssätze.
4. Die Banken erzielen weiterhin hohe Gewinne.
Anschließend referierte Mario Napoléon Pacheco die Ergebnisse des Wirtschaftsberichts betreffend der Entwicklungen in der Realwirtschaft. Er hob hervor, dass der Anteil der Investitionen am BIP 2009 bei 14,3% stagnierte und damit nicht nur unterhalb der Marke des Vorjahres liegt, sondern auch unterhalb des durchschnittlichen Investitionsanteils während der 1990er Jahre sowie des lateinamerikanischen Durchschnitts, der ca. 25% beträgt. Mit einem Investitionsniveau dieser Größenordnung ließen sich weder ein Anstieg der Produktionskapazitäten noch eine signifikant wachsende Anzahl nachhaltiger Arbeitsplätze generieren.
Außerdem verwies Pacheco auf das um 3,2 Prozentpunkte gestiegene BIP im letzten Trimester des Jahres 2009. Dieses Wachstum erkläre sich vornehmlich durch den Konsumanstieg in den privaten Haushalten ebenso wie in den öffentlichen Verwaltungseinrichtungen, die mit 2,4% bzw. 0,5% zum Wachstum des BIP beitragen. Bezüglich der Investitionen erläuterte Pacheco, dass die Bruttovermögensbildung kaum das Niveau des Vorjahres beibehält, weshalb ihr Beitrag zum Wachstum auf der Nachfrageseite nichtig war. Auf der Angebotsseite würden die Dienstleistungen 2,1% und der Produktiosgütersektor die restlichen 1,1% zum BIP-Wachstum beitragen.
Gleichzeitig betonte Pacheco den Stellenwert des Bergbaus und die rückläufige Bedeutung des Erdgassektors für das BIP-Wachstum. Allerdings, so gab der Referent zu verstehen, würde es zukünftig schwierig werden, diesen entscheidenden Beitrag des Bergbausektors für das BIP-Wachstum beizubehalten, da die Expansion der Bergbauproduktion vor allem auf Projekte und die mit ihnen verbundenen Investitionen zurückzuführen sind, die bereits sein langer Zeit in Planung waren. Außerdem vermochten diese Projekte, die – trotz der hohen Weltmarktpreise – rückläufige Tendenz beim klein- und mittelständischem Bergbau, auszugleichen.
Auf den Erdgassektor Bezug nehmend, äußerte Pacheco Besorgnis, da die Produktion vor allem wegen des Mangels an Investitionen rückläufig ist. Er warnte, dass ohne umfangreiche Investitionen in den Erdgassektor dieser zukünftig nicht in signifikantem Maße zum Wirtschaftswachstum wird beitragen können. Außerdem würde so die Notwendigkeit zur Einfuhr von Petroleumderivaten forciert, die sodann negative Auswirkungen auf den Haushalt und die Handelsbilanz haben würde.
Die wesentlichen Inhalte des Wirtschaftsberichts bezüglich der Entwicklungen in der Realwirtschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Die Inflation konnte gebremst werden.
2. Gleichwohl die öffentlichen Investitionen angestiegen sind, sind ausländische sowie private Investitionen rückläufig.
3. Insgesamt verharrt der Investitionsanteil auf einem äußerst niedrigen Niveau.
4. Das Wirtschaftswachstum erklärt sich vor allem durch die Zuwachsraten im Bergbau.
5. Im Gegensatz dazu hat sich die Erdöl- und Erdgasproduktion verringert.
In einer zusammenfassenden Interpretation der im Wirtschaftsbericht zusammengetragenen Ergebnisse äußerte die Fundación Milinio größte Bedenken bezüglich der mangelnden privaten Investitionen in Bolivien. Sie unterstreicht deren große Bedeutung für die Generierung von Wirtschaftswachstum und die Entwicklung des Landes. Ferner warnt sie vor dem Irrglauben, diese durch den öffentlichen Sektor ersetzen zu können. Der Wirtschaftsbericht mahnt die Regierung, zukünftig ein günstigeres und wohlwollenderes Umfeld für Privatinvestitionen zu schaffen.
Die Vorstellung des Wirtschaftsberichts schloss mit einer offenen Diskussion zwischen Podiumsteilnehmern und Publikum, in der Fragen und Anregungen lebhaft ausgetauscht wurden.